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BGH, Urt. v. 28.10.15 VIII ZR 13/12 Gas-Tarifkunden nach EuGH- Entscheidung
RR-E-ft:
BGH, B. v. 17.07.12 VIII ZR 13/12 Aussetzung bei Tarifkunden
--- Zitat ---Anders als das Berufungsgericht offenbar meint, kann die Frage der Europarechtskonformität der § 4 Abs. 1, 2 AVBGasV und § 5 Abs. 2 GasGVV nicht im Hinblick auf die vom Berufungsgericht erwogene ergänzende Vertragsauslegung offenbleiben.
Eine ergänzende Vertragsauslegung hat sich nicht nur an dem hypothetischen Parteiwillen, sondern auch an dem objektiven Maßstab von Treu und Glauben zu orientieren und muss zu einer die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigenden Regelung führen. Es geht daher darum zu ermitteln, was die Parteien bei einer angemessenen, objektiv-generalisierenden Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben redlicherweise vereinbart hätten, wenn sie bedacht hätten, dass die Wirksamkeit der angewendeten Preisänderungsbestimmung jedenfalls unsicher war (vgl. Senatsurteil vom 14. März 2012 VIII ZR 113/11, NJW 2012, 1865 Rn. 24 mwN). Vor diesem Hintergrund hat der Senat bereits entschieden, dass es bei unwirksamen Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht in Betracht kommt, an die Stelle einer unwirksamen Preisänderungsbestimmung im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung eine (wirksame) Bestimmung gleichen Inhalts zu setzen (vgl. Senatsurteil vom 14. März 2012 VIII ZR 113/11, aaO). Diese Erwägungen lassen sich jedenfalls im Grundsatz auch auf die Fälle übertragen, in denen wie hier die Europarechtskonformität von Verordnungsbestimmungen, nämlich der § 4 Abs. 1, 2 AVBGasV, § 5 Abs. 2 GasGVV, in Frage steht.
Aufgrund der Entscheidungserheblichkeit der unter Ziffer 1 genannten Frage kann der Senat in dieser Sache unter Beachtung seiner in Art. 267 Abs. 3 AEUV enthaltenen Vorlageverpflichtung keine abschließende Sachentscheidung treffen. Eine Vorlage auch dieses Verfahrens an den Gerichtshof würde jedoch dort nicht zu einer schnelleren Beantwortung der maßgeblichen Rechtsfrage führen (Senatsbeschluss vom 24. Januar 2012 VIII ZR 236/10, juris Rn. 7 mwN). Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass der Gerichtshof seinerseits das Verfahren C-359/11 bis nach der Urteilsverkündung in den Rechtssachen C-8/11 und C-92/11 ausgesetzt hat.
--- Ende Zitat ---
RR-E-ft:
Nach Auskunft der Geschäftsstelle verhandelt der Senat am 8. Juli über zwei Sachen, in denen er das Verfahren wegen seiner Vorlagen an den EuGH wegen der Zweifel an der Europarechtskonformität des vom Senat aus den AVBV und StromGVV/GasGVV gefolgerten gesetzlichen Preisanpassungsrechts zunächst ausgesetzt hatte. Die Aussetzungsbeschlüsse vom 27.6.2012, VIII ZR 162/11, und vom 17.7.2012, VIII ZR 13/12. Es geht in der Verhandlung am 8. Juli um die grundsätzliche Frage, wie sich das EuGH-Urteil vom 23.10.2014, C-359/11 und C-400/11, auf die Wirksamkeit der auf dieses Recht gestützten Tarif- und Preiserhöhungen auswirkt.
tangocharly:
Läßt sich jedenfalls nach dem aktuellen Terminsplan des BGH auf dessen Homepage nicht nachvollziehen
Terminhinweise
tangocharly:
Merkwürdig,
keine Pressesache. Verhandlung war aber wohl schon angesetzt. Ob verhandelt wurde, war bislang nicht zu erfahren (wahrscheinlich waren die Temperaturen in KA entsprechend).
Vielleicht finden sich an anderer Stelle noch weitere Informationen.
RR-E-ft:
Vielen Dank an ESG-Rebell für den mir übersandten Terminsbericht:
--- Zitat von: ESG-Rebell am 08. Juli 2015, 17:12:56 ---In Sachen VIII ZR 162/11 ist noch kein Verhandlungstermin angesetzt worden.
Verhandelt wurden die Sachen
VIII ZR 158/11 Pössl gegen die Stadtwerke Geldern und
VIII ZR 13/12 Dr. Brüninghaus gegen die Stadtwerke Hamm
von 10:00 bis 10:50 vom 8. Senat: Dr. Milger (Vorsitz), Dr. Hessel, Dr. Fetzer, Dr. Bünger, Kosziol.
Vertreter des Verbrauchers als Revisionskläger ist RA Dr. Schott.
Vertreter des Energieversorgers als Revisionsbeklagte ist RAin Dr. Ackermann.
Beide Verfahren wurden (neben weiteren) zwecks Vorlage an den EuGH ausgesetzt.
Dieser hat am 23.10.2014 geurteilt (C359/11).
Urteil: http://curia.europa.eu/juris/liste.jsf?language=de&num=C-359/11
----- 10:01 ---------------------------------------------------------------------------
Dr. Milger:
Sie schildert den Sachverhalt und den Grund für die Vorlage an das EuGH: Die Revisionskläger wurden auf Zahlung verklagt bzw. hatten unter Vorbehalt gezahlt und diese Zahlung zurück gefordert. Beide haben in der letzten Instanz verloren und sind dagegen in Revision gegangen.
Der Senat hatte Zweifel daran, ob die nationalen Vorschriften für Tarifkunden mit EU-Recht vereinbar sind und diese Frage daher dem EuGH vorgelegt. Dieser hat die Frage nun im Wesentlichen verneint. Damit ist dem Senat die Fortsetzung der bisherigen Auslegung der betreffenden Rechtsvorschriften verschlossen.
Trotz der niedrigen Streitwerte in den beiden Verfahren (800€ bzw. 1000€) hat der Senat aufgrund der Vielzahl vergleichbarer Vertragsverhältnisse und der Signalwirkung der Verfahren umfangreich vorberaten und er wird auch noch umfangreich nachberaten. Der Senat tendiert dazu, den Berufungsgerichten - mit Einschränkungen - zu folgen.
Es stellen sich vier Fragen:
* Ist eine europarechtskonforme Auslegung der nationalen Regelungen möglich?
* Ist eine unmittelbare Anwendung der Transparenzanforderungen des EU-Rechts möglich?
* Ist eine ergänzende Vertragsauslegung möglich?
* Sind die beiden konkreten Fälle durch Berücksichtigung der Einzelsituationen zu entscheiden?zu 1) Dies wird schwierig und kaum möglich sein, da die Grenzen der Auslegungsmöglichkeiten durch das Gericht dabei überschritten würden.
zu 2) Dies kommt wohl auch nicht in Betracht, weil die Kläger Privatpersonen und keine Normenkontrollgremien wie bspw. Verbraucherverbände sind.
zu 3) Diese ist hier möglich und auch geboten. Bei den Verträgen handelt es sich um langfristige Versorgungsverträge, die ohne Preisanpassungen nicht aufrechterhalten werden können. Die Versorger unterliegen zudem einem Kontrahierungszwang. Bei der Auslegung ist davon auszugehen, dass die Parteien entsprechend der bisherigen Rechtsprechung des Senats eine Widerrufsfrist von drei Jahren vereinbart hätten, nach deren Ablauf nicht widersprochene Preise als vereinbart gelten.
zu 4) Die Berufungsgerichte haben jeweils festgestellt, dass nur gestiegene Bezugskosten weitergegeben wurden. Eine taggenaue Erfassung der Kosten ist dabei nicht erforderlich und zudem praxisfern. Der Senat bezweifelt, dass Verfahrensfehler bei den Vorinstanzen vorliegen.
----- 10:10 ---------------------------------------------------------------------------
Dr. Schott:
Der EuGH sagte, der Art. 3, Abs. 3 stehe der Anwendung der genannten nationalen Vorschrift entgegen. Dieses Urteil bindet die nationalen Gerichte. Das folgt aus dem Vorrang des EU-Rechts vor dem Nationalrecht. Dies gilt nicht nur bei fehlendem oder widersprechendem Recht, sondern auch bei mangelhaft umgesetztem EU-Recht.
Kann denn die nationale Vorschrift so angewendet werden, dass dies europafreundlich ist? Es kommt doch nicht nur auf eine richtlinienkonforme Auslegung sondern auch auf eine Rechtsfortbildung an. Die Anforderungen des EuGH an Preisänderungsbestimmungen sind in nationale Verordnungen hineinzulesen und diese entsprechend anzuwenden. Deshalb hat der deutsche Gesetzgeber dies doch in den neuen Verordnungen (StromGVV, GasGVV) so gemacht. Natürlich hätte er das schon früher tun sollen. Daher sollte der Senat nun bei der Beurteilung von Fällen, die noch in die Gültigkeit der alten Verordnung (AVBEltV, AVBGasV) fallen, im Sinne der Richtlinie entscheiden.
Hätte der Gesetzgeber die Verordnungen absichtlich nicht oder verspätet umgesetzt und dadurch EU-Recht nicht beachtet, dann wäre dies eine EU-Vertragsverletzung. Daher sind nationale Vorschriften, solange sie nicht EU-konform sind, EU-konform auszulegen. Und eine solche EU-konforme Auslegung muss möglich sein (Frage 1 betreffend)!
Zu Frage 2) Der Senat sagt, dies beträfe nur das Verhältnis des Staates zu einzelnen Personen. Der Begriff des Staates ist hier aber weiter zu fassen im Sinne der sog. "öffentlichen Hand", zu der letztlich auch privatwirtschaftlich betriebene ausgegründete Betriebe (also Stadtwerke) zählen. Aber auch diese Frage des Staatsbegriffs ist nicht durch den Senat sondern widerum durch den EuGH zu entscheiden und diesem daher vorzulegen.
Anm.: Den Begriff der "Drittwirkung" habe ich zum ersten Mal gehört. Mangels Definition konnte ich die Diskussion darum nicht ganz erfassen.
Zu Frage 3) Die ergänzende Vertragsauslegung ist zwar formal möglich, aber nicht zur Umgehung des EuGH-Urteils. Denn dann wäre doch die Vorlage an diesen unnötig gewesen. Der EuGH hat die Vorlage nur deshalb zur Entscheidung angenommen weil der BGH in seinem Vorlagenbeschluss eine ergänzende Vertragsauslegung verneint hatte und der EuGH von einer Drittwirkung ausgehen konnte.
Auch die Fragen der Versorgungssicherheit und des Kontrahierungszwangs der Grundversorger hat der EuGH berücksichtigt.
Sollte dennoch eine ergänzende Vertragsauslegung erfolgen, warum dann nicht auf Basis der EU-Richtlinie, die doch auch in Deutschland gilt?
----- 10:10 ---------------------------------------------------------------------------
Dr. Ackermann:
Der EuGH beachtet üblicherweise nicht die Auswirkungen seiner Entscheidungen.
Für eine erneute Vorlage weiterer Fragen an den EuGH gibt es keinen Anlass.
Von einer vorsätzlichen Vertragsverletzung Deutschlands durch eine verspätete Umsetzung von EU-Recht ist nicht auszugehen. Bis 2011 konnten Energieversorger nicht davon ausgehen, dass die AVB/GVV nicht EU-konform sind. Noch im Vorlagenbeschluss von 2011 ging der Senat davon aus, dass die AVB der EU-Richtlinie gerecht werden, weil sich der Kunde vom Vertrag lösen kann.
Der EuGH hat den Zweck der Richtlinie ausgeführt: Sie soll Verbraucherschutz, Versorgungssicherheit und die wirtschaftlichen Belange der Versorger in Einklang bringen. (Sie zitiert mehrere Passagen des EuGH-Urteils). Nach diesen Vorüberlegungen sind die Schlussfolgerungen des EuGH in Rn 53 nicht nachvollziehbar.
Der EuGH hat zudem nicht die Nichtigkeit der nationalen Verordnungen angeordnet sondern die Entscheidung über die Konsequenzen den nationalen Gerichten überlassen.
Es gibt unzählige Verträge. Ein verbraucherfreundliches Urteil zöge hohe Rückforderungen mit unabsehbaren Folgen nach sich. Die Energieversorger haben hierfür keine Rückstellungen gebildet. Eine Umlage auf die aktuellen Preise wäre auch nicht möglich, da es sich nicht um Bezugskosten handeln würde.
Wenn ein Grundversorger selbst nicht kündigen darf, keine Preisanpassungen vornehmen darf und noch der Unbilligkeitsprüfung unterliegt, wäre ein solcher Vertrag unhaltbar. Eine Versorgung muss auch effizient sein. Wie aber soll dies gehen, wenn keine Weitergabe von Kostenerhöhungen möglich ist.
Weitere Aspekte stellen der Vertrauensschutz und Rechtssicherheit dar. Die Versorger konnten frühestens 2011 - und zudem nur eingeschränkt - davon ausgehen, dass die nationale Regelung nicht EU-konform sein könnte. Die Kläger haben zudem nicht die mangelnde Transparenz gerügt sondern nur die Unwirksamkeit der Preiserhöhung und sie haben zudem nicht von ihrer Kündigungsmöglichkeit Gebrauch gemacht.
Eine ergänzende Vertragsauslegung auf Basis der EU-Richtlinie ist nicht möglich.
In der nachfolgenden Diskussion mit Frau Dr. Ackermann stellt der Senat klar: Beabsichtigt ist eine Kombination aus der bisherigen Rechtsprechung zur Weitergabe von Kostensteigerungen und der EU-Richtlinie. Ohne Widerspruch des Kunden innerhalb von drei Jahren gilt der Preis als vereinbart und es kommt nicht mehr darauf an, ob nur Bezugskosten weitergegeben wurden. In den hier vorliegenden Fällen spielt die Drei-Jahres-Frist aber keine Rolle.
Dr. Ackermann zitiert aus dem Urteil des OLG Düsseldorf (zu ZR 13/12) zu Weitergabe von Bezugskostensteigerungen. Zur Billigkeitskontrolle hat der Senat ja bereits festgestellt, dass die tatrichterliche Würdigung nicht zu beanstanden ist.
----- 10:43 ---------------------------------------------------------------------------
Dr. Schott:
Die Bewertung des Vorgehens des EuGH ist müßig. Der Senat ist trotzdem an dessen Urteil gebunden. Die oben genannten Argumente wurden doch auch dem EuGH vorgetragen, und das sogar von der Bundesregierung. Die angeblichen Folgen des Urteils wurden auf Nachfrage weder von den Versorgern noch von der Bundesregierung substantiell vorgetragen.
Zur ergänzenden Vertragsauslegung: Der EuGH sagt doch gar nicht, dass kein Preisänderungsrecht bestünde. Das Problem ist die formale Voraussetzung aus dem Verbraucherschutz, wann eine Preiserhöhung angestrebt werden kann. Eine ergänzende Vertragsauslegung kann diese Anforderung nicht umgehen.
Der Senat widerspricht: Auch Tarifkunden haben nach AVBGasV §1 einen Vertrag. Daher ist eine ergänzende Vertragsauslegung grundsätzlich möglich.
Dr. Schott: Aber man kann einem Kunden dabei doch nicht unterstellen, dass er ein ihm aus einer Richtlinie erwachsenes Recht freiwillig aufgegeben hätte.
----- 10:50 ---------------------------------------------------------------------------
Dr. Milger:
Die Verkündung des Urteils erfolgt voraussichtlich nach der Sommerpause.
--- Ende Zitat ---
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