Forum des Bundes der Energieverbraucher

Autor Thema: BGH, Urt. v. 28.06.11 KZR 75/10 Schadensersatz indirekter Abnehmer gegen Preiskartell  (Gelesen 4708 mal)

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

Offline RR-E-ft

  • Moderator
  • Forenmitglied
  • *****
  • Beiträge: 17.078
  • Karma: +15/-2
  • Geschlecht: Männlich
BGH, Urt. v. 28.06.11 KZR 75/10 Schadensersatz ndirekter Abnehmer gegen Preiskartell

Der Kartellsenat führt aus:

Den Vorzug verdient die Ansicht, dass auch indirekten Abnehmern ein Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit Art. 101 AEUV zusteht, wenn sie durch das wettbewerbswidrige Verhalten einen Schaden erlitten haben.

Dafür bedarf keiner Entscheidung, ob das Unionsrecht zwingend dieses Ergebnis verlangt. Denn bereits die Auslegung des Schutzgesetzkriteriums in § 823 Abs. 2 BGB führt dazu, dass indirekte Abnehmer zu dem durch Art. 101 AEUV geschützten Personenkreis gehören und auch für sie ein Schadensersatzanspruch vom Normgeber gewollt ist (zu diesen Anforderungen an die Annahme eines Schutzgesetzes vgl. BGH, WuW/E DE-R 206, 208 - Depotkosmetik).

aa) Der mit der Anerkennung des Kartellverbots als Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB verfolgte Zweck erfordert, dass indirekte Abnehmer kartellrechtliche Schadensersatzansprüche geltend machen können.

Angesichts der Bedeutung des Kartellverbots für die Wirtschaftsordnung ist es geboten, denjenigen gesetzestreuen Marktteilnehmern deliktsrechtlichen Schutz zu gewähren, auf deren Kosten ein kartellrechtlich verbotenes Verhalten praktiziert wird (vgl. im Zusammenhang mit dem Schutz von Wettbewerbern durch § 1 GWB aF: BGH, Urteil vom 4. April 1975 KZR 6/74, BGHZ 64, 232, 238 = WuW/E 1361, 1365 - Krankenhauszusatzversicherung).
Die schädlichen Wirkungen eines Kartells oder eines sonstigen nach Art. 101 AEUV verbotenen Verhaltens bleiben häufig nicht auf die unmittelbare Marktgegenseite begrenzt.

Je nach den Verhältnissen auf den Anschlussmärkten können auch oder sogar in erster Linie die Abnehmer auf nachfolgenden Marktstufen bis hin zu den Verbrauchern wirtschaftlich betroffen und in ihren Auswahl- und Entscheidungsmöglichkeiten beschränkt sein (vgl. K. Westermann, FS H.-P. Westermann, 1605, 1617 f.). Die mit Kartellen bezweckte Angebotsbeschränkung, Marktaufteilung oder Preisanhebung wirkt sich regelmäßig in Form höherer Preise und einer geringeren Angebotsvielfalt für die Verbraucher aus (vgl. EuGH, Urteil vom 7. Januar 2004 C-204/00 u.a., Slg. 2004, I-123 = WuW/E EU-R 899 Rn. 53 - Aalborg). Denn die direkten Abnehmer werden versuchen, die Erhöhung ihrer Einstandspreise zumindest längerfristig an ihre Kunden weiterzugeben (vgl. Röhling in FS Huber, S. 1117, 1130). Gelingt ihnen dies, weil auch die Verhältnisse auf den Anschlussmärkten von dem durch das Kartell geschaffenen Preisniveau geprägt sind, entsteht der kartellbedingte Schaden erst auf der nächsten Marktstufe (MünchKomm.EuWettbR/Säcker/Jaecks, Art. 81 EG Rn. 891; Lettl, ZHR 167 (2003) 473, 489). Indirekte Abnehmer generell von der Anspruchsberechtigung auszunehmen, hätte mithin zur Folge, gerade jenen Ansprüche zu verwehren, die häufig in erster Linie durch Kartelle oder verbotene Verhaltensweisen geschädigt werden (Bornkamm in Langen/Bunte, Kartellrecht, 11. Aufl., § 33 GWB Rn. 119 f.; ders. in Schadensersatzklagen gegen Kartellmitglieder, S. 51, 61; Bulst aaO, S. 11, 15).

Offline tangocharly

  • Forenmitglied
  • Beiträge: 1.139
  • Karma: +5/-0
Zitat
Angesichts der Bedeutung des Kartellverbots für die Wirtschaftsordnung ist es geboten, denjenigen gesetzestreuen Marktteilnehmern deliktsrechtlichen Schutz zu gewähren, auf deren Kosten ein kartellrechtlich verbotenes Verhalten praktiziert wird (vgl. im Zusammenhang mit dem Schutz von Wettbewerbern durch § 1 GWB aF: BGH, Urteil vom 4. April 1975 KZR 6/74, BGHZ 64, 232, 238 = WuW/E 1361, 1365 - Krankenhauszusatzversicherung).

Wenn das richtig sein soll, dann dürften auch die für Rechtens erklärten Gesamtbelieferungsverträge mit einer Laufzeit von max. 2 Jahren nur unzulässig sein.

Wie soll sich diese Problemlösung denn auswirken, wenn sich ein örtlicher Gasversorger aus dem oberschwäbschen Raum mit einer Fernlieferungsgesellschaft aus dem Stuttgarter Raum ins Heia-Bett legt und nun die Neuvereinbarung ansteht ?

Selbst darin liegt doch (mit größter Wahrscheinlichkeit) schon ein abgestimmtes Verhalten der Unternehmen, wenn dann auf der Vorlieferantenebene, neben (maximal) einem weiteren Unternehmen (angeblich), keine weiteren Angebote abgegeben worden sein sollen und - was Wunder - wiederum der alte Vorlieferant (angeblich) der billigste Anbieter gewesen sein soll (der allerdings seine Preisbildung mit der HEL-Klausel fährt).

Wenn der Unterrichter mit der beschriebenen Sachverhaltsvariante konfrontiert wird (s.o.), dann geht ihm doch schon das Herz auf (weiß er doch den VIII. Senat hinter sich), wenn der Versorger sich mit blauem Augenaufschlag dahin einläßt, er habe ja angesichts der gegebenen Situation (zwei Angebote; das Billigste genommen) gar keine andere Wahl gehabt, als wiederum mit seinem alten Vorlieferanten und dessen HEL-Klausel abzuschließen.

Wer sonst, als das BKartA, soll und kann diesen Machenschaften auf die Finger schauen, wenn schon dem Letztverbraucher erstens zu wenige Einsichtsmöglichkeiten gegeben sind und zweitens der VIII. Senat keine gerichtliche Preiskontrolle dulden will ?
<<Der Preis für die Freiheit ist die Verantwortung>>

 

Bund der Energieverbraucher e.V. | Impressum & Datenschutz