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Tarifkunde oder Sondervertragskunde?

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RR-E-ft:
@Black


Monatliche Abrechnungen auf Kundenverlangen sollen wohl erheblich extra kosten.

Der bekannte Urschleim war die BTOGas, die mehrere nebeneinander bestehende Allgemeine Tarife als Pflichttarife vorschrieb, aus denen sich der Kunde einen Tarif zu wählen hatte. Traf er keine Wahl, konnte ihn der Versorger aufgrund einer Ermessensentscheidung in einen der nebeneinander bestehenden  Tarife einstufen. Passte dem Kunden diese Einstufung nicht, konnte er dieser Einstufung zeitlich befristet noch widersprechen und sich doch noch seinen Tarif wählen.

Das Kernproblem der Bestabrechnung liegt einfach darin, dass weder im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses noch im Zeitpunkt des Gasverbrauchs schon feststeht, welcher Preis dafür tatsächlich zur Abrechnung gebracht werden wird. Wählt der Kunde einen der nebeneinander angebotenen Allgemeinen Preise aus, wie es die gesetzliche Regelung vorsieht, besteht dieses Problem so nicht. Die Bestabrechnung a la Jena entspricht m.E. wohl nicht dem gesetzlichen Leitbild. Eine Preisvereinbarung bei Vertragsabschluss setzt jedenfalls voraus, dass der zu zahlende Preis bereits bei Vertragsabschluss eindeutig bestimmt ist.


Aber diese besondere Bestpreisabrechnung zwischen mehreren, nebeneinander bestehenden  Allgemeinen Preisen der Grundversorgung soll uns an dieser Stelle nicht weiter beschäftigen.


--- Zitat ---Original von RR-E-ft
Eine Bestpreisabrechnung zwischen mehreren Allgemeinen Tarifen ist nach der gesetzlichen Regelung nicht vorgesehen, weicht folglich von dieser ab.

Man kann deshalb die Frage stellen, ob eine solche vom Versorger freiwillig (unter Inanspruchnahme von Vertragsfreiheit) praktizierte Bestpreisabrechnung zugunsten der Kunden nicht schon allein eine solche Abweichung von der  gesetzlichen Regelung darstellt, die zu einem Sondervertrag führt. Das soll und braucht an dieser Stelle jedoch gar nicht weiter vertieft werden.
--- Ende Zitat ---

ub40:
Wenn ich die Einträge hier richtig verstanden habe, herrscht hinsichtlich der Frage, ob Tarifkunde oder Sondervertrag, seit der BGH Urteile von Februar und Juli 2011 grössere Klarheit ??? (als Laie kann ich hier nur Fragezeichen anfügen, weil ich nicht weiss, ob ich richtig liege.)

Um etwas konkreter zu werden, hier unser vom Versorger verursachtes Bezeichnungs- und Einstufungskuddelmuddel...

Aus einem Kochgaskundenverhältnis nach Anmeldung des Hausanschlusses als Heizgaskunde zunächst
nach Bestpreisabrechnung nach Tarif Nr.15 Haushaltsvollversorgung  abgerechnet (abgegrenzt vom Grundpreis)
...ab 1998 heiß das Ganze dann \"Vollversorgung\" mit dem Zusatzvermerk \"Sondervertragsregelung (außertraiflich)\" in Abgrenzung zu den allgemeinen Tarifen
... dann umbenannt in Vollversorgung I (geführt unter \"Sonderpreise\"),
dann 2007 in Ideal II umbennant; neue, zu unterschreibende Vertragsunterlagen anläßlich der Umbennung zugesandt...

Wenn nach der aktuellen Rechtssprechung des BGH offensichtlich wichtig ist, was der Kunden aus der Bezeichnug ableitet bzw. ableiten muss, sollte der Versoger hier doch nicht darauf pochen können, dass man Tarifkunde im Sinne der ABVGas ist. Mein Verstand sagt mir, dass ich mich auf alle Fälle ab 1998 als Sondervertragskunde verstehen muss. Kann mir bitte jemand sagen, ob ich hier richtig liege?

bolli:
Ab 1998 dürfte tatsächlich ziemlich sicher ein Sondervertragsverhältnis bestanden haben. Aber auch das davor liegende Bestpreisabrechnungsmodell könnte ein Sondervertragsverhältnis gewesen sein. (siehe auch  OLG Düsseldorf, Urt. v. 24.06.09 - VI - 2 U (Kart) 14/08 Tarifkunde oder Sonderkunde?, Gerichtsverfahren eines Sondervertragskunden der vorher als Tarifkunde eingestuft wurde, BGH VIII ZR 178/09 mündliche Verhandlung am 03.11.10 Abgrenzung Tarifkunde/ Sondervertragskunde und BGH, Urt. v. 11.05.11 VIII ZR 42/10 Abgrenzung Tarif-/ Sondervertragskunde (Erdgas Südsachsen) )

ub40:
...ich habe das bisher auch so gesehen und auch einen Rechtsberatung (Nov. 2009) bei einem vom Bund der Energieverbraucher empfohlenen Anwalt hat das so ergeben.

Nun gibt es aber zu diesem Versorger ein Musterverfahren, in dem vom LG Magdeburg am 15.12.2010 geurteilt wurde, dass alle Kunden Tarifkunden seien (mit den entsprechenden Konsequenzen....). Wie \"das Kind\" heisst etc. spielt keinerlei Rolle; selbst wenn der Versorger es selbst \"Sondervertragsregelung (außertariflich)\" oder Sonderpreisprodukt (außertariflich) nennt - alles egal.

Dazu folgendes Zitat:
....Eine Auslegung des Vertragsverhältnisse ergibt hier, dass es sich bei dem Vertragsverhältnis zwischen den Parteien nicht um einen Sondervertrag handelt. Maßgeblich für die Abgrenzung zwischen Sondervertrag und Tarifkunde ist, ob das betreffende Versorgungsunternehmen die Versorgung zu den öffentlich bekannt gemachten Bedingungen und Preisen - aus der Sicht eines durchschnittlichen Abnehmers - im Rahmen der Versorgungspflicht nach den benannten Vorschriften oder unabhängig davon im Rahmen der allgemeinen Vertragsfreiheit anbietet (BGH 15.07.2009 VIIZR 56/08 Rdn. 13 zit. nach juris)

Vorliegend ist der Vertrag konkludent durch die Gasentnahme zustande gekommen, aufgrund derer dem Beklagten eine Vertragsbestätigung zugesandt wurde mit dem insoweit deklaratorisch zu verstehenden Hinweis darauf, dass Grundlage der Gaslieferung die AVBGas ist und der Bezeichnung des Tarifs, dessen Höhe die Klägerin entsprechend ihrer Verpflichtung veröffentlicht. Diese Vertragsbestätigung konnte nur dahin verstanden werden, dass die Klägerin auf der Grundlage ihrer Versorgungspflicht tätig werden wollte, unabhängig davon, dass ein Teil der veröffentlichten Tarife als außertarifliche Sonderpreisregelung bezeichnet werden. (Anmerkung: wie gesagt, es steht sogar „SONDERVERTRAGSREGELUNG (außertariflich)“ drauf).
Sie richtet sich mit ihrem Angebot erkennbar an eine Vielzahl unbestimmter Kunden, wobei sich aus den verschiedenen Tarifen lediglich eine Differenzierung nach Abnahmemenge ergibt. Allein diese Differenzierung kann jedoch nicht zur Annahme eines Sondervertrags führen, da sich das Angebot an jeden richtet, der die entsprechende Menge abnimmt. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass bereits nach alter Rechtslage im Rahmen der Versorgungspflicht unterschiedliche Tarife angeboten werden musstet bzw. durften (vergl. insoweit  BGH 15.07.2009 a.a.O. Rdn14). Weder die bloße Bezeichnung der Tarife noch die Mengendifferenzierung allein spricht daher für einen der Vertragsfreiheit unterliegenden Sondervertrag. Dagegen spricht auch, dass der Hinweis auf die Geltung der AVBGas nicht als entsprechende oder subsidäre Geltung formuliert wurde, sondern als Grundlage angesehen wird, was darauf hindeutet, dass di Klägerin erkennbar von einer gesetzlichen Geltung der AVBGas gemäß §1 AVBGas ausging und damit im Rahmen der Versorgungspflicht belieferte.“

Es ist nun die Frage, ob die neueren BGH-Urteile zu einer anderen Einschätzung hätten führen müssen. Jedenfalls sind doch viele andere Gerihte bei sehr ähnlicher Sachlage zu einer anderen Einschätzung gelangt.

bolli:

--- Zitat ---Original von ub40
...ich habe das bisher auch so gesehen und auch einen Rechtsberatung (Nov. 2009) bei einem vom Bund der Energieverbraucher empfohlenen Anwalt hat das so ergeben.

Nun gibt es aber zu diesem Versorger ein Musterverfahren, in dem vom LG Magdeburg am 15.12.2010 geurteilt wurde, dass alle Kunden Tarifkunden seien (mit den entsprechenden Konsequenzen....). Wie \"das Kind\" heisst etc. spielt keinerlei Rolle; selbst wenn der Versorger es selbst \"Sondervertragsregelung (außertariflich)\" oder Sonderpreisprodukt (außertariflich) nennt - alles egal.

--- Ende Zitat ---
Es gibt leider immer wieder Gerichte und Richter, die etwas anders sehen als andere. Allerdings muss man bei dieser Frage tatsächlich sich den Einzelfall genau anschauen, da der BGH in seiner Entscheidung vom 11.05.2011 - VIII ZR 48/10 unter Rd.-Nr. 33 ff. gesagt hat:

--- Zitat ---Für die Frage, ob es sich bei öffentlich bekannt gemachten Vertragsmustern und Preisen um Tarif- oder Grundversorgungsverträge mit allgemeinen Tarifpreisen im Sinne von § 6 Abs. 1 des Energiewirtschaftsgesetzes in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 752-1 veröffentlichten bereinigten Fassung, Allgemeinen Tarifen im Sinne von § 10 Abs. 1 des Energiewirtschaftsgesetzes vom 24. April 1998 (BGBl. I S. 730) oder Allgemeinen Preisen im Sinne von § 36 Abs. 1 des Energiewirtschaftsgesetzes vom 7. Juli 2005 (BGBl. I S. 1970) handelt, kommt es darauf an, ob das betreffende Versorgungsunternehmen die Versorgung zu den öffentlich bekannt gemachten Bedingungen und Preisen - aus der Sicht eines durchschnittlichen Abnehmers - im Rahmen einer Versorgungspflicht nach den genannten Vorschriften oder unabhängig davon im Rahmen der allgemeinen Vertragsfreiheit anbietet (Senatsurteile vom 15. Juli 2009 - VIII ZR 225/07, BGHZ 182, 59 Rn. 14, sowie VIII ZR 56/08, BGHZ 182, 41 Rn. 13; jeweils mwN; vom 14. Juli 2010 - VIII ZR 246/08, WM 2010, 1762 Rn. 26, zur Veröffentlichung in BGHZ 186, 180 vorgesehen; Senatsbeschluss vom 13. Oktober 2009 - VIII ZR 312/08, WuM 2010, 436 Rn. 2).

Ob hier der ursprünglich geschlossene Vertrag - in jedem Einzelfall - ein Sonderkundenvertrag war, kann dabei letztlich dahinstehen.

Der Senat hat entschieden, dass ein Preisänderungsrecht nach § 4 AVBGasV auch dann nicht besteht, wenn das Versorgungsunternehmen dazu übergeht, einen Kunden, der bis dahin als Tarifkunde versorgt worden ist, aus dessen Sicht außerhalb der allgemeinen Tarifpreise unter Inanspruchnahme von Vertragsfreiheit zu Sonderpreisen zu versorgen. Denn ein Recht zur einseitigen Änderung von Preisen, die keine allgemeinen Tarifpreise sind, regelt § 4 AVBGasV nicht (Senatsurteil vom 9. Februar 2011 - VIII ZR 295/09, juris Rn. 22 ff.).

Vorliegend spricht aus Sicht eines durchschnittlichen Kunden bereits die von der Beklagten vorgenommene Abgrenzung der \"Allgemeinen Tarife\" von den \"Sonderpreisregelungen\" beziehungsweise - für die streitgegenständlichen Preiserhöhungen - \"Klassik\" dafür, dass es sich bei letzteren um Angebote außerhalb der Grundversorgung handelt.

Denn aus der Sicht eines durchschnittlichen Abnehmers spricht die ausdrückliche Kennzeichnung eines Tarifs als Sondertarif und die Abgrenzung zu allgemeinen Tarifen dafür, dass das Energieversorgungsunternehmen eine Belieferung nicht (mehr) im Rahmen der Grundversorgung vornehmen will. (farbl. Hervorhebungen und Unterstreichungen von mir)

--- Ende Zitat ---
Also ist das mit dem \"Musterverfahren\" nicht so einfach, wenn die Fälle nicht tatsächlich GLEICH sind. Dazu ist zu beachten, dass vor Gericht immer nur die Argumente berücksichtigt und bewertet werden, die von den Parteien vorgebracht werden. Auch von daher dürfte das mit dem \"Muster-\" eher fragwürdig sein. Schauen Sie sich Ihre UNterlagen noch mal genau im Hinblick auch das BGH-Urteil vom 11.05.11. an und überprüfen Sie die Kriterien. Dann sind Sie vielleicht schlauer.

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