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EuGH, Urt. v. 23.10.14 Rs. C-359/11 und C-400/11 Preisänderung Grundversorgung

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RR-E-ft:
Die Schlussanträge des Generalanwalts Wahl vom 08.05.14 zu den EuGH Rechtssachen C-359/11 und C-400/11 sind veröffentlicht:

http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=151971&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1&cid=454302


--- Zitat ---  Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Bundesgerichtshof vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

Bei richtiger Auslegung von Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie 2003/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 96/92/EG und von Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG ist den in diesen Bestimmungen niedergelegten Anforderungen an das erforderliche Maß an Transparenz nicht Genüge getan, wenn nach einer nationalen gesetzlichen Regelung über Preisänderungen in den Fällen, in denen Haushaltskunden im Rahmen eines Grundversorgungsvertrags mit Strom oder Gas beliefert werden, die Versorgungsunternehmen nicht verpflichtet sind, dem Kunden Anlass, Voraussetzungen und Umfang einer Preisänderung spätestens dann offenzulegen, wenn dem Kunden die Änderung mitgeteilt wird.

Die Auslegung der vorgenannten Bestimmungen entfaltet erst an dem Tag Wirkungen, an dem der Gerichtshof sein Urteil in den vorliegenden Rechtssachen verkündet.
--- Ende Zitat ---

tangocharly:
Auf die Schnelle:

(1) Der gute Glaube:

- Versorger haben über die Jahre im guten Glauben Verbrauchern Preisänderungen abverlangt. Darin müssen diese geschützt werden ?

- Verbraucher haben über Jahre im guten Glauben Versorgern Entgelte gezahlt, die nicht geschuldet wurden (§ 315 III 1 BGB). Darin müssen diese - dank der Anfangspreis-/Sockelpreis Rechtsprechung des VIII. Senats - nicht geschützt werden ?



(2) Die Anfangspreis-/Sockelpreis Rechtsprechung des VIII. Senats.
.... wurde vom Generalanwalt Wahl mit keiner Silbe erwähnt.

Die Rspr. des VIII. Senats ist dem GA augenscheinlich bekannt; ergo auch die Anfangspreis-/Sockelpreis Rechtsprechung des VIII. Senats.

Weil die Versorgungswirtschaft (und mit ihr die Bundesregierung) eine Klagewelle fürchtet, diese Welle existenzielle Auswirkungen haben könnte, soll die Auslegung durch den EuGH befristet werden.

Diese Befristung sei auch nötig, trotz der ständigen Rspr. des VIII. Senats in der Verjährungsfrage.

Damit ist also offensichtlich nur die existenzbedrohende Wirkung einer Klagewelle unverjährter Ansprüche gemeint.

Da dies aber nach der Anfangspreis-/Sockelpreis Rechtsprechung des VIII. Senats nur für ein paar querulatorische Zeitgenossen gilt, die rechtzeitig Widerspruch gegen die Preisanpassungen erhoben haben, könnte dies auch keinen Existenz bedrohlichen Charakter haben.

Bleibt es also bei der  Anfangspreis-/Sockelpreis Rechtsprechung des VIII. Senats, dann ist auch für eine Befristung der zu erwartenden Entscheidung des EuGH kein Grund ersichtlich !

Schönes WE - und viel Spass beim Kaffee-Satz-Lesen ....

RR-E-ft:
@tangocharly

Die von den Versorgern zu besorgenden  Rückforderungsanpsrüche der Kunden könnten durchaus größeren Umfang haben:

Der Generalanwalt unterstellt, dass die Versorger in gutem Glauben an die Wirksamkeit der gesetzlichen Regelung der § 4 AVBEltV/ AVBGasV bzw. § 5 StromGVV/GasGVV die Allgemeinen Tarife bzw. Allgemeine Preise der Grund- und Ersatzversorgung einseitig geändert hatten. Zweifel an der Wirksamkeit mussten sie womöglich erst haben, als der BGH entsprechende Zweifel zum Anlass für die Vorlagenbeschlüsse nahm.

Eine vollkommen andere Frage ist es, ob - die wirksam gesetzlich eingeräumte Befugnis zur einseitigen Leistungsbestimmung vorausgesetzt- die auf dieser Grundlage vorgenommenen einseitigen Leistungsbestimmungen der Versorger der Billigkeit entsprachen (§ 315 Abs. 3 BGB). Für eine Billigkeitskontrolle soll es laut BGH auf einen rechtzeitigen Widerspruch ankommen.

Wurde mit den betroffenen gesetzlichen Regelungen jedoch den Versorgern ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht schon nicht wirksam eingeräumt, so soll es auch laut BGH  weder auf einen Widerspruch des Kunden noch auf die Billigkeit ankommen (vgl. BGH, B. v. 29.06.11 Az. VIII ZR 211/10, juris Tz. 8 f.).

Sockelpreis wäre deshalb bei Unwirksamkeit der gesetzlichen Regelungen zum Preisänderungsrecht  der Preis, der bei Begründung des Vertragsverhältnisses im Rahmen der gesetzlichen Versorgungspflicht laut BGH  als vereinbart gelten kann bzw. bei vor 2004 begründeten Vertragsverhältnissen der Preis, der zuletzt im Jahre 2004 vor dem Zeitpunkt als vereinbart galt, als die EU- Richtlinien, welche nunmehr die Unwirksamkeit der gesetzlichen Regelungen zur Folge haben, spätestens in deutsches Recht umzusetzen waren.

Nach Auffassung des Generalanwalts erscheint wohl nicht völlig ausgeschlossen, dass im Falle der Unkenntnis der Kunden von der Unwirksamkeit der gesetzlichen Regelungen und deshalb von der Unwirksamkeit der in der Vergangenheit vorgenommenen Preisänderungen resultierende Rückforderungsansprüche der Kunden  gem. § 199 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 1 BGB erst nach zehn Jahren verjähren können, mit der für die Energieversorgungswirtschaft überaus misslichen Folge, dass selbst im Jahre 2004 infolge der Unwirksamkeit der gesetzlichen Regelungen und mithin Unwirksamkeit der vorgenommenen Preisänderungen entstandene Rückforderungsansprüche bisher noch nicht verjähren konnten.

Die betroffenen Kunden konnten wohl frühestens mit den Vorlagebeschlüssen des BGH aus dem Jahre 2011 Zweifel an der Wirksamkeit der gesetzlichen Regelungen und somit der auf ihrer Grundlage vorgenommenen Preisänderungen und mithin von solchen Umständen haben, auf denen die entsprechenden Rückforderungsansprüche gründen.

Dies könnte also bisher unverjährte  Rückforderungsansprüche der betroffenen (durchgängig grundversorgten) Kunden bis zurück in das Jahr 2004 auf der Grundlage von Preisen aus dem Jahr 2004 zur Folge haben.

Deshalb spricht sich der Generalanwalt für die ausnahmsweise zeitliche Befristung der rechtlichen Wirkung der Entscheidung aus.

Die Binnenmarktrichtlinien verlangen, wie auch der Generalanwalt ausführt, eine gesetzliche Versorgungspflicht gegenüber Haushaltskunden zu angemessenen Preisen. Angemessene Preise werden dabei nicht zwingend bereits dadurch sichergestellt, dass nachfolgende Preisänderungen angemessen und transparent erfolgen, wenn der gebildete Gesamtpreis unangmessen hoch ist, weil er schon zuvor unangemessen hoch war.  Der BGH versagt bisher eine Kontrolle der im Rahmen der Versorgungspflicht angebotenen Preise auf ihre Angemessenheit (hierzu umfassend schon  Fricke, ZNER 2011,  130 ff.).

Zumindest bis zur rechtlichen Marktliberalisierung mit Inkrafttreten des EnWG 1998 handelte es sich bei den seinerzeitigen Gebietsversorgern um Monopolisten.
Diese setzten regelmäßig Monopolpreise. Monopolpreise liegen regelmäßig über den Preisen, die sich bei wirksamen Wettbewerb einstellen. Sie enthalten regelmäßig einen unangemessen honhen Gewinnateil, der die sog. Monopolrente ausmacht. Soweit der VIII.Zivilsenat des BGH für die Billigkeitskontrolle von Preisänderungen auf der Grundlage von § 4 AVBV postulierte, dass dabei immer das bisher bestehende vertragliche Äquivalenzverhältnis zu wahren sei, wurden folglich immer weiter  über den Wettbewerbspreisen liegende Monopolpreise fortgeschrieben, wenn die Versorger durchgängig so verfahren sind und nur das in Monopolzeiten begründete Äquivalenzverhältnis immer fortgeschrieben haben. Hierdurch würden weiter die einstigen Monopolrenten realisiert. Solche stehen jedoch im Widerspruch zur gesetzlichen Verpflichtung aus §§ 1, 2 EnWG zu einer möglichst preisgünstigen leitungsgebundenen Energieversorgung mit Elektrizität und Gas.   

Diese Problematik (Ausschluss der Kontrolle der Angemessenheit der im Rahmen einer gesetzlichen Versorgungspflicht angebotenen Preise durch die Sockelpreisrechtsprechung des BGH) ist indes nicht Gegenstand der Fragestellung aus den Vorlagenfragen des BGH, über die der EuGH vorliegend nur zu entscheiden hat und über welche er deshalb  nur entscheiden kann.   

 

RR-E-ft:
Ein Beitrag zu den Schlussanträgen findet sich seitens der Versorgeranwälte im BBH- Energieblog:

http://www.derenergieblog.de/alle-themen/energie/das-preisanpassungsrecht-der-deutschen-grundversorgungsverordnungen-auf-dem-pruefstand-ein-kuehler-hauch-aus-luxemburg/#more-16806

energienetz:
Prof. Dr. Kurt Markert
Kurzstellungnahme zu den Schlussanträgen des Generalanwalts (GA) Wahl in den EuGH-Sachen C-359/11 und C-400/11 betr. das Preisbestimmungsrecht der Versorger von Tarif- und Grundversorgungskunden

Die Schlussanträge weichen sowohl in der materiellrechtlichen Beurteilung als auch in der Frage der zeitlichen Begrenzung der Entscheidungswirkung vom Urteil des EuGH vom 21.3.2013, C–92/11 – RWE Vertrieb, diametral ab, was für mich in beiden Punkten schon ein erstaunliches Beispiel juristischer Argumentationskunst ist. Bei seinem materiellrechtlichen Ergebnis, wonach anders als bei den Sonderkundenverträgen die nach den Binnenmarktrichtlinien erforderliche Transparenz über Anlass und Modus möglicher einseitiger Preisänderungen für  die Tarif- bzw. Grundversorgungskunden nicht schon bei Vertragsabschluss hergestellt werden muss, sondern erst zeitgleich mit der jeweiligen Preiserhöhung, räumt GA Wahl (Rn. 64) selbst ein, dass damit diese Kunden schlechter geschützt werden als Sonderkunden, obwohl sie im Vergleich zu diesen Kunden in einer schwächeren Position gegenüber den Versorgern und damit in stärkerem Maße schutzbedürftig seien. Seine Begründung, der Unionsgesetzgeber habe das so gewollt, ist jedoch nicht stichhaltig. GA Wahl selbst zitiert in Rn. 7 den Anhang A der Binnenmarktrichtlinien, wo es heißt, dass die Lieferbedingungen „im Voraus“ dem Verbraucher bekannt sein müssen, was ganz offensichtlich vor Vertragsabschluss bedeutet. Dem nach Art. 3 dieser Richtlinien von den Mitgliedstaaten zu gewährleistenden „hohen Verbraucherschutz“ mit einem „angemessenen Schutz“ für die „besonders schutzbedürftigen Kunden“ würde es diametral widersprechen, wenn ausgerechnet die auch nach GA Wahl am schutzbedürftigsten Tarif- bzw. Grundversorgungskunden in der Transparenzfrage erheblich schlechter gestellt würden als die weniger schutzbedürftigen Sonderkunden. Auch die von GA Wahl betonte Versorgungspflicht gegenüber Grundversorgungskunden nach § 36 Abs. 1 EWG kann dies nicht rechtfertigen, denn diese steht, was GA Wahl unerwähnt lässt, unter dem Vorbehalt des aus wirtschaftlichen Gründen Zumutbaren. Damit ist dem Rentabilitätsinteresse des Versorgers hinreichend Rechnung getragen. Eines darüber hinausgehenden Schutzes durch Reduktion des Transparenzschutzes ausgerechnet der schwächsten Verbraucher in der Tarifkunden- bzw. Grundversorgung bedarf es daher nicht. Die von GA Wahl für diese Verbraucher in seinem Vorschlag (Rn. 78) als ausreichend angesehene Information über Anlass, Voraussetzungen und Umfang von Preiserhöhungen erst mit der Bekanntgabe der einzelnen Erhöhungen macht auch schon deshalb nur begrenzt Sinn, weil für diese Kunden jedenfalls der Umfang der jeweiligen Erhöhung ohnehin bereits aus deren Bekanntgabe ersichtlich ist. Ihren vollständigen Sinn kann die Information des Kunden über Anlass. Voraussetzungen und Umfang von Preiserhöhungen nur dann erfüllen, wenn wie im Falle der Sonderkunden auch für die Tarif- bzw. Grundversorgungskunden schon vor ihrer Entscheidung über den Vertragsabschluß mit einem Versorger Klarheit besteht, mit welchen Modalitäten sie mit dem Vertragsabschluss auch ein einseitiges Preiserhöhungsrecht des Versorgers akzeptieren.

Im Widerspruch zu dem EuGH-Urteil vom 21.3.2013 steht auch die Position von GA Wahl in der Frage des Wirksamkeitszeitpunkts der zu treffenden EuGH-Entscheidung. Seine Begründung für das auch in dieser Frage von diesem Urteil abweichende Ergebnis in Rn. 72, dass es sich hier anders als bei jenem Urteil um eine Entscheidung des EuGH über die Vereinbarkeit der relevanten Bestimmungen des deutschen Rechts mit dem Unionsrecht handele, ist schlicht falsch. Dies folgt schon aus den Vorlagefragen des BGH, in denen nur um eine Auslegung der Art. 3 Abs. 3 bzw. 5 der Binnenmarktrichtlinien Strom bzw. Erdgas in Verbindung mit deren Anhang A Buchst. b und c ersucht wird. Der EuGH kann aus Rechtsgründen im Vorlageverfahren Art. 267 AEUV immer nur über die Auslegung von Unionsrecht entscheiden, die dann allerdings für die Gerichte der Mitgliedstaaten bindend ist. Ob die für die Vorlage Anlass gebenden nationalen Vorschriften mit dem Auslegungsergebnis vereinbar sind und welche Rechtsfolgen sich im Falle ihrer Unvereinbarkeit ergeben, ist allein Sache des vorlegenden nationalen Gerichts, also hier des BGH. Insofern besteht in den beiden aktuellen Fällen keinerlei Unterschied zu dem vom EuGH mit Urteil vom 21.3.2013 entschiedenen RWE-Fall. Dort (Rn. 61 f.) hat der EuGH ausgeführt, über die finanziellen Folgen seiner Entscheidung könne nicht allein auf der Grundlage der im Rahmen der vorliegenden Rechtssache vorgenommenen Auslegung des Unionsrechts entschieden werden. Das Bestehen einer Gefahr schwerwiegender Störungen, die eine zeitliche Begrenzung der Wirkungen seines Urteils rechtfertigen könnte, könne deshalb nicht als erwiesen angesehen werden. Es ist nicht einzusehen, weshalb das, was nach diesem Urteil für mögliche finanzielle Auswirkungen des Auslegungsergebnisses des EuGH für die Versorger von Sonderkunden gilt, nicht auch für die Versorger von Tarif- bzw. Grundversorgungskunden gelten soll. Das mögliche Gesamtvolumen dieser Auswirkungen ist vermutlich in diesem Fall sogar eher geringer. Wenn GA Wahl (Rn. 74, Fn. 48) in diesem Zusammenhang darauf verweist, dass für Rückforderungsansprüche von Tarif- bzw. Grundversorgungskunden möglicherweise nicht die für entsprechende Ansprüche von Sonderkunden geltende dreijährige Regelverjährung, sondern die zehnjährige Verjährung gilt, ist dem entgegenzuhalten, dass es in der bisherigen Rechtsprechung des BGH und der Instanzgerichte keine Anhaltspunkte für diese Unterscheidung gibt. Es ist auch nicht ersichtlich, wie sie überzeugend begründet werden könnte. Schließlich lässt sich entgegen GA Wahl (Rn. 76) auch die erforderliche Gutgläubigkeit der betroffenen Versorger nicht annehmen. Denn schon mit den Vorlagen des BGH, aber in jedenfalls seit dem EuGH-Urteil vom 21.3.2013, konnte niemand mehr ernsthaft darauf vertrauen, dass für das Preisbestimmungsrecht der Versorger von Tarif- bzw. Grundversorgungskunden nach den Binnenmarktrichtlinien Strom und Gas geringere Transparenzanforderungen gelten könnten als für das entsprechende Recht der Versorger von Sonderkunden.

Das Verfahren beim EuGH sieht wohl ein Recht der Prozessparteien zur Stellungnahme zu den Schlussanträgen des Generalanwalts nicht vor. Man kann deshalb nur hoffen, dass der EuGH die Widersprüche in der Argumentation des GA Wahl zum RWE-Urteil vom 21.3.2013 und zu anderen EuGH-Urteilen sieht und der neutralen und ausgewogenen Stellungnahme der EU-Kommission entsprechend entscheidet.


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