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BGH, B. v. 18.05.11 VIII ZR 71/10 EuGH- Vorlage: § 4 AVBGasV wirksam?
RR-E-ft:
Für die Grundversorgung könnte der Gesetzgeber höhere Transparenzanforderungen an die Preisveröffentlichungen gem. § 36 Abs. 1 EnWG stellen, so dass aus diesen hervorgeht, aus welchen konkret preisbestimmenden Kostenfaktoren sich der einzelne Tarif zusammensetzt und welchen nominalen Anteil diese am Tarifpreis zu welchem Stichtatg haben (Bezugskosten, Netzentgelte einschließlich Kosten der Messung und Abrechnung, Steuern und Abgaben).
Für die betroffenen Kunden muss ersichtlich sein, auf die Entwicklung welcher Kosten es ab welchem Zeitpunkt für Preisneufestsetzungen des Versorgers ankommt, die gem. §§ 36 Abs. 1, 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 EnWG entweder geboten oder gar zwingend sind (Weitergabe per Saldo gesunkener Kosten bei preisbildenden Kostenfaktoren durch Preisanpassungen zugunsten der Kunden).
Wenn man die Möglichkeit ins Auge fasst, dass der EuGH die gesetzlichen Bestimmungen für mit zwingendem EU- Recht unvereinbar und deshalb unwirksam erachtet, stellt sich schließlich die Frage, wie eine dann ggf. bestehende Lücke im Vertragsgefüge auszufüllen sei. Es muss schließlich grundsätzlich möglich sein, dass Versorger gestiegene Kosten an die betroffenen Kunden weiterwälzen, ebenso wie die Verpflichtung bestehen muss, die Preise bei rückläufigen Kosten auch abzusenken.
tangocharly:
In der \"Leitbildentscheidung\" vom 29.04.2008 (KZR 2/07) liest sich das allerdings etwas anders an.
Es ging darum, ob § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV Leitbildfunktion für die streitige Preisänderungsklausel (im Sondervertrag) haben kann, was nicht zutraf.
Die genannte Vorschrift bestimmt (so der Kartellsenat), dass das Gasversorgungsunternehmen zu den jeweiligen allgemeinen Tarifen und Bedingungen Gas zur Verfügung stellt und dass Änderungen der allgemeinen Tarife und Bedingungen erst nach öffentlicher Bekanntgabe wirksam werden.
In der genannten Entscheidung ging es dem Senat (ausschließlich) um den Zeitpunkt der vorzunehmenden Änderung und dabei darum, dass es dem Versorger verboten ist, durch die Wahl der Änderung seinen Gewinn zu steigern (KZR 2/07, Tz. 26).
Er führte dann aus:
--- Zitat ---Tz. 26
Dass die Norm keine Vorgaben zu Zeitpunkt und Inhalt von Preisänderungen nennt, ist jedoch eine unmittelbare Folge des Umstandes, dass Tarifkunden zu den jeweiligen allgemeinen Tarifen und Bedingungen beliefert werden und beliefert werden müssen
--- Ende Zitat ---
.
Dies rechtfertigt sich aus der gesetzlichen Bindung des allgemeinen Tarifs an den Maßstab der Billigkeit (BGHZ 172, 315 Tz. 16 f.), der die Verpflichtung beinhaltet, den Preis zu ändern, wenn dies zugunsten des Kunden sei, weil darin gerade dasjenige zu einer ausgewogenen Regelung notwendige Element gesehen wird.
Somit erschließt sich das o.a. \"Zeitpunkt-Element\" aus dem Maßstab der Billigkeit.
In Tz. 26 wird aber auch noch das \"Inhalts-Element\" angesprochen (über das der Kartellsenat nicht zu entscheiden hatte). Im Kontext gelesen, bedarf nach Auffassung des Kartellsenats die Norm (§ 4 AVB) also auch das \"Inhalts-Element\" keiner Vorgaben (weil dieses irgendwo zwischen Himmel und Erde - im weiten Spielraum der Billigkeit - schwebt ?).
Die Kostenorientierung ergibt sich jedenfalls nicht aus dem Maßstab der Billigkeit (siehe die von @RR-E-ft gerne zitierten Honorare der Patentanwälte - wo ein 20%-iger Spielraum auch noch billig i.S.v. §315 BGB ist).
Es wird höchste Zeit, dass endlich ein Höchstgericht zu dem verpflichtenden Normcharakter einer Anspruchsgrundlage im Allgemeinen und für den Individualfall im Besonderen Stellung nimmt, welche ihre Grundlage im EnWG (§§ 1 u. 2) und/oder in der GasRiLi (Art. 3) findet, welche von den inländischen Gerichten mit bindender Wirkung zur Anwendung gelangen muß.
Dass die AVB (§ 4 ; jetzt § 5 GasGVV) hierzu schweigt, wenn sie in der Rechtsfolgenseite nicht auf eine bindende Norm verweist, kann (muß) ihr eigentlich nur das Genick brechen.
RR-E-ft:
Die Kostenorientierung ergibt sich doch unmittelbar aus der gesetzlichen Preisbestimmungspflicht gem. §§ 36 Abs. 1, 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 EnWG selbst, wenn die jeweilige Preisbestimmung den betroffenen Kunden jeweils eine möglichst preisgünstige leitungsgebundene Versorgung mit Elektrizität bzw. Gas gewährleisten muss (vgl. BGH, Urt. v. 02.10.91 VIII ZR 240/90 = NJW-RR 1992, 183 unter III 2.).
Damit ist auch klar, dass per Saldo gesunkene Kosten bei den preisbildenden Kostenfaktoren zur Preisabsenkung verpflichten, weil sich sonst der Gewinnanteil am konkreten Preis nachträglich erhöht, was gerade nicht der Billigkeit entsprechen kann.
tangocharly:
--- Zitat ---@ RR-Ef-t
Die Kostenorientierung ergibt sich doch unmittelbar aus der gesetzlichen Preisbestimmungspflicht gem. §§ 36 Abs. 1, 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 EnWG selbst, wenn die jeweilige Preisbestimmung den betroffenen Kunden jeweils eine möglichst preisgünstige leitungsgebundene Versorgung mit Elektrizität bzw. Gas gewährleisten muss (vgl. BGH, Urt. v. 02.10.91 VIII ZR 240/90 = NJW-RR 1992, 183 unter III 2.).
--- Ende Zitat ---
Was das angeht, und das zeigen die beiden Vorgänger-Threads mit neuerlichen OLG-Entscheidungen eindrucksvoll, lebt die Praxis nicht nur in völliger Blindheit, sondern in völliger Umnachtung.
Seit Jahrzehnten hat die höchstrichterliche Rechtsprechung die \"das ganze System beherrschenden Grundsätze der energiewirtschaftsrechtlichen Kostenkalkulation\" fest zementiert (siehe die o.a. RSpr).
Wie man insoweit auf die Idee gelangen konnte, dass § 36 EnWG nur das sogenannte \"Ob\" einer leitungsgebundenen Energieversorgung regele und bei dem Rest (§§ 1. u. 2 EnWG) handele es sich um reine Orientierungssätze, welche man \"hoch-halten\", aber deshalb leicht \"unten-durch\" schlüpfen könne, ist schon bemerkenswert.
@ RR-Ef-t hat mit seinem Vorschlag den Nagel auf den Kopf getroffen, d.h. in den § 36 Abs. 1 EnWG einen Zusatz einzufügen, der auf §§ 1. u. 2 EnWG verweist.
Die letzten Haare-Spalter der Nation werden sich dann sicherlich noch an dem Begriff \"möglichst\" in § 1 Abs. 1 EnWG aufhängen. Denn eine verläßliche Rechtsgrundlage braucht eine scharfe Kontur.
RR-E-ft:
Nach der Gesetzessystematik beansprucht die gesetzliche Verpflichtung aus §§ 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 EnWG Beachtung im Rahmen der Vorschriften des Energiewirtschaftsgesetzes,
mithin auch bei der Erfüllung der gesetzliche Preisbestimmungspflicht gem. § 36 Abs. 1 EnWG.
So ist seit sechs Jahren bereits die materielle Rechtslage, wie sie uns der Gesetzgeber vorgibt!
Dem trägt selbst die Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats bereits teilweise Rechnung (vgl. BGH, Urt. v. 19.11.08 VIII ZR 138/07 Rn. 43, juris).
--- Zitat ---BGH, Urt. v. 19.11.08 VIII ZR 138/07 Rn. 43, juris:
Das schließt allerdings nicht aus, dass jedenfalls die Weitergabe solcher Kostensteigerungen im Verhältnis zum Abnehmer als unbillig anzusehen ist, die der Versorger auch unter Berücksichtigung des ihm zuzubilligenden unternehmerischen Entscheidungsspielraums ohne die Möglichkeit einer Preiserhöhung aus betriebswirtschaftlichen Gründen vermieden hätte. Das Recht zur Preiserhöhung nach § 4 AVBGasV kann, wie die Revisionserwiderung zutreffend geltend macht, angesichts der sich aus § 2 Abs. 1, § 1 Abs. 1 EnWG ergebenden Verpflichtung des Energieversorgungsunternehmens zu einer möglichst sicheren, preisgünstigen, verbraucherfreundlichen, effizienten und umweltver-träglichen leitungsgebundenen Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität und Gas nicht dazu dienen, dass es zu beliebigen Preisen einkauft, ohne güns-tigere Beschaffungsalternativen zu prüfen (Markert, RdE 2007, 263, 265; Säcker, ZNER 2007, 114, 115), und im Verhältnis zu seinem Vorlieferanten Preisanpassungsklauseln und -steigerungen akzeptiert, die über das hinausgehen, was zur Anpassung an den Markt und die Marktentwicklung im Vorlieferantenverhältnis erforderlich ist (vgl. zu einer entsprechenden Einschränkung des Änderungsrechts von Banken bei Zinsänderungsklauseln in Kreditverträgen BGHZ 97, 212, 217 ff., 222; 158, 149, 155).
--- Ende Zitat ---
Auch die gesetzliche Verpflichtung zur Preisabsenkung bei rückläufigen Kosten ist in der Senatsrechtsprechung zumindest erkannt (vgl. BGH, Urt. v. 13.01.10 VIII ZR 81/08 Rn. 18, juris),
auch wenn es an den zutreffenden Folgerungen daraus bisher fehlt (Es kann gar keine Preisvereinbarung bestehen, die dieser gesetzlichen Verpflichtung entgegensteht!).
Lediglich zur Klarstellung [auch für den begriffsstutzigsten Rechtsanwender in schwarzer Robe] hatte ich bereits einen Vorschlag unterbreitet.
--- Zitat ---Original von RR-E-ft
Wünschenswert wäre eine Klarstellung § 36 Abs. 1 Satz 2 EnWG:
\"Die Allgemeinen Preise unterliegen der Billigkeitskontrolle gem. § 315 BGB darauf, ob sie unter Beachtung der Verpflichtung aus §§ 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 gebildet wurden.\"
--- Ende Zitat ---
Hinsichtlich der Transparenz der Allgemeinen Preise könnte ein weiterer Satz eingeschoben werden:
\"In allen Preisveröffentlichungen sind sämtliche preisbildenden Kostenbestandteile einzeln anzugeben und deren nominalen Anteile am Allgemeinen Preis nachvollziehbar auszuweisen.\"
Diese Transparenz fordert mittelbar auch der VIII. Zivilsenat des BGH bei der gerichtlichen Billigkeitskontrolle einseitiger Preisbestimmungen auf der Grundlage der gesetzlichen Preisbetimmungspflicht, der ausführt, dass die Beurteilung der Billigkeit jedenfalls die Betrachtung der Entwicklung aller preisbildenden Kostenfaktoren des konkreten Preissockels erfordert (vgl. BGH, Urt. v. 19.11.08 VIII ZR 138/07 Rn. 39, juris).
In seinem neuerlichen Beschluss vom 18.05.11 VIII ZR 71/10 Rn. 16 stellt er wohl heraus, dass er dafür hält, dass nach EU- Recht bereits der Preis zu Beginn transparent und angemessen sein muss.
Und für wahr, so ist es ja bei Lichte betrachtet schließlich auch.
--- Zitat ---ANHANG A Maßnahmen zum Schutz der Kunden Unbeschadet der Verbraucherschutzvorschriften der Gemeinschaft, insbesondere der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (1) und der Richtlinie 93/13/EG des Rates (2), soll mit den in Artikel 3 genannten Maßnahmen sichergestellt werden, dass die Kunden
a. Anspruch auf einen Vertrag mit ihren Anbietern von Gasdienstleistungen haben, in dem Folgendes festgelegt ist:
— Name und Anschrift des Anbieters,
— erbrachte Leistungen und angebotene Leistungs-Qualitätsstufen sowie Zeitbedarf für den Erstanschluss,
— gegebenenfalls die Art der angebotenen Wartungsdienste,
— Art und Weise, wie aktuelle Informationen über alle geltenden Tarife und Wartungsentgelte erhältlich sind,
— Vertragsdauer, Bedingungen für eine Verlängerung und Beendigung der Leistungen und des Vertragsverhältnisses, Vorhandensein eines Rücktrittsrechts,
— etwaige Entschädigungs- und Erstattungsregelungen bei Nichteinhaltung der vertraglich vereinbarten Leistungsqualität, und
— Vorgehen zur Einleitung von Streitbeilegungsverfahren gemäß Buchstabe f). Die Bedingungen müssen gerecht und im Voraus bekannt sein. Diese Informationen müssen in jedem Fall vor Abschluss oder Bestätigung des Vertrags übermittelt werden. Auch bei Abschluss des Vertrags durch Vermittler müssen die oben genannten Informationen vor Vertragsabschluss bereitgestellt werden;
b. rechtzeitig über eine beabsichtigte Änderung der Vertragsbedingungen und dabei über ihr Rücktrittsrecht unterrichtet werden. Die Dienstleister teilen ihren Kunden direkt jede Gebührenerhöhung mit angemessener Frist mit, auf jeden Fall jedoch vor Ablauf der normalen Abrechnungsperiode, die auf die Gebührenerhöhung folgt. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass es den Kunden freisteht, den Vertrag zu lösen, wenn sie die neuen Bedingungen nicht akzeptieren, die ihnen ihr Gasdienstleister mitgeteilt hat;
c. transparente Informationen über geltende Preise und Tarife sowie über die Standardbedingungen für den Zugang zu Gasdienstleistungen und deren Inanspruchnahme erhalten;
d. über ein breites Spektrum an Zahlungsmodalitäten verfügen können. Die Unterschiede in den Vertragsbedingungen spiegeln die Kosten wider, die dem Lieferanten durch die unterschiedlichen Zahlungssysteme entstehen. Die allgemeinen Vertragsbedingungen müssen fair und transparent sein. Sie müssen klar und verständlich abgefasst sein. Die Kunden müssen gegen unfaire oder irreführende Verkaufsmethoden geschützt sein;
e. den Lieferanten ohne Berechnung von Gebühren wechseln können;
f. transparente, einfache und kostengünstige Verfahren zur Behandlung ihrer Beschwerden in Anspruch nehmen können. Diese Verfahren müssen eine gerechte und zügige Beilegung von Streitfällen ermöglichen und für berechtigte Fälle ein Erstattungs- und Entschädigungssystem vorsehen. Sie sollten, soweit möglich, den in der Empfehlung 98/257/EG der Kommission (3) dargelegten Grundsätzen folgen;
g. soweit sie an das Gasnetz angeschlossen sind, über ihre gemäß dem einschlägigen einzelstaatlichen Recht bestehenden Rechte auf Versorgung mit Erdgas einer bestimmten Qualität zu angemessenen Preisen informiert werden.
--- Ende Zitat ---
Durch Gegenüberstellung der aktuellen mit der vorhergehenden Preisveröffentlichung muss demnach ersichtlich werden, bei welchen preisbildenden Kostenfaktoren des Allgemeinen Preises zwischenzeitlich welche Veränderungen eingetreten sein sollen. Dies könnte zugleich die Selbstkontrolle der Versorger stärken, ob ihre Preisänderungen der gesetzlichen Verpflichtung entsprechen.
--- Zitat ---BGH, Urt. v. 13.01.10 VIII ZR 81/08 Rn. 18, juris:
Aus der Bindung des Allgemeinen Tarifs an billiges Ermessen folgt, dass das Preisänderungsrecht des Gasversorgungsunternehmens nach § 4 AVBGasV mit der Rechtspflicht einhergeht, bei einer Tarifanpassung Kostensenkungen ebenso zu berücksichtigen wie Kostenerhöhungen und den Zeitpunkt einer Tarifänderung so zu wählen, dass Kostensenkungen nicht nach für den Kunden ungünstigeren Maßstäben Rechnung getragen wird als Kostenerhöhungen. Die gesetzliche Regelung umfasst daher neben dem Recht des Ver-sorgers zur Preisanpassung auch die Pflicht hierzu, wenn die Anpassung dem Kunden günstig ist (BGHZ 176, 244, Tz. 26; Senatsurteile vom 15. Juli 2009 - VIII ZR 225/07, aaO, Tz. 28, und vom 28. Oktober 2009, aaO, Tz. 29).
--- Ende Zitat ---
.
RA Thomas Fricke, Jena
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