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Autor Thema: Widerspruchsfrist von drei Jahren bei Preiserhöhungen in Sonderverträgen  (Gelesen 19358 mal)

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Offline Black

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Original von jofri46
Rechtsgrundlagen dafür lassen sich mit entsprechender Interpretation allemal finden (z. B. 241 Abs. 1 BGB). Ein Richter sprach trotz unwirksamer Preisanpassungsklausel nach jahrelanger einvernehmlicher Vertragsdurchführung die erhöhten Entgelte zu, bezog sich dabei u. a. auf § 141 Abs. 2 BGB und formulierte diese Bestimmung in den Urteilsgründen so um:

\"Wird eine nichtige Preisanpassungsklausel von den Parteien bestätigt (durch jahrelange Hinnahme und Zahlung von Preiserhöhungen), so sind diese im Zweifel verpflichtet, einander zu gewähren, was sie haben würden, wenn die Preisanpassungsklausel von Anfang an gültig gewesen wäre.\"

Genau dieser \"Bestätigung durch jahrelange Hinnahme\" hat der BGH noch in seiner letzten Entscheidung ausdrücklich eine Absage erteilt, da die schweigende Hinnahme keinerlei Erklärungswert besitzt.

In der HIER besprochenen Entscheidung möchte der BGH den Parteien plötzlich unterstellen, dass sie \"redlicherweise\" eine vertragliche Regelung getroffen HÄTTEN, wonach Schweigen zum plötzlichen Wegfall des zuvor schon wirksam entstandenen Anspruches führen soll.
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Matthäus, Kapitel 10, Vers 34

Offline RR-E-ft

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Original von Black

Genau dieser \"Bestätigung durch jahrelange Hinnahme\" hat der BGH noch in seiner letzten Entscheidung ausdrücklich eine Absage erteilt, da die schweigende Hinnahme keinerlei Erklärungswert besitzt.

Siehe schon BGH, Urt. v. 20.07.05 Az. VIII ZR 199/04

Zitat
BGH, Urt. v. 22.02.12 Az. VIII ZR 34/11 Leitsatz

Erhöht ein Versorgungsunternehmen einseitig den Gaspreis aufgrund einer Preisanpassungsklausel, die nicht wirksam Vertragsbestandteil geworden ist, kann die vorbehaltlose Zahlung des erhöhten Preises durch den Kunden nach Übersendung einer auf der Preiserhöhung basierenden Jahresabrechnung nicht als stillschweigende Zustimmung zu dem erhöhten Preis angesehen werden (Bestätigung des Senatsurteils vom 14. Juli 2010 - VIII ZR 246/08, BGHZ 186, 180).

Zitat
Original von Black
In der HIER besprochenen Entscheidung möchte der BGH den Parteien plötzlich unterstellen, dass sie \"redlicherweise\" eine vertragliche Regelung getroffen HÄTTEN, wonach Schweigen zum plötzlichen Wegfall des zuvor schon wirksam entstandenen Anspruches führen soll.

Es führt nicht nur zu einem nachträglichen Wegfall des bereicherungsrechtlichen Rückzahlungsanspruches des betroffenen Kunden, sondern (im selben tragischen Augenblick drei Jahre nach Rechnungszugang) auch zu einer  Neubegründung eines bis dahin jedenfalls nicht bestehenden vertraglichen Zahlungsanspruches des Versorgers, wiegt für den betroffenen Kunden mithin wohl finanziell mindestens doppelt schwer.

Warum die Parteien dies bei Kenntnis einer Vertragslücke redlicherweise vereinbart hätten, wurde bisher noch nicht geoffenbart.

Offline RR-E-ft

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Im Kern ging es darum, dass der Vertrag keine wirksame Preisanpassungsklausel enthält.
Deshalb mag der Vertrag eine Vertragslücke aufweisen oder auch nicht (vgl. nur BGH , Urt. v. 28.10.09 Az. VIII ZR 320/07, juris Rn. 46).


Zitat
BGH, Urt. v. 01.02.84 Az. VIII ZR 54/83

Die Lücke in einem Vertrag, der durch die Unwirksamkeit einer Klausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen entsteht, kann im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung geschlossen werden, wenn konkrete gesetzliche Regelungen zur Ausfüllung der Lücke nicht zur Verfügung stehen und die ersatzlose Streichung der unwirksamen Klausel nicht zu einer angemessenen, den typischen Interessen des Klausel Verwenders und des Kunden Rechnung tragenden Lösung führt.

Man könnte meinen, dass es um die Schließung dieser Lücke im Regelungsplan  nicht ging.

Zitat
BGH, Urt. v. 18.07.07 Az. VIII ZR 227/06

Grundsätzlich sind auch Allgemeine Geschäftsbedingungen in Fällen, in denen eine Lücke in vorformulierten Verträgen nicht auf AGB-rechtlichen Einbeziehungs- oder Inhaltskontrollschranken beruht, einer ergänzenden Auslegung zugänglich (BGHZ 92, 363, 370; 103, 228, 234; 117, 92, 98; 119, 305, 325; Senatsurteil vom 22. Dezember 2003   VIII ZR 90/02, WM 2004, 748 = NJW-RR 2004, 262, unter II 2 a, m.w.N.). Dabei ist ein objektiv-generalisierender Maßstab zugrunde zu legen, der sich am Willen und Interesse der typischerweise an Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrskreise auszurichten hat (BGHZ 119, 305, 325; Senatsurteil vom 22. Dezember 2003, aaO). Von diesen Grundsätzen ist das Berufungsgericht zutreffend ausgegangen.

Voraussetzung für eine ergänzende Auslegung ist, wie das Berufungsgericht ebenfalls richtig gesehen hat, dass der Vertrag unter Zugrundelegung des Regelungskonzeptes der Parteien eine Lücke aufweist, die geschlossen werden muss, um den Regelungsplan der Parteien zu verwirklichen (BGH, Urteil vom 1. Juni 2005   VIII ZR 234/04, WM 2005, 1863 = NJW-RR 2005, 1421, unter II 2 b; Urteil vom 13. Mai 1993   IX ZR 166/92, NJW 1993, 2935, unter III 2 b). Schon daran fehlt es hier.

Dass die Regelung, die vom Senat genannt wurde, jedenfalls nicht an die Stelle einer unwirksamen Preisänderungsklausel treten kann, um den Regelungsplan zu verwirklichen, der mit einer Preisänderungsklausel verfolgt wird, sollte ohne Weiteres erkennbar sein.

Vernünftigerweise hätte sich der Versorger anstelle einer unwirksamen Preisänderungsklausel wohl nicht auf eine Regelung eingelassen, wonach  alle einseitigen Preisänderungen jedenfalls unwirksam sind, wenn nur innerhalb von drei Jahren ab Rechnungszugang Widerspruch eingelegt wird; anders gewendet: einseitige Preisänderungen allenfalls erst rückwirkend wirksam werden können, wenn nicht innerhalb von drei Jahren ab Rechnungszugang Widerspruch vom Kunden erhoben wird, mithin auf die Dauer von drei Jahren aufschiebend bedingt sind.

Der betroffene Kunde hätte demnach jeweils für die Dauer von drei Jahren einen auflösend bedingten Rückforderungsanspruch.  

Eine These:

Es handelt sich bei der ergänzenden Vertragsauslegung um den Versuch, diejenige Lücke im Vertrag zu schließen, die überhaupt erst dadurch entsteht, dass sich eine andere Lücke im Vertrag, welche ihrerseits  infolge einer fehlenden oder unwirksamen Preisänderungsklausel entsteht, nicht im Wege ergänzender Vertragsauslegung schließen lässt.

Es geht nicht um Preisanpassungen, die Gegenstand eines Regelungsplanes der Parteien waren, sondern vielmehr um die Geltendmachung der Unwirksamkeit von Preiserhöhungen, welche selbst schon nicht Gegenstand des Regelungsplanes der Parteien war.

Dieser These steht jedoch der Wortlaut der Entscheidung entgegen.


Zitat
BGH, Urt. v. 14.03.12 Az. VIII ZR 93/11, juris Rn. 24 ff:

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist der Berechnung des Zahlungsanspruchs der Klägerin jedoch nicht der bei Vertragsschluss geschuldete Anfangspreis zugrunde zu legen. Dies ergibt sich aus einer ergänzenden Vertragsauslegung (§§ 157, 133 BGB) des Versorgungsvertrages, deren Voraussetzungen das Berufungsgericht zu Unrecht verneint hat und die dazu führt, dass sich der Beklagte nicht darauf berufen kann, nur zur Zahlung des ursprünglich vereinbarten Anfangspreises verpflichtet zu sein.

Beide Parteien waren sich bei Vertragsschluss einig, dass der vereinbarte (Anfangs-)Preis nur zu Beginn des Versorgungsverhältnisses gelten und bei späteren Änderungen der Preise auf dem Wärmemarkt ein anderer Preis geschuldet sein sollte. Da die von ihnen vereinbarte Preisänderungsklausel der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB (Art. 229 § 5 Satz 2 EGBGB) nicht standhält, ist im Regelungsplan der Parteien eine Lücke eingetreten (Senatsurteil vom heutigen Tage - VIII ZR 113/11 unter II 3 mwN, zur Veröffentlichung bestimmt).

Diese Lücke im Vertrag ist im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung gemäß §§ 157, 133 BGB in der Weise zu schließen, dass der Beklagte die Unwirksamkeit derjenigen Preiserhöhungen, die zu einem den vereinbarten Anfangspreis übersteigenden Preis führen, nicht geltend machen kann, wenn er sie nicht innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren nach Zugang der jeweiligen Jahresabrechnung, in der die Preiserhöhung erstmals berücksichtigt worden ist, beanstandet hat.

Mit anderen Worten:

Diese Lücke im Vertrag ist im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung gemäß §§ 157, 133 BGB in der Weise zu schließen, dass die Klägerin die Wirksamkeit derjenigen Preiserhöhungen, die zu einem den vereinbarten Anfangspreis übersteigenden Preis führen, immer erst geltend machen kann, wenn der Beklagte  sie nicht innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren nach Zugang der jeweiligen Jahresabrechnung, in der die Preiserhöhung erstmals berücksichtigt worden ist, beanstandet hatte?!!!

Aus genannten Gründen kann diese Regelung wohl weder den Interessen des Versorgers noch den Interessen des Kunden entsprechen, so dass nichts dafür ersichtlich ist, dass sich die Parteien redlicherweise gerade auf diese Regelung  eingelassen hätten und diese vereinbart hätten, um einen bestimmten Regelungsplan zu verwirklichen.

Möglicherweise ist es so, dass der Senat keinen Plan von den Interessen der Parteien bei Abschluss eines unbefristeten Energielieferungsvertrages hat.

Offline jofri46

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Es geht ja bei den in Rede stehenden BGH-Entscheidungen nicht nur um die bloße Hinnahme, sondern um eine langjährige einvernehmliche Vertragsdurchführung zwischen Versorger und Verbraucher.

BGH VIII ZR 199/04 (Wohnraummiete) passt hier m.E. nicht, weil die einmal kalkulierte Wohnungsmiete in der Regel keine kostenabhängige Bestandteile mehr enthält, anders als der laufende Energiebezug also nicht so sehr von der laufenden Kostenentwicklung betroffen ist. Üblicherweise fließen bei der Wohnraummiete die von der laufenden Kostenentwicklung abhängigen Bestandteile (und das dürften nicht unwesentlich die Energiekosten sein) in die Nebenkostenabrechnung ein.

Passender erscheint mir hier die grundsätzliche BGH-Entscheidung aus 1989 (NJW 1990, 115, 116 ff.) zu sein, in der der BGH m. W. erstmals zu einer unwirksamen Preisanpassungsklausel auf die ergänzende Vertragsauslegung zurückgegriffen hat, eben weil der BGH dort bei der langjährigen Anmietung einer Telefonanlage auch die von der laufenden Kostenentwicklung abhängigen Bestandteile der Miete gesehen hat (Wartungskosten etc.).

Es spricht aus meiner Sichts nichts dagegen, die damals vom BGH entwickelten Grundsätze zur ergänzenden Vertragsauslegung auch für eine bereits zurückliegende langjährige Vertragsdurchführung  bei einem Energieliefervertrag mit unwirksamer Preisanpassungsklausel heranzuziehen. Die Preisbestandteile eines Energieliefervertrages sind im Vergleich zur Wohnraummiete ungleich stärker von der laufenden Kostenentwicklung betroffen.

Insofern sehe ich im Falle eines langjährig einvernehmlich durchgeführten Energieliefervertrages auch keinen grundsätzlichen Widerspruch zu den BGH-Entscheidungen VIII ZR 54/83 und VIII ZR 227/06. Im Gegenteil (vgl. dazu BGH, NJW1990, 115 ff.).

Offline RR-E-ft

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Dem Senat ging es laut Urt. v. 14.03.12 Az. VIII ZR 113/11 nicht darum, eine wirksame Preisänderungsklausel in den Vertrag zu implementieren, da dies dem Verbot der geltungserhaltenden Reduktion zuwider gelaufen wäre.

Der bereicherungsrechtliche Rückforderungsanspruch wird dem Grunde nach bestätigt, jedoch der Höhe nach beschränkt.

Offline Black

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Interessante Frage auch:

Der Versorger klagt auf Zahlung einer Preisanpassung, obwohl die Preisanpassungsklausel nichtig ist. Die zugehörige Rechnung stammt vom Oktober 2008. Der Kunde hat nicht widersprochen. Klage wurde im Dezember 2011 erhoben.

Wann ist der Anspruch gegen den Kunden entstanden?
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Offline RR-E-ft

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Original von Black
Interessante Frage auch:

Der Versorger klagt auf Zahlung einer Preisanpassung, obwohl die Preisanpassungsklausel nichtig ist. Die zugehörige Rechnung stammt vom Oktober 2008. Der Kunde hat nicht widersprochen. Klage wurde im Dezember 2011 erhoben.

Wann ist der Anspruch gegen den Kunden entstanden?


Zunächst müsste in den Sondervertrag überhaupt wirksam eine Preisänderungsklausel einbezogen sein, die sich bei einer Inhaltskontrolle als unwirksam erweist.
Sonst greift die Argumentation schon nicht durch (vgl. BGH VIII ZR 113/11 Rn. 20).

Die Entscheidung VIII ZR 113/11 Rn. 20 scheint - irgendwie -  im Widerspruch zur Entscheidung vom 28.10.09 Az. VIII ZR 320/07 Rn. 46 zu stehen.

Zitat
BGH, Urt. v. 14.03.12 VIII ZR 113/11 Rn. 20

Beide Parteien waren sich bei Vertragsschluss einig, dass der vereinbarte (Anfangs-)Preis nur zu Beginn des Versorgungsverhältnisses gelten und bei späteren Änderungen der allgemeinen Tarife ein anderer Preis geschuldet sein sollte. Denn die Aufnahme eines Preisänderungsrechts zeigt den Willen der Parteien, dass der Kunde - und nicht das Versorgungsunternehmen - Preisänderungen tragen soll, die etwa auf Veränderungen der Brennstoffbezugskosten oder der Lohn- und Materialkosten zurückgehen. Aus der Aufnahme einer Preisänderungsklausel bei Vertragsschluss wird deutlich, dass sich die Parteien von dem lebensnahen Bewusstsein haben leiten lassen, dass Preisänderungen im Laufe des auf unbestimmte Zeit angelegten Bezugsverhältnisses zu erwarten sind und deshalb der Gefahr einer zukünftigen Äquivalenzstörung in angemessener Weise zu begegnen ist. Da die von den Parteien vereinbarte Preisänderungsklausel der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB (Art. 229 § 5 Satz 2 EGBGB) nicht standhält, ist daher im Regelungsplan der Parteien eine Lücke eingetreten (vgl. Senatsurteile vom 1. Februar 1984 - VIII ZR 54/83, BGHZ 90, 69, 74, und VIII ZR 106/83, juris Rn. 27).

Zitat
BGH, Urt. v. 28.10.09 Az. VIII ZR 320/07 juris Rn. 46:

Diese Rechtsprechung lässt sich aber auf die vorliegende Fallgestaltung schon deshalb nicht übertragen, weil die Parteien im Streitfall keinen von vornherein variablen Preis vereinbart haben. Bei dieser Preisänderungsklausel geht es vielmehr um die in vollem Umfang der AGB-Inhaltskontrolle unterliegende Befugnis der Beklagten zur nachträglichen Änderung eines ursprünglich vereinbarten (festen) Preises (dazu vorstehend unter II 2 a), so dass es bereits an einer in bestimmte Richtung weisenden Grundsatzentscheidung der Parteien zur interessengerechten Schließung der Vertragslücke fehlt.

Davon, dass ein Zahlungsanspruch des Versorgers entsteht, ist der Entscheidung nichts zu entnehmen, sondern nur davon, dass der betroffene Kunde die Unwirksamkeit einseitiger Preisänderungen nicht mehr geltend machen können soll, wenn er die Preiserhöhungen an den Versorger zahlte, ohne die Preisänderung innerhalb von drei Jahren nach Rechnungszugang zu beanstanden.

Zitat
BGH, Urt. v. 14.03.12 Az. VIII ZR 113/11 Rn. 23

Offen gelassen hat der Senat die - im Streitfall entscheidungserhebliche -Frage, ob eine nicht mehr hinnehmbare Störung des Vertragsgefüges dann anzunehmen ist, wenn es sich um ein langjähriges Gasversorgungsverhältnis
handelt, der betroffene Kunde den Preiserhöhungen und den darauf basierenden Jahresabrechnungen über einen längeren Zeitraum nicht widersprochen hat und nunmehr auch für länger zurück liegende Zeitabschnitte die Unwirksamkeit der Preiserhöhungen geltend macht (Senatsurteil vom 14. Juli 2010 VIII ZR 246/08, aaO Rn. 52). Das ist zu bejahen. In diesen Fällen vermag die vertraglich vorgesehene, nur in die Zukunft wirkende Kündigungsmöglichkeit des Energieversorgungsunternehmens die Regelungslücke im Vertrag nicht in einer für beide Seiten zumutbaren Weise zu schließen. Denn bevor der Kunde Widerspruch erhob oder Zahlungen nur noch unter Vorbehalt leistete, hatte das Energieversorgungsunternehmen keinen Anass, das bis dahin praktizierte Gleichgewicht zwischen Leistung und Gegenleistung in Frage gestellt zu sehen und dementsprechend das Versorgungsverhältnis zu kündigen.

Dabei ist die Frage zu stellen, ob eine Nichtzahlung nicht stärker wirken muss als eine Zahlung unter Vorbehalt, mit anderen Worten, ob der Versorger, der schon bei einer Zahlung unter Vorbehalt Veranlassung zur Kündigung haben soll, bei einer jahrelangen Nichtzahlung des Erhöhungsbetrages erst recht dazu Veranlassung haben musste. Denn dann wurde schon kein neues Gleichgewicht von Leistung und Gegenleistung praktiziert.

Offline Black

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Original von RR-E-ft
Davon, dass ein Zahlungsanspruch des Versorgers entsteht, ist der Entscheidung nichts zu entnehmen, sondern nur davon, dass der betroffene Kunde die Unwirksamkeit einseitiger Preisänderungen nicht mehr geltend machen können soll, wenn er die Preiserhöhungen an den Versorger zahlte, ohne die Preisänderung innerhalb von drei Jahren nach Rechnungszugang zu beanstanden.

Meine Frage bezog sich auf die zweite Entscheidung des BGH, 14.03.2012, VIII ZR 93/11. Hier ging es um eine Zahlungsklage des Versorgers.

Zitat
Der Klägerin stehe danach kein Anspruch auf Zahlung in der vom Amts-gericht erkannten Höhe zu. Denn zwischen den Parteien gelte der im Jahr 1998 vereinbarte Preis als Festpreis.

Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten stand. Zu Recht geht das Berufungsgericht zwar von der Unwirksamkeit der von der Klägerin verwendeten Preisanpassungsklausel aus. Das Berufungsgericht hat aber der Berechnung des Zahlungsanspruchs der Klägerin rechtsfehlerhaft den im Jahre 1998 vereinbarten Ausgangspreis von 4,8645 Pfennig je Kilowatt-stunde zugrunde gelegt.

(...)

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist der Berechnung des Zahlungsanspruchs der Klägerin jedoch nicht der bei Vertragsschluss ge-schuldete Anfangspreis zugrunde zu legen. Dies ergibt sich aus einer ergänzenden Vertragsauslegung (§§ 157, 133 BGB) des Versorgungsvertrages, deren Voraussetzungen das Berufungsgericht zu Unrecht verneint hat und die dazu führt, dass sich der Beklagte nicht darauf berufen kann, nur zur Zahlung des ursprünglich vereinbarten Anfangspreises verpflichtet zu sein.

Diese Lücke im Vertrag ist im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung gemäß §§ 157, 133 BGB in der Weise zu schließen, dass der Beklagte die Unwirksamkeit derjenigen Preiserhöhungen, die zu einem den vereinbarten Anfangspreis übersteigenden Preis führen, nicht geltend machen kann, wenn er sie nicht innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren nach Zugang der jeweiligen Jahresabrechnung, in der die Preiserhöhung erstmals berücksichtigt worden ist, beanstandet hat.

Das bedeutet doch wohl: Ein Anspruch des Versorgers auf Zahlung ist zunächst nicht entstanden, aber im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung kann sich der Kunde nicht darauf berufen (das ein Anspruch nicht entstanden sei).

Wann entsteht also der Anspruch? Entsteht er überhaupt? Der BGH sagt ja nur, dass der Kunde nicht geltend machen kann, dass der Anspruch nicht existiere.
Ihr sollt nicht wähnen, daß ich gekommen sei, Frieden zu senden auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert.

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Original von Black

Meine Frage bezog sich auf die zweite Entscheidung des BGH, 14.03.2012, VIII ZR 93/11. Hier ging es um eine Zahlungsklage des Versorgers.

Schon klar.

Die Begründung der Entscheidung BGH 14.03.12 Az. VIII ZR 93/11 verweist jedoch auf die Begründung der Entscheidung BGH VIII ZR 113/11 vom selben Tage  hinsichtlich der maßgeblichen Interessenlage, für welche wiederum ein (auf höherem Niveau eingestelltes) praktiziertes Gleichgewicht zwischen Leistung und Gegenleistung Bedeutung haben soll.


Zitat
BGH, Urt. v. 14.03.12 Az. VIII ZR 93/11, juris Rn. 30:

Unter Berücksichtigung dieser im Senatsurteil vom heutigen Tage (VIII ZR 113/11 aaO) näher dargestellten Interessenlage hätten sich die Parteien nach Ansicht des Senats zu einer Regelung des Inhalts bereitgefunden, dass der Kunde die Unwirksamkeit derjenigen Preiserhöhungen, die zu einem den vereinbarten Anfangspreis übersteigenden Preis führen, nicht geltend machen kann, wenn er sie nicht innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren nach Zugang der jeweiligen Jahresabrechnung, in der die Preiserhöhung erstmals berücksichtigt worden ist, beanstandet hat.

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Original von Black
Das bedeutet doch wohl: Ein Anspruch des Versorgers auf Zahlung ist zunächst nicht entstanden, aber im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung kann sich der Kunde nicht darauf berufen (das ein Anspruch nicht entstanden sei). Wann entsteht also der Anspruch? Entsteht er überhaupt? Der BGH sagt ja nur, dass der Kunde nicht geltend machen kann, dass der Anspruch nicht existiere.

Darin liegt ja gerade eine gewisse Mystik.

Immerhin spricht der Senat in VIII ZR 93/11 von einem höheren Zahlungsanspruch, der zunächst jedenfalls mindestens für die Dauer von drei Jahren nicht bestand und auch nicht auf einer entsprechenden Einigung der Parteien beruhte.

Zitat
BGH, Urt. v. 14.03.12 Az. VIII ZR 93/11, juris Rn. 24

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist der Berechnung des Zahlungsanspruchs der Klägerin jedoch nicht der bei Vertragsschluss geschuldete Anfangspreis zugrunde zu legen. Dies ergibt sich aus einer ergänzenden Vertragsauslegung (§§ 157, 133 BGB) des Versorgungsvertrages, deren Voraussetzungen das Berufungsgericht zu Unrecht verneint hat und die dazu führt, dass sich der Beklagte nicht darauf berufen kann, nur zur Zahlung des ursprünglich vereinbarten Anfangspreises verpflichtet zu sein.

Der vertragliche Zahlungsanspruch des Versorgers ergibt sich gemeinhin nach § 433 Abs. 2 BGB. Demnach muss er wohl nachträglich entstehen, für den Versorger wohl unerwartet wie Manna vom Himmel fallen.

Der Fall, welcher der Entscheidung BGH VIII ZR 93/11 zu Grunde lag, ist jedoch ein anderer Sachverhalt, als er von Ihnen gebildet wurde, da dort jedenfalls ein (auf höherem Niveau eingestelltes) Gleichgewicht von Leistung und Gegenleistung von den Parteien jahrelang praktiziert wurde, indem der Kunde die nach Vertragsabschluss einseitig erhöhten Preise beanstandungslos bezahlt hatte.

Offline jofri46

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Bei aller Diskussion im Detail, nur kurz noch einmal zum Sachverhalt:

Da macht ein Kunde nach Vertragsabschluss im Jahre 1981 in 2009 einen Rückforderungsanspruch auf der Basis des Anfangspreises von 1981 geltend! Dazwischen liegen 28 Jahre einvernehmlicher Vertragsdurchführung mit stetig gestiegenen Preisen und Kosten. Wie lebens- und wirklichkeitsfremd muss man da sein, um sich nicht mehr die Frage zu stellen, ob ein solchermaßen geltend gemachter Rückforderungsanspruch noch gerecht und angemessen sein kann?

Der BGH hat hier nach meinem Empfinden bei objektiver Betrachtung eine gerechte und angemessene Lösung gefunden. Das mag man in dem einen oder anderen Punkt rechtstechnisch kritisieren können, aber Rechtstechnik allein macht den Juristen nicht aus, sollte ihn zumindest nicht.

Offline RR-E-ft

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BGH VIII ZR 93/11 betrifft die Zahlungsklage des Versorgers.

Dass stetig gestiegene Kosten festgestellt wurden, ist aus den Entscheidungen jeweils gerade nicht ersichtlich geworden.
Die Frage, ob im konkreten Fall überhaupt ein Kostenanstieg zu verzeichnen war, wurde offensichtlich gar nicht mehr geprüft.
Ein Kostenanstieg und ein daraus resultierendes gravierendes Missverhältnis wurden jeweils unterstellt.

Überzeugen denn überhaupt die in BGH VIII ZR 113/11 Rn. 35 genannten Erfordernisse einer funktionierenden Energiewirtschaft?

Betroffen sind wohl überhaupt nur Gashändler und Vertriebsgesellschaften, die sich freiwillig außerhalb der Grundversorgung im Endkundengeschäft in einem von Natur aus eher riskanten Marktumfeld betätigen, aus dem sie sich durch ordnungsgemäße Kündigung aller betreffenden Verträge vollständig zurückziehen können.  

Nicht unmittelbar betroffen sind z.B. die Netzbetreiber, welche die Investitionen in die Infrastruktur vornehmen sowie die vorgelagerten Marktstufen der Großhandelsebene, die Erzeugung und der Transport.

Dass solche Vertriebsgesellschaften vom Markt verschwinden und andere sodann deren Platz einnehmen, ist im Wettbewerb wohl ausdrücklich vorgesehen.
 
Schließlich können sich Sondervertragskunden  noch so vertragstreu verhalten, ohne davor gefeit zu sein, dass ihre Vertragspartner
aufgrund anderer unternehmerischer Risiken über Nacht in Insolvenz fallen und ihre vertraglichen Lieferverpflichtungen nicht mehr erfüllen.

Argumentiert wird mit § 18 GasGVV, der den gesetzlich versorgungspflichtigen Grundversorger schützen soll, ferner mit einer Ausschlussfrist in § 30 AVBGasV, die in § 17 GasGVV entfallen ist.

Diese Normen, die für Sonderverträge nicht unmittelbar anwendbar sind, betreffen Fehler einer breits erfolgten Abrechnung, stellen den Versorger jedoch nicht frei, den gleichen Fehler in zukünftigen Abrechnungen fortzusetzen.

 

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