Forum des Bundes der Energieverbraucher

Autor Thema: Widerspruchsfrist von drei Jahren bei Preiserhöhungen in Sonderverträgen  (Gelesen 18662 mal)

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Offline RR-E-ft

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@bolli

Wenn etwas noch nicht abschließend rechtlich geklärt ist, so ist es nicht sicher bzw. rechtssicher.
Nicht abschließend rechtlich geklärt ist die Rechtsfrage der Zulässigkeit dieser Klauseln,
weshalb diese sich bisher nicht als rechtssicher bezeichnen lassen.

Der BGH hat die streitentscheidende, vorrangig zu beantwortende Rechtsfrage der Zulässigkeit dieser Klauseln
deshalb dem EuGH zur Entscheidung vorlegegt, weil er gem. Art. 267 AEUV dazu verpflichtet ist.

Offline Black

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Meine persönliche These für die Zukunft:

Der BGH hat nun erstmals den Weg freigemacht für die ergänzende Vertragsauslegung bzw. nimmt erstmals aktiv eine solche vor.

Sollte der EuGH tatsächlich § 5 GVV als Grundlage für Preisanpassungen kippen, wird der BGH die entstehende Lücke auch hier durch die ergänzende Vertragsauslegung schließen. Und hier vermutlich auch ohne den Spielraum von 3 Jahren. Denn der Grundversorger hatte wegen der Vorgaben der GVV gar keine Chance eine eigene Preisanpassungsregelung zu gestalten und den Lieferanten von Sonderverkunden hatte der BGH höchspersönlich die Bezugnahme auf die GVV gestattet.
Ihr sollt nicht wähnen, daß ich gekommen sei, Frieden zu senden auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert.

Matthäus, Kapitel 10, Vers 34

Offline RR-E-ft

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Zitat
Original von Black
 und den Lieferanten von Sonderverkunden hatte der BGH höchspersönlich die Bezugnahme auf die GVV gestattet.

Möglicherweise rechtswidrig wegen Verstoß gegen zwingendes EU- Recht.
Und dabei waren dem Senat die erheblichen Zweifel
aus der Revisionserwiderung BGH VIII ZR 246/08 hinlänglich bekannt.

Es gibt im Falle der Unwirksamkeit von Preisänderungsklauseln
nach wie vor wohl keine Einräumung eines solchen
durch ergänzende Vertragsauslegung (vgl. BGH, Urt. v. 22.02.12 VIII ZR 34/11 Rn. 30).
 

Grundversorgung ist wieder eine vollkommen andere Spielwiese.

Wenn sich § 4 AVBV/ § 5 GVV als unwirksam erweisen,
bliebe ja die gesetzliche Preisbestimmungspflicht
gem. §§ 36 Abs. 1, 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 EnWG
immer noch wirksam.

Eigentlich besteht dazu deshalb
bereits zwingendes Recht.

Liegen die Voraussetzungen einer ergänzenden Vertragsauslegung vor,
ist selbige Aufgabe der nationalen Gerichte.
Die dabei gefundene Lösung darf dann jedoch nicht ihrerseits
den gesetzlichen Vorgaben zuwider laufen.

Offline userD0003

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Zitat
Original von Black
... Denn der Grundversorger hatte wegen der Vorgaben der GVV gar keine Chance eine eigene Preisanpassungsregelung zu gestalten und den Lieferanten von Sonderverkunden hatte der BGH höchspersönlich die Bezugnahme auf die GVV gestattet.
Ist das so ? - als juristischer Laie behaupte ich jetzt mal  ;), dass die GVV keine Preisanpassungsregelung/-recht bzw. -pflicht beinhaltet (ist das nicht auch die Auffassung des OLG Oldenburg?), dass der Verordnungsgeber eine vom Grundversorger zu gestaltende transparente Regelung voraussetzt und mit § 5 Abs. 2 und 3 lediglich festlegt, wie Änderungen der Allgemeinen Preise und der ergänzenden Bedingungen wirksam werden.

edit: Zu dieser These sehe ich keinen Widerspruch in der GVV, im EnWG und im BGB - oder ? Jetzt sind unsere Experten gefragt.

Offline jofri46

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Den Weg der ergänzenden Vertragsauslegung bei Unwirksamkeit einer Preisanpassungsklausel hat der BGH m. W. erstmals bereits 1989 beschritten, allerdings zu einer Anpassungsklausel in einem Vertrag mit einer festen Laufzeit von zehn Jahren (NJW 1990, S. 115 ff.). Die daraufhin vom damaligen Klauselverwender nach den damaligen BGH-Vorgaben geänderte Klausel hat die Rechtsprechung (bis hin zu den Obergerichten) inzwischen erneut gekippt, vor allem weil in Folge die Inhaltskontrolle gemäß § 307 BGB um das Transparenzgebot erweitert wurde und damit der Auslegung Tür und Tor geöffnet ist. Insofern wage ich die Voraussage, dass es auch für die Zukunft dem Versorger nicht möglich sein wird, eine eigene Preisanpassungsklausel zu gestalten, die rechtssicher und gerichtsfest wäre. Der Anwalt, der eine solche Klausel mit Gewähr zu liefern bereit ist, sei er noch so hochqualifiziert und spezialisiert, ist mir noch nicht begegnet. Die Versorger können sich (noch) glücklich schätzen, dass ihnen der BGH mit der Bezugnahme auf die GVV eine komfortable Möglichkeit gestattet hat, obwohl schon jetzt offenkundig ist, dass sie einer Inhaltskontrolle  ach § 307 BGB nicht standhalten würde.

Offline RR-E-ft

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Zitat
Original von jofri46
 Der Anwalt, der eine solche Klausel mit Gewähr zu liefern bereit ist, sei er noch so hochqualifiziert und spezialisiert, ist mir noch nicht begegnet.
Es kommt wohl immer darauf an, welche Kollegen man trifft. Bei einem Gegenstandswert für die Anwaltsvergütung aus dem 3,5fachen Jahresbetrag der Preiserhöhungen aller betroffenen Vertragsverhältnisse eines großen Konzerns (E.ON/ RWE) wäre das möglicherweise ein verlockender Auftrag. Andererseits dürfte die Deckungszusage der Berufshaftpflichtversicherung kaum ausreichen, selbst wenn man diese auf 30 Mio. EUR erhöht. Wenn es mit der Gewähr schief geht, braucht man dann wohl ein Gewehr.

Haftungsvereinbarungen auf dem Markt

Offline bolli

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Original von RR-E-ft
 Wenn es mit der Gewähr schief geht, braucht man dann wohl ein Gewehr.
Der war gut !   :D

Offline Black

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Der BGH geht seltsame Wege. Auf die unzumutbare Härte im Einzelfall scheint es für die ergänzende Vertragsauslegung gar nicht mehr anzukommen.
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Matthäus, Kapitel 10, Vers 34

Offline RR-E-ft

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Original von Black
Der BGH geht seltsame Wege. Auf die unzumutbare Härte im Einzelfall scheint es für die ergänzende Vertragsauslegung gar nicht mehr anzukommen.

Die Wege des Herrn sind unergründlich. Nun auch schon die Wege des BGH- Senats?

Das sind tatsächlich seltsame Wege, denn bevor es mit einer ergänzenden Vertragsauslegung überhaupt losgehen kann, muss nach herrschender Meinung und herrschender Lehre zunächst geprüft werden, ob deren Voraussetzungen im Einzelfall überhaupt vorliegen. Schließlich muten auch die Rechtsfolgen einigermaßen abenteuerlich an.

Die Entscheidung gibt Rätsel auf und man wähnt sich in einer Verklärung (Metamorphosis).
Der BGH- Senat vergibt den Energieversorgern ihre Schuld, macht wohl über Nacht aus gemeinen Schuldnern Gläubiger.
Eine Rechtsgrundlage für eine solche (Ver-)Wandlung ist nicht sogleich ersichtlich.
Über etwaige bilanzssteuerliche Folgen will man erst gar nicht nachdenken.

Offline Black

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Der BGH macht damit auch faktisch das Verjährungsrecht kaputt. Denn die Uhr tickt ab der Abrechnung GENAU 3 Jahre. Die Verjährung (mit ebenfalls 3 Jahren) beginnt  dagegen erst am Ende des Kalenderjahres zu laufen.

Dadurch kann ein unverjährter Anspruch trotzdem schon \"entwertet\" sein, weil die 3 Jahre Widerspruchsfrist schon abgelaufen sind.

Der sorgfältige Verbraucheranwalt müsste künftig also nicht nur die Verjährungsfrist sondern auch die Widerspruchsfrist notieren.
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Offline jofri46

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Mich überrascht die Entscheidung des BGH nach langjähriger Erfahrung mit AGB\'s, expliztit auch mit Preisanpassungsklauseln im Massengeschäft und Rechtsstreitigkeiten bis hin zum BGH, keineswegs. Ich kann die Argumentation des BGH nachvollziehen und sie stört auch nicht mein Rechtsempfinden, auch wenn das hier viele aus Verbrauchersicht anders sehen.

Rechtsgrundlagen dafür lassen sich mit entsprechender Interpretation allemal finden (z. B. 241 Abs. 1 BGB). Ein Richter sprach trotz unwirksamer Preisanpassungsklausel nach jahrelanger einvernehmlicher Vertragsdurchführung die erhöhten Entgelte zu, bezog sich dabei u. a. auf § 141 Abs. 2 BGB und formulierte diese Bestimmung in den Urteilsgründen so um:

\"Wird eine nichtige Preisanpassungsklausel von den Parteien bestätigt (durch jahrelange Hinnahme und Zahlung von Preiserhöhungen), so sind diese im Zweifel verpflichtet, einander zu gewähren, was sie haben würden, wenn die Preisanpassungsklausel von Anfang an gültig gewesen wäre.\"

Offline jofri46

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Kleine Korrektur:
In meinem Beitrag oben ist nicht § 241 Abs. 1, sondern § 241 Abs. 2 BGB gemeint.

Offline RR-E-ft

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Original von Black
Der BGH macht damit auch faktisch das Verjährungsrecht kaputt. Denn die Uhr tickt ab der Abrechnung GENAU 3 Jahre. Die Verjährung (mit ebenfalls 3 Jahren) beginnt  dagegen erst am Ende des Kalenderjahres zu laufen.

Dadurch kann ein unverjährter Anspruch trotzdem schon \"entwertet\" sein, weil die 3 Jahre Widerspruchsfrist schon abgelaufen sind.

Noch bevor ein Rückforderungsanspruch wegen Überzahlung verjährt wäre, könnte er bereits infolge Metamorphose untergegangen sein.

Auch Gerichtsentscheidungen sollen transparent und nachvollziehbar sein.
Sie dürfen nicht den Eindruck erwecken, willkürlich \"gewürfelt\" worden zu sein.

Bei der Bewertung der wissenschaftlichen Leistung eines Examenskandidaten, dessen gefundene Lösung auf einer ergänzenden Vertragsauslegung gründet, kommt es bisher entscheidend darauf an, ob zuvor die Voraussetzungen einer ergänzenden Vertragsauslegung gründlich geprüft wurden.

Hierfür kommt es bisher entscheidend darauf an, ob eine  Vertragslücke besteht, die nicht durch dispositives Recht geschlossen werden kann, und für einen Vertragsteil zu einer unzumutbare Härte führt.

Wenn diese Voraussetzungen vorliegen, dann soll die Lücke durch den hypothetischen Parteiwillen geschlossen werden.
Gemeinhin: Was hätten die Parteien bei Kenntnis der Lücke vernünftiger Weise vereinbart?

Es ist nur allzu verständlich, dass ein nach diesen wissenschaftlichen Grundsätzen ausgebildeter Jurist diese Grundsätze auch in der Rechtsanwendung eines höchsten Zivilgerichts wiederfinden möchte, anderseits die Frage zu stellen wäre, ob diese wissenschaftlich gelehrten und gelernten Grundsätze etwaig überhaupt noch Geltung beanspruchen.

Offline Black

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Original von RR-E-ft
Gemeinhin: Was hätten die Parteien bei Kenntnis der Lücke vernünftiger Weise vereinbart?

Welche \"objektiv vernünftige Partei\" hätte wohl vertraglich vereinbart, dass ihre Ansprüche möglicherweise noch vor ihrer Verjährung untergehen sollen?
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Offline RR-E-ft

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Original von Black

Welche \"objektiv vernünftige Partei\" hätte wohl vertraglich vereinbart, dass ihre Ansprüche möglicherweise noch vor ihrer Verjährung untergehen sollen?

Eine Antwort auch darauf bleibt uns der Senat in seiner bisher veröffentlichten Entscheidung jedenfalls schuldig.

Woher die Dreijahresfrist seit Rechnungszugang herrühren soll, kann man allenfalls mit Blick auf § 18 GVV erahnen.

 

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