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Autor Thema: BGH, Urt. v. 14.03.12 VIII ZR 93/11 Zahlungsklage E.ON Hanse gegen Gas- Sonderkunde  (Gelesen 16468 mal)

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Offline RR-E-ft

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Zitat
aus Pressemitteilung Nr. 22/12 des BGH vom 10.02.12

Verkündungstermin: 14. März 2012

(Verhandlungstermin: 14. Dezember 2011)

VIII ZR 93/11

AG Hamburg-Bergedorf - Urteil vom 25. Mai 2010 – 410A C 205/09

LG Hamburg - Urteil vom 18. Februar 2011 - 320 S 129/10

In diesem Verfahren verlangt die Klägerin, ein Gasversorgungsunternehmen, von dem Beklagten, einem ehemaligen Sonderkunden, die Zahlung restlichen Entgelts für Gaslieferungen im Zeitraum vom 20. Januar 2004 bis zum 1. Februar 2008. Die Klägerin erhöhte mehrfach den Arbeitspreis. Der Beklagte erbrachte bis Mitte 2005 die geforderten Abschlagszahlungen und wandte sich auch nicht gegen die Jahresabrechnungen. Im Juli 2005 erhob er erstmalig schriftlich Widerspruch und berief sich auf die Unwirksamkeit von Preiserhöhungen. Danach behielt er erhebliche Rechnungsbeträge ein.

Die Klage hatte in der Berufungsinstanz keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung unter anderem ausgeführt: Der Klägerin stehe für den streitgegenständlichen Zeitraum kein weiterer Zahlungsanspruch für das gelieferte Gas aus § 433 Abs. 2 BGB* zu. Denn die von der Klägerin vorgenommenen Preiserhöhungen seien nicht wirksam gewesen, da die im Jahre 1998 bei Vertragsschluss vereinbarte Preisanpassungsklausel unwirksam sei. Zwischen den Parteien gelte somit der im Jahr 1998 vereinbarte Preis als Festpreis. Der von dem Beklagten im streitgegenständlichen Zeitraum gezahlte Betrag liege oberhalb dieses Preises, so dass die Klägerin keine weitere Zahlung verlangen könne.

Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Zahlungsbegehren weiter.

* § 433 BGB: Vertragstypische Pflichten beim Kaufvertrag

...

(2) Der Käufer ist verpflichtet, dem Verkäufer den vereinbarten Kaufpreis zu zahlen und die gekaufte Sache abzunehmen.

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Zitat
Bundesgerichtshof
Mitteilung der Pressestelle

Nr. 35/2012

Zu den Folgen unwirksamer Preisanpassungsklauseln in
Erdgas-Sonderkundenverträgen

Der Bundesgerichtshof hat heute zwei Entscheidung zu der Frage getroffen, welchen Preis der Kunde in einem Sonderkundenverhältnis für das entnommene Gas zu entrichten hat, wenn die im Vertrag enthaltene Preisanpassungsklausel unwirksam ist und der Kunde den Preiserhöhungen über einen längeren Zeitraum nicht widersprochen hat.

In dem Verfahren VIII ZR 113/11 macht der Kläger gegen die Beklagte, ein regionales Gasversorgungsunternehmen, Rückzahlungsansprüche geltend. Der Kläger bezog aufgrund eines im Jahr 1981 geschlossenen Sonderkundenvertrages Gas von der Beklagten. Die Beklagte erhöhte in der Vergangenheit wiederholt die Arbeitspreise, mit welchen der Gasverbrauch abgerechnet wird, auf der Grundlage einer unwirksamen Preisanpassungsklausel. Der Kläger zahlte die geforderten erhöhten Entgelte, ohne den Preiserhöhungen zu widersprechen. Im Oktober 2008 wechselte er zu einem anderen Gasanbieter. Erstmals im Februar 2009 wandte er sich gegen die von der Beklagten während der Vertragslaufzeit vorgenommenen Preiserhöhungen und begehrte die Rückzahlung der von Januar 2006 bis September 2008 gezahlten Erhöhungsbeträge auf der Basis des bei Vertragsschluss im Jahre 1981 geltenden Arbeitspreises. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht ihr überwiegend stattgegeben.

In dem Verfahren VIII ZR 93/11 verlangt die Klägerin, ein Gasversorgungsunternehmen, von dem Beklagten, einem ehemaligen Sonderkunden, die Zahlung restlichen Entgelts für Gaslieferungen im Zeitraum Januar 2004 bis Februar 2008. Die Klägerin erhöhte seit Vertragsbeginn im Jahre 1998 mehrfach den Arbeitspreis auf der Grundlage einer ebenfalls unwirksamen Preisanpassungsklausel. Der Beklagte leistete bis Mitte 2005 die geforderten Abschlagszahlungen und wandte sich bis dahin auch nicht gegen die Jahresabrechnungen. Im Juli 2005 erhob er erstmalig Widerspruch und berief sich auf die Unwirksamkeit von Preiserhöhungen. Danach behielt er erhebliche Rechnungsbeträge ein. Das Amtsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben, das Berufungsgericht hat sie auf die Berufung des Beklagten hin abgewiesen und die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.

Die Revisionen der Energieversorger hatten in beiden Fällen Erfolg. Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass in beiden Verfahren den jeweiligen Ansprüchen nicht, wie von den Berufungsgerichten angenommen, die bei dem jeweils viele Jahre zurückliegenden Vertragsschluss vereinbarten Arbeitspreise zugrunde gelegt werden können. Vielmehr ist die durch die Unwirksamkeit der Preisanpassungsklausel in den Verträgen entstandene Regelungslücke im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung gemäß §§ 133, 157 BGB* in der Weise zu schließen, dass der Kunde die Unwirksamkeit derjenigen Preiserhöhung, die zu einem den vereinbarten Anfangspreis übersteigenden Preis führen, nicht geltend machen kann, wenn er sie nicht innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren nach Zugang der Jahresabrechnung, in der die Preiserhöhung erstmals berücksichtigt worden ist, beanstandet hat. Denn eine derartige Regelung hätten die Parteien bei einer Abwägung ihrer Interessen redlicherweise vereinbart, wenn sie bei Vertragsschluss bedacht hätten, dass die Wirksamkeit der verwendeten Preisänderungsklausel jedenfalls unsicher war.
Der Senat hat die Verfahren an die Berufungsgerichte zurückverwiesen, damit die erforderlichen Feststellungen dazu getroffen werden können, wann den Kunden die einzelnen Jahresabrechnungen zugegangen sind und gegen welche Preiserhöhungen die jeweiligen Widersprüche daher noch rechtzeitig vor Ablauf von drei Jahren erhoben worden sind.

*§ 133 BGB: Auslegung einer Willenserklärung

Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.

*§ 157 BGB: Auslegung von Verträgen

Verträge sind so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

Urteil vom 14. März 2012 - VIII ZR 113/11

AG Wipperfürth - Urteil vom 12. Januar 2010 – 1 C 251/09

LG Köln - Urteil vom 16. März 2011 – 10 S 66/10

und

Urteil vom 14. März 2012 - VIII ZR 93/11

AG Hamburg-Bergedorf - Urteil vom 25. Mai 2010 – 410A C 205/09

LG Hamburg - Urteil vom 18. Februar 2011 - 320 S 129/10

Karlsruhe, den 13. März 2012

Pressestelle des Bundesgerichtshofs
76125 Karlsruhe
Telefon (0721) 159-5013
Telefax (0721) 159-5501

Offline RR-E-ft

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Warum die Parteien entsprechendes redlicherweise vereinbart haben sollten, erschließt sich nicht unmittelbar.
Zunächst wird man die schriftlichen Entscheidungsgründe abzuwarten haben, um den Ratschluss des Senats ggf. nachvollziehen zu können.

Es wird wohl auch die Frage zu beantworten sein, warum redlicherweise auch solche Preisänderungen schlussendlich Bestand  haben sollen,
die dem Versorger allein oder überwiegend zur nachträglichen Erhöhung des Gewinnanteils am Preis dienten.

Redlicherweise hätten die Parteien wohl nur eine Wahrung des ursprünglich vereinbarten Äquivalenzverhältnisses vereinbart,
was ein Recht zur Erhöhung nur im Umfang tatsächlich notwendig gestiegener Kosten ebenso einschließt wie eine Verpflichtung zur Weitergabe gesunkener Kosten.

Ganz offensichtlich haben Gasversorger ihre Preise in der Vergangenheit zB. weit stärker erhöht,
als der vom BAFA amtlich festgestellte monatliche Erdgasimportpreis überhaupt gestiegen war.

Entwicklung der monatlichen Erdgasimportpreise seit Januar 1991

Was daran redlich gewesen sein soll, wüsste man gern.

Offline RR-E-ft

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Die Beschränkung eines Rückforderungsanspruchs wie im Fall BGH VIII ZR 113/11 ist das eine.

Zitat
Original von RR-E-ft
Man könnte an den Einwendungsausschluss für Berechnungsfehler gem. § 21 Abs. 2 AVBV/ § 18 Abs. 2 GVV denken.

Zitat
§ 18 Berechnungsfehler
(1) Ergibt eine Prüfung der Messeinrichtungen eine Überschreitung der Verkehrsfehlergrenzen oder werden Fehler in der Ermittlung des Rechnungsbetrages festgestellt, so ist die Überzahlung vom Grundversorger zurückzuzahlen oder der Fehlbetrag vom Kunden nachzuentrichten. Ist die Größe des Fehlers nicht einwandfrei festzustellen oder zeigt eine Messeinrichtung nicht an, so ermittelt der Grundversorger den Verbrauch für die Zeit seit der letzten fehlerfreien Ablesung aus dem Durchschnittsverbrauch des ihr vorhergehenden und des der Feststellung des Fehlers nachfolgenden Ablesezeitraums oder auf Grund des vorjährigen Verbrauchs durch Schätzung; die tatsächlichen Verhältnisse sind angemessen zu berücksichtigen. Bei Berechnungsfehlern auf Grund einer nicht ordnungsgemäßen Funktion einer Messeinrichtung ist der vom Messstellenbetreiber ermittelte und dem Kunden mitgeteilte korrigierte Verbrauch der Nachberechnung zu Grunde zu legen.
(2) Ansprüche nach Absatz 1 sind auf den der Feststellung des Fehlers vorhergehenden Ablesezeitraum beschränkt, es sei denn, die Auswirkung des Fehlers kann über einen größeren Zeitraum festgestellt werden; in diesem Fall ist der Anspruch auf längstens drei Jahre beschränkt.

Wie auf dem Bahnhof.
Wer zu lange wartet, für den ist der Zug irgendwann abgefahren.

Darum geht es jedoch im Fall BGH VIII ZR 93/10 nicht.

Zitat
Original von RR-E-ft
Der Einwendungsausschluss gem. § 18 Abs. 2 GVV deckt sich in etwa mit der regelmäßigen - dreijährigen- Verjährungsfrist für Rückzahlungsansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung.

Indes: § 18 Abs. 2 GVV deckt jedoch nicht die Fortführung von Berechnungsfehlern des Versorgers in die Zukunft.

Zunächst hat der Versorger keinen Kaufpreisanspruch auf einen unwirksam erhöhten Energiepreis.

Der unwirksam einseitig erhöhte Preis wird schließlich  auch nicht durch die vorbehaltlose Zahlung auf einen unwidersprochen einseitig erhöhten Preis vereinbart (BGH, Urt. v. 14.07.10 Az. VIII ZR 246/08 Rn. 57- 59).


Zitat
BGH, Urt. v. 22.02.12 Az. VIII ZR 34/11 Rn. 26, juris:

Nach der Rechtsprechung des Senats kann bei einer einseitigen Preiserhöhung eines Gasversorgungsunternehmens aufgrund einer Preisanpassungsklausel, die unwirksam oder - wie hier mangels ordnungsgemäßer Einbeziehung - nicht Vertragsbestandteil ist, die vorbehaltlose Zahlung des erhöhten Preises durch den Kunden nach Übersendung einer auf der Preiserhöhung basierenden Jahresabrechnung nicht als stillschweigende Zustimmung zu dem erhöhten Preis angesehen werden. Aus der Sicht des Kunden lässt sich der Übersendung einer Jahresabrechnung, die einseitig erhöhte Preise ausweist, nicht ohne weiteres der Wille des Versorgungsunternehmens entnehmen, eine Änderung des Gaslieferungsvertrags hinsichtlich des vereinbarten Preises herbeizuführen. Selbst wenn der Kunde aufgrund der Rechnung Zahlungen erbringt, kommt darin zunächst allein seine Vorstellung zum Ausdruck, hierzu verpflichtet zu sein (Senatsurteil vom 14. Juli 2010 - VIII ZR 246/08, aaO Rn. 57 mwN).



Obschon es keine entsprechende Preisvereinbarung gem. § 433 BGB gibt, soll aber wohl nach Auffassung des Senats gleichwohl nachträglich unter bestimmten Umständen ein solcher Kaufpreisanspruch des Versorgers entstehen bzw. (ohne entstanden zu sein) bestehen.

Dann aber geht es nicht um die Beschränkung eines Anspruchs (des Kunden aus ungerechtfertigter Bereicherung), sondern um die nachträgliche (und teilweise rückwirkende) Erweiterung eines Anspruchs (des Versorgers auf Kaufpreiszahlung).

Dem betroffenen Kunden soll im Ergebnis nachträglich eine in die Zukunft wirkende vertragliche Schuld (Zahlungspflicht) erwachsen, die er bisher selbst nicht vereinbart hatte.

Offline RR-E-ft

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Die Voraussetzungen einer ergänzenden Vertragsauslegung, namentlich die unzumutbare Härte, müssen in jedem Einzelfall geprüft werden.

Bei den Umständen, welche die unzumutbare Härte begründen sollen, handelt es sich um Tatsachenfragen, die auf entsprechendes Bestreiten erst durch die Instanzgerichte geklärt werden müssen, insbesondere ob die Gesamtkosten, die dem Versorger durch die Belieferung des Kunden entstanden, gegenüber dem Zeitpunkt des Vertragsabschlusses überhaupt tatsächlich gestiegen waren.

Dafür müssen m.E. wohl die Kosten, welche dem Versorger bei Vertragsabschluss entstanden und diejenigen Kosten, die ihm dann später entstanden, detailliert dargelegt und unter Beweis gestellt werden.

Offline RR-E-ft

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Urteilstext BGH Az. VIII ZR 93/11 veröffentlicht


Zitat
BGH, Urt. v. 14.03.12 Az. VIII ZR 93/11, juris Rn. 30:

Unter Berücksichtigung dieser im Senatsurteil vom heutigen Tage (VIII ZR 113/11 aaO) näher dargestellten Interessenlage hätten sich die Parteien nach Ansicht des Senats zu einer Regelung des Inhalts bereitgefunden, dass der Kunde die Unwirksamkeit derjenigen Preiserhöhungen, die zu einem den vereinbarten Anfangspreis übersteigenden Preis führen, nicht geltend machen kann, wenn er sie nicht innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren nach Zugang der jeweiligen Jahresabrechnung, in der die Preiserhöhung erstmals berücksichtigt worden ist, beanstandet hat.

Leider verweisen die Entscheidungsgründe auf die Entscheidungsgründe in der bis heute unveröffentlichten Entscheidung BGH, Urt. v. 14.03.12 Az. VIII ZR 113/11

Warum sich die Parteien nach Auffassung des Senats gerade zu einer Regelung solchen Inhalts bereitgefunden hätten, ist deshalb nicht ersichtlich.
Der Satz hängt bisher wie eine stumpfe Behauptung in der Entscheidung.

Offline uwes

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These:

Ich verstehe die Entscheidung so:

Anzuwenden ist diese Entscheidung dann, wenn Preiserhöhungen bis zum Jahre 2003  in Rede stehen, die vom Kunden - mangels Widerspruch - nicht bis zum Jahre 2006 gerügt wurden.
Ab da an hat es für Energieversorgungsunternehmen Anlass gegeben, die Verträge mit den Kunden zu überprüfen und ggfs zu kündigen. (RdNr. 36)

Das bedeutet, dass in keinem Fall eines Sonderkunden, der sich auf die Unwirksamkeit einer Preiserhöhung beruft, ein höherer Preis als derjenige, der 2003 galt, der Abrechnung zugrundegelegt werden kann.
Mit freundlichen Grüßen

Uwes
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Offline RR-E-ft

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Zitat
Original von uwes
These:

Ich verstehe die Entscheidung so:

Anzuwenden ist diese Entscheidung dann, wenn Preiserhöhungen bis zum Jahre 2003  in Rede stehen, die vom Kunden - mangels Widerspruch - nicht bis zum Jahre 2006 gerügt wurden.
Ab da an hat es für Energieversorgungsunternehmen Anlass gegeben, die Verträge mit den Kunden zu überprüfen und ggfs zu kündigen. (RdNr. 36)

Das bedeutet, dass in keinem Fall eines Sonderkunden, der sich auf die Unwirksamkeit einer Preiserhöhung beruft, ein höherer Preis als derjenige, der 2003 galt, der Abrechnung zugrundegelegt werden kann.

Meine Gegenthese lautet:

Die Entscheidung ist schwer bis gar nicht  zu verstehen, dafür aber einfach zu glauben.  

Gemeint ist es wohl so, wie es geschrieben steht, nämlich dass ein unwirksam einseitig erhöhter Preis dann nicht mehr als solcher und mithin als unwirksam  gelten soll, wenn der betroffene Kunde diejenige Verbrauchsabrechnung, welche diesen einseitig erhöhten Preis erstmals auswies, vorbehaltlos vollständig bezahlt hatte und nicht innerhalb von drei Jahren ab Zugang dieser Rechnung Widerspruch erhoben hatte, so dass dieser einseitig unwirksam erhöhte Preis danach fortan als wirksamer Preis  behandelt wird und von Anfang an zu gelten haben soll.

Sonderkunden, die noch keinen Widerspruch eingelegt hatten und immer vollständig zahlten, können demnach heute nur noch die Unwirksamkeit desjenigen Preises geltend machen, der in einer am 13.04.09 zugegangenen Verbrauchsabrechnung erstmals zur Abrechnung gestellt wurde, wofür der wirksame Zugang eines entsprechenden Widerspruches beim Versorger am heutigen Tage notwendig sei.

Drei Jahre trug der Versorger die Erbschuld daran, dass seine Preisänderungsklausel nicht wirksam einbezogen oder unwirksam war, ebenso wie die darauf beruhende einseitige Preiserhöhung unwirksam war, so dass er dem betroffenen Kunden die Rückzahlung des überzahlten Betrages gem. § 812 BGB schuldete. Soweit wohl leicht nachvollziehbar und verständlich. Wunderbarer Weise gibt der Senat wohl in vollkommener Erkenntnis  dann jedoch dem betroffenen Kunden die Schuld daran, dass er nicht innerhalb von drei Jahren Widerspruch erhoben hatte und deshalb für die Vergangenheit und die Zukunft den erhöhten Preis dem Versorger doch noch vertraglich schuldet. Und selbst, wenn er nicht schuld sei (weil er einen entsprechenden Widerspruch schon nicht schuldete), soll er die Schuld jedenfalls tragen.

Wohl schlagartig Punkt Mitternacht drei Jahre nach Rechnungszugang tauschen sich wohl dann die Rollen, wer Gläubiger und wer Schuldner eines entsprechenden Zahlungsanspruches ist.
 
Der betrofffene Kunde, der eben noch Gläubiger eines entsprechenden Rückforderungsanspruches war, soll plötzlich fortan der Schuldner sein und seine Schuld tragen müssen.
 
Auch der betroffene Verbraucher sollte wohl eben nicht mit dem Verstande danach trachten, zu erkennen, was er in so einem Augenblick mitmacht.
\"Wie wird mir...?\"  Die meisten betroffenen Kunden werden wohl in ihrem Schlaf davon überrascht werden.

Die demnach schlagartige rück- und vorwirkende Wandlung eines bisher unwirksam einseitig erhöhten, unwirksamen Preises in einen wirksamen Preis drei Jahre nach Rechnungszugang  bedarf möglicherweise eines sehr starken, unmissverständlichen geoffenbarten Dogmas, ähnlich  immaculata conceptio

Zitat
Papst Pius IX. schließlich verkündete am 8. Dezember 1854 in seiner Bulle (auch Päpstliche Bulle) Ineffabilis Deus (‚Der unbegreifliche Gott‘) das Dogma von der Unbefleckten Empfängnis Mariens:

   „Zur Ehre der Heiligen und ungeteilten Dreifaltigkeit, zur Zierde und Verherrlichung der jungfräulichen Gottesgebärerin, zur Erhöhung des katholischen Glaubens und zum Wachstum der christlichen Religion, in der Autorität unseres Herrn Jesus Christus, der seligen Apostel Petrus und Paulus und der Unseren erklären, verkünden und bestimmen Wir in Vollmacht unseres Herrn Jesus Christus, der seligen Apostel Petrus und Paulus und in Unserer eigenen:

Die Lehre, dass die seligste Jungfrau Maria im ersten Augenblick ihrer Empfängnis durch einzigartiges Gnadengeschenk und Vorrecht des allmächtigen Gottes, im Hinblick auf die Verdienste Christi Jesu, des Erlösers des Menschengeschlechts, von jedem Fehl der Erbsünde rein bewahrt blieb, ist von Gott geoffenbart und deshalb von allen Gläubigen fest und standhaft zu glauben.

Wenn sich deshalb jemand, was Gott verhüte, anmaßt, anders zu denken, als es von Uns bestimmt wurde, so soll er klar wissen, dass er durch eigenen Urteilsspruch verurteilt ist, dass er an seinem Glauben Schiffbruch litt und von der Einheit der Kirche abfiel, ferner, dass er sich ohne weiteres die rechtlich festgesetzten Strafen zuzieht, wenn er in Wort oder Schrift oder sonstwie seine Auffassung äußerlich kundzugeben wagt.“

Kanonisches Recht von nun an und in Ewigkeit.
Aber die meisten haben ja heutzutage ganz anderes Recht studiert.

Bestimmte Lehren sind nicht weiter zu hinterfragen.
Es steht wohl zu besorgen, dass sich wieder Ketzer finden, die den Zugang der demnach  maßgeblichen Verbrauchsabrechnung in Abrede stellen wollen.

Ein Dogma von der Metamorphose eines unwirksamen in einen wirksamen Energiepreis mit dem  dritten Jahrestag des maßgeblichen Rechnungszugangs ändert nichts daran, dass dem Versorger im betroffenen mit der o.g. Erbschuld belasteten Vertragsverhältnis kein Recht zur einseitigen Preisänderung zusteht, so dass er allenfalls über sich wiederholende  wundersam anmutende Metamorphosen an höhere Preisforderungen gegenüber dem betroffenen Kunden gelangen kann.

Offline uwes

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Original von RR-E-ft
Sonderkunden, die noch keinen Widerspruch eingelegt hatten und immer vollständig zahlten, können demnach heute nur noch die Unwirksamkeit desjenigen Preises geltend machen, der in einer am 13.04.09 zugegangenen Verbrauchsabrechnung erstmals zur Abrechnung gestellt wurde, wofür der wirksame Zugang eines entsprechenden Widerspruches beim Versorger am heutigen Tage notwendig sei.

Das sehe ich nicht so, denn der BGH hat seine Rechtsprechung zur ergänzenden Vertragsauslegung nicht völlig revidiert. Nur dann und so lange der Versorger keinen Grund hatte, mittels Kündigung den mit einer unwirksam erscheinenden Preisanpassungsklausel versehenen Sondervertrag zu beenden, kann für die Zeiten davor diese neue und - natürich unverständlich erscheinende - Auffassung herangezogen werden. Ab 2006 hätte der Versorger jedoch die Problematik wegen der vom VIII. Senat selbst zitierten Entscheidungen erkennen können und müssen. Ab da an trägt er das Risiko, dass sich die Klausel später als unwirksam erweist. (BGH a.a.O. Rd-Nr 36)
Mit freundlichen Grüßen

Uwes
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Offline RR-E-ft

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Der Senat stellt dafür, ob der Versorger Veranlassung hatte, eine Beendigung des Vertragsverhältnisses in Betracht zu ziehen, wohl allein darauf ab, ob der betroffene Kunde Widerspruch eingelegt hatte.

Zitat
BGH, Urt. v. 14.03.12 Az. VIII ZR 93/11 juris Rn. 32 ff.

Während einer vorausgegangenen Vertragslaufzeit von über sieben Jahren hat der Beklagte die Preiserhöhungen und Jahresabrechnungen dagegen ohne Beanstandungen hingenommen, so dass für den Energieversorger zuvor keine Veranlassung bestanden hat, eine Beendigung des (Norm-)Sondervertragskundenverhältnisses in Erwägung zu ziehen. Die Klägerin kann mithin nicht an dem bei Vertragsschluss vereinbarten Preis festgehalten werden.

b) Welchen Arbeitspreis die Klägerin ihrem Zahlungsanspruch zugrunde legen kann, hängt davon ab, wann dem Beklagten die einzelnen Jahresabrechnungen der Klägerin zugegangen sind und gegen welche der darin enthaltenen Preiserhöhungen der Widerspruch des Beklagten vom 12. Juli 2005 somit noch rechtzeitig innerhalb der bezeichneten Dreijahresfrist erfolgt ist. Hierzu hat das Berufungsgericht - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen getroffen.

c) Anders als die Revision meint, kommt eine noch weitergehende Vertragsauslegung dahin, dass der Beklagte sich auch auf die Unwirksamkeit späterer Preiserhöhungen nicht berufen könne, weil die Klägerin vor Ende des Jahres 2009 keinen Anlass zur Kündigung des Versorgungsvertrages gehabt habe, nicht in Betracht.

Rn. 34 ff. betreffen die Meinung der Revision des Versorgers, trotz des mit Schreiben vom 12.Juli 2005 erhobenen Widerspruchs noch keinen Anlass zur Kündigung des Vertrages gehabt zu haben, sondern erst mit dem Urteil des BGH vom 29.04.2008 (KZR 2/07, BGHZ 176, 244 ff.). Daraus kann wohl entgegen Rn. 32 f. nicht darauf geschlossen werden, dass der Versorger auch ohne Widerspruch Veranlassung zur Kündigung gehabt habe, allein aufgrund der Rechtsprechung zur Unwirksamkeit von Preisänderungsklauseln in Energielieferungsverträgen. Rn. 36 verweist auf das Senatsurteil vom 13.12.06 Az. VIII ZR 25/06, NJW 2007, 1054. Jenes verweist jedoch selbst  in Rn. 20 auf viel länger bestehende Senatsrechtsprechung.

Zitat
BGH, Urt. v. 13.12.06 Az. VIII ZR 25/06 juris Rn. 20, 25, 30:

Kostenelementeklauseln, die wie die hier in Rede stehenden Klauseln eine Preisanpassung wegen und auf der Grundlage sich verändernder Kosten vorsehen, sind im Grundsatz nicht zu beanstanden (BGHZ 93, 252, 258]. Sie sind ein geeignetes und anerkanntes Instrument zur Bewahrung des Gleichgewichts von Preis und Leistung bei langfristigen Lieferverträgen. Kostenelementeklauseln dienen dazu, einerseits dem Verwender das Risiko langfristiger Kalkulation abzunehmen und ihm seine Gewinnspanne trotz nachträglicher, ihn belastender Kostensteigerung zu sichern, und andererseits den Vertragspartner davor zu bewahren, dass der Verwender mögliche künftige Kostenerhöhungen vorsorglich schon bei Vertragsschluss durch Risikozuschläge aufzufangen versucht (Senatsurteil vom 21. September 2005 aaO, unter II 2; Senatsurteil vom 12. Juli 1989 - VIII ZR 297/88, WM 1989, 1729 = NJW 1990, 115, unter II 2 b).

....

Die Schranke des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB ist nicht eingehalten, wenn die Preisanpassungsklausel dem Verwender ermöglicht, über die Abwälzung konkreter Preis- oder Kostensteigerungen hinaus den zunächst vereinbarten Preis uneingeschränkt anzuheben und so nicht nur eine Gewinnschmälerung zu vermeiden, sondern einen zusätzlichen Gewinn zu erzielen (Senatsurteil vom 12. Juli 1989 aaO unter II 2 b).
....

Die Auswirkungen einer unangemessen benachteiligenden Preisanpassungsklausel werden nicht hinreichend kompensiert, wenn dem Kunden das Recht zur Lösung vom Vertrag nicht spätestens gleichzeitig mit der Preiserhöhung, sondern erst nach deren Wirksamwerden zugebilligt wird (vgl. Senatsurteil vom 11. Juni 1980 - VIII ZR 174/79, WM 1980, 1120 = NJW 1980, 2518, unter II 3). Ein angemessener Ausgleich setzt voraus, dass der Kunde vorab über die beabsichtigte Preiserhöhung informiert wird und sich vom Vertrag lösen kann, bevor sie wirksam wird (Schöne, WM 2004, 262, 268; ders. in Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Stromlieferverträge, Stand: März 2006, Rdnr. 86; vgl. auch Wolf, ZIP 1987, 341, 349).

Schließlich ist auch ersichtlich, dass der Senat mit dieser geoffenbarten neuen Lehre einen bestimmten Zweck verfolgt, obschon sich eine ergebnisorientierte Rechtsanwendung und -erkenntnis eigentlich verbieten sollte.

Es ist schon nicht ersichtlich, dass die Voraussetzungen für eine ergänzende Vertragsauslegung im konkreten Fall überhaupt geprüft wurden.

Zitat
BGH, Urt. v. 13.01.10 Az. VIII ZR 81/08 juris Rn. 29:

Soweit die Beklagte in der Revisionsinstanz geltend macht, es sei mit Rückforderungsansprüchen von Sonderkunden der Beklagten in erheblicher Höhe zu rechnen, die zu einer Existenzbedrohung für die Beklagte führen könnten, zeigt sie entsprechenden Sachvortrag in den Tatsacheninstanzen nicht auf, obwohl dazu Anlass bestanden hätte, nachdem das Landgericht die Preisanpassungsklausel gemäß § 307 Abs. 1 BGB als unwirksam angesehen hat. Es kann deshalb offen bleiben, ob ein sich aus dem Abschluss einer Vielzahl gleich lautender Verträge ergebender wirtschaftlicher Nachteil überhaupt geeignet sein kann, eine nicht mehr hinnehmbare einseitige Verschiebung des im Individualprozess zu beurteilenden konkreten Vertragsgefüges zulasten des Verwenders zu begründen (vgl. Senatsurteil vom 15. Juli 2009 - VIII ZR 225/07, aaO, Tz. 37).Da es somit schon an den Voraussetzungen für eine ergänzende Vertragsauslegung fehlt, bedarf es keiner Auseinandersetzung mit den Ausführungen des Berufungsgerichts zur Art und Weise der Vertragsergänzung.

Selbst wenn man eine Vertragslücke und eine dadurch bewirkte unzumutbare Härte für den Versorger annehmen wollte, bleibt weiter fraglich, warum die vom Senat laut Rn. 30 gefundene Lösung die einzig denkbare Variante sein soll.

Zitat
BGH, Urt. v. 28.10.09 Az. VIII ZR 320/07 juris Rn. 46:

Diese Rechtsprechung lässt sich aber auf die vorliegende Fallgestaltung schon deshalb nicht übertragen, weil die Parteien im Streitfall keinen von vornherein variablen Preis vereinbart haben. Bei dieser Preisänderungsklausel geht es vielmehr um die in vollem Umfang der AGB-Inhaltskontrolle unterliegende Befugnis der Beklagten zur nachträglichen Änderung eines ursprünglich vereinbarten (festen) Preises (dazu vorstehend unter II 2 a), so dass es bereits an einer in bestimmte Richtung weisenden Grundsatzentscheidung der Parteien zur interessengerechten Schließung der Vertragslücke fehlt.

Offline uwes

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Ich lese aus dieser Entscheidung nicht heraus, dass es in jedem Fall zu einer Vertraganpassung in der hier angewendeten Art und Weise kommen muss. Nicht erfasst sind nämlich diejenigen Fälle, in denen zum Beispiel der Rückforderungsanspruch des Kunden für mehrer Jahre wegen zwischenzeitlich eingetretener Verjährung nicht mehr durchsetzbar ist und deshalb der Versorger die Beträge, die er aufgrund von unberechtigten Preiserhöhungen in der Zeit vor Eintritt der Verjährung erhalten hat, auch behalten kann. In diesen Fällen fehlt es an einem erheblichen Ungleichgewicht innerhalb des Vertrages, so dass eine Vertraganpassung im Wege ergänzender Auslegung nicht erforderlich ist.
Mit freundlichen Grüßen

Uwes
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Herauslesen kann man es nur aus der Entscheidung selbst.

Bei Lichte betrachtet prüft der BGH wohl überhaupt gar nicht erst noch, ob im konkreten Einzelfall  überhaupt eine unzumutbare Härte vorliegt.
Auch das erscheint ja so verwirrend an der Entscheidung.

An keiner Stelle ist aus der Entscheidung herauszulesen, dass in diesem Verfahren geprüft wurde, ob überhaupt eine unzumutbare Härte für den Versorger vorliegt und eine solche unzumutbare Härte in den Vorinstanzen festgestellt wurde.

Das schließt freilich nicht absolut aus, dass eine solche Feststellung in den Vorinstanzen

AG Hamburg-Bergedorf, Entscheidung vom 25.05.2010 - 410A C 205/09 -
LG Hamburg, Entscheidung vom 18.02.2011 - 320 S 129/10 -
 
etwaig - von der Revision unangefochten - getroffen wurde.
Sie ist aber jedenfalls in der Entscheidung des BGH nicht ersichtlich.  
 
Nach Zurückverweisung allein zu prüfen sei vom Berufungsgericht, wann die maßgebliche Rechnung zugegangen war, gegen welche noch kein Widerspruch innerhalb einer Dreijahresfrist erhoben wurde und welcher Preis deshalb nach der geoffenbarten neuen Lehre gelten und deshalb geschuldet sein soll.

Zitat
Welchen Arbeitspreis die Klägerin ihrem Zahlungsanspruch zugrunde legen kann, hängt davon ab, wann dem Beklagten die einzelnen Jahresabrechnungen der Klägerin zugegangen sind und gegen welche der darin enthaltenen Preiserhöhungen der Widerspruch des Beklagten vom 12. Juli 2005 somit noch rechtzeitig innerhalb der bezeichneten Dreijahresfrist erfolgt ist. Hierzu hat das Berufungsgericht - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen getroffen.

Die Sache ist, da der Rechtsstreit nicht zur Endentscheidung reif ist, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit die erforderlichen Feststellungen zum Zugang der Jahresabrechnungen getroffen werden können (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Offline uwes

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Zitat
Original von RR-E-ft
Bei Lichte betrachtet prüft der BGH wohl überhaupt gar nicht erst noch, ob im konkreten Einzelfall  überhaupt eine unzumutbare Härte vorliegt.

Ich meine, der Senat hat in der Entscheidung 93/11 eine Abgrenzung vorgenommen.
Er führt hier aus:
Zitat
Offen gelassen hat der Senat die - im Streitfall entscheidungserhebliche -  Frage, ob eine nicht mehr hinnehmbare Störung des Vertragsgefüges dann anzunehmen  ist,  wenn  es  sich  um  ein  langjähriges  Gasversorgungsverhältnis  handelt, der betroffene Kunde den Preiserhöhungen und den darauf basierenden  Jahresabrechnungen  über  einen  längeren  Zeitraum  nicht  widersprochen  hat  und  nunmehr  auch  für  länger  zurück  liegende  Zeitabschnitte  die  Unwirksamkeit  der  Preiserhöhungen  geltend  macht  (Senatsurteil  vom  14.  Juli  2010  - VIII ZR 246/08, aaO Rn. 52). Das ist - wie der Senat in seinem Urteil vom heutigen Tage (VIII ZR 113/11 unter II 3 b - e) näher ausgeführt hat - zu bejahen.

Die Verschiebung des \"Vertragsgefüges\", die zu einer ergänzenden Vertragsauslegung führt wie entschieden, sieht der Senat offenbar darin, dass längere Zeitabschnitte die Fristen der Verjährung deutlich überschreiten.

Würde der Senat auch für Fälle, in denen Kunden nur die Rückforderung nicht verjährter Überzahlungen verlangten mit den gleichen Maßstäben messen, so würde gerade diese Anwendung dieser Ansciht zugunsten des Versorgungsunternehmens und zu lasten des Kunden das Vertragsgefüge völlig verschieben. Der Versorger könnte nämlich die auf ungerechtfertigten Preiserhöhungen basierenden, lange Jahre widerspruchslos geleisteten Überzahlungen des Kunden behalten und könnte darüberhinaus die Rückzahlung für den nicht verjährten Zeitraum auf der Basis des Anfangspreises verweigern, weil ja (nur) derjenige Preis als vereinbart gelten solle, der drei Jahre vor dem ersten Widerspruch galt. Das würde bei Rückforderungen von Gaspreisen, die erst im Jahre 2011 erhoben wurden zumeist dazu führen, dass der Kunde fast gar nichts zurück erhielte, weil die Preise in diesem Zeitraum  besonders hoch waren. Dass dies auch vom insoweit als \"Versorgerrettungssenat\" zu bezeichnenden VIII. Zivilsenat so nicht gemeint gewesen sein konnte, erschließt sich m.E. problemlos. Es kommt daher nach wie vor darauf an, ob das Festahlten am Vertragspreis eine nicht mehr Hinnehmbare Verschiebung des Vertragsgefüges nach sich ziehen würde mit der Folge, dass erst dann über eine Vertragsanpassung nachgedacht werden müsste.
Mit freundlichen Grüßen

Uwes
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Offline RR-E-ft

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Original von uwes
Die Verschiebung des \"Vertragsgefüges\", die zu einer ergänzenden Vertragsauslegung führt wie entschieden, sieht der Senat offenbar darin, dass längere Zeitabschnitte die Fristen der Verjährung deutlich überschreiten.

Das ist eine Hypothese. Man kann möglicherweise eine Vielzahl solcher Hypothesen bilden.

Es erscheint so bedauerlich wie beklagenswert, wenn die Gerichtsentscheidung des höchsten Zivilgerichts für den  Rechtsanwender so wenig transparent und nachvollziehbar erscheint, dass sie ihn auf \"Kafeesatzleserei\" verweist.  

Der Senat lässt in seiner gedruckt vorliegenden Entscheidung den Grund für die ergänzende Vertragsauslegung schon nicht erkennen, ebensowenig, warum das Ergebnis der ergänzenden Vertragsauslegung dem hypothetischen Parteiwillen entsprechen und keinerlei andere Auslegung in Betracht kommen soll.

Zitat
Offen gelassen hat der Senat die - im Streitfall entscheidungserhebliche - Frage, ob eine nicht mehr hinnehmbare Störung des Vertragsgefüges dann anzunehmen ist, wenn es sich um ein langjähriges Gasversorgungsverhältnis handelt, der betroffene Kunde den Preiserhöhungen und den darauf basierenden Jahresabrechnungen über einen längeren Zeitraum nicht widersprochen hat und nunmehr auch für länger zurück liegende Zeitabschnitte die Unwirksamkeit der Preiserhöhungen geltend macht (Senatsurteil vom 14. Juli 2010 - VIII ZR 246/08, aaO Rn. 52). Das ist - wie der Senat in seinem Urteil vom heutigen Tage (VIII ZR 113/11 unter II 3 b - e) näher ausgeführt hat - zu bejahen.

Der Inhalt der Entscheidung VIII ZR 113/11 unter II 3 b - e), auf die zur Begründung Bezug genommen wird,  ist bisher vom BGH nicht veröffentlicht worden.

Ersichtlich ist bisher allein, dass das Verfahren VIII ZR 113/11 nicht ebenso wie das Verfahren VIII ZR 93/11 den Versorger E.ON Hanse Vertrieb GmbH betraf.
Es kann dabei also wohl denknotwendig nicht um Feststellungen solcher Umstände im konkreten Einzelfall gehen, die für den konkreten Versorger im konkreten Fall eine ihm unzumutbare  Härte bewirken würden.  

Insbesondere warum für den Versorger im konkret entschiedenen Fall einer Zahlungsklage des Versorgers ohne ergänzende Vertragsauslegung eine unzumutbare Härte für den Versorger vorliegen soll, geht aus der Entscheidung selbst jedenfalls nicht hervor.

Zitat
Original von RR-E-ft

Noch bevor ein Rückforderungsanspruch wegen Überzahlung verjährt wäre, könnte er bereits infolge Metamorphose untergegangen sein.

Auch Gerichtsentscheidungen sollen transparent und nachvollziehbar sein.
Sie dürfen nicht den Eindruck erwecken, willkürlich \"gewürfelt\" worden zu sein.

Bei der Bewertung der wissenschaftlichen Leistung eines Examenskandidaten, dessen gefundene Lösung auf einer ergänzenden Vertragsauslegung gründet, kommt es bisher entscheidend darauf an, ob zuvor die Voraussetzungen einer ergänzenden Vertragsauslegung gründlich geprüft wurden.

Hierfür kommt es bisher entscheidend darauf an, ob eine  Vertragslücke besteht, die nicht durch dispositives Recht geschlossen werden kann, und für einen Vertragsteil zu einer unzumutbare Härte führt.

Wenn diese Voraussetzungen vorliegen, dann soll die Lücke durch den hypothetischen Parteiwillen geschlossen werden.
Gemeinhin: Was hätten die Parteien bei Kenntnis der Lücke vernünftiger Weise vereinbart?

Es ist nur allzu verständlich, dass ein nach diesen wissenschaftlichen Grundsätzen ausgebildeter Jurist diese Grundsätze auch in der Rechtsanwendung eines höchsten Zivilgerichts wiederfinden möchte, anderseits die Frage zu stellen wäre, ob diese wissenschaftlich gelehrten und gelernten Grundsätze etwaig überhaupt noch Geltung beanspruchen.

Offline uwes

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RR-E-ft

ich glaube, Sie sehen das zu pessimistisch.
Der Senat führt doch gerade im Hinblick auf das Senatsurteil vom 14. Juli 2010 - VIII ZR 246/08 aus, dass die juristische Bewertung bisher \"offen gelassen\" wurde, wenn (kumulativ)

[list=1]
  • es sich um ein langjähriges Gasversorgungsverhältnis handelt,
  • der betroffene Kunde den Preiserhöhungen und den darauf basierenden Jahresabrechnungen über einen längeren Zeitraum nicht widersprochen hat und
  • nunmehr auch für länger zurück liegende Zeitabschnitte die Unwirksamkeit der Preiserhöhungen geltend macht.
  • [/list=1]

    Das hat er jetzt entschieden. Damit hat er aber seine bisherige Ansicht, in den Fällen, die die unter 1.-3. genannten Besonderheiten nicht aufwiesen, aber auch nicht aufgegeben, denn er nimmt eindeutig eine Abgrenzung vor, die allerdings nicht sehr konkret ist. Da stimme ich zu. Allerdings sehe ich die Unterschiede im wesentlichen in der Frage der \"Verschiebung des Vertragsgefüges\". Eine solche Verschiebung kann eigentlich nicht wirklich vorliegen, wenn der Kunde für einen Zeitraum von 3 Jahren rückwirkend eine Rückzahlung begehrt, der Vertragsanfangspreis aber schon Jahre zuvor vereinbart war.
Mit freundlichen Grüßen

Uwes
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