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Autor Thema: Rekommunalisierung der Netze  (Gelesen 52338 mal)

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Offline Lothar Gutsche

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Rekommunalisierung der Netze
« Antwort #45 am: 06. April 2011, 14:08:05 »
Die Subventionierung des deutschen Steinkohlebergbaus war nach Ansicht des Gesetzgebers aus energie-, sozial- und regionalpolitischen Gründen erforderlich. Am 11. Oktober 1994 entschied der zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts jedoch, dass der Kohlepfennig verfassungswidrig ist. Das Verfassungsgerichtsurteil vom 11. Oktober 1994 unter Aktenzeichen 2 BvR 633/86 findet sich z. B. unter http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv091186.html. Seit dem 1.1.1996 wird der Steinkohleabbau aus dem Staatshaushalt subventioniert.

Die beiden Leitsätze des Urteils vom 11.10.1994 lauten:
[list=1]
  • Um die bundesstaatliche Finanzverfassung wie auch die Budgethoheit des Parlaments vor Störungen zu schützen und den Erfordernissen des Individualschutzes der Steuer¬pflichtigen im Blick auf die Belastungsgleichheit Rechnung zu tragen, ist eine Sonderabgabe nur in engen verfassungsrechtlichen Grenzen zulässig; sie muß deshalb eine seltene Ausnahme bleiben.
  • Die Ausgleichsabgabe nach § 8 Drittes Verstromungsgesetz (sog. Kohlepfennig) ist nicht als Sonderabgabe zu rechtfertigen, weil sie eine Allgemeinheit von Stromverbrauchern belastet, die als solche keine besondere Finanzierungsverantwortlichkeit für die Aufgabe trifft, den Steinkohleneinsatz bei der Stromerzeugung zu sichern.[/list=1]
    In der Begründung des Urteils stellt das Bundesverfassungsgericht in Abschnitt C I 1 fest:
    Die Finanzverfassung des Grundgesetzes geht davon aus, daß Gemeinlasten aus Steuern finanziert werden. … Sie versagt es dem Gesetzgeber, selbst unter Inanspruchnahme von Sachkompetenzen, Sonderabgaben zur Erzielung von Einnahmen für den allgemeinen Finanzbedarf eines öffentlichen Gemeinwesens zu erheben und das Aufkommen aus derartigen Abgaben zur Finanzierung allgemeiner Staatsaufgaben zu verwenden.
    Das Steueraufkommen ist gemäß Art. 110 Abs. 1 GG ausnahmslos als Einnahme in den Haushaltsplan einzustellen. Der Verfassungsgrundsatz der Vollständigkeit des Haushaltsplans hat seinen Sinn nicht nur in dessen finanzwirtschaftlicher Funktion und in dem Umstand, daß das Haushaltsbewilligungsrecht eines der wesentlichen Instrumente der parlamentarischen Regierungskontrolle ist; er aktualisiert auch den fundamentalen Grundsatz der Gleichheit der Bürger bei der Auferlegung öffentlicher Lasten. Dieser Grundsatz zielt darauf ab, das gesamte staatliche Finanzvolumen der Budgetplanung und -entscheidung von Parlament und Regierung zu unterstellen. Nur dadurch ist gewährleistet, daß das Parlament in regelmäßigen Abständen den vollen Überblick über das dem Staat verfügbare Finanzvolumen und damit auch über die dem Bürger auferlegte Abgabenlast erhält, soweit sie der Verantwortung des Parlaments unterliegen. Nur so können Einnahmen und Ausgaben vollständig den dafür vorgesehenen Planungs-, Kontroll- und Rechenschaftsverfahren unterworfen werden. Demgemäß ist der Grundsatz der Vollständigkeit des Haushaltsplans berührt, wenn der Gesetzgeber Einnahme- und Ausgabekreisläufe außerhalb des Budgets organisiert.


    In Abschnitt C II 2 der Begründung zum Urteil vom 11.10.1994 stellt das Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf die Abgabe des Kohlepfennigs fest: „Die mit der Abgabe belasteten Stromverbraucher bilden eine den Trägern von Verbrauchsteuern ähnliche Allgemeinheit von Betroffenen, die als solche keine besondere Finanzierungsverantwortlichkeit für die Kohleverstromung trifft. … Die Sicherstellung der Strom- oder Energieversorgung aber ist ein Interesse der Allgemeinheit, das deshalb als Gemeinlast - durch Steuer - finanziert werden muß. … Die Befriedigung eines solchen Interesses ist eine Gemeinwohlaufgabe des Parlaments, das Finanzierungsinstrument die Gemeinlast der Steuern.

    Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zeigt, dass gerade Energiepreise nicht mit sachfremden Abgaben belastet werden dürfen, selbst wenn deren Verwendungszweck dem Allgemeinwohl dient. Wenn es gute umwelt-, sozial- und verkehrspolitische Gründe gibt, den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) zu subventionieren, dann muss das im zuständigen Parlament auf Bundes-, Landes- oder Kommunalebene erörtert und entschieden werden. Ob und in welchem Umfang der ÖPNV oder Schwimmbäder mit öffentlichen Mitteln gefördert wird, ist auf Basis der verfügbaren Steuereinnahmen im Rahmen des Haushaltes vom demokratisch gewählten Parlament festzulegen. Die parlamentarisch gewollte Subvention darf aber nicht in völlig intransparenter Weise über die Energiepreise finanziert werden, sondern ist über Steuern aus dem allgemeinen Haushalt zu bezahlen.

    Die Absicht einer Kommune, über das kommunale Stadtwerk Gewinne zu erzielen, ist schlicht verfassungswidrig. Ein Blick in die Grundlagen der Kommunalfinanzierung könnte auch einem Juristen nicht schaden. Bund, Länder und Kommunen müssen sich nach bestimmten Regeln des Grundgesetzes finanzieren. Von Gewinnen aus Stadtwerken zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben ist dabei keine Rede. Wenn einige Juristen das schon nicht aus elementarem Demokratieverständnis begreifen, dann eben so.

    Viele Grüße
    Lothar Gutsche
    Email: Lothar.Gutsche@arcor.de

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Rekommunalisierung der Netze
« Antwort #46 am: 06. April 2011, 14:11:28 »
Zitat
Original von Black
Ich habe nichts gegen das BGH Zitat, denn es besagt nur allgemein, dass die Gemeinden dieses Prinzip beachten müssen.
Sie unterliegen aber scheinbar einem doppelten Irrtum.
1. Scheinen Sie zu glauben, dass der BGH damit meint, das Leistungen nur zum Selbstkostenpreis ohne Gewinn angeboten werden dürfen. Das halte ich für falsch. .....
    @Black, lesen Sie richtig,  es ist von
\"grundlegend\" die Rede, nicht von \"allgemein\"! Nur Ausnahmen bestätigen die Regel. Ausnahmen sind dann aber auch den Bedingungen entsprechend einzuhalten - Ihr § 7 NEV & Co.  Ich glaube aber nicht, dass Sie einem Irrtum unterliegen. Das ist die bekannt bewusste Masche, mit der seit Jahren von interessierter Seite versucht wird, das kommunale Wirtschaftsrecht in die Tonne zu treten um sich neben den Steuern und Abgaben weitere Einnahmequellen für Stadtsäckel und sonstige Zwecke zu erschliessen. Das möglichst vor den Bürgern und Verbrauchern versteckt und ohne Kontrolle. Mit Salamitaktik wird mit großem Lobbyeinsatz auch die eine oder andere Änderung erzielt (Stichwort: steuerlicher Querverbund).  

Falls Sie doch dem Irrtum unterliegen, Gemeinden müssten \"Leistungen nicht zum Selbstkostenpreis ohne Gewinn anbieten\", liefere ich Ihnen nochmal ein Beispiel, dann ist aber genug:

Zitat
In Bayern bestehende Rechtsvorschriften zur Kostendeckung
Das Kommunalabgabengesetz (KAG) und die Gemeindeordnung (GO) geben die  Finanzierung für Betriebe vor, deren Kundenbeziehungen öffentlich-rechtlich ausgestaltet sind. Im KAG ist der Grundsatz der Deckung der Kosten für den Betrieb solcher Wasserver- und Abwasserentsorgungseinrichtungen durch Gebühren verankert. Dabei sollen die Erlöse die Kosten weder unter- noch überschreiten.
Kostendeckung (Bayern)

Falls Sie jetzt meinen sollten, Bayern sei da eine Ausnahme, täuschen Sie sich bei der Zahl der Bundesländer wohl mehr als doppelt  ;). Wir haben zwar den Föderalismus in Deutschland mit mancher bayerischen Sonderheit, aber diese  bayerische Sonderstellung gibt es dann doch nicht.  ;)[/list]

Offline Black

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Rekommunalisierung der Netze
« Antwort #47 am: 06. April 2011, 14:42:52 »
Wenn etwas \"grundsätzlich\" gilt, dann bedeutet das, dass Ausnahmen vom Grundsatz möglich sind. Wenn der BGH von einem \"Grundsatz\" spricht kann er damit nicht eine geltende Rechtsnorm entkräften, denn rechtliche Grundsätze folgen aus Gesetzen und nicht umgekehrt.

Die Regelung aus Bayern die Sie da zitieren bezieht sich erkennbar auf Wasser und nicht auf Energie.
Ihr sollt nicht wähnen, daß ich gekommen sei, Frieden zu senden auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert.

Matthäus, Kapitel 10, Vers 34

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Rekommunalisierung der Netze
« Antwort #48 am: 06. April 2011, 15:07:28 »
Zitat
Original von Black
Wenn etwas \"grundsätzlich\" gilt, dann bedeutet das, dass Ausnahmen vom Grundsatz möglich sind. Wenn der BGH von einem \"Grundsatz\" spricht kann er damit nicht eine geltende Rechtsnorm entkräften, denn rechtliche Grundsätze folgen aus Gesetzen und nicht umgekehrt. Die Regelung aus Bayern die Sie da zitieren bezieht sich erkennbar auf Wasser und nicht auf Energie.
    @Black, schön richtig erkannt. Aber hier dürfen doch \"Leistungen\" nur zum Selbstkostenpreis ohne Gewinn angeboten werden. Das ist so richtig und nicht falsch! Wenn Sie von Rechtsnormen reden, sehen Sie sich weiter oben den Hinweis auf die Finanzverfassung des GG an.

    Schon die Errichtung eines  Unternehmens in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung durch die Gemeinde ist trotz der landauf- landab bestehenden Praxis noch lange nicht die rechtliche Regel sondern einen Ausnahme unter Bedingungen. Ich muss jetzt aber nicht das gesamte Kommunal- und Verwaltungsrecht mit Ihnen durchdeklinieren!

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Rekommunalisierung der Netze
« Antwort #49 am: 27. Mai 2011, 17:33:48 »
Zitat
Leidtragende sind Wettbewerb und Verbraucher. Von neutralem Netzbetrieb - wie grundsätzlich im Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) vorgeschrieben - kann keine Rede sein. Hintergrund der Misere ist eine anachronistische Ausnahmeregelung im EnWG, durch die über 90 Prozent aller Verteilnetzbetreiber von den eigentlich strengen gesetzlichen Vorschriften ausgenommen werden....Von den 866 Strom-Verteilnetzbetreibern fallen laut Bundesnetzagentur mittlerweile 91 Prozent unter die eigentliche Ausnahmevorschrift, von 695 Gas-Verteilnetzbetreibern sind es sogar 94 Prozent...
bne-Pressemitteilung

Bei den deutschen Energienetzen Verhältnisse wie im Spätmittelalter und die Entwicklung ist aufgrund der Rekommunalisierung für die Verbraucher keine gute. Das Motiv der Kommunalpolitk ist die Mittelbeschaffung für den Haushalt, diverse Nebenhaushalte, diverse Querfinanzierungen und nicht die möglichst günstige, sichere .... Versorgung:

Zitat
Während sich Deutschland 1.561 unterschiedliche Betreiber von Strom- und Gasverteilnetzen leistet, kommt Großbritannien mit 12 Betreibern solcher Netze aus. \"Da der Betrieb eines Verteilnetzes aufgrund seiner Kapitalintensität Größenvorteilen unterliegt, ist anzunehmen, dass es aufgrund der kleinteiligen Unternehmenslandschaft in Deutschland zu erheblichen Effizienzverlusten kommt\", erläutert Dr. Ferdinand Pavel vom Beratungsunternehmen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW econ GmbH). Ein Indiz in diese Richtung liefere ein Vergleich der Netznutzungsentgelte in Deutschland, Frankreich sowie England und Wales, so Pavel: \"Insgesamt zahlen Haushalts-, Gewerbe- und Industriekunden in Deutschland die relativ höchsten Entgelte.\"

 

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