Energiepreis-Protest > Gerichtsurteile zum Energiepreis-Protest

BGH, Urt. v. 28.10.15 VIII ZR 13/12 Gas-Tarifkunden nach EuGH- Entscheidung

<< < (2/6) > >>

RR-E-ft:
Rückblende:

Für eine richtlinienkonforme Anwendung der nationalen Vorschriften hatte sich dabei von den Obergerichten wohl allein das OLG Düsseldorf mit Urt. v. 13.06.12 entschieden:

http://forum.energienetz.de/index.php/topic,17273.msg93960.html#msg93960

Jene Entscheidung ging dann aber auch in die Revision zum BGH und wurde dort bisher ausgesetzt.

tangocharly:
Phänomenal dieser 8. ZS; trotziges Aufstampfen und es bleibt alles, wie es ist. Das Urteil des EuGH - ein Pfeifen im Walde.

Trotzdem; Recht hat er der Rechtsvertreter des Bekl.(Rev.Kläger) (Dr. Schott):

--- Zitat ---Dr. Schott: Aber man kann einem Kunden dabei doch nicht unterstellen, dass er ein ihm aus einer Richtlinie erwachsenes Recht freiwillig aufgegeben hätte.

--- Ende Zitat ---
.

Das wußte schon der 7.ZS.  in seinem Urteil zu § 139 Abs. 1 ZPO vom 22.10.1992 (VII ZB 6/92 = NJW 1993, 667)

--- Zitat ---Da niemand sich selbst benachteiligen will, spricht eine Vermutung für das Nichterkennen eines nicht ausdrücklich angesprochenen Gesichtspunktes
--- Ende Zitat ---
was im Ergebnis dazu führt, dass der Richter keinen rechtlichen Gesichtspunkt seiner Entscheidung zu Grunde legen darf, wenn die Prozesspartei einen solchen Gesichtspunkt erkennbar übersehen hat. Andernfalls verletzt solche Praxis den verfassungsrechtlich garantierten Schutz auf rechtliches Gehör (Art. 103  Abs. 1 GG).
Der 8.ZS. will nicht nur dem Umstand Bedeutung beimessen, dass in der Vorzeit kein Widerspruch erhoben wurde (dessen Tragweite vormals erkennbar niemand bemessen konnte), sondern will auch noch dem Verbraucher -zugleich- ein Anerkenntnis von Preisen (Sockel) unterstellen, die auch (bis 2004) kein Verbraucher nachvollziehen konnte.

RR-E-ft:
Der Senat hat das Problem, weil er auch bei der früheren Tarifkundenbelieferung und  der Grund- und Ersatzversorgung von einer vertraglichen Preisvereinbarung ausgeht und in §§ 4 AVBV/ 5 GVV ein Preisänderungsrecht des Versorgers  sehen möchte, welches sich laut EuGH inhaltlich mit den EU- Richtlinien nicht vereinbaren lässt.

Gewichtige Argumente sprechen jedoch  dafür, dass in diesem Bereich mit Vertragsabschluss kein Preis vereinbart wird, sondern vielmehr  von Anfang an eine gesetzlich angeordnete und vertraglich implementierte Preisbestimmungspflicht des Versorgers besteht, welche zugleich die vertragliche Preishauptabrede ausmacht, individuelle Preisvereinbarungen gesetzlich unzulässig sind (vgl. Fricke ZNER 2011, 130 ff.; Markert, Festschrift für Franz-Jürgen Säcker zum 70. Geburtstag, S. 845 ff. "Sonderzivilrecht für Energieversorger contra legem? - Kritische Anmerkungen zur neueren Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats bei der Anwendung der §§ 307, 315 BGB auf Strom- und Gaspreise").

Schließlich spricht zwar auch der Senat von einer Pflicht zur Preisanpassung zugunsten der Kunden, die aus der gesetzlichen Bindung des allgemeinen Tarifs an den Maßstab der Billigkeit folgen soll (vgl. BGH, B. v. 18.05.11 Az. VIII ZR 71/10, juris Rn. 11).
 
Aus §§ 4 AVBV/ 5 GVV ergibt sich bei Lichte betrachtet jedenfalls weder eine Pflicht zur Preisanpassung zugunsten der Kunden noch eine gesetzliche Bindung des allgemeinen Tarifs an den Maßstab der Billigkeit. Letztere ist deshalb im EnWG selbst zu suchen und nach meinem Dafürhalten dort auch zu finden. Sie folgt m.E. aus einer im EnWG geregelten Preisbestimmungspflicht des Versorgers, die in jeden ("gesetzlichen") Versorgungsvertrag implementiert wird  (vgl. Fricke, aaO).

Soweit der Senat nun betont, dass man es auch in der Grundversorgung mit einem Vertrag zu tun hat, so wird wohl verkannt, dass nicht jeder Vertragsschluss mit einer Preisvereinbarung verbunden sein muss, nämlich dann, wenn einen der Vertragsschließenden gesetzlich oder vertraglich implementiert eine Preisbestimmungspflicht trifft, § 315 Abs. 1 BGB.

Legt man die Auffassung des Senats zu Grunde, ergibt sich Folgendes:

Ein Grundversorgungsvertrag enthält ohne Preisbestimmungspflicht des Versorgers und ohne daraus folgendes Preisänderungsrecht des Versorgers eine planwidrige Regelungslücke, die sich in Anbetracht des gesetzlichen Kontrahierungszwangs des Versorgers und des fehlenden Rechts zur ordentlichen Kündigung des Versorgers(§ 20 Abs. 1 Satz 3 GVV) bei veränderlichen Kosten für den Versorger als unzumutbar erweist, womit die Voraussetzungen einer ergänzenden Vertragsauslegung vorliegen können (vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 13.06.12).

Dazu muss jedoch deutlich angemerkt werden:

Eine solche Lücke kann nicht durch die Einräumung eines einseitigen  Preisänderungsrechts zugunsten des Versorgers geschlossen werden, wenn es dabei an einer Preisbestimmungspflicht des Versorgers fehlen würde. Denn eine solche Regelung läge nicht im Interessse beider Parteien, sondern würde den Versorger einseitig bevorteilen. Schließen lässt sich eine solche Lücke folglich nur über eine Preisbestimmungspflicht des Versorgers, aus welcher ein Preisänderungsrecht bzw. Recht zur Preisneubestimmung folgt.

Für eineseitige Preisneubestimmungen zu Lasten der Kunden (Preiserhöhungen) muss eine solche ergänzende Vertragsauslegung sicher im Lichte der EU- Richtlinien erfolgen, so dass der Versorger jedenfalls rechtzeitig vor der Preisänderung brieflich über diese wie auch ein bestehendes Sonderkündigungsrecht informieren musste, damit diese wirksam werden konnte (vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 13.06.12).   

Gemessen daran werden nicht wenige  Preisänderungen im Bereich der Grundversorgung verbleiben, die sich als unwirksam erweisen.

Der Senat wird in diesem Fall erörtern, ob es einer weiteren ergänzenden Vertragsauslegung bedarf, welche etwa dazu führen könnte, dass sich betroffene Kunden nach einem gewissen Zeitablauf bei unterlassenem Widerspruch gegen die Preisänderung nicht mehr auf deren Unwirksamkeit berufen können.

Hatte der Versorger jedoch den Kunden rechtzeitig vor der einseitigen Preiserhöhung brieflich über diese und das bestehende Sonderkündigungsrecht informiert, könnte es nach einem (rechtzeitigen) Widerspruch des Kunden auf eine Billigkeitskontrolle der Preisneubestimmung bzw. Preisänderung gem. § 315 Abs. 3 BGB  ankommen.

     

tangocharly:
Unterstellen wir, dass es eine gesetzliche Preisbestimmungspflicht und ein (dazu korrespondierendes) Preisbestimmungsrecht gibt, weil sich auf dem Markt der Grundversorger keine von Angebot und Nachfrage bestimmbare Preise bilden und weil dem Grundversorger eine individuelle Preisabrede nicht gestattet ist, dann kann sich diese Pflicht nicht (jedenfalls nicht allein) aus dem EnWG ableiten.

Nirgendwo im EnWG (abgesehen von §§ 1 u. 2) finden sich gesetzliche Bestimmungen, welche den Rahmen dieses Rechts und dieser Pflicht ausfüllen. Dies ist Gesetzes technisch auch an dieser Stelle, wegen der generalisierenden, typisierenden Apparatur hierbei, nicht zu erwarten.

Regelmäßig ist dies Aufgabe des Verordnungsgebers, welcher seine Handlungslegitimation aus dem EnWG herleitet, und der sich selbiger Apparatur in den Grenzen bedienen darf, welche ihm der Gesetzgeber eingeräumt hat. Eine solche Legitimation findet sich in den Verordnungsermächtigungen gem. §§ 39 ff. EnWG.

Bei Existenz eines gesetzlichen Preisbestimmungsrechts kann es somit wiederum nur dem Verordnungsgeber obliegen, diese Einzelheiten, d.h. die Konditionen welche zu einer Änderung der bereits bestimmten Preise rechtfertigen könnten, detailliert festzulegen.

Dies hätte im Zusammenhang mit den Bestimmungen gem. § 4 Abs. 2 AVBGasV / § 5 Abs. 2 GasGVV vorgenommen werden können. Dies war allerdings nicht erfolgt. Und das Instrumentarium in den genannten Bestimmungen, welches der EuGH jetzt auseinander genommen hat, war offensichtlich nicht geeignet dazu, eine irgend geartete Transparenz zu geben, geschweige denn dem nach den konstitutionellen Regeln des Vertrages geschaffenen „hohen Maßstab des Verbraucherschutzes“ gerecht zu werden.

Dem Richter fehlt nach den Prinzipien der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 3 GG) die Legitimation dazu, anstelle des Gesetzgebers im Wege einer „ergänzenden Vertragsauslegung“ für diese - in den gesetzlichen Preisbildungsbestimmungen fehlenden - (Preisbestimmungs-)Kriterien zu sorgen. Es kommt ja offensichtlich nicht darauf an, was die Parteien bei einer systemwidrigen Regelunglücke redlicherweise anstelle einer unwirksamen Regelung vereinbart haben würden. Insoweit müsste der BGH auch die Existenz eines individuellen Rechts zur Preisabrede bestätigen, was  das gesetzliche Preisbestimmungsrecht negieren würde und dann einen Systembruch darstellte. Diese Systemfrage ist jedenfalls - bleibt es beim gesetzlichen Preisbestimmungsrecht - eine solche, welche in die Zuständigkeit des Gesetzgebers fällt (und da wird sich der 8.ZS. kaum anmaßen wollen zu wissen, was der Gesetzgeber redlicherweise anstelle der unwirksamen Regelung zu konditionieren gewollt hätte).

Fehlen die gesetzlichen Preisbestimmungskriterien, dann kann auch der 8.ZS. keine „anerkannten Sockelpreise“ zementieren wollen, weil dies wiederum System widrig ist zu dem System des gesetzlichen Preisbestimmungsrechts. Auch die „Verwirkungskomponente“ des BGH, die ja seit der Schuldrechtsmodernisierungsreform 2002, erheblich abgeschwächt wurde, passt nicht ins Bild.

Viel eher erschiene eine Analogie zu den Verjährungsbestimmungen des öffentlich-rechtlichen Sektors passend, denn auch die von dem BGH bemühte Dreijahresfrist des § 18 GVV regelt ja nicht die Thematik von Überzahlungen des Verbrauchers weil eine wirksame Preisanpassungsregelung fehlt auf der Basis von Leistungen ohne Rechtsgrund bzw. ungerechtfertigter Bereicherung. In diesen öffentlich-rechtlichen Bestimmungen findet sich auch kein Ansatz für Unterstellungen („gilt als vereinbart“).

Die kurzen Verjährungsbestimmungen (z.B. bei öffentlichen Leistungen) nötigen sodann auch nicht dazu mit dem Instrumentarium der Verwirkung zu arbeiten, weil angesichts der kurzen Fristen schon alsbald für Rechtsklarheit gesorgt ist. Hierdurch werden, für den recht kurzen Zeitraum der Schwebe, die Interessen der Versorger auch nur rein peripher tangiert werden können.

Darüber muss aber - wie schon ausgeführt - nicht der Richter sinnieren, sondern der Verordnungsgeber, welcher für sich das Recht heraus genommen hat, die „Allgemeinen Versorgungsbedingungen“ auf gesetzlicher Basis zu regeln.

RR-E-ft:
@tangocharly

Die Preisbestimmungspflicht des Grundversorgers ergibt sich m.E. unmittelbar aus § 36 Abs. 1 EnWG iVm. §§ 2 Abs. 1, 1 Abs.1 EnWG:

Der Grundversorger ist gesetzlich verpflichtet, Allgemeine Preise öffentlich bekannt zu geben und im Internet zu veröffentlichen. Hierzu muss der Grundversorger die Allgemeinen Preise denknotwendig zuvor jeweils  bestimmen. (Das macht nämlich sonst niemand anderes für ihn, so dass er eigenverantwortlich handeln muss).

Bei diesen Preisbestimmungen ist der Grundversorger nicht frei, sondern auch für diese Preisbestimmungspflicht aus § 36 Abs. 1 EnWG gilt gem. § 2 Abs. 1 die Verpflichtung zu einer möglichst preisgünstigen Versorgung im Sinne des § 1 Abs. 1 EnWG.

Preisbestimmungen aufgrund einer solchen gesetzlichen Preisbestimmungspflicht unterliegen der Billigkeitskontrolle gem. § 315 Abs. 3 BGB.

So und nur so ist der Allgemeine Tarif an den Maßstab der Billigkeit gebunden und besteht auch eine Verpflichtung zur Preisanpassung zugunsten der Kunden (wenn der bisher bestimmte Preis aufgrund nachträglicher Kostensenkungen unbillig geworden ist).

Diese Preisbestimmungspflicht ist in die Versorgungsverhältnisse vertraglich implementiert.

Gem. § 6 Abs. 2 GVV ist der Grundversorger verpflichtet, den Bedarf des Kunden im Rahmen des § 36 des Energiewirtschaftsgesetzes zu befriedigen, also zu den jeweiligen (vom Grundversorger erst bestimmten und sodann öffentlich bekannt gemachten und im Internet veröffentlichten) Allgemeinen Preisen.

Selbstverständlich gibt es bei solchen Preisbestimmungen aufgrund einer gesetzlichen Preisbestimmungspflicht keinerlei vereinbarte Preissockel (vgl. BGH, Urt.v. 18.10.05 KZR 36/04, juris Rn. 10 - Lesen!!!).


Das Recht des Grundverorgers, künftige Allgemeine Preise ohne Mitwirkung des Kunden festzusetzen,
 kann nicht anders behandelt werden. Aber auch das zum Zeitpunkt des Vertragschlusses von dem Grundversorger  geforderte Entgelt ist regelmäßig ein nach dem Willen der Vertragsparteien einseitig bestimmtes Entgelt, das der Grundversorger zu bestimmten Zeitpunkten ermittelt und das - schon zur Vermeidung einer sachlich nicht zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung - für eine bestimmte Zeitdauer sämtlichen Vertragsbeziehungen mit gleichen Nutzungsprofilen unabhängig davon zugrunde liegen soll, wann der Vertrag geschlossen wird. Auch dann, wenn das Entgelt betragsmäßig bereits feststellbar ist, wird nicht dieser Betrag als Preis vereinbart. Der Betrag gibt vielmehr lediglich das für einen bestimmten Zeitpunkt ermittelte Ergebnis des gleichen Preisbestimmungsverfahrens wieder, das dem Grundversorger auch für die Zukunft zustehen soll, an dem der Kunde nicht teilnimmt, dessen konkrete preisbestimmende Faktoren ihm nicht bekannt sind und dessen Ergebnis er weder nachvollziehen noch beeinflussen kann. Es ist daher nicht weniger einseitig bestimmt als die künftige Höhe des Entgelts. Es wäre eine künstliche Aufspaltung der äußerlich und inhaltlich einheitlichen Preisvereinbarung und führte zu Zufallsergebnissen, wollte man einen vereinbarten Anfangspreis von (vom Zeitpunkt der ersten ausdrücklich oder stillschweigend vorgesehenen Neuberechnung an maßgeblichen) einseitig bestimmten Folgepreisen unterscheiden.
 

§§ 4 AVBV/ 5 GVV regeln lediglich die Ausübung dieser gesetzlichen  Preisbestimmungspflicht aus dem EnWG im Rahmen laufender Vertragsverhältnisse (Preisänderungen), so dass es für die Wirksamkeit  anders als gem. § 315 Abs. 2 BGB zum Beispiel nicht auf den Zugang von Willenserklärungen gem. § 130 BGB beim Kunden ankommen sollte.

Aber auch wenn man die gesetzliche Preisbestimmungspflicht unmittelbar aus dem EnWG nimmt, so wird wegen der EU- Richtlinien für Preiserhöhungen in laufenden Vertragsverhältnissen eine rechtzeitige vorherige briefliche Information des Kunden über die Preisänderung, das bestehende Sonderkündigungsrecht [und ggf. Möglichkeit der gerichtlichen Billigkeitskontrolle] für die Wirksamkeit der Preiserhöhung erforderlich sein, die zudem einer Billigkeitskontrolle unterliegt.
   

Navigation

[0] Themen-Index

[#] Nächste Seite

[*] Vorherige Sete

Zur normalen Ansicht wechseln