AG Rheine, Urt. v. 23.12.11 Az. 10 C 263/10Nach der Überzeugung des AG Rheine handelt es sich bei der beklagten Partei um einen grundversorgten Tarifkunden, der Klägerin habe ein einseitiges Preisänderungsrecht zugestanden, eine Billigkeitskontrolle sei ausgeschlossen bei der Möglichkeit des Anbieterwechsels, die Preisänderungen entsprächen auch der Billigkeit.
Die Entscheidung ist berufungsfähig.
Zunächst hätte wohl die Frage beantwortet werden müssen, welcher Preis denn überhaupt zunächst
vereinbart gewesen sein soll.
Wenn die Klägerin den Kunden nach eigenem Bekunden immer wieder neu nachträglich in eines ihrer parallel nebeneinander bestehenden
Preismodelle einsortierte, kann wohl der schlussendliche Preis für den Gasbezug im Zeitpunkt des Bezuges noch gar nicht festgestanden haben.
Ein solches Vorgehen des Versorgers erscheint allenfalls dann zlässig, wenn vertraglich vereinbart wurde, dass der Gasversorger nach Vertragsabschluss den Preis erst -und sodann immer wieder neu - bestimmen soll. Nach der Rechtsprechung des BGH soll ein Tarifkundenvertrag hingegen dadurch geprägt sein, dass sich Kunde und Versorger auf einen bestimmten, festehenden Allgemeinen Tarif einigen (vgl. BGH, Urt. v. 13.06.07 VIII ZR 36/06 Rn. 32).
Dass Gericht hatte sodann zu prüfen, ob überhaupt ein Preisänderungsrecht zugunsten des Versorgers bestand.
Soweit das Gericht hierfür auf ein gesetzliches Preisänderungsrecht aus § 4 AVBV/ 5 GVV abstellt, erscheint die Prüfung zu kurz geraten.
Es wurde soweit ersichtlich nicht berücksichtigt, dass die Wirksamkeit dieser Normen mit Rücksicht auf EU- Recht in Frage steht und diese Rechtsfrage deshalb mehrfach dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt wurde (BGH, B. v. 18.05.11 VIII ZR 71/10 und B. v. 29.06.11 VIII ZR 211/10).
Das Gericht meint gar, die Billigkeitskontrolle sei ausgeschlossen, wenn der Kunde die Möglichkeit eines Lieferantenwechsels habe, und beruft sich dafür auf eine Entscheidung des LG Münster vom 13.07.2010 - 6 S 70/09.
Dabei ist dem Gericht offensichtlich der
BGH, B. v. 29.06.11 Az. VIII ZR 211/10 verborgen geblieben, in welcher auf die zitierte Entscheidung des LG Münster im Revisionsverfahren klargestellt wurde, dass es streitentscheidend auf die Wirksamkeit des gesetzlichen Preisänderungsrechts und die Billigkeit ankommt.
BGH, B. v. 29.06.11 VIII ZR 211/10 Rn. 17:
Ist einem Energieversorger aufgrund Gesetzes oder vertraglicher Vereinbarung ein Preisanpassungsrecht eingeräumt, so unterliegt eine auf der Grundlage dieses Rechts erfolgte Preiserhöhung als einseitige Leistungsbestimmung der gerichtlichen Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB, sofern und soweit es sich nicht um vereinbarte Preise handelt (st. Rspr. des Senats; zuletzt Beschlüsse vom 18. Mai 2011 - VIII ZR 71/10, aaO unter III 2 a; vom 9. Februar 2011 - VIII ZR 162/09, WM 2011, 850 Rn. 18; jeweils mwN).
Den Regelungen in § 4 Abs.1 und 2 AVBGasV, § 5 Abs. 2 StromGVV, § 4 Abs. 1 und 2 AVBEltV, § 5 Abs. 2 StromGVV kann jeweils entnommen werden, dass Energieversorgungsunternehmen das Recht zusteht, Preise nach billigem Ermessen zu ändern.
Davon ist offenbar auch das Berufungsgericht ausgegangen. Es hat darüber hinaus ohne Rechtsfehler angenommen, dass es sich bei den ab 2005 von der Beklagten verlangten Preisen nicht um vereinbarte Preise handelt, da der Kläger die jeweiligen Jahresabrechnungen der Beklagten beanstandet und die (erhöhten) Preise nur noch unter Vorbehalt gezahlt hat. Dem weiteren Strom- und Gasbezug durch den Kläger konnte daher nicht der Erklärungswert zukommen, er sei mit den (erhöhten) Preisen einverstanden.
Ebenso verborgen geblieben sein wird dem Amtsgericht die Entscheidung
OLG Stuttgart, Urt. v. 30.12.10 Az. 2 U 94/10, juris, die anhand der Rechtsprechung des BGH belegt, dass die gesetzliche Regelung dem grundversorgten Kunden Anbieterwechsel und Billigkeitskontrolle als gleichwertige Alternativen eröffnet.
BGH, Urt. v. 15.07.09 VIII ZR 56/08 Rn. 36:
Im Gesamtzusammenhang gewährleisten die Vorschriften damit, dass dem Grundversorgungskunden im Falle einer Preisänderung zwei Alternativen offen stehen. Er kann entweder am Vertrag festhalten und die Preisänderung gemäß § 315 BGB auf ihre Billigkeit hin überprüfen lassen. Oder er kann sich spätestens gleichzeitig mit dem Wirksamwerden der Preisänderung vom Vertrag lösen und den Anbieter wechseln.
Für die Billigkeit der Preisänderungen stützte sich das Gericht auf das sachverständige Zeugnis eines Wirtschaftsprüfers, der im Auftrag des Versorgers die Preisänderungen außerhalb des Prozesses untersucht haben soll. Diesen hatte das Unternehmen wohl selbst gewählt, beauftragt und bezahlt.
Das Gericht verweigerte der beklagten Partei den Gegenbeweis durch Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens, weil der Versorger hierfür Daten hätte offen legen müssen, die grundgesetzlich geschützte Betriebsgeheimnisse darstellen.
Dabei hat das Gericht jedenfalls die Möglichkeiten verkannt, die ermöglichen, dass solche Daten nur dem vom Gericht bestellten, zur Verschwiegenheit verpflichteten Sachverständigen und dem Gericht zur Kenntnis gelangen.
Es erscheint möglich, dass das Gericht hierdurch gegen die Grundsätze eines fairen Verfahrens und der Waffengleichheit verstoßen hat, die Entscheidung deshalb insgesamt auch auf diesem Makel gründet.