Urteil EuGH 21.03.2013, Az.: C-92/12
Tz. 25 Nach Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 93/13 unterliegen Vertragsklauseln, die auf bindenden Rechtsvorschriften beruhen, nicht den Bestimmungen dieser Richtlinie.
Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 93/13 hat folgenden Wortlaut:
„Vertragsklauseln, die auf bindenden Rechtsvorschriften oder auf Bestimmungen oder Grundsätzen internationaler Übereinkommen beruhen, bei denen die Mitgliedstaaten oder die Gemeinschaft – insbesondere im Verkehrsbereich – Vertragsparteien sind, unterliegen nicht den Bestimmungen dieser Richtlinie.“
Grundlage:
Tz. 26 Wie aus dem 13. Erwägungsgrund der Richtlinie 93/13 hervorgeht, erstreckt sich die in deren Art. 1 Abs. 2 vorgesehene Ausnahme auf Klauseln, die auf Bestimmungen des nationalen Rechts beruhen, die unabdingbar sind oder die von Gesetzes wegen greifen, wenn sie nicht abbedungen wurden.
13. Erwägungsgrund der Richtlinie 93/13 hat folgenden Wortlaut:
„Bei Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten, in denen direkt oder indirekt die Klauseln für Verbraucherverträge festgelegt werden, wird davon ausgegangen, dass sie keine missbräuchlichen Klauseln enthalten. Daher sind Klauseln, die auf bindenden Rechtsvorschriften oder auf Grundsätzen oder Bestimmungen internationaler Übereinkommen beruhen, bei denen die Mitgliedstaaten oder die Gemeinschaft Vertragsparteien sind, nicht dieser Richtlinie zu unterwerfen; der Begriff ‚bindende Rechtsvorschriften‘ in Artikel 1 Absatz 2 [dieser Richtlinie] umfasst auch Regeln, die nach dem Gesetz zwischen den Vertragsparteien gelten, wenn nichts anderes vereinbart wurde.“
Soweit auch das EuGH-Urteil:
Tz. 28 Wie die Generalanwältin in Nr. 47 ihrer Schlussanträge ausführt, ist dieser Ausschluss von der Geltung der Regelung der Richtlinie 93/13 dadurch gerechtfertigt, dass in den vorstehend in den Randnrn. 26 und 27 bezeichneten Fällen die Annahme zulässig ist, dass der nationale Gesetzgeber eine ausgewogene Regelung aller Rechte und Pflichten der Parteien bestimmter Verträge getroffen hat.
Klauseln, die auf bindenden Rechtsvorschriften oder auf Grundsätzen oder Bestimmungen internationaler Übereinkommen beruhen, bei denen die Mitgliedstaaten oder die Gemeinschaft Vertragsparteien sind, sind folglich nicht dieser Richtlinie unterworfen.
Bei nationalen Rechtsvorschriften geht die Richtlinie pauschal davon aus, dass diese bereits angemessene Lösungen von Interessenkonflikten darstellen und keine im Sinne der Richtlinie enthaltende Klauseln enthalten. Die Mitgliedstaaten werden insoweit aber auch in die Pflicht genommen.Unabhängig von der Frage, ob diese Annahme richtig ist, ist der eigentliche Sinn von Art. 1 Abs. 2 RiLi darin zu sehen, zu verhindern, dass indirekt die nationalen Rechtsvorschriften einer Kontrolle durch Richter/Behörden unterzogen werden. Der Art. 1 Abs. 2 RiLi ist daher Ausdruck der Bindung des Richters an das Gesetz.und soll zudem die Rechtsetzungsautonomie der einzelnen EU-Staaten sichern. Der Erwägungsgrund 13 stellt klar, dass Begriff "bindende Rechtsvorschriften" nicht im Sinne von zwingendem Gesetzesrecht zu verstehen ist, sondern auch Bestimmungen des dispositiven Rechts erfasst. Auch bei vorhandenen dispositiven Bestimmungen wäre eine inhaltliche Kontrolle unsinnig, weil im Fall der Unverbindlichkeit der Klausel ohnehin wiederum die Bestimmungen des dispositiven Gesetzesrechts gelten würden. "Bindend" ist also so zu verstehen, dass damit alle Rechtsvorschriften gemeint sind, die verbindlich gelten, wenn eine abweichende vertragliche Regelung fehlt.
Der Vorrang der "nationalen Regelungen" nach Art. 1 Abs. 2 RiLi gilt nach dem Sinn und Zweck der Regelung nur bei "Rechtsvorschriften", die eine abschließende wertende Regelung des nationalen Gesetzgebers hinsichtlich der Rechte und Pflichten der Vertragsparteien aufweisen. Nur insoweit kann davon ausgegangen werden, dass die gesetzliche Wertung als angemessene Regelung eine Mißbräuchlichkeitskontrolle ersetzt und entbehrlich macht und eine indirekte Kontrolle der sonst geltenden nationalen Vorschrift wäre nach Art. 1 Abs. 2 RiLi zu verhindern.
Folglich sind Klauseln, die mit solchen Rechtsvorschriften übereinstimmen, welche eine vertragliche Regelung zulassen, ohne deren Inhalt zu regeln (z.B. § 315 BGB, § 767 Abs. 1, S.3 BGB) nicht nach Art. 1 Abs. 2 RiLi der Mißbräuchlichkeitskontrolle entzogen.
Fazit:
Alle Klauseln, die sich innerhalb eines (gesetzlichen) Gestaltungsrahmens bewegen und damit die gesetzlichen Mindestschranken nicht überschreiten, können somit - auch wenn sie sich innerhalb des Bereichs der äußeren gesetzlichen Inhaltsschranken bewegt - im Falle der Benachteiligung der Vertragspartei und Intransparenz (Erwägungen zur RiLi: Verträge müssen in klarer und verständlicher Sprache abgefasst sein) missbräuchlich und damit unverbindlich i.S.v. Art. 1 Abs. 2 RiLi sein.
Dieser Hinweis soll lediglich vorbeugen helfen davor, dass die Versorgerindustrie nun schon ins Frohlocken übergeht, der EuGH habe ja bei den Grundversorgungsverträgen seinen Segen erteilt, weil es sich ja bei den Bestimmungen der GasGVV/AVBGasV um "bindendes Recht" handeln soll.
Gerade hierbei, die ganze Rechtsprechung des BGH in der Grundversorgung ist von den Grundsätzen zu § 315 BGB geprägt, wird sich der BGH nicht um seine Verantwortung aus Art. 20 Abs. 3 GG drücken können, insbesondere wenn man die weiteren Entscheidungsgründe der EuGH-Entscheidung berücksichtigt.