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Tarifkunde oder Sondervertragskunde?

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hugo00:
Zum Thema Tarifkunde oder nicht, stelle ich die Frage nach Jena:
Unsere Stadtwerke (100%iger Eigenbetrieb) deklarieren mich seit 20 Jahren (Vertrag: Grundversorgung II für 44.000 kWh/a) als Tarifkunden. Ich meine aber, weil ich nur Gas zur Heizung mit um die 44 MWh/a abnehme, macht mich das lt. BGH (welches Urteil?) zum Sondervertragskunden, dem das EVU kein Recht zur autom. Preisanpassung (s. AVBGasV, GasGVV...).
Stimmt das: ob es sich de facto und de jure um einen Sondervertrag handelt, ist bislang ungeklärte (strittige) Rechtsfrage? Unsere Stadtwerke meinen, dass sie berechtigt seien, die Gaspreise nach Belieben zu ändern, wenn ihnen auf Antrag sowohl die Genehmigung z.B. der Landesenergiebehörde gegeben bzw. die Stadtvertreter (lt. GemO und EigVO) zugestimmt haben. Dann entspräche der neue Preis auch der Billigkeit. Ignorierung auch des \"Innenverhältnisses\" zw. den Vertragspartnern EVU und Kunde besteht m.E.

RR-E-ft:
Die Frage wann ein Tarifkundenvertrag (nun Grundversorgungsvertrag) bei Heizgaskunden mit hohem Jahresverbrauch vorliegt,  ist nicht abschließend geklärt.

Bemerkenswert sind die Entscheidungen OLG Düsseldorf vom 24.06.09, OLG Dresden vom 26.01.10, OLG Dresden vom 13.07.10, allesamt besprochen: im Forum

Jene Entscheidungen sprechen ebenso wie die Entscheidung Kammergericht Berlin, Urteil vom 28.10.08, dafür, dass Kunden, die einen hohen Jahresverbrauch haben und denen - gegenüber Kleinabanehmern - ein günstigerer Tarif angeboten wird, keine Tarifkunden sind. Die rechtskräftige Entscheidung des OLG Dresden vom 13.07.10 nimmt dies auch dann an, wenn die betreffenden günstigeren Tarife unter der Überschrift \"Allgemeine Tarife\" öffentlich bekannt gegeben wurden.

Ein hoher Jahresverbrauch von 40.000 kWh deutet auf einen Sondervertrag hin.
Für ein Einfamilienhaus liegt der Jahresverbrauch etwa bei 20.000 kWh.
§ 3 Nr. 22 EnWG definiert den Haushaltskunden und spricht von einer Verbrauchsgrenze von 10.000 kWh im Jahr.
Ist man selbst kein Haushaltskunde im Sinne von § 3 Nr. 22 EnWG, wird man jedenfalls auch nicht gem. § 36 EnWG innerhalb der Grundversorgung beliefert.

Der BGH stellt auch auf die Bezeichnung \"Sondertarif\" ab (BGH VIII ZR 246/08 Rn. 27). Ein Sondertarif und somit Sondervertrag kann demnach auch dann vorliegen, wenn der Versorger seine Kunden bei Vertragsabschluss nach (voraussichtlicher) Jahresverbrauchsmenge automatisch in einen günstigeren Tarif nach sog. Bestpreisabrechnung eingeordnet hatte (BGH VIII ZR 246/08 Rn. 27).

Der BGH sellt dabei ersichtlich darauf ab, dass auch bei Sonderverträgen konkludente Vereinbrungen möglich seien, wenn der Verorger Sondertarife bzw. Sonderabkommen- Preise öffentlich bekannt gemacht hatte, was wohl einen konkludenten Vertrgsabschluss einschließt.  

Handelt es sich um einen Vertrag in der Grundversorgung besteht ein gerichtlich kontrollierbares gesetzliches einseitiges Leistungsbestimmungsrecht, das den Versorger im Umfange gestiegener Kosten zur Preiserhöhung berechtigt (BGH VIII ZR 36/06, VIII ZR 138/07 Rn. 39) und im Umfange gesunkener Kosten nach gleichen Maßstäben zur Preisabsenkung verpflichtet (VIII ZR 81/08 Rn. 18].

Handelt es sich um einen Sondervertrag und wurden in einen solchen Preisänderungsklauseln bestimmten Inhalts wirksam einbezogen, so soll das gerichtlich zu kontrollierende einseitige Leistungsbestimmungsrecht auch dort gelten (BGH VIII ZR 225/07 Rn. 24, VIII ZR 56/08 Rn. 27, VIII ZR 246/08 Rn. 36).

Die wirksame Einbeziehung in einen Sondervertrag setzt bei einem Vertragsabschluss unter Abwesenden regelmäßig die Übersendung vor Vertragsabschluss voraus (OLG Dresden, Urt. v. 26.01.10; OLG Oldenburg, Urt. v. 12.02.10).

Die Stadtwerke können die Preise - sofern überhaupt zu ihren Gunsten im konkreten Vertragsverhältnis ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht besteht - gerade nicht nach Belieben ändern, § 315 Abs. 1 BGB. Die Billigkeit wird gem. § 315 Abs. 3 BGB gerichtlich kontrolliert und auf eine behördliche  Genehmigung kommt es für die Beantwortung der Frage der Billigkeit grundsätzlich nicht an (BGH X ZR 60/04 unter II 1 b).

Ein einseitiges Leisungsbestimmungsrecht ob gesetzlich oder vertraglich vereinbart berechtigt  den Versorger zur Preiserhöhung lediglich im Umfange gestiegener Kosten (BGH VIII ZR 36/06, VIII ZR 138/07 Rn. 39, 43) und verpflichtet ihn  zugleich zur Preisabsenkung im Umfange gesunkener Kosten nach gleichen Maßstäben (VIII ZR 81/08 Rn. 18].

Und dies kann gerichtlich kontrolliert werden, wenn den Preisänderungen oder darauf beruhenden Jahresverbrauchsabrechnungen vom Kunden widersprochen wurde (BGH VIII ZR 246/08].

Die genannten Entscheidungen finden sich in der Entscheidungsdatenbank des BGH: http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/list.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=Aktuell&Sort=12288 und können durch Eingabe des Aktenzeichens aufgefunden werden.

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Regionale Vorliebe für gut abgehangene, gegrillte Miezen?

hugo00:
Danke für die überraschend schnelle und viel Einsicht vermittelnde Antwort. Sind Sie evtl. bei der Post und nicht RA? ;-)
Wenig hilfreich und überraschend für meinen Fall ist, dass so viele wichtige und Grundsatz-Urteile (auch solche, die Richter Ball nicht \"ver\"leiten und auf BdEW-Seminaren über Kunden-Kujunierung
den versammelten EVU-Vertretern verklickern konnte), gefällt worden sind. Aber so ein, wie ich finde emminent wichtiger Aspekt, wie die Einstufung von - ich sage mal - privaten Energieverbrauchern bei den Versorgern wurde bisher nicht explizit entschieden, so dass die sog. \"Tat\"gerichte zum Wohl der Verbraucher, deren Rechte [Rot-Grün in 2004] so \"besonders schützenswert\" fand, entscheiden könnten. So aber ist jedes Verfahren vor AG, LG, OLG etc. zu diesem Thema eigentlich immer ein Ritt auf dem Eber, weil man der verfassungsmäßigen Unantastbarkeit des Richters und seinen höchst- persönlichen, ggf. unvollkommen recherchierten Einsichten hilflos ausgeliefert sind. Siehe: Vor Gericht und auf hoher See...
MfG
und schönes weekend

RR-E-ft:
Den letzten Beitrag habe ich nicht verstanden.
 
In einem Prozess ist es vornehmlich Aufgabe der Anwälte, die Argumente für und wider vorzutragen und sich dabei mit der bekannten und etwa unter http://www.juris.de veröffentlichten Rechtsprechung auseinanderzusetzen und so dem Gericht bei der Rechtsfindung zu helfen.

Durch die Vielzahl der Prozesse wurde die Rechtsprechung dazu zunehmend klarer und ausdifferenzierter.

Der Anwalt muss alle möglichen Weichenstellungen in einem Prozess im Voraus erkennen und seine Vortrag darauf einstellen, also - auf Verbrucherseite- ggf. zunächst ein einseitiges Leistungbestimmungsrecht in der Form des gesetzlichen Leistungsbestimmungrechts bestreiten(da Sondervertrag), dann ein vertragliches Leistungbestimmungsrecht (da ein solches vertraglich nicht vereinbart und eine Peisänderungsklausel nicht vertraglich einbezogen wurde) und ggf. die Wirksamkeit einer einbzogenen Klausel in Abrede stellen, um sogleich hilfsweise die  Billigkeit sowohl der Tarifgestaltung als auch der einzelnen Tarifänderungen zu bestreiten, also grundsätzlich immmer das volle Prüfungsraster bei Gericht abarbeiten lassen.

Wer nur die Billigkeit bestreitet, nicht aber schon das Preisändrungsrecht als solches, kann genauso auf die Nase fallen, wie derjenige, der nur das Preisänderungsrecht als solches bestreitet, nicht aber die Billigkeit.

Das muss jedem klar sein, ebenso wie klar sein muss, welche alternativen Verläufe ein Prozess aufgrund dieser möglichen Weichenstellungen nehmen kann, und worauf es in jeder Etappe dann entscheidend ankommt.

Der Ausgang jedes Prozesses im Einzelfall hängt -  von wenigen Willkürentscheidungen abgesehen - von der Qualität von Angriff und Verteidigung ab. Wer die möglichen Alternativen von vornherein in Erwägung zieht und sich auf diese einstellt, wird sich weniger als \"Spielball in einem kafkaesken Process\" erfahren, sondern mehr als aktiver Gestalter des Geschehens.

Beim Schachspiel ist man ja auch nicht hilflos augeliefert, sondern bestimmt möglichst vorausschauend  den eigenen Angriff und die eigene Verteidigung und darüber, wann man sich ggf. vorzeitig geschlagen gibt.

In einem kontradiktorischem Prozess ist es nicht viel anders. Es kommt darauf an, die Spielregeln zu beherrschen.

hugo00:
Das ist ein Sprichwort und heißt vollständig: Vor Gericht und auf hoher See bist Du in Gottes Hand. Will heißen, dass es nicht in Deiner Hand liegt zu überleben oder zu gewinnen.

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