Forum des Bundes der Energieverbraucher

Autor Thema: Preissockelrechtsprechung des BGH verstößt gegen EU-Verbraucherrecht  (Gelesen 4174 mal)

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Leitsatz:
Die Preissockelrechtsprechung des BGH verstößt gegen EU-Verbraucherrecht und ist deshalb von den Instanzengerichten nicht anzuwenden.

1. Verbraucher sind verlassen, wenn sie sich auf die Rechtsprechung des BGH VIII. Senat verlassen. Das gilt jedenfalls auf dem Gebiet der Strom- und Gaspreise. Als Verbraucher muss man leider zur Kenntnis nehmen, dass der BGH dem Verbraucherschutz für Energiekunden einen Schlag nach dem anderen versetzt; zuletzt geschehen mit dem von mir hier kritisierten Richterrecht vom 14.03.2012 für Sonderkunden. Es scheint so, dass dem BGH wohl nur noch mit dem höherrangigen und verbraucherfreundlichen EU-Recht beizukommen ist.

2. In meinem heutigen Beitrag geht es um die schon ein paar Jahre alte Preissockelrechtsprechung des BGH im Bereich der Grundversorgung. Zwar ist in diesem Forum bereits viel dazu geschrieben worden; ich habe allerdings noch keinen Beitrag gelesen, der dieses widersinnige Richterrecht in einen Zusammenhang mit den europäischen Verbraucherschutzbestimmungen bringt. Falls ich hierzu doch etwas übersehen haben sollte, bitte ich um Nachsicht und um einen freundlichen Hinweis.

3. Für deutsche Energieverbraucher keimt Hoffnung auf. Wir schauen gespannt nach Luxemburg zum Europäischen Gerichtshof. Die Generalanwältin des EuGH Verica Trstenjak hält nämlich die diffusen Preisanpassungsklauseln der AVBGasV bzw. GasGVV für unwirksam, weil sie gegen das in den EU-Richtlinien normierte Transparenzgebot verstoßen. Sie spricht sich in ihren Schlussanträgen vom 13. September 2012 in der Rechtssache C-92/11 dafür aus, dass der EuGH die fraglichen in der AVBGasV enthaltenen Klauseln auf Vorlage des BGH, VIII ZR 162/11 (Übernahme der AVBGasV in einen Sondervertrag) rückwirkend bis 2003 für unwirksam erklärt.

4. Es ist zu hoffen, dass der EuGH der Einschätzung seiner Generalanwältin folgen wird und dies auch vorentscheidend für das Verfahren am EuGH, C-359/11 zur Vorlage des BGH, VIII ZR 71/10 (Preisänderungen nach AVBGasV bzw. GasGVV in der Grundversorgung) ist. Eine verbraucherfreundliche Entscheidung des EuGH dürfte dann zur Folge haben, dass auch Preiserhöhungen in der Grundversorgung keinen Bestand haben können, weil die o.g. deutschen Rechtsverordnungen insoweit rechtswidrig sind. Es ist nämlich nicht vermittelbar, warum ein grundversorgter Kunde eine so diffuse Preisanpassungsklausel schlucken muss, die in der AVBGasV bzw. GasGVV zwar vermutet aber selbst von Juristen noch nicht definitiv aufgefunden werden konnte.

5. Die Anforderungen der EU-Richtlinien an transparente und faire Klauseln gelten für alle Haushaltskunden, egal ob grundversorgt oder vertraglich beliefert, gleichermaßen und zwar auf dem hohen europäischen und nicht auf dem niedrigen deutschen Schutzniveau. Der BGH verkennt, dass die Verbraucherinteressen nicht weniger schutzwürdig als die der Versorger. Das Richtergremium im VIII Senat des BGH sollte sich endlich die klaren und nachvollziehbaren Bestimmungen in der EU-Richtlinie Klauselrichtlinie 93/13/EWG und in Art. 3 Abs. 3 der EU-RL 2003/55/EG (Gas-RL) sowie in Art. 3 Abs. 5 der EU-RL 2003/54/EG (Strom-RL) zu eigen machen.

6. Stehen die diffusen Preisanpassungsklauseln der Grundversorgungsverordnungen bereits aus sich heraus nicht in Einklang mit EU-Verbraucherrecht, hat sich die Situation für die Energiekunden auch noch dadurch verschlimmert, dass der BGH mit seiner Preissockelrechtsprechung vom 13.06.2007, VIII ZR 36/06 sowie vom 19.11.2008, VIII ZR 138/07 ein weiteres völlig intransparentes und in sich widersprüchliches Konstrukt aufgesattelt hat, das ebenfalls mit den EU-Richtlinien unvereinbar ist. Der BGH meint, dass einseitige Preisbestimmungen des Versorgers konkludent zu vereinbarten Vertragspreisen mutieren, wenn der Kunde dem Preisverlangen des Versorgers nicht rechtzeitig widerspricht. Der so kreierte konkludente Vertragspreis bilde dann laut BGH den sog. Preissockel, der nicht mehr auf seine Billigkeit überprüft werden könne. Die widersinnigen Folgen des vom BGH erfundenen Preissockels offenbaren sich an den folgenden wirklichkeitsgetreuen Beispielen:

7. Beispiel 1: Kunde A wird von seinem Versorger seit dem 01.10.2007 zum einseitig bestimmten Arbeitspreis von 5,70 Cent/kWh netto beliefert, während Kunde B seit dem 01.10.2008 zum vom gleichen Versorger einseitig bestimmten Arbeitspreis von 7,70 Cent/kWh beliefert wird. Wenn nun Kunde A die Unbilligkeit nach § 315 BGB einwendet, bleibt nach Auffassung des BGH ein Preissockel von 5,70 Cent/kWh von einer Missbrauchsprüfung verschont, während der Kunde B einen Preissockel von 7,70 Cent/kWh ohne jeglichen Nachweis der Billigkeit als konkludent vereinbarter Vertragspreis akzeptieren muss.

8. Bereits an Beispiel 1 wird deutlich, dass sich dieses vom BGH gesetzte Richterrecht schon nicht mit den einschlägigen Anforderungen des EU-Verbraucherrechts an Transparenz, Klarheit, Verständlichkeit, Gerechtigkeit und Fairness verträgt. In Art. 4 Abs. 2 sowie Art. 5 der europäischen Klauselrichtlinie 93/13/EWG ist das Transparenzgebot geregelt und wie zu verfahren ist, wenn die Klauseln dem Transparenzgebot nicht entsprechen. Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie bestimmt, dass sich die Missbrauchskontrolle sogar auf die Angemessenheit des Preises, der für Güter zu entrichten ist (Preisvereinbarung), zu erstrecken hat, sofern die darauf bezogenen Klauseln unklar und unverständlich abgefasst sind. Art. 5 der Klauselrichtlinie hebt dann noch einmal ausdrücklich hervor, dass alle dem Verbraucher in Verträgen unterbreiteten Klauseln immer klar und verständlich abgefasst sein müssen und dass bei Zweifeln über die Bedeutung einer Klausel die für den Verbraucher günstigste Auslegung zu gelten habe. Diese Vorgaben kommen allen Verbrauchern gleichermaßen zugute, somit auch den Kunden in der Grundversorgung. Entgegen der Ansicht des BGH sieht das EU-Recht bei Vorliegen intransparenter Klauseln eine Kontrollfreistellung des sog. Preissockels nicht vor.

9. Auch das Postulat des BGH, es käme auf eine rechtzeitige Preisrüge des Kunden an, damit sich der vom Versorger einseitig erhöhte Preis nicht in eine unangreifbare vertragliche Preisvereinbarung umwandelt, ist unbegreiflich. Die darin immanente und unzulässige Verlagerung der Missbrauchsrisiken weg von den Versorgern hin zu den Kunden führt zu einer unangemessenen Benachteiligung derselben. Kein Verbraucher geht davon aus, dass er seinem Energieversorger bei jeder Preisanpassung den eigenen Rechtsstandpunkt mitteilen muss, damit er seine Verbraucherrechte nicht verliert.

10. Beispiel 2: Kunde A wird seit dem 01.10.2007 zum Arbeitspreis von 5,70 Cent/kWh netto beliefert, während Kunde B seit dem 01.10.2008 zum Arbeitspreis von 7,70 Cent/kWh beliefert wird (soweit wie Beispiel 1). Kunde A hat rechtzeitig alle einseitigen Preiserhöhungen als unbillig gerügt, die zu dem erhöhten Arbeitspreis von 7,70 Cent/kWh am 01.10.2008 geführt haben. Kunde A hat Rückerstattungsansprüche gegen den Versorger, sofern das angerufene Gericht die Unbilligkeit der Preiserhöhungen feststellt. Kunde B hat dagegen keinen Anspruch auf Rückerstattung. Er muss vielmehr den unbillig überhöhten Arbeitspreis (sog. Preissockel), da dieser laut BGH konkludent vertraglich vereinbart ist, selbst dann gegen sich gelten lassen, wenn die vorangegangenen einseitigen Preiserhöhungen des Versorgers gerichtlich festgestellt unbillig waren.

11. An Beispiel 2 offenbart sich die Absurdität des BGH-Richterrechts vollends. Der Maßstab des gerechten und fairen Interessenausgleichs wurde hier missachtet. Das Beispiel zeigt drastisch auf, dass in erster Linie die Interessen des Versorgers geschützt werden. Der BGH hat den Versorgern die Möglichkeit eröffnet, auch unbillig überhöhte Preise rechtmäßig und unangreifbar werden zu lassen. Es ist nicht vorstellbar, dass das mit dem von der EU intendierten hohen Verbraucherschutzniveau in Einklang stehen soll.

12. Beispiel 3: Kunde A wird seit dem 01.10.2007 zum Arbeitspreis von 5,70 Cent/kWh netto beliefert, während Kunde B seit dem 01.10.2008 zum Arbeitspreis von 7,70 Cent/kWh beliefert wird (soweit wie Beispiel 1 und 2). Am 01.07.2009 senkt der Versorger den Arbeitspreis auf 5,40 Cent/kWh. Kunde A hat – im Gegensatz zu Kunde B - alle einseitigen Preisänderungen rechtzeitig als unbillig gerügt. Der Versorger verweigert darauf hin unter Berufung auf die BGH-Rechtsprechung die vollständige Weitergabe der Preissenkung zum 01.09.2009 an Kunde A, weil mit ihm der sog. Preissockel in Höhe von 5,70 Cent/kWh zum 01.10.2007 konkludent vertraglich vereinbart worden sei. Kunde B wird hingegen vom Versorger die volle Preissenkung zugestanden, obwohl mit ihm ursprünglich nach Lesart des BGH ein wesentlich höherer sog. Preissockel von 7,70 Cent/kWh konkludent vertraglich vereinbart war. Folgt man der Intention des BGH hat sich nunmehr seit dem 01.07.2009 bei Kunde B ein neuer konkludent vereinbarter Vertragspreis und somit ein neuer sog. Preissockel von 5,40 Cent/kWh eingestellt. Bezüglich Kunde A bleibt es hingegen laut BGH bei einem sog. Preissockel von 5,70 Cent/kWh.

13. Schon die Unterstellung des BGH, der Anfangspreis (sog. Sockelpreis) sei nicht einseitig vom Versorger bestimmt, ist für einen Normalverbraucher nicht nachvollziehbar. Worin sollen denn die vorvertraglichen Verhandlungsmöglichkeiten des Verbrauchers beim angeblichen Vertragspreis tatsächlich bestanden haben? Dasselbe gilt dann auch für die nachfolgenden einseitig bestimmten Preiserhöhungen des Versorgers. Da somit stets eine einseitige Preisbestimmung durch den Versorger erfolgt, lässt sich der Verbraucherpreis nicht künstlich in einen vereinbarten Anfangspreis und einen einseitig bestimmten Folgepreis aufspalten. Dies würde – wie Beispiel 3 zeigt - zu willkürlichen und vom Zufall abhängigen Ergebnissen führen mit der Folge, dass es zu einer sachlich nicht zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung gleichartiger Kunden kommt.

14. Beispiel 4: Die Kunden C und D, die ein gleichartiges Nutzerprofil aufweisen, haben zum 01.01.2004 jeweils einen Sondervertrag mit dem gleichen Versorger abgeschlossen. Danach hat der Versorger den Verbrauchspreis mehrfach erhöht. Kunde C hat – im Gegensatz zu Kunde D - die Preiserhöhungen und die Preisanpassungsklauseln in den AGB als unwirksam gerügt. Der Versorger, der zu dieser Zeit in seinem Liefergebiet nachweislich ein Monopol bei der Versorgung von Haushaltskunden mit Erdgas hat, kündigt daraufhin den Sondervertrag mit Kunde C zum 31.12.2007. Ab dem 01.01.2008 unterstellt der Versorger bei Kunde C die Belieferung in der Grundversorgung auf der Grundlage der GasGVV und rechnet einen Preis von 6,0 Cent/kWh ab. Der Sondervertrag mit Kunde D läuft weiter; dort gilt ab dem 01.01.2008 ein Preis von 4,40 Cent/kWh. Die Preisdifferenz beträgt 1,60 Cent/kWh bzw. 36,4 %.

15. An Beispiel 4 wird deutlich, dass Kunde C nach der Diktion des BGH faktisch rechtlos gestellt ist. Der Versorger beruft sich nämlich darauf, dass der Anfangspreis zu Beginn der Grundversorgung in Höhe von 6,0 Cent/kWh konkludent vereinbart und dieser sog. Preissockel deshalb einer Überprüfung auf unbillige Überhöhung entzogen sei. Das ist aus Sicht von Kunde C als Diskriminierung zu bewerten, denn die Unbilligkeit der Preisüberhöhung von 36,4 % ist evident, da die anderen gleichartigen Kunden zu einem Preis von 4,40 Cent/kWh versorgt werden. Den vom BGH erfundenen sog. Preissockel nutzen die marktbeherrschenden Versorger als Vehikel, um mittels willkürlicher Vertragskündigungen nicht gerechtfertigte Preiserhöhungen durchzusetzen und sich gleichzeitig einer Missbrauchskontrolle zu entziehen.

16. Das vom BGH gesetzte Richterrecht zum sog. Preissockel verstößt somit nicht nur - wie in den Beispielen aufgezeigt – gegen das Transparenzgebot sondern auch gegen das Diskriminierungsverbot, das in den Art. 3 und 4 der EU-Richtlinie 93/13/EWG sowie in Art. 102 Abs. 1 AEUV (vgl. EuGH, Urteil vom 13. Februar 1979 - Rs. 85/76, Slg. 1979, 461 Rn. 125 …) zum Schutz der Kunden festgelegt ist. Der BGH hat per Richterrecht sogar quasi eigene intransparente und die Kunden diskriminierende Regeln geschaffen und damit das Gegenteil dessen bewirkt, wozu er in Art. 7 der EU-Richtlinie 93/13/EWG verpflichtet ist, nämlich dafür zu sorgen, dass "im Interesse der Verbraucher und der gewerbetreibenden Wettbewerber angemessene und wirksame Mittel vorhanden sind, damit der Verwendung missbräuchlicher Klauseln durch einen Gewerbetreibenden in den Verträgen, die er mit Verbrauchern schließt, ein Ende gesetzt wird."

17. Angesichts der o.g. Beispiele, die beliebig erweiterbar wären, stellen sich folgende Fragen: Müssen normale Verbraucher diese in sich widersprüchliche Rechtsprechung des BGH und deren absurde Folgen kennen und verstehen? Kann man vernünftigerweise erwarten, dass Verbraucher wissen, wie sie sich angesichts dieser Rechtsprechung zu verhalten haben, damit sie ihre verbrieften Verbraucherrechte wahrnehmen können? Kann ein Verbraucher wissen, dass er immer dann einem neuen Preis konkludent zustimmt, wenn er Preissteigerungen nicht rechtzeitig widerspricht und seine Zustimmung selbst dann fingiert wird, wenn die Preise und Preissteigerungen unbillig überhöht sind? Ist angesichts dieses Richterrechts das Vertrauen der Kunden in den Bestand ihrer Verbraucherrechte nicht berechtigterweise massiv beschädigt?

18. Es ist höchste Zeit, dass die Amts-, Land- und Oberlandesgerichte ihrer Verpflichtung gerecht werden, die Verbraucherrechte durch richtlinienkonforme Auslegung des Gemeinschaftsrechts endlich effektiv durchzusetzen. Das kontraproduktive Richterrecht des BGH darf dabei kein Hinderungsgrund sein. Diesbezüglich haben bereits das OLG Oldenburg mit Beschluss vom 14.12.2010, 12 U 49/07 als auch das OLG Düsseldorf mit Urteil vom 13.06.2012, VI-2 U (Kart) 10/11 Maßstäbe gesetzt.

 

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