Wollen wir einmal kurz die Diskussionspunkte um den Inhalt der Entscheidung des BGH vom 28.10.2015 sortieren:
1.
Vorlagefrage des BGH in Az.: VIII ZR 71/10:
„Der Senat hat durch Beschluss vom 18. Mai 2011 in dem Verfahren VIII ZR 71/10 (ZIP 2011, 1620 ff.) dem Gerichtshof der Europäischen Union (im Folgenden: Gerichtshof) folgende Frage zur Vorabentscheidung gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV vorgelegt:
Ist Art. 3 Abs. 3 in Verbindung mit Anhang A Buchst. b und/oder c der Richtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG dahin auszulegen, dass eine nationale gesetzliche Regelung über Preisänderungen in Erdgaslieferungsverträgen mit Haushaltskunden, die im Rahmen der allgemeinen Versorgungspflicht beliefert werden (Tarifkunden), den Anforderungen an das erforderliche Maß an Transparenz genügt, wenn in ihr Anlass, Voraussetzungen und Umfang einer Preisänderung zwar nicht wiedergegeben sind, jedoch sichergestellt ist, dass das Gasversorgungsunternehmen seinen Kunden jede Preiserhöhung mit angemessener Frist im Voraus mitteilt und den Kunden das Recht zusteht, sich durch Kündigung vom Vertrag zu lösen, wenn sie die ihnen mitgeteilten geänderten Bedingungen nicht akzeptieren wollen?“
2.)
Anwort des EuGH (RS C-359/11):
„ Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 3 Abs. 5 in Verbindung mit Anhang A der Richtlinie 2003/54 und Art. 3 Abs. 3 in Verbindung mit Anhang A der Richtlinie 2003/55 dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, die den Inhalt von unter die allgemeine Versorgungspflicht fallenden Verbraucherverträgen über Strom- und Gaslieferungen bestimmt und die Möglichkeit vorsieht, den Tarif dieser Lieferungen zu ändern, aber nicht gewährleistet, dass die Verbraucher rechtzeitig vor Inkrafttreten dieser Änderung über deren Anlass, Voraussetzungen und Umfang informiert werden."
3.)
Ratio der Auslegungsfragen:
a.) BGH - „eine nationale gesetzliche Regelung über Preisänderungen“
b.) EuGH – „eine nationale Regelung wie der im Ausgangsverfahren“
4.)
Schlussfolgerung:
(a) Der EuGH hat eine Auslegungsfrage beantwortet, welche sich auf eine konkrete nationale Regelung bezieht, nämlich in Gestalt der § 4 Abs. 2 AVB bzw. § 5 Abs. 2 GVV.
(b) Nicht beantwortet hat der EuGH die Frage, ob eine (x-beliebige) andere nationale Regelung bundesdeutscher Gesetze gegen die Anlage zur Richtlinie verstossen kann.
(c) Damit wirft sich die Frage auf, ob der BGH, als er die Auslegungsfrage determierte, sich unabsichtlich oder absichtlich ein Eigentor geschossen hat. Denn er wollte diese Frage auf eine „gesetzliche Regelung über Preisänderungen“ konkretisiert haben. Eine andere Regelung, als die in den Bedingungsverordnungen enthaltene, kennt aber die nationale Rechtsordnung nicht.
(d) Nicht beantwortet hat der EuGH die Frage,
„ob, dass, wann und wodurch“ ein Versorgungsunternehmen gestiegene Kosten weiterberechnen kann bzw. darf. Dass dies nicht nur eine betriebswirtschaftliche (arg.: Selbstverständlichkeit), sondern in erster Linie eine juristische Frage ist, zeigt in nicht zu überbietender Klarheit die im Gange befindliche Diskussion bis in die höchste Europäische Ebene.
(e) Beantwortet hat der EuGH nur die Frage,
„wie“ d.h. nach welchen Kriterien die Ankündigung einer Preisanpassung transparent beschrieben werden muss, um den Europäischen Verbraucherschutzbestimmungen zu genügen.
(f) Der BGH hat nach der klaren Antwort des EuGH -in Umsetzung des Spruches- andere nationale Regelungen für die zu lösenden Fragen heran gezogen, d.h. §§ 133, 157 BGB.
Bei diesen Bestimmungen handelt es sich aber schon vom Wortlaut her um keine
„Regelungen über Preisänderungen“ (vgl. oben Ziff. 1 – Auslegungsfragen). Diese Bestimmungen befassen sich mit der Vertragsauslegung.
Der BGH sagt aber hierbei nicht, was der Gesetzgeber bedacht und geregelt haben würde, was sodann wegen des Wegfalls einer gesetzlichen Regelung zu regeln gewesen wäre (Gesetzesauslegung). Er sagt vielmehr, was
„die Vertragsparteien“ bedacht und geregelt haben würden (Vertragsauslegung).
Ergo bewegt sich der BGH mit seiner Entscheidung vom 28.10.2015 selbst weg von seiner in dem Verfahren (Az.: VIII ZR 71/10) gestellten Frage, indem er keine „nationale bindende Regelung“ in seine Fälle einbinden will, sondern einen Lösungsweg auf der Ebene der „Privatautonomie“.
Diese Frage, nämlich die Auslegung von vertraglichen Regelungen unterfällt aber nicht den Richtlinien 2003/54 u. */55, sondern der Verbraucher-Richtlinie 93/13.
Damit dürfte der BGH bei der absolut interessanten Frage gelandet sein, kann sich die Lösung seines Problems, nämlich die sich in den Verfahren stellende Änderungsberechtigung, allein schon durch die Anwendung der sogenannten „Ergänzenden Vertragsauslegung“ finden oder - und das wird voraussichtlich der Punkt sein, welcher dem BGH als Verfassungsbruch angelastet werden muß - an der Grenze der Europäischen Normanwendung in Gestalt des europäischen Verbots einer „Geltungserhaltenden Reduktion“ von Vertragsklauseln scheitern wird.
Ganz abgesehen davon ist auch eine ganz andere Frage ein Kritikpunkt, welche der nationale Gesetzgeber ganz anders geregelt hat. D.h. in der Grundversorgung sind den Parteien keine Möglichkeiten gegeben, abweichende Regelungen vom gesetzlichen Versorgungsrecht vertraglich zu vereinbaren.
5.)
Abschluss: Man sollte in aller Ruhe erstmal das Vorliegen der vollständigen Urteilsgründe abwarten, bevor man sich die Köpfe heiß redet.