Energiepreis-Protest > Grundsatzfragen
BGH Entscheidung von heute 28.10.2015 i.Sa. Gas
Black:
--- Zitat von: h.terbeck am 04. November 2015, 06:26:35 ---@Black
Vll. erinnern Sie sich dunkel an die Diskussion um bezahlte Vorträge von Richtern bei Veranstaltungen des/der EVU und Kommentare hiker in div. Foren?
Übrigens, ich sprach von Verdacht, nicht von Behauptung!
--- Ende Zitat ---
Sie äußerten den "Verdacht" dass Klinkenputzen könne erfolgreich gewesen sein. Das setzt die Behauptung voraus, dass es ein solches Klinkenputzen, also eine versuchte Beeinflussung von BGH Richtern durch "EVU Lobbyisten" überhaupt gab. Zudem: Auch ein Verdacht will begründet werden.
Ich finde es übrigens nicht verwerflich wenn ein Richter Vorträge hält, in denen er erläutert, wie man sich bei der Vertragsgestaltung rechtmäßig zu verhalten habe. Zudem war dieser Richter an der vorliegenden Entscheidung nicht beteiligt.
RR-E-ft:
Die Entscheidung erscheint aus Verbrauchersicht problematisch.
A.
Der Senat hat eine wegen Unvereinbarkeit mit der EU- Richtlinie unwirksame Regelung im Wege ergänzender Vertragsauslegung durch eine Regelung ersetzt, welche sich ebenso wenig mit der EU- Richtlinie vereinbaren lässt, den von der EU- Richtlinie geforderten Verbraucherschutz ebenfalls nicht gewährt.
Es ist aber Aufgabe auch des Gerichts, die EU- Richtlinie und dem von dieser geforderten Verbraucherschutz Geltung und Wirksamkeit zu verschaffen.
B.
Dieses im Wege ergänzender Vertragsauslegung eingeräumte Preisänderungsrecht soll wohl zudem einer geringeren Kontrolldichte unterliegen als das gesetzliche Preisänderungsrecht nach dem Willen des Gesetzgebers im Falle seiner Wirksamkeit, für welches die Billigkeitskontrolle gem. § 315 BGB vorgesehen war.
So soll es nicht mehr zu einer Billigkeitskontrolle jeder einzelnen Preiserhöhung kommen.
Einzelne Aspekte, die bei einer Billigkeitskontrolle zu prüfen sind, sollen wohl nicht mehr durchgreifen und zukünftig unberücksichtigt bleiben:
BGH, Urt. v. 19.11.08 Az. VIII ZR 138/07, juris Rn 43:
„Das schließt allerdings nicht aus, dass jedenfalls die Weitergabe solcher Kostensteigerungen im Verhältnis
zum Abnehmer als unbillig anzusehen ist, die der Versorger auch unter Berücksichtigung des ihm zuzubilligenden unternehmerischen Entscheidungsspielraums ohne die Möglichkeit einer Preiserhöhung aus betriebswirtschaftlichen Gründen vermieden hätte. Das Recht zur Preiserhöhung nach § 4 AVBGasV kann, wie
die Revisionserwiderung zutreffend geltend macht, angesichts der sich aus § 2 Abs. 1, § 1 Abs. 1 EnWG ergebenden Verpflichtung des Energieversorgungsunternehmens zu einer möglichst sicheren, preisgünstigen, verbraucherfreundlichen, effizienten und umweltverträglichen leitungsgebundenen Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität und Gas nicht dazu dienen, dass es zu beliebigen Preisen einkauft, ohne günstigere Beschaffungsalternativen zu prüfen (Markert, RdE 2007, 263, 265; Säcker, ZNER 2007, 114, 115), und im Verhältnis zu seinem Vorlieferanten Preisanpassungsklauseln und -steigerungen akzeptiert, die über das hinausgehen, was zur Anpassung an den Markt und die Marktentwicklung im Vorlieferantenverhältnis erforderlich ist (vgl. zu einer entsprechenden Einschränkung des Änderungsrechts von Banken bei Zinsänderungsklauseln in Kreditverträgen BGHZ 97, 212, 217 ff., 222; 158, 149, 155).“
Wenn der Gesetzgeber erkennbar wollte, dass die Preisänderungen der Versorger im Rahmen ihrer gesetzlichen Versorgungspflicht der gerichtlichen Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB unterliegen sollen, dann ist eine Einschränkung dieser Kontrolldichte bei einem im Wege ergänzender Vertragsauslegung ersatzweise für das unwirksame gesetzliche Preisänderungsrecht eingeführten Preisänderungsrecht nicht nachvollziehbar.
Ziel des § 1 EnWG ist unter anderem eine verbraucherfreundliche Energieversorgung.
Die Aspekte des Verbraucherschutzes wie von der EU- Richtlinie gefordert und der Verbraucherfreundlichkeit sind insbesondere bei einer Einschränkung der Kontrolldichte bei der vorgenommenen Abwägung wohl unberücksichtigt geblieben.
Mag man noch die Einräumung eines einseitigen, an keine weiteren Bedingungen geknüpften Preisänderungsrechts im Wege ergänzender Vertragsauslegung als geboten ansehen.
Die Einschränkung der Kontrolldichte erscheint jedenfalls nicht geboten, erforderlich und gerechtfertigt.
Black:
Im Gegenzug hat der BGH festgestellt, dass bei einer unzulässigen Preisanpassung auf Basis ergänzender Vertragsauslegung - z.B. wenn der Versorger im Zuge der Anpassung auch seine Marge erhöht hatte - eine Beanstandungsfrist von 3 Jahren besteht.
Bei der "normalen" Billigkeitskontrolle gab es keine derartig lange Beanstandungsfrist. Auch ein unbillig erhöhter Preis wurde nach bisheriger Rechtsprechung des BGH zu neu vereinbarten Preis , wenn der Kunde die Jahresrechnung unbeanstandet bezahlt hat.
RR-E-ft:
Diese kurze Beanstandungsfrist war auch nicht zu rechtfertigen. Nach der Rechtsprechung des Kartellsenats konnte das Recht, eine einseitige Preisbestimmung als unbillig zu rügen, verwirken. Eine Verwirkung kommt jedoch nach dessen Rechtsprechung regelmäßig nicht vor Ablauf der regelmäßigen kurzen dreijährigen Verjährungsfrist in Betracht (vgl. ZNER 2011, 130, <131> mwN).
tangocharly:
Es ist ja schon drollig, wie der 8. ZS-BGH argumentiert, wenn es darum geht, eine europarechtskonforme Auslegung des § 4 Abs. 2 AVB nicht vornehmen zu können, weil diese noch dem Willen des Gesetz- oder Verordnungsgebers (noch) entsprechen muss:
--- Zitat ---43 u. 44
(3) Dementsprechend hat auch der Bundesgerichtshof bereits entschieden, dass eine richtlinienkonforme Auslegung - ebenso wie die verfassungskonforme Auslegung - voraussetzt, dass durch eine solche Auslegung der erkennbare Wille des Gesetz- oder Verordnungsgebers nicht verändert wird, sondern
die Auslegung seinem Willen (noch) entspricht (vgl. Senatsurteile vom 26. November 2008 - VIII ZR 200/05, aaO Rn. 28; vom 17. Oktober 2012 - VIII ZR
226/11, BGHZ 195, 135 Rn. 22; BGH, Beschluss vom 16. Mai 2013 - II ZB 7/11,
NJW 2013, 2674 Rn. 42; vgl. auch Senatsurteil vom 13. April 2011 - VIII ZR
220/10, BGHZ 189, 196 Rn. 47; BGH, Beschluss vom 16. April 2015 - I ZR
130/13, aaO; ebenso BAGE 82, 211, 225 f.; 106, 252, 261; jeweils mwN).
dd) Gemessen an diesen Grundsätzen kommt eine richtlinienkonforme
Auslegung oder Rechtsfortbildung des § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV oder des
- dieser Vorschrift übergeordneten - § 36 Abs. 1 EnWG 2005 beziehungsweise -
soweit auf den Streitfall noch anzuwenden - dessen Vorgängerregelung in § 10
Abs. 1 Satz 1 EnWG 1998 dahingehend nicht in Betracht, dass diesen Vorschriften ein an den Transparenzanforderungen des Art. 3 Abs. 3 in Verbindung
mit Anhang A der Gas-Richtlinie nach Maßgabe der Auslegung des Gerichts-
hofs ausgerichtetes Recht des Gasversorgers zur einseitigen Änderung der
Preise zu entnehmen wäre.
--- Ende Zitat ---
dann aber den expliziten Willen des Gesetzgebers in § 1 Abs. 3 EnWG auszublenden:
--- Zitat ---3) Zweck dieses Gesetzes ist ferner die Umsetzung und Durchführung des Europäischen Gemeinschaftsrechts auf dem Gebiet der leitungsgebundenen Energieversorgung.
--- Ende Zitat ---
(Anm.: In dieser Fassung existierte die Bestimmung auch zeitens des Streitfalles).
Wenn dann dort der Gesetzgeber dem 8.ZS-BGH ins Panier geschrieben hat, dass nicht nur das Gemeinschaftsrecht hierdurch umgesetzt werden - sondern auch durchgeführt werden soll, dann müsste sich der Senat schon fragen lassen, warum er dann diesen Fall entschieden haben wollte, ohne eine Richtervorlage an das BVerfG zu prüfen. Wenn sich ein Gesetz als weder europavertrags- noch verfassungsgerecht anwenden lässt, dann kann (wie der Senat ja selber ausführt) nicht einfach qua Rechtsfortbildung eine Marke gesetzt werden, was der Gesetzgeber mit "Durchführung" gemeint haben könnte. Gerade weil das Wortpaar Umsetzung und Durchführung gewählt wurde, liegt möglicherweise schon nahe, dass die Richtlinien als Handlungsanweisungen verstanden werden wollten. Dabei hat sich der 8. ZS-BGH ja geradewegs auch mit dieser Problemlage beschäftigt:
--- Zitat ---40 u. 41
(2) Auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gilt
der Grundsatz richtlinienkonformer Auslegung nicht schrankenlos. Er findet
vielmehr dort seine Grenze, wo die nationale Vorschrift nicht richtlinienkonform
ausgelegt werden könnte, ohne dabei die Grenzen der verfassungsrechtlichen
Bindung des Richters an das Gesetz zu sprengen. Eine die Gesetzesbindung
des Richters überschreitende Auslegung ist auch durch den Grundsatz der
Unionstreue nicht zu rechtfertigen (BVerfG, GmbHR 2013, 598, 601; NJW
2012, 669, 670 f.).
Art. 20 Abs. 2 GG, der dem Grundsatz der Gewaltenteilung Ausdruck
verleiht, verwehrt es den Gerichten, Befugnisse zu beanspruchen, die die Ver-
fassung dem Gesetzgeber übertragen hat, indem sie sich aus der Rolle des
Normanwenders in die einer normsetzenden Instanz begeben und sich damit
der Bindung an Recht und Gesetz entziehen. Der Rechtsfortbildung sind des-
halb mit Rücksicht auf den aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit unverzichtba-
ren Grundsatz der Gesetzesbindung der Rechtsprechung (Art. 20 Abs. 3 GG)
Grenzen gesetzt.
--- Ende Zitat ---
Wenn man dann die europarechtskonforme Auslegung des § 4 Abs. 2 AVB hierwegen scheitern läßt und angesichts der Bestimmungen des § 1 Abs. 3 EnWG zu einer auch verfassungsrechtlich bedenklichen Auslegung der Verordnung kommen will (siehe § 315 BGB und § 17 GVV), dann baut man das "Schloss ohne Fundament".
Navigation
[0] Themen-Index
[#] Nächste Seite
[*] Vorherige Sete
Zur normalen Ansicht wechseln