Energiepreis-Protest > Grundsatzfragen

BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrecht

<< < (8/9) > >>

berghaus:
Auf  Grund der Kritik im Thread http://forum.energienetz.de/index.php/topic,19356.0/topicseen.html
stelle ich meine dortigen Fragen in Antwort #4 hier noch mal neu, weil sie m.E. die obige Diskussion fortsetzen können:


--- Zitat ---Zitat
von Uwes in Antwort #24 am 05. November 2014
http://forum.energienetz.de/index.php/topic,18993.15.html in
Re: EuGH, Urt. v. 23.10.14 Rs. C-359/11 und C-400/11 Preisänderung Grundversorgung 

"Ich verstehe das Urteil im Hinblick auf die (vom EuGH abgelehnte) Begrenzung der Rückwirkung dahingehend, dass auch der BGH in den Verfahren, in denen die Vorlagebeschlüsse ergangen sind, an diese Entscheidung gebunden ist.
Da sowohl die 3-Jahresfrist (Senatsurteile vom 14. März 2012 - VIII ZR 113/11, BGHZ 192, 372 und BGH, Urteil vom 24. September 2014 - VIII ZR 350/13 - LG Lübeck) als auch letztlich die Sockelpreistheorie eine Begrenzung der Rückwirkung herbeiführen sollen, darf diese Rechtsprechung nicht mehr angewandt werden."
--- Ende Zitat ---
(Hervorhebung von mir)

Ich nehme mal an, dass nur relativ wenige Sonderkunden mit Verträgen mit unwirksamer  Preisanpassungsklausel  (von wirksamen habe ich noch nie was gehört!) gibt, die Rückforderungen auf der Basis der 3-Jahresfrist oder des Vertragspreises eingeklagt haben.

Ebenso gibt es im Verhältnis zu der Gesamtkundenzahl wohl auch nur wenige, die kräftig gekürzt haben und dementsprechend von ihrem Versorger verklagt worden sind.

Bisher haben sich die unteren Gerichte um die Argumente von Prof. Markert oder von W.Zimmerlin (s.o.) wenig gekümmert und die 3-Jahresfrist gerne angewendet.

Wenn man der Aussage von Uwes folgt, dass die Begrenzung der Rückwirkung auch bei Sonderkundenverträgen mit EU-Recht nicht vereinbar ist, müsste es doch bald Gerichte geben, die dem BGH nicht folgen. Dementsprechend müsste es auch sinnvoll sein, Rückforderungen auf der Basis des Vertragspreises (u.U. noch aus dem vorigen Jahrhundert) zu stellen, soweit sie nicht verjährt sind.

Es ist klar, dass es wohl nur noch wenige ältere Verträge gibt, die nicht schon vor Jahren gekündigt worden sind, von wem auch immer.

Soweit jemand (kräftig) gekürzt hat und verklagt worden ist, bietet sich ja auch die Möglichkeit,  die  Verjährung durch Aufrechnung nach § 215 BGB um bis zu drei Jahre hinauszuschieben. Da ergeben sich bei einem niedrigen Vertragspreis viel höhere Beträge als bei einem Preis drei Jahre vor dem ersten Widerspruch.

Nun aber meine Frage:

Bietet die (frische) Entscheidung des Eu-GH, im Tarifkundenbereich die ‚Begrenzung der Rückwirkung‘ nicht zuzulassen, auch für Sonderkunden den Ansatz, dass auch hier die 10-jährige Verjährungsfrist gelten wird, wenn es gelingt, die Fristenlösung vor den Eu-GH zu bringen?

Wenn dem so ist, meine ich, brauchen wir auch für Sonderkunden noch einen Musterbrief.

berghaus 24.11.14

uwes:
@Berghaus

Die Frage stellen Sie zu Recht.
Leider ist sie nicht so einfach zu beantworten.

Im Verfahren C-92/11 hat die Bundesregierung beantragt, die Rückwirkung des Urteils zu beschränken.
Der EuGH hat das abgelehnt, wie später auch in dem Verfahren C-359/11 und C-400/11.

Er führte hierzu aus:


--- Zitat ---Somit ist festzustellen, dass das Bestehen einer Gefahr schwerwiegender Störungen im Sinne der oben in Randnr. 59 angeführten Rechtsprechung, das eine zeitliche Begrenzung der Wirkungen des vorliegenden Urteils rechtfertigen könnte, nicht als erwiesen angesehen werden kann.
--- Ende Zitat ---
(Rd-Nr. 62)

Der Gerichtshof sagt aber auch:


--- Zitat ---Es ist nämlich Sache des nationalen Gerichts, unter Berücksichtigung dieser Kriterien über die konkrete Bewertung einer bestimmten Vertragsklausel anhand der Umstände des Einzelfalls zu entscheiden (Urteile VB Pénzügyi Lízing, Randnr. 44, und Invitel, Randnr. 22).
--- Ende Zitat ---
m Rd-Nr. 60

Meiner  Meinung nach kann die Fristenlösung nicht starr und wie bisher angewendet werden. Wenn der Gerichtshof die Begrenzung der zeitlichen Rückwirkung deswegen nicht für erforderlich erachtet, weil schwerwiegende Störungen im Vertragsgefüge nicht als erwiesen angesehen werden konnten, so kann der VIII. Zivilsenat jetzt nicht kommen und ohne jegliche Beweisführung durch den jeweiligen Versorger eine solche schwerwiegende Störung an- und zum Anlass für einen Vertragsanpassung nehmen.

RR-E-ft:
Der BGH nimmt auch in seinem Urteil vom 14.01.14 Az. VIII ZR 80/13 für Rückforderungsansprüche von Sondervertragskunden, bei denen eine einbezogene Preisänderungsklausel und deshalb darauf gestützte einseitige Preisänderungen unwirksam waren, eine dreijährige Verjährungsfrist für Rückforderungsansprüche der Kunden an. Schließlich gäbe es bereits seit langem umfangreiche Rechtsprechung des BGH zur Unwirksamkeit von Preisänderungsklauseln gem. § 9 AGBG bzw. § 307 BGB.

Der BGH verweist auch dabei auf die von ihm gefundene Möglichkeit einer ergänzenden Vertragsauslegung, wenn durch die Unwirksamkeit einer einbezogenen Preisänderungsklausel eine planwidrige Regelungslücke im Vertragsgefüge aufgerissen wird.

Es ist nochmals daran zu erinnern, dass eine mögliche ergänzende Vertragsauslegung dabei aber weiter zur Voraussetzung hat, dass dem Lieferanten durch die so entstandene planwidrige Regelungslücke eine unzumutbare Härte entstehen muss, deren Voraussetzungen in jedem Einzelfall zu prüfen sind, so dass sich jede schematische Anwendung verbieten sollte. Einzelheiten hatte ich bereits oben genannt. 

khh:

--- Zitat von: RR-E-ft am 24. November 2014, 12:13:26 ---... Der BGH verweist auch dabei auf die von ihm gefundene Möglichkeit einer ergänzenden Vertragsauslegung, wenn durch die Unwirksamkeit einer einbezogenen Preisänderungsklausel eine planwidrige Regelungslücke im Vertragsgefüge aufgerissen wird.
Es ist nochmals daran zu erinnern, dass eine mögliche ergänzende Vertragsauslegung dabei aber weiter zur Voraussetzung hat, dass dem Lieferanten durch die so entstandene planwidrige Regelungslücke eine unzumutbare Härte entstehen muss, deren Voraussetzungen in jedem Einzelfall zu prüfen sind, so dass sich jede schematische Anwendung verbieten sollte. ...
--- Ende Zitat ---

Für die Praxis bedeutet das dann wohl: Zumindest der Sondervertragskunde ist so klug wie zuvor, wenn er Rückforderungsansprüche aufgrund der unwirksamen sogen. "GVV-Klausel" in einer Sondervertrags-AGB geltend machen will. Der Versorger wird sich (von anderen gemachten Einwänden mal ganz abgesehen) zumindest auf die 3-jährige Rückwirkungsfrist des erstmaligen Widerspruchs berufen. Und welcher Verbraucher will schon den jeweiligen "Einzelfall" womöglich bis zum BGH auf den Prüfstand bringen. :( 

RR-E-ft:
@khh

Bitte zuerst das von mir genannte Urteil des BGH vom 14.01.14 Az. VIII ZR 80/13 lesen.
Darin nennt der BGH eine mögliche ergänzende Vertragsauslegung im Falle der Unwirksamkeit einer wirksam einbezogenen Preisänderungsklausel.

Diese ergänzende Vertragsauslegung führt zu keinem Preisänderungsrecht des Versorgers, jedoch zu einer zeitlichen Beschränkung des Kunden,
sich auf die Unwirksamkeit einer einseitigen Preisänderung aus der Vergangenheit zu berufen und deshalb Rückforderungsansprüche zu erheben, zB. auf der Grundlage eines bei Vertragsabschluss 1981 vereinbarten Sonderpreises. Diese ergänzende Vertragsauslegung ist umstritten.

Unabhhängig davon, dass diese ergänzende Vertragsauslegung umstritten ist, hat sie m. E. - wie jede ergänzende Vertragsauslegung - zur weiteren Voraussetzung,  dass dem Versorger durch die in den Vertrag gerissene planwidrige Regelungslücke eine unzumutbare Härte entsteht, was in jedem Einzelfall zu prüfen ist, so dass sich eine Schematisierung verbieten sollte.

Wenn dem Versorger an einer entsprechenden ergänzenden Vertragsauslegung gelegen ist, die das Berufen des Kunden auf die Unwirksamkeit einseitiger Preisänderungen aus der Vergangenheit zeitlich beschränken soll, so muss der Versorger m. E. im Prozess  die  Umstände darlegen und ggf. beweisen, aus denen sich ergeben soll, dass ihm ohne eine solche zeitliche  Beschränkung eine unzumutbare Härte erwächst.

Eine solche unzumutbare  Härte kann zB. überhaupt nicht erwachsen, wenn alle einseitigen Preiserhöhungen  ausschließlich immer nur der Erhöhung des Gewinnanteils am Preis dienten, weil es jeweils gar keine zu deckende Kostenerhöhung gab.

Wer als Kunde und Gläubiger eines Rückforderungsanspruchss eine solche unzumutbare Härte als weitere Voraussetzung einer entsprechenden ergänzenden Vertragsauslegung von sich aus zubilligt, ohne dass entsprechende Umstände vom Versorger im Prozess überhaupt vorgetragen und unter Beweis gestellt wurden  oder bewiesen sind, der vergibt sich doch etwas. 

Warum man sich selbst nach Schema F bestehender Rückzahlungsansprüche begeben sollte, leuchtet nicht wirklich ein.   

Navigation

[0] Themen-Index

[#] Nächste Seite

[*] Vorherige Sete

Zur normalen Ansicht wechseln