Energiepreis-Protest > Grundsatzfragen

BGH-Urteil VIII ZR 240/11

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Christian Guhl:
Im Unterforum "Gerichtsurteile" können "Normalsterbliche" nicht schreiben. Deshalb eröffne ich das Thema mal hier. Wenn ich das alles richtig verstanden habe, hat das Urteil eine enorme Auswirkung auf unseren Protest. Zum Ersten sind Rechnungen auch fällig, wenn mit den unwirksam erhöhten Preisen abgerechnet wurde. Der Kunde muss sich dann selbst ausrechnen, welchen Teilbetrag der Rechnung er zu zahlen hat. Bisher bin ich davon ausgegangen, dass bei Rechnungen, die nach einem entsprechenden Urteil mit den unwirksam erhöhten Preisen erstellt wurden, ein offensichtlicher Fehler nach § 17 GVV vorliegt und ein Zahlungsverweigerungsrecht für die gesamte Rechnung besteht. Jedenfalls solange, bis der Versorger eine Rechnung mit den wirksam vereinbarten Preisen erstellt. Zum Zweiten schützt auch ein begonnener Prozess nicht vor der Verjährung der Rückforderungsansprüche. Wenn ich das Urteil richtig interpretiere, wird die Verjährung nur gehemmt, wenn ich auf Rückzahlung klage, nicht, wenn ich eine Feststellungsklage auf Unwirksamkeit der Preisanpassungsklausel führe.

Didakt:
Da gibt’s doch kein Vertun. Forderungen aus Verbrauchsabrechnungen waren grundsätzlich schon immer bis auf den Anteil fällig, der auf die streitgegenständlichen ‒ den vereinbarten Ausgangspreis übersteigende - Preiserhöhungsbeträge entfällt, gegen die sich der Widerspruch im Einzelfall richtet (§ 315 BGB oder unwirksame Preisanpassungsklausel). Zu dokumentieren ist die Kürzung des Rechnungsbetrages verbraucherseits durch eine selbst aufgestellte Kostenberechnung, die dem Versorger mit dem Widerspruch zur Begründung der Kürzung vorzulegen ist (gängige Praxis).

Es ist auch davon auszugehen, dass Rückforderungsansprüche der normalen Verjährungsfrist von 3 Jahren unterliegen. Hemmung bei Klageerhebung auf Rückforderung.

RR-E-ft:
Abrechnungen, die nicht vereinbarte Preise ausweisen, sind - nur -  insoweit fällig, wie sie auf dem vertraglich vereinbarten Preis beruhen.

Soweit ein einseitiges Preisanapassungsrecht gesetzlich oder vertraglich wirksam eingeräumt wurde
und die Abrechnung auf einseitig geänderten Preisen beruht,
die nicht zwischenzeitlich zu vereinbarten Preisen wurden,
sind die auf einseitigen Preisanpassungen beruhenden Forderungen nur verbindlich,
wenn die einseitige Preisänderung der Billigkeit entsprach, § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB (so schon BGH, Urt. v. 19.11.08 VIII ZR 138/07).

Rückforderungsanspruche des Kunden aus ungerechtfertigter Bereicherung gem. § 812 BGB unterliegen der dreijährigen Verjährung.
Der Rückforderungsanspruch entsteht nicht bereits mit einer Abschlagszahlung, sondern erst mit der Verbrauchsabrechnung,
wenn Abschlagszahlungen vertraglich oder gesetzlich zu leisten waren.

Die Erhebung einer Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit einzelner Preisänderungen hemmt die Verjährung von Rückforderungsansprüchen nicht.
Eine Hemmung tritt insoweit ein mit Erhebung einer Rückzahlungsklage oder einer Klage auf Feststellung, dass eine Rückzahlungspflicht besteht.   

Christian Guhl:
@Didakt
Das ist alles soweit klar. Es geht mir darum, ob der Versorger eine Rechnung mit dem Ausgangspreis erstellen muss, damit dieser fällig wird. Es kann doch nicht sein, dass eine Rechnung über insgesamt 1.000 € (aktueller Preis) nur über 500 € (Anfangspreis) fällig ist. Gibt es eine teilweise Fälligkeit ? Der Kunde bekommt eine Rechnung und muss sich selber ausrechnen, was er davon bezahlen muss ? Wenn eine Rechnung mit den aktuellen Preisen erstellt wird, obwohl ein rechtskräftiges Urteil besteht, dass nur der Anfangspreis geschuldet wird, liegt meiner Meinung nach "die ernsthafte Möglichkeit eines offensichtlichen Fehlers" vor. Es kann doch sein, dass der unwirksam erhöhte Preis trotz Kenntnis des Gerichtsurteils "aus Versehen" berechnet wurde. (Obwohl ich darin eher versuchten Betrug sehe.) Und dann ist die gesamte Rechnung erst fällig, wenn die Preise korrigiert wurden. Es gibt Versorger die auch nach rechtskräftigen Urteilen weiterhin fröhlich Rechnungen mit den erhöhten Preisen verschickt haben. Ich kenne eine Menge Kunden, die den Versorger dann aufgefordert haben, eine korrigierte Rechnung zu erstellen und erst mal gar nichts gezahlt haben. Die Rechnungskorrekturen lassen bis heute auf sich warten.

RR-E-ft:

--- Zitat von: Christian Guhl am 30. Oktober 2012, 20:28:18 ---@Didakt
Das ist alles soweit klar. Es geht mir darum, ob der Versorger eine Rechnung mit dem Ausgangspreis erstellen muss, damit dieser fällig wird. Es kann doch nicht sein, dass eine Rechnung über insgesamt 1.000 € (aktueller Preis) nur über 500 € (Anfangspreis) fällig ist.
--- Ende Zitat ---

Nehmen wir an, es sei ein Sondervertrag abgeschlossen worden, bei dem ein Preis von 3,00 Ct/ kWh vereinbart wurde.
Die Kaufpreisforderung des Versorgers soll nach der vertraglichen Abrede jeweils erst nach Zugang einer Verbrauchsabrechnung beim Kunden fällig werden (Abweichung von § 271 Abs. 1 BGB).

Eine Preisänderungsklausel wurde nicht wirksam einbezogen oder ist unwirksam.

Der Versorger hat, ohne dazu berechtigt zu sein, den Preis im zweiten Vertragsjahr  auf 4,00 Ct/ kWh erhöht.

Dem Kunden geht nach dem zweiten Vertragsjahr eine Verbrauchsabrechnung des Versorgers zu,
mit welcher dieser die tatsächlich im Abrechnungszeitraum
im Umfange von 10.000 kWh gelieferte Energiemenge  abrechnet,
dabei jedoch den erhöhten Preis in Höhe von 4,00 Ct/ kWh zu Grunde legt
und deshalb eine Forderung in Höhe von 400,00 EUR beansprucht.

Tatsächlich schuldet der Kunde vertraglich für den
zutreffend abgerechneten Verbrauch
von 10.000 kWh nur 300,00 EUR,
weil nur der vertraglich vereinbarte Preis von 3,00 Ct/ kWh geschuldet ist.

Nach dem Zugang dieser Verbrauchsabrechnung ist nach den vertraglichen Abreden deshalb
ein Zahlungsanspruch iHv. 300,00 EUR zur Zahlung fällig.
Ein weitergehender Zahlungsanspruch des Versorgers besteht jedoch von Anfang an nicht.

Merke:

Der Zahlungsanspruch und dessen Fälligkeit ergibt sich aus der vertraglichen Abrede,
die bei Vertragsabschluss getroffen wurde,
und gerade nicht aus der Verbrauchsabrechnung des Versorgers.

Es ist also keinesfalls so, dass nach dieser Verbrauchsabrechnung noch gar keine fällige Forderung
des Versorgers bestünde, weil diser erst noch eine (neue) Abrechnung unter Zugrundelegung des tatsächlich
vertraglich geschuldeten Preises in Höhe von 3,00 Ct/ kWh über 300,00 EUR zu erstellen und zu übersenden habe.

Nach dem Zugang der o. g. Verbrauchsabrechnung besteht bereits eine fällige Forderung
des Versorgers in Höhe von 300,00 EUR,
mit deren Zahlung der Kunde ohne Weiteres in Verzug geraten kann.

Aus der vertraglichen Vereinbarung ergibt sich, dass der Preis 3,00 Ct/ kWh beträgt
und die Zahlungspflicht des Kunden für die verbrauchten Energiemengen entgegen § 271 Abs. 1 BGB
erst nach Zugang einer Verbrauchsabrechnung fällig wird.

Dem Kunden ist eine Verbrauchsabrechnung zugegangen,
mit welcher ein Verbrauch im Umfange von 10.000 kWh zur Abrechnung gestellt wird.
 
Die daraus resultierende, vertraglich geschuldete Kaufpreisforderung beträgt
- wie sich unschwer ermitteln lässt- 300,00 EUR  und wird nicht erst fällig,
wenn dem Kunden eine korrigierte (Ab-)Rechnung vorliegt.

Mit einer "offensichtlichen Fehlerhaftigkeit" der Verbrauchsabrechnung hat dies nichts zu tun:

Die für die Fälligkeit notwendige Verbrauchsabrechnung  betrifft allein die Abrechnung der gelieferten Energiemenge
(des Verbrauchs)  im Abrechnungszeitraum,  die sich vorliegend tatsächlich auf 10.000 kWh belief. 

Der abgerechnete Verbrauch, der Voraussetzung für die Fälligkeit einer Kaufpreiszahlung ist,
beläuft sich auf 10.000 kWh und nicht etwa auf 400,00 EUR.

Aus dem Vertrag ergibt sich, dass der Kaufpreis 3,00 Ct/ kWh beträgt.
Der fällige Kaufpreisanspruch beläuft sich demnach auf 300,00 EUR.

Dies ergibt sich aus §§ 433, 271 BGB.

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