Energiepreis-Protest > Gerichtsurteile zum Energiepreis-Protest
BGH, B. v. 18.05.11 VIII ZR 71/10 EuGH- Vorlage: § 4 AVBGasV wirksam?
tangocharly:
..... und schließlich auch das Folgende nicht vergessen:
--- Zitat ---d. über ein breites Spektrum an Zahlungsmodalitäten verfügen können. Die Unterschiede in den Vertragsbedingungen spiegeln die Kosten wider, die dem Lieferanten durch die unterschiedlichen Zahlungssysteme entstehen. Die allgemeinen Vertragsbedingungen müssen fair und transparent sein. Sie müssen klar und verständlich abgefasst sein. . Die Kunden müssen gegen unfaire oder irreführende Verkaufsmethoden geschützt sein;
--- Ende Zitat ---
.
Das gilt auch für die AVB\'s, denn wenn sich Transparenz erst aus dem \"Maßstab der Billigkeit\" ergeben soll, dann kann man gleich \"Kloßbrühe zu klarem Quellwasser\" küren.
RR-E-ft:
Die Allgemeinen Preise der Grundversorgung sollen angemessen sein.
Maßstab dafür ist die gesetzliche Verpflichtung aus §§ 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 EnWG (so schon BGH, Urt. v. 02.10.91 VIII ZR 240/90 = NJW-RR 92, 183 unter III. 1).
Die Angemessenheit der vom Versorger festzusetzenden und zu veröffentlichenden Allgemeinen Preise bzw. deren Billigkeit hat mit Transparenz grundsätzlich nichts zu tun.
Preistransparenz in den Preisveröffentlichungen - wie oben ausgeführt - erschwert indes unangemessene Preisgestaltungen.
Schließlich lassen sich dann auch die Allgemeinen Preise verschiedener Grundversorger überhaupt erst miteinander vergleichen.
In der Grundversorgung geht es zudem nicht um die einseitige Änderung vereinbarter Preise, sondern immer um die Erfüllung der gesetzlichen Preisbestimmungspflicht durch den Versorger (so jedenfalls Fricke, ZNER 15/2/2011, S. 130 ff.).
energienetz:
Herr Professor Markert, Sie gelten als Experte auf dem Gebiet des Energierechts und haben die rechtlichen Auseinandersetzungen der vergangenen Jahre sehr genau verfolgt und insbesondere die Entscheidungen des BGH ständig kritisch kommentiert. Neben der Frage, ob Preiserhöhungen der Billigkeit entsprechen, geht es auch um die Berechtigung der Versorger zur einseitigen Änderung der Preise. Für Tarifkunden wurde dieses Recht stets mit einer gesetzlichen Berechtigung zur Preisänderung begründet. Selbst der Bundesgerichtshof ist sich nun hier nicht mehr ganz sicher und hat diese Frage dem Europäischen Gerichtshof zur Entscheidung vorgelegt (Beschluss vom 18. Mai 2011 VIII ZR 71/10). Wie bewerten Sie diesen Vorlagebeschluss?
Für Sondervertragskunden hatte der BGH bereits am 9. Februar 2011 beim EuGH angefragt, ob das Preisanpassungsrecht der Gasversorger mit den Transparenzanforderungen des EU-Rechts vereinbar ist. (Beschluss vom 9. Februar 2011, VIII ZR 162/09). Von daher ist die jetzige Vorlage an den EuGH für die Tarifkundenversorgung nur konsequent. Der BGH räumt selbst ein, dass die Vorschrift des § 4 Abs. 1 und 2 der AVBGasV – und auch die Nachfolge-Regelung in § 5 Abs. 2 der GasGVV - über Anlass, Voraussetzungen und Umfang eines einseitigen Leistungsbestimmungsrechts des Versorgers keinerlei Aufschluss gibt. Sie genügt damit schon nicht den Anforderungen, welche die deutsche höchstrichterliche Rechtsprechung an die Transparenz von Preisanpassungsklauseln stellt. Dies muss dann erst recht für die noch strengeren Transparenzanforderungen der EU-Binnenmarktrichtlinie Gas (Art. 3 und Anhang A Buchstabe c)) gelten. Die Aussicht, dass der EuGH das ebenso sieht, bewerte ich deshalb als sehr gut. Gleiches trifft übrigens auch für das vom BGH aus § 5 Abs. 2 der GasGVV gefolgerte Preisbestimmungsrecht in der Gasgrundversorgung und auch für die Stromversorgung zu.
Was bedeutet dieser Beschluss nun konkret für Verbraucher in der Grundversorgung, die von einer Preiserhöhung betroffen sind?
Solange der EuGH die Vereinbarkeit des Preisbestimmungsrechts für die Versorgung sowohl von Tarif- bzw. Grundversorgungskunden als auch von Sonderkunden nicht festgestellt hat, dürfen die auf dieses Recht gestützten einseitigen Preiserhöhungen gerichtlich nicht mehr durchgesetzt werden. Die Gerichte müssen vielmehr bei Zahlungsklagen der Versorger ihr Verfahren ebenso wie der Bundesgerichtshof bis zur Entscheidung des EuGH aussetzen.
Was sollen Verbraucher also konkret tun?
Sie können die Zahlung des Erhöhungsbetrages verweigern, ohne eine Liefersperre riskieren zu müssen. Jedenfalls sollten sie unter Berufung auf die Vorlagen an den EuGH der Erhöhung widersprechen und nur unter Vorbehalt zahlen.
Welches Risiko birgt dies und wie sind die Erfolgschancen?
Eine Zahlung unter Vorbehalt hat keinerlei Risiko. Selbst wenn die Erhöhungsbeträge mit genannter Begründung nicht gezahlt würden, wäre hier eine Liefereinstellung des Versorgers unzulässig. Sollte der EuGH allerdings wider Erwarten die Vereinbarkeit des Preisbestimmungsrechts der Versorger mit den Transparenzanforderungen des EU-Rechts bestätigen, müsste der Erhöhungsbetrag und eventuelle Gerichts- und Anwaltskosten dann nachgezahlt werden, sofern die Erhöhung auch billigem Ermessen nach § 315 BGB entspricht.
Der BGH hat eindeutig erklärt, dass § 5 GasGVV ein gesetzliches Preiserhöhungsrecht begründet. Alle Grundversorger stützen sich bei ihren Preiserhöhungen auf diese Vorschrift. Würde dies vom EuGH verworfen werden, dann müsste dies auch für Preiserhöhungen in der Vergangenheit gelten. Die Kunden könnten dann ihr Geld zurückfordern. Ein so weitgehender Beschluss des EuGH halte ich für sehr unwahrscheinlich, weil er unabsehbare Konsequenzen hätte.
Wenn der EuGH das vom BGH aus § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV und § 5 Abs. 2 GasGVV gefolgerte gesetzliche Preisanpassungsrecht der Tarifkunden- bzw, Grundversorger für EU-rechtswidrig hält, gilt das selbstverständlich auch für die Vergangenheit. Bei schon jetzt darauf gestützten Rückforderungsklagen von Verbrauchern wäre allerdings das Verfahren ebenso bis zur Entscheidung des EuGH auszusetzen wie bei Zahlungsklagen von Versorgern. Also vorerst keine „unabsehbaren Konsequenzen“. Im Übrigen wäre bei einem für die Verbraucher positiven EuGH-Urteil auch noch die dreijährige Verjährung von Rückforderungsansprüchen von Verbrauchern zu beachten. Die Situation wäre damit insgesamt nicht anders als bei unwirksamen Preisanpassungsklauseln in Sonderkundenverträgen, wie man jetzt am Beispiel der EWE ersehen kann, die das offenbar überlebt.
Das Interview führte Aribert Peters
RR-E-ft:
Das sehe ich anders.
Der Grundversorger ist grundsätzlich nicht zur ordentlichen Kündigung berechtigt, weshalb es eine ergänzende Vertragsauslegeung geben müsste. Rückforderungsansprüche wären deshalb nicht automatisch die Folge.
Zudem geht es bei den gesetzlichen Regelungen, die der deutsche Gesetzgeber für die Grundversorgung geschaffen hat, nicht um ein gesetzliches Preisänderungsrecht (wovon der BGH ausgeht), sondern von Anfang an um eine gesetzliche Preisbestimmungspflicht, siehe oben.
Die deutsche gesetzliche Regelung der §§ 36 Abs. 1, 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 EnWG iVm. § 5 GVV berechtigt den Versorger nämlich nicht allein, im Umfange gestiegener Kosten die Preise zu erhöhen, dies dem Kunden so rechtzeitig vorher mitzuteilen, dso ass dieser sich vor Wirksamwerden aus dem Vertragsverhältnis lösen kann.
Sie verpflichtet den Grundversorger vielmehr auch von Anfang an zu Preisanpassungen zugunsten der Kunden, gerade weil der Allgemeine Preis von Anfang an gesetzlich an den Maßstab der Billigkeit gebunden ist. Dies war auch schon bei der gesetzlichen Preisbestimmungspflicht gem. § 6 Abs. 1 EnWG 1935 bzw. 10 Abs. 1 EnWG 1998 iVm. § 4 AVBV der Fall.
Möglicherweise erkennt der EuGH das Wesen der gesetzlichen Preisbestimmungspflicht nach deutschem Recht.
tangocharly:
Unterstellen wir einmal, es wäre in § 6 EnWG-35 oder § 10 EnWG-78 geregelt gewesen: \"der Allgemeine Preis (ist) von Anfang an gesetzlich an den Maßstab der Billigkeit gebunden.\"
Dann frägt man sich doch, warum dies (nach Öffnung der Energiemärkte 1998 ) im Jahre 2005 bei der Novellierung des EnWG (§ 36) geändert (gestrichen) worden sein sollte.
Nur, sowohl in § 6 EnWG-35 als auch in § 10 EnWG-78 findet sich keine Regelung, welche besagt: \"... von Anfang an ....\".
Also handelt es sich bei dieser Determinante um eine richterliche Rechtsfortbildungsmaßnahme, welche der BGH aus dem Willen des Gesetzgebers durch Auslegung abgeleitet hatte (sog. ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal).
Da der jüngere VIII. Senat diese Determinante nicht mehr sieht, weil § 315 BGB auf den vereinbarten Preis nicht anwendbar ist, so frägt man sich weiter, warum das seit der Rspr. des VIII. Senats seit 2007 nun plötzlich anders sein sollte.
Die Bestimmungen des § 315 BGB wurden in den letzten Jahren gesetzgeberisch nicht in die Hände genommen, ebenso wenig bei der Großen Schuldrechtsmodernisierungsreform 2002.
Im Jahre 2007 erfand der VIII. Senat die energiewirtschaftsrechtliche Landplage des sogenannten \"Anfangs-/Sockelpreises\" - und plötzlich war für die Energieversorgungswirtschaft die Welt wieder in Ordnung (\"Unten Verluste generieren - Oben Gewinne einsacken\").
Indem der BGH im Jahre 2007 dem Energieversorgungsvertragsverhältnis eine neue Kontur gegeben hat und sich dabei mit dem Inhalt und den Schranken des § 315 BGB detailliert auseinander gesetzt hatte, sollte damit (war das sein Ziel ?) eine jahrzehntelange höchstrichterliche RSpr. korrigiert werden, die die Schranken des § 315 BGB ignoriert (verkannt) hätte ?
Kann eigentlich nicht sein, weil dies schon das Reichsgericht im Jahre 1925 mit § 315 BGB zum Tragen gebracht hatte und zwar mit einem Gesetzeswortlaut, der damals wie heute gleichlautet.
Dem Normgeber der Gas-RiLi dürfte es relativ Wurst gewesen sein, ob es in der BRD einen § 315 BGB gibt, welcher angeblich auf den \"Anfangs-/Sockelpreis\" nicht ansprechen soll.
Anhang A lit c. spricht ja vom \"geltenden Preis\", welcher Transparenz aufweisen muß. Will man dies gemeinschaftsrechtlich konform umsetzen, dann müßte § 36 Abs. 1 EnWG eigentlich lauten:
--- Zitat ---(Abs. 1, Satz 1)Energieversorgungsunternehmen haben für Netzgebiete, in denen sie die Grundversorgung von Haushaltskunden durchführen, Allgemeine Bedingungen und dem Maßstab der Billigkeit entsprechende, transparente Allgemeine Preise für die Versorgung in Niederspannung oder Niederdruck öffentlich bekannt zu geben und im Internet zu veröffentlichen und zu diesen Bedingungen und Preisen jeden Haushaltskunden zu versorgen.
--- Ende Zitat ---
Damit wäre sicher gestellt, dass eben schon der veröffentlichte Allgemeine Preis dem \"Maßstab der Billigkeit\" transparent entsprechen muß und ein Krückensystem von (vereinbarten) Anfangs-/Socklepreisen spielte für die weiteren Billigkeitsprüfungen im Rahmen der Überprüfung von Energiepreisen keine Rolle mehr (ganz abgesehen davon, dass dies bis in Jahr 2007 in der höchstrichterlichen Rspr. ja auch keine Rolle gespielt hatte).
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