Energiepreis-Protest > Grundsatzfragen
Betroffene nicht wehrlos gegen Nichtzulassung eines Rechtsmittels bei abweichender Rechtsprechung
bolli:
--- Zitat ---Original von RR-E-ft
Es wird doch wohl eine Bewandnis damit haben, dass die juristische Kunst eine langjährige Ausbildung erfordert.
--- Ende Zitat ---
Wie Sie selbst erläutert haben, scheint diese INTENSIVE Ausbildung diese (Anwalts-)Klientel aber nicht davor zu schützen die einfachsten Fehler zu machen und einfachste Verfahrensgrundsätze zu missachten. Komisch. :D
--- Zitat ---Original von RR-E-ft
Deshalb ist es zunächst schon unwahrscheinlich, dass ordentliche Gerichte - diese Rechtsprechung des BVerfG missachtend - überhaupt noch ein Rechtsmittel nicht zulassen, wenn sie mit ihren Entscheidungen von bestehender obergerichtlichter oder gar höchstrichterlicher Rechtsprechung abweichen.
Und es ist noch unwahrscheinlicher, dass sie in einem solchen eher unwahrscheinlichen Fall einer dagegen gerichteten und darauf gestützten Gehörsrüge nicht abhelfen, so dass die Voraussetzungen der Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde deshalb überhaupt erst vorliegen.
--- Ende Zitat ---
Es tut mir ja leid, dieses vermuten zu müssen, aber ich befürchte, dass Ihr Blick auf das GROßE GANZE Ihren Blick für das Kleine doch arg trübt.
Mit der gleichen Gleichglütigkeit, mit der untere Gerichte sich nicht um die höchstrichterliche Rechtssprechung z.B. des BGH zu einem Thema kümmern und anders entscheiden OHNE dieses näher zu begründen und auch keine Rechtsmittel zulassen, ignorieren diese Gerichte (oder besser: Richter) auch die \"Drohung\" der Gehörsrüge. Seien Sie versichert, in 99 % aller Fälle hilft eine Instanz, die für eine Beschwerde/ einen Widerspruch oder ähnliches zuständig ist und die auf der gleichen Ebene wie die Entscheidungsinstanz angesiedelt ist, der Erstentscheidung NICHT AB. Da hilft auch aller gut gemeinter Verstand, den man einsetzen soll, nicht weiter, da er anscheinend an den maßgeblichen Stellen (noch ?) nicht vorhanden ist, so will man meinen.
Das sind meine ERFAHRUNGEN in Behörden und bei Untergerichten und die haben sich im Laufe der Jahre ganz schön angesammelt. ;)
Ich möchte damit nicht Ihren Zweckoptimismus bremsen, schließlich leben wir gerade auch hier im Forum sehr trefflich davon, aber eine zu rosige Betrachtungsweise fordert einfach auch zu Widerspruch heraus, um dem einen oder anderen, der gewisse Erfahrungen noch nicht gemacht hat, zumindest auch darzustellen, dass es nicht so ganz einfach ist, wie Sie es manchmal darzustellen pflegen.
Vor Gericht ist 1 + 1 nicht immer = 2, da kommt auch schon mal ne andere Zahl raus. ;)
RR-E-ft:
Nachdem die närrische Zeit hinter uns liegt, sollten Diskussionen über Grundsatzfragen wieder mit der notwendigen Ernsthaftigkeit geführt werden.
--- Zitat ---Original von bolli
Wie Sie selbst erläutert haben, scheint diese INTENSIVE Ausbildung diese (Anwalts-)Klientel aber nicht davor zu schützen die einfachsten Fehler zu machen und einfachste Verfahrensgrundsätze zu missachten.
--- Ende Zitat ---
Es gibt alte Anwälte, an denen ist die Einführung etwa des § 321a ZPO leider vorbeigegangen und die deshalb Verfassungsbeschwerden einlegen ohne zuvor den Rechtsweg ausgeschöpft zu haben, nämlich durch Erhebung der Gehörsrüge.
Das ist nicht komisch, sondern traurig. Es handelt sich dabei um einen groben Anwaltsfehler.
Es kann vorkommen, dass sich ein Betroffener innerhalb der einzuhaltenden Monatsfrist wegen einer Verfassungsbeschwerde an einen Anwalt wendet und zu diesem Zeitpunkt die Zweiwochenfrist für die Einlegung der Gehörsrüge bereits abgelaufen war. Dann kann eine Verfassungsbeschwerde auch nicht zum Erfolg führen, weil zuvor vom Betroffenen der Rechtsweg nicht ausgeschöpft wurde.
Fakt ist, dass in der konkreten Situation, wenn ein Gericht mit seiner Entscheidung von bestehender obergerichtlicher oder höchstrichterlicher Rechtsprechung abweicht (was ihm freisteht), zudem ein Rechtsmittel hiergegen nicht zulässig ist und vom Gericht auch nicht zugelassen wird und darüber hinaus einer deshalb dagegen gerichteten, fristgerecht eingelegten Gehörsrüge nicht abgeholfen wurde, die Verfassungsbeschwerde die einzige Möglichkeit darstellt, zur Aufhebung einer solchen Willkürentscheidung zu gelangen.
Fakt ist ebenso, dass man einer ständigen Rechtsprechung des BVerfG vertrauen kann.
Die Einschätzung der Erfolgsaussichten einer Verfassungsbeschwerde in der konkreten Situation aufgrund dieser ganz besonderen Problematik basiert nicht auf Zweckoptimismus, sondern auf der Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Verfassungsbeschwerde einerseits und der Erfolgsaussichten anhand der ständigen Rechtsprechung des BVerfG andererseits.
Anwaltsverschulden, welches eine eigene Haftung begründet, bleibt dabei außen vor.
Nochmals:
Die bestehende obergerichtliche und höchstrichterliche Rechtsprechung wurde anhand folgender Entscheidungen beispielhaft aufgeführt:
OLG Stuttgart, Urt. v. 30.12.10 Az. 2 U 94/10 (rechtskräftig),
BGH, B. v. 09.02.11 Az. VIII ZR 162/09,
BGH, B. v. 18.05.11 Az. VIII ZR 71/10,
BGH, B. v. 29.06.11 Az. VIII ZR 211/10,
BGH, B. v. 24.01.12 Az. VIII ZR 236/10 und VIII ZR 158/11.
Es steht den Gerichten frei, von dieser bestehenden obergerichtlichen und höchstrichterlichen Rechtsprechung abzuweichen.
Sofern ein Rechtsmittel gegen eine solche abweichende Entscheidung nicht ohnehin zulässig ist (Berufung bei Beschwer ab 600 EUR), hat das Gericht, welches bewusst von bestehender obergerichtlicher oder höchstrichterlicher Rechtsprechung abweicht, nach den Vorschriften der ZPO deshalb von Amts wegen ein Rechtsmittel (Berufung/ Revision) zuzulassen.
Lässt das Gericht dabei jedoch kein Rechtsmittel zu, handelt es sich nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG um einen Verstoß gegen das Willkürverbot.
Will die davon betroffene Partei eine solche Entscheidung nicht bestandskräftig werden lassen, muss sie deshalb zunächst innerhalb der Zweiwochenfrist gem. § 321a ZPO Gehörsrüge mit entsprechender Begründung erheben.
Hilft das Gericht einer solchen zulässigen Gehörsrüge nicht ab, so muss die davon betroffene Partei innerhalb der Monatsfrist Verfassungsbeschwerde erheben, wenn sie noch die Aufhebung der Entscheidung des Gerichts erreichen will.
Nach der Rechtsprechung des BVerfG steht es Gerichten frei, von bestehender obergerichtlicher oder höchstrichterlicher Rechtsprechung abzuweichen, sie haben dann jedoch für die betroffene Partei - sofern ein solches nicht ohnehin eröffnet ist- von Amts wegen ein Rechtsmittel zuzulassen. Wird für die betroffene Partei dabei kein Rechtsmittel zugelassen, handelt es sich nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG um einen Verstoß gegen das Willkürverbot und die Gerichtsentscheidung ist deshalb aufzuheben, wobei die Kosten des Verfahrens über die Verfassungsbeschwerde der Staatskasse aufzugeben sind.
Entprechende Entscheidungen des BVerfG wurden angeführt.
Derjenige Betroffene, der eine solche Willkürentscheidung bestandskräftig werden lässt, weil er kein zulässiges Rechtsmittel einlegt oder aber gegen die unterbliebene Nichtzulassung eines Rechtsmittels nicht fristgemäß eine begründete Gehörsrüge erhoben hat oder nach der Nichtabhilfe einer solchen Gehörsrüge nicht fristgemäß eine entsprechend begründete Verfassungsbeschwerde erhoben hat, hat es - abgesehen von einem ihm zurechenbaren Anwaltsverschulden - jedenfalls selbst zu verantworten, dass die ihm nachteilige Willkürentscheidung des Gerichts bestandskräftig wurde.
Niemand sollte einen so getrübten Blick haben, um dies nicht zu erkennen.
bolli:
--- Zitat ---Original von RR-E-ft
Es gibt alte Anwälte, an denen ist die Einführung etwa des § 321a ZPO leider vorbeigegangen und die deshalb Verfassungsbeschwerden einlegen ohne zuvor den Rechtsweg ausgeschöpft zu haben, nämlich durch Erhebung der Gehörsrüge.
Das ist nicht komisch, sondern traurig. Es handelt sich dabei um einen groben Anwaltsfehler.
--- Ende Zitat ---
Ich bin mir leider nicht sicher, dass es sich nur um alte Anwälte handelt, genauso wie die Tatsache, dass ja auch Richter eine intensive juristische Ausbildung genossen haben und anscheinend trotzdem in zunehmendem Maße gegen das Willkürgebot verstoßen, welches Ihnen vermutlich auch nahegebracht worden ist.
--- Zitat ---Original von RR-E-ft
Fakt ist ebenso, dass man einer ständigen Rechtsprechung des BVerfG vertrauen kann.
--- Ende Zitat ---
Na dann können wir uns ja beruhigt zurück lehnen (und hoffen, dass viele der hier mitlesenden Anwälte NUN wissen, was sie ggf. zu tun haben). ;)
--- Zitat ---Original von RR-E-ft
Anwaltsverschulden, welches eine eigene Haftung begründet, bleibt dabei außen vor.
--- Ende Zitat ---
Fraglich ist, was ich im Falle des Anwaltsversagens meines RA denn als Schaden geltend machen kann. Wohl eher nichts, denn ob bei einer erfolgreich eingelegten Verfassungsbeschwerde mein eigentliches Verfahren im Energiebereich zu meinen Gunsten ausgegangen wäre, kann ich wohl kaum beweisen. Daher ist diese Haftung ja wohl eher theoretischer Natur.
--- Zitat ---Original von RR-E-ft
Niemand sollte einen so getrübten Blick haben, um dies nicht zu erkennen.
--- Ende Zitat ---
Im juristischen Bereich scheinen da aber einige diesen getrübten Blick zu haben.
Da komme ich mir fast wie bei den Ärzten vor: Man muss als Patient/Klient schon mit einer Diagnose ankommen und dem Arzt sagen, was man untersucht haben will, damit dieser dann VIELLEICHT die vorhandene Krankheit erkennt. Von alleine geht da nur selten was. Ähnlich scheint es bei den Anwälten: Besser ist es, dem Anwalt schon zu sagen, wo er drauf zu achten hat, sonst sind die knappen Fristen flugs verstrichen und ICH schaue in die Röhre, habe aber ja Haftungsansprüche gegen den Anwalt. Wie be(un)ruhigend.
RR-E-ft:
@bolli
Hier geht es offensichtlich nur darum, ob und wie sich Betroffene gegen eine ganz bestimmte Form gerichtlicher Willkürentscheidungen erfolgreich zur Wehr setzen können.
Es geht hier speziell um die Fälle, in denen Gerichte - bewusst in Abweichung von bestehender obergerichtlicher und höchstrichterlicher Rechtsprechung - gegenüber Widerspruchskunden deren Widersprüchen keine streitentscheidende Bedeutung mehr beimessen, weil die betroffenen Kunden nunmehr leicht den Anbieter wechseln können.
Nicht erst nach allen genannten Entscheidungen des BGH seit Beschluss v. 09.02.11 Az. VIII ZR 162/09 kommt es in solchen Fällen, wo betroffene Kunden den Preisänderungen widersprochen hatten, streitentscheidend darauf an, ob dem Energieversorger überhaupt wirksam ein Preisänderungsrecht eingeräumt wurde, und wenn es wirksam eingeräumt wurde, kommt es weiter streitentscheidend darauf an, ob die Preisänderung der Billigkeit entsprach.
Ein Verstoß gegen das Willkürverbot besteht nicht darin, dass Gerichte von der bestehenden obergerichtlichen und höchstrichterlichen Rechtsprechung abweichen, sondern allein darin, dass sie dann, wenn sie bewusst davon abweichen, der davon betroffenen Partei nicht von Amts wegen ein Rechtsmittel zulassen, sofern ein solches für die davon betroffene Partei nicht ohnehin eröffnet ist.
Es ist nichts dafür ersichtlich, dass Richter in zunehmendem Maße gegen das Willkürverbot verstoßen.
Es ist wohl lediglich ersichtlich, dass von einigen hier in zunehmendem Maße nicht mit der gebotenen Ernsthaftigkeit diskutiert wird.
Stubafü:
Original von RR-E-ft:
Fakt ist ebenso, dass man einer ständigen Rechtsprechung des BVerfG
vertrauen kann.
Original von Bolli:
Na dann können wir uns ja beruhigt zurück lehnen (und hoffen, dass viele der
hier mitlesenden Anwälte NUN wissen, was sie ggf. zu tun haben).
Nach meiner Lebenserfahrung ist es ein schlechtes Zeichen, wenn eine Eigenschaft (hier die von RR-E-ft so vielgerühmte \"gefestigte Rechtsprechung\" des BVerfG), die absolut selbst-verständlich sein sollte, plötzlich so herausgehoben wird. Das passiert vor allem dann, wenn die selbstverständliche Eigenschaft nicht mehr existiert.
Besonders ärgerlich ist diese Entwicklung gerade im Hinblick auf die jahrzehntelange Entwicklung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes etwa zu Art 103 Abs 1 GG
(\"Anspruch auf rechtliches Gehör\" ), der lautet:
\"(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.\"
Dazu in THOMAS-PUTZO, ZPO, 16.Auflage, § 313, Ziffer V, A:
\"Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist verletzt, wenn das Gericht tatsächliches Vorbringen überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder ersichtlich nicht erwogen hat ( BVerfG NJW 80,278 ).\"
Ebenso rechtsstaatlich überzeugend ist, daß das Bundesverfassungsgericht zu
Art 3 GG (\"Gleichheit vor dem Gesetz\") feststellte:
\"Beruht die Nichtausübung der Frage- und Aufklärungspflicht auf Erwägungen, die bei verständlicher Würdigung der das GG beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich sind - mithin auf objektive Willkür - so ist Art. 3 Abs 1 GG verletzt ( BVerfG NJW 76,1391, NJW 86,575 , NJW 94, 2279 \" ( THOMAS-PUTZO, ZPO, 20.Auflage, § 139 Rz. 2 )
So rechtsstaatlich das ist - es leitet sich aus all dem heute für die Rechtsprechung nichts mehr ab.
Die Beachtung der vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätze, die in ihrer Bedeutung für die Rechtsprechung eigentlich grundrechtsähnlichen Charakter haben, ist in der Wirklichkeit heute nämlich in das Belieben der Richterschaft gestellt.
Wer sich als Richter daran halten mag, der tue es. Wer \"wichtigere\" Gründe hat, dies nicht zu tun, - etwa die Rücksichtnahme auf Kollegen, Beamte oder Parteien, die der Justiz die Geldmittel bewilligen - der lasse es.
Folgen hat eine Nichtbeachtung dieser Rechtsprechung heute weder für den Richter noch seinen Dienstherrn. Eine diesbezügliche Verfassungsbeschwerde würde - eine vor wenigen Jahren endlich eingeführte verfassungswidrige Umgangsart mit Verfassungsbeschwerden - ohne Angabe von Gründen vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen, denn vom Bundesverfassungsgericht ist die Rechtswidrigkeit solchen Verhaltens schließlich bereits festgestellt.
Das Bundesverfassungsgericht hat insofern seinen Zweck erfüllt, der Rechtsprechung den Anstrich der Untadeligkeit zu geben. Jetzt gilt es nur noch, die Fassade bundesdeutscher Rechtsstaatlichkeit zu polieren.
Damit unterläuft das Bundesverfassungsgericht seine eigene Rechtsprechung zugunsten der Richterschaft der Fachgerichte.
Navigation
[0] Themen-Index
[#] Nächste Seite
[*] Vorherige Sete
Zur normalen Ansicht wechseln