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Autor Thema: BGH, Urt. v. 14.03.12 VIII ZR 93/11 Zahlungsklage E.ON Hanse gegen Gas- Sonderkunde  (Gelesen 16469 mal)

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Offline RR-E-ft

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Es geht doch nicht darum, etwas optimistisch oder pessimistich zu sehen. Es geht darum, die Entscheidung zu lesen und objektiv zu sehen, was in ihr selbst geschrieben steht.

Da sieht man zunächst, dass es um eine Zahlungsklage des Versorgers ging.
Ferner sieht man recht deutlich, dass die Entscheidung auf einer ergänzenen Vertragsauslegung gründet, die der Senat in der Form erstmals vorgenommen hat.

Alles weitere im Zusammenhang mit dieser ergänzenden Vertragsauslegung bleibt bisher nebulös, wie verklärt in einer Wolke.

Zu sehen ist in der bisher gedruckt vorliegenden Entscheidung  jedenfalls nicht, dass Feststellungen über Umstände getroffen wurden, die im konkreten Fall eine unzumutbare Härte für den Versorger begründen, und deshalb die Voraussetzungen einer ergänzenden Vertragsauslegung vorlagen (vgl. noch BGH, Urt. v. 13.01.10 Az VIII ZR 81/08 Rn. 29), ferner dass die ergänzende Vertragsauslegung dem  hypothetischen Parteiwillen entsprach und keinerlei andere Auslegung in Betracht kam (vgl. noch BGH, Urt. v. 28.10.09 Az. VIII ZR 320/07 Rn. 46).

Dass es sich um ein langjähriges Vertragsverhältnis handelt und der Kunde langjährig einseitigen Preiserhöhungen nicht widersprochen hatte, kann dabei  für den Versorger allein jedenfalls noch keine unzumutbare Härte begründen,
 etwa wenn die dem Versorger durch die Belieferung entstehenden  Kosten gegenüber dem Vertragsbeginn überhaupt nicht gestiegen waren bzw. im streitgegenständlichen Zeitraum jedenfalls nicht mehr höher lagen als schon bei Vertragsbeginn.

Feststellungen über solche Umstände, die für den Versorger deshalb eine unzumutbarte Härte begründen können,  lässt die Entscheidung jedenfalls schon nicht erkennen und solche Feststellungen können sich jedenfalls auch nicht durch Verweisung auf die andere Entscheidung vom selben Tage ergeben.

Zitat
Original von uwes

Würde der Senat auch für Fälle, in denen Kunden nur die Rückforderung nicht verjährter Überzahlungen verlangten mit den gleichen Maßstäben messen, so würde gerade diese Anwendung dieser Ansciht zugunsten des Versorgungsunternehmens und zu lasten des Kunden das Vertragsgefüge völlig verschieben. Der Versorger könnte nämlich die auf ungerechtfertigten Preiserhöhungen basierenden, lange Jahre widerspruchslos geleisteten Überzahlungen des Kunden behalten und könnte darüberhinaus die Rückzahlung für den nicht verjährten Zeitraum auf der Basis des Anfangspreises verweigern, weil ja (nur) derjenige Preis als vereinbart gelten solle, der drei Jahre vor dem ersten Widerspruch galt.

Genau das soll doch Inhalt der Entscheidung vom 14.03.12 Az. VIII ZR 113/11 sein, wo es nur um unverjährte Rückforderungsansprüche ging.

Offline RR-E-ft

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Zitat
Original von RR-E-ft
Im Kern ging es darum, dass der Vertrag keine wirksame Preisanpassungsklausel enthält.
Deshalb mag der Vertrag eine Vertragslücke aufweisen oder auch nicht (vgl. nur BGH , Urt. v. 28.10.09 Az. VIII ZR 320/07, juris Rn. 46).


Zitat
BGH, Urt. v. 01.02.84 Az. VIII ZR 54/83

Die Lücke in einem Vertrag, der durch die Unwirksamkeit einer Klausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen entsteht, kann im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung geschlossen werden, wenn konkrete gesetzliche Regelungen zur Ausfüllung der Lücke nicht zur Verfügung stehen und die ersatzlose Streichung der unwirksamen Klausel nicht zu einer angemessenen, den typischen Interessen des Klausel Verwenders und des Kunden Rechnung tragenden Lösung führt.

Man könnte meinen, dass es um die Schließung dieser Lücke im Regelungsplan  nicht ging.

Zitat
BGH, Urt. v. 18.07.07 Az. VIII ZR 227/06

Grundsätzlich sind auch Allgemeine Geschäftsbedingungen in Fällen, in denen eine Lücke in vorformulierten Verträgen nicht auf AGB-rechtlichen Einbeziehungs- oder Inhaltskontrollschranken beruht, einer ergänzenden Auslegung zugänglich (BGHZ 92, 363, 370; 103, 228, 234; 117, 92, 98; 119, 305, 325; Senatsurteil vom 22. Dezember 2003   VIII ZR 90/02, WM 2004, 748 = NJW-RR 2004, 262, unter II 2 a, m.w.N.). Dabei ist ein objektiv-generalisierender Maßstab zugrunde zu legen, der sich am Willen und Interesse der typischerweise an Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrskreise auszurichten hat (BGHZ 119, 305, 325; Senatsurteil vom 22. Dezember 2003, aaO). Von diesen Grundsätzen ist das Berufungsgericht zutreffend ausgegangen.

Voraussetzung für eine ergänzende Auslegung ist, wie das Berufungsgericht ebenfalls richtig gesehen hat, dass der Vertrag unter Zugrundelegung des Regelungskonzeptes der Parteien eine Lücke aufweist, die geschlossen werden muss, um den Regelungsplan der Parteien zu verwirklichen (BGH, Urteil vom 1. Juni 2005   VIII ZR 234/04, WM 2005, 1863 = NJW-RR 2005, 1421, unter II 2 b; Urteil vom 13. Mai 1993   IX ZR 166/92, NJW 1993, 2935, unter III 2 b). Schon daran fehlt es hier.

Dass die Regelung, die vom Senat genannt wurde, jedenfalls nicht an die Stelle einer unwirksamen Preisänderungsklausel treten kann, um den Regelungsplan zu verwirklichen, der mit einer Preisänderungsklausel verfolgt wird, sollte ohne Weiteres erkennbar sein.

Vernünftigerweise hätte sich der Versorger anstelle einer unwirksamen Preisänderungsklausel wohl nicht auf eine Regelung eingelassen, wonach  alle einseitigen Preisänderungen jedenfalls unwirksam sind, wenn nur innerhalb von drei Jahren ab Rechnungszugang Widerspruch eingelegt wird; anders gewendet: einseitige Preisänderungen allenfalls erst rückwirkend wirksam werden können, wenn nicht innerhalb von drei Jahren ab Rechnungszugang Widerspruch vom Kunden erhoben wird, mithin auf die Dauer von drei Jahren aufschiebend bedingt sind.

Der betroffene Kunde hätte demnach jeweils für die Dauer von drei Jahren einen auflösend bedingten Rückforderungsanspruch.  

Eine These:

Es handelt sich bei der ergänzenden Vertragsauslegung um den Versuch, diejenige Lücke im Vertrag zu schließen, die überhaupt erst dadurch entsteht, dass sich eine andere Lücke im Vertrag, welche ihrerseits  infolge einer fehlenden oder unwirksamen Preisänderungsklausel entsteht, nicht im Wege ergänzender Vertragsauslegung schließen lässt.

Es geht nicht um Preisanpassungen, die Gegenstand eines Regelungsplanes der Parteien waren, sondern vielmehr um die Geltendmachung der Unwirksamkeit von Preiserhöhungen, welche selbst schon nicht Gegenstand des Regelungsplanes der Parteien war.

Dieser These steht jedoch der Wortlaut der Entscheidung entgegen.


Zitat
BGH, Urt. v. 14.03.12 Az. VIII ZR 93/11, juris Rn. 24 ff:

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist der Berechnung des Zahlungsanspruchs der Klägerin jedoch nicht der bei Vertragsschluss geschuldete Anfangspreis zugrunde zu legen. Dies ergibt sich aus einer ergänzenden Vertragsauslegung (§§ 157, 133 BGB) des Versorgungsvertrages, deren Voraussetzungen das Berufungsgericht zu Unrecht verneint hat und die dazu führt, dass sich der Beklagte nicht darauf berufen kann, nur zur Zahlung des ursprünglich vereinbarten Anfangspreises verpflichtet zu sein.

Beide Parteien waren sich bei Vertragsschluss einig, dass der vereinbarte (Anfangs-)Preis nur zu Beginn des Versorgungsverhältnisses gelten und bei späteren Änderungen der Preise auf dem Wärmemarkt ein anderer Preis geschuldet sein sollte. Da die von ihnen vereinbarte Preisänderungsklausel der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB (Art. 229 § 5 Satz 2 EGBGB) nicht standhält, ist im Regelungsplan der Parteien eine Lücke eingetreten (Senatsurteil vom heutigen Tage - VIII ZR 113/11 unter II 3 mwN, zur Veröffentlichung bestimmt).

Diese Lücke im Vertrag ist im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung gemäß §§ 157, 133 BGB in der Weise zu schließen, dass der Beklagte die Unwirksamkeit derjenigen Preiserhöhungen, die zu einem den vereinbarten Anfangspreis übersteigenden Preis führen, nicht geltend machen kann, wenn er sie nicht innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren nach Zugang der jeweiligen Jahresabrechnung, in der die Preiserhöhung erstmals berücksichtigt worden ist, beanstandet hat.

Mit anderen Worten:

Diese Lücke im Vertrag ist im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung gemäß §§ 157, 133 BGB in der Weise zu schließen, dass die Klägerin die Wirksamkeit derjenigen Preiserhöhungen, die zu einem den vereinbarten Anfangspreis übersteigenden Preis führen, immer erst geltend machen kann, wenn der Beklagte  sie nicht innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren nach Zugang der jeweiligen Jahresabrechnung, in der die Preiserhöhung erstmals berücksichtigt worden ist, beanstandet hatte?!!!

Aus genannten Gründen kann diese Regelung wohl weder den Interessen des Versorgers noch den Interessen des Kunden entsprechen, so dass nichts dafür ersichtlich ist, dass sich die Parteien redlicherweise gerade auf diese Regelung  eingelassen hätten und diese vereinbart hätten, um einen bestimmten Regelungsplan zu verwirklichen.

Möglicherweise ist es so, dass der Senat keinen Plan von den Interessen der Parteien bei Abschluss eines unbefristeten Energielieferungsvertrages hat.

Offline RR-E-ft

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Dem Senat ging es laut Urt. v. 14.03.12 Az. VIII ZR 113/11 nicht darum, eine wirksame Preisänderungsklausel in den Vertrag zu implementieren, da dies dem Verbot der geltungserhaltenden Reduktion zuwider gelaufen wäre.

Der bereicherungsrechtliche Rückforderungsanspruch wird dem Grunde nach bestätigt, jedoch der Höhe nach beschränkt.

 

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