Anmerkung zu vorstehendem Beschluss des Hanseatischen OLG Hamburg vom 09.12.2010.
Die Beendigung des Rechtsstreits wird nun erst einmal verzögert, vielleicht nur etwas. Am Ende wird das Ergebnis jedoch wohl eineutig ausfallen müssen, so wie bereits vor dem LG Hamburg.
Die beabsichtigte Vorgehensweise des Senats erscheint nicht sachdienlich und wird jedenfalls vor dem BGH wohl keinen Bestand haben, weil die damit verbundenen Rechtsfragen allesamt bereits mehrfach entschieden wurden, jeweils mit gutem Grund zu Ungunsten des Gasversorgungsunternehmens.
Insbesondere BGH VIII ZR 274/06 (Regionalgas Euskirchen) betrifft einen Fall, wo die Kl. den Preisänderungen widersprochen und sich dabei nur auf die fehlende Billigkeit berufen hatten. Auch dort hatte das AG Euskirchen eine Billigkeitskontrolle erstinstanzlich abgelehnt, das Berufungsgericht (LG Bonn) eine Billigkeitskontrolle durchgeführt. Der BGH hatte jedoch zurecht ausgeführt, dass es auf deren Ausgang für die Streitentscheidung schon nicht ankommen konnte (BGH VIII ZR 274/06 Rn. 27).
Möglicherweise erledigt sich deshalb schon das ins Auge gefasste Brimborium kurzfristig allein durch eine entsprechende Stellungnahme des Klägervertreters auf diesen Beschluss.
Im Einzelnen:
Voraussetzung für eine ergänzende Vertragsauslegung wäre zunächst, dass die Fortsetzung der Verträge für die Bekl. eine unzumutbare Härte dargestellt hätte.
Das ist schon dann nicht der Fall, wenn sich der Versorger durch ordnungsgemäße Kündigung in überschaubarer Zeit aus dem Vertragsverhältnis lösen konnte (BGH VIII ZR 274/06 Rn. 27; VIII ZR 246/08 Rn. 51, VIII ZR 81/08 Rn. 26 ff.)
Es ist schon nicht ersichtlich, dass es dem Versorger rechtlich nicht möglich gewesen wäre, die betroffenen Vertragsverhältnisse [insbesondere nach den Widersprüchen] ordnungsgemäß zu kündigen. Die besorgte \"schlechte Presse\" ist keinerlei tragfähiges Argument.
Selbst bei einer markbeherrschenden Stellung wäre es der Bekl. nicht verwehrt gewesen, Verträge, die keine wirksamen Preisänderungsbestimmungen enthielten, ordnungsgemäß zu kündigen. Denn auch das Kartellrecht gebietet nicht die Aufrechterhaltung derartiger Verträge mit unwirksamer Preisänderungsklauseln (siehe schon BGH KZR 2/07).
Es ist nichts dafür ersichtlich, dass das Recht zur ordentlichen Kündigung vertraglich ausgeschlossen war (BGH VIII ZR 241/08].
Nur darauf kommt es aber an (BGH VIII ZR 274/06 Rn. 25 f.).
Darauf, ob das Versorgungsunternehmen dazu Veranlassung sah, kommt es nicht an, wenn das Unternehmen nur nach den erfolgten Widersprüchen die rechtliche Möglichkeit dazu hatte. Immerhin hatten die kl. bestritten, dass die Kl. überhaupt zu Preisänderungen berechtigt sei. Sie haben das entsprechende Klauselwerk als unwirksam gerügt und geltend gemacht, dass auch sonst nichts für ein Preisänderungsrecht ersichtlich sei. Darauf, dass die Entscheidung des Landgerichts schlussendlich zu dem ergbenis führe, dass der Bekl. überhaupt ein Preisänderungsrecht in den Vertragsverhältnissen zusteht, konnte die Bekl. nicht vertrauen. Sie musste vielmehr die entsprechenden Risiken aus dem Verfahren von Anfang an und über das gesamte Verfahren hinweg gewährtigen und konnte und durfte insbesondere auch nicht aus einer vorläufigen Rechtsauffassung der Kammer irgendein Vertrauen auf einen bestimmten Ausgang schöpfen, erst recht nicht nach den Entscheidungen des BGH vom 28.04.08 KZR 2/07 und vom 17.12.08 VIII ZR 274/06. Entsprechende Risiken wohnen jedem Prozess von Anfang an inne. (Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt.)
Anders mag es allenfalls möglicherweise dann liegen, so der BGH, wenn Kunden im Falle unwirksamer oder nicht wirksamer Klauseln nach langer Zeit - ohne vorher Preisänderungen widersprochen zu haben - Rückforderungen geltend machen, derer sich das Unternehmen deshalb nicht versehen musste, da es mangels Widersprüchen keine Veranlassung zur Vertragsbeendigung durch ordnungsgemäße Kündigung hatte (BGH VIII ZR 246/08 Rn. 51).
Um einen solchen Fall geht es jedoch vor dem Hanseatischen OLG Hamburg schon nicht. Denn die Kl. hatten Preisänderungen sogar schriftlich widersprochen. Unbeachtlich dürfte auch sein, wenn sie nur die Billigkeit bestritten hätten, denn jedenfalls ergab sich, dass sie die einseitigen Preisänderungen für unwirksam hielten (BGH VIII ZR 274/06 Rn. 27).
Der Senat will erst prüfen, ob eine unzumutbare Härte vorlag, um dann ggf. eine ergänzende Vertragsauslegung vorzunehmen. Es fehlt aber schon deshalb an der unzumutbaren Härte als erster Voraussetzung für eine ergänzende Vertragsauslegung weil die rechtliche Möglichkeit zur ordnungsgemäßen Kündigung bestand.
Ob eine unzumutbare Härte vorlag, will der Senat daran festmachen, ob E.ON seit 01.10.2004 unter der Voraussetzung dass kein Preisänderungsrecht bestand, zu einem Gaspreis an die Kl. liefern musste, der unterhalb des Einstandspreises lag.
Was ist der \"Einstandspreis\"?
Sind es die es die Gasbezugspreise im Einkauf der Bekl. die den Verkaufspreis gegenüber den Kl. überstiegen haben müssen?
Oder soll der Einstandpreis neben den Gasbezugspreisen alle weiter durch die Belieferung der Kl. notwendig abzudeckenden Kosten (Netzkosten, Personalkosten) umfassen?
Wollte man letzteres annehmen, müsste zunächst vorgetragen und unter Beweis gestellt sein, welche Kosten insoweit tatsächlich notwendig entstanden, die jeweils zu Grunde liegende Preiskalkulation vollständig offen gelegt werden.
Entsprechender Vortrag wurde wohl jedoch schon nicht gehalten.
Wurden schon die Anknüpfungstatsachen nicht substantiiert vorgetragen, würde ein gerichtliches Sachverständigengutachten- selbst wenn es als Beweismittel dafür aufgeboten worden wäre - einen unzulässigen Ausforschungsbeweis darstellen.
Zwar wären für die Kl. möglicherweise die seinerzeiteigen Bezugspreise oder gar die Gestehungskosten der Bekl. interessant, indes ist das kein Grund und keine Rechtfertigung für eine entsprechende Beweiserhebung.
Denn:
Selbst wenn man nach alldem dazu käme, dass eine unzumutbare Härte vorgelegen hätte, würde eine ergänzende Vertragsauslegung gleichwohl daran scheitern müssen, weil jedenfalls für die Ausfüllung der Lücke, die der Vertrag hinsichtlich der unwirksamen Preisänderungsklausel aufweist eine Vielzahl von Möglichkeiten in Betracht käme und gerade nicht festgestellt werden kann, auf welche derer mannigfaltigen Möglichkeiten sich die Parteien hypothetisch geeinigt hätten, wenn ihnen die Unwirksamkeit der Klausel und die entsprechende Vertragslücke bekannt gewesen wäre (BGH VIII ZR 320/07 Rn. 46).
Es kann insbesondere nicht davon ausgegangen werden, dass sich die Parteien bei Vertragsabschluss auf eine vertragliche Preisbestimmungspflicht der Bekl. gem. § 315 BGB geeinigt hätten, die ihrerseits der Billigkeitskontrolle unterliegt.
Dafür müsste man zunächst die beim jeweiligen Vertragsabschluss getroffenen Preisvereinbarungen beiseite schieben, was unzulässig ist (BGH VIII ZR 320/07 Rn. 46)
Eine solche vertragliche Preisbestimmungspflicht liefe nicht auf die Wahrung eines ursprünglich vereinbarten Äquivalenzverhältnisses hinaus, sondern auf die Neubestimmung eines solchen. Die Bekl. hätte bei einer solchen wegen §§ 2, 1 EnWG nur Anspruch auf diejenigen Preise gehabt, die einer möglichst preisgünstigen leitungsgebundenen Versorgung mit Gas entsprachen (BGH VIII ZR 240/90 = NJW-RR 92, 183, 184 unter III 1).
Schließlich haben die Parteien auch nicht durch übereinstimmende Willenserklärungen nach Vertragsabschluss neu vereinbart, dass die Bekl. nicht mehr an die ursprünglich bei Vertragsabschluss vereinbarten Preise gebunden sein soll, sondern dieser statt dessen fortan eine vertragliche Preisbestimmungspflicht auferlegt werde (BGH VIII ZR 81/08 Rn. 18].
Auch dafür gibt es wohl keinerlei Anhalt.
Die Bekl. hat wohl schon in dem Verfahren wor dem LG vehement bestreiten lassen, dass diese eine der gerichtlichen Billigkeitskontrolle unterfallende vertragliche Preisbestimmungspflicht träfe.
Sie hat wohl insbesondere (Dres. Kunth und Tüngler sei Dank) ausdrücklich bestritten, dass sie eine vertragliche Preisbestimmungspflicht unter Beachtung von § 1 EnWG trifft, welche sie vertraglich auch zu Preissenkungen verpflichtet.
Entsprechender - entgegenstehender - neuer Vortrag in der Berufung wäre wenn nicht verspätet, so doch jedenfalls widersprüchlich und deshalb unbeachtlich.
Hält das OLG an seinem Beschluss fest, darf E.ON zunächst seine Bezugspreise vortragen, möglicherweise seine weiteren notwendigen Kosten und einen Gerichtskostenvorschuss in Höhe eines sechsstelligen Betrages auf den Tisch legen, damit ein vom Gericht zu bestellender Sachverständige umfangreiche Prüfungen vornähme. Und sollte es nach alldem zu dem Ergbenis kommen, es läge eine unzumutbare Härte vor, müsste es nach seiner jüngsten Auffassung danach zunächst die jeweils angemessenen Preise bestimmen, um diese ggf. hiernach mit dem Klageantrag abzugleichen und danach würde dann erst eine Entscheidung getroffen werden. Sollte das Berufungsurteil dann - eher unwahrscheinlich - zu Lasten der Kl. ausfallen, würde dieses auf Revision der Kl. vom BGH aus genannten Gründen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit wieder aufgehoben werden.
E.ON würde danach nicht nur die Preiskalkulationen offen gelegt und von einem gerichtlich bestellten Sachverständigen durchleuchtet lassen haben, vom Gericht nicht nur die lediglich angemessenen Gaspreise berechnet bekommen haben haben, sondern für dieses - dann erwiesenermaßen in der Sache - so teure wie sinnlose Unterfangen auch noch die Kosten zu tragen haben.
Na immerhin.
Bei einem solchen Ausgang hätte dann wohl jeder, was er von Anfang an wollte.
Wem fällt noch etwas dazu ein?
Thomas Fricke
Rechtsanwalt