@Christian Guhl
auch ich habe nach meiner Klageerwiderung eine neue Argumentation der Versorgeranwälte zum Tarif Classic erhalten, die nicht sehr von der, die sie beschrieben haben abweicht. Für alle Interessierten hier die m.M. nach wichtigsten 10 Punkte:
1. Ausnahmslos alle Kunden, auch mit Altverträgen von Hastra oder Landesgas wären seit Tarifumstellung Oktober 2003 zu Konditionen der AVBGasV beliefert wurden.
Da es keine Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertäge im Tarif Classic geben würde, gilt automatisch die AVBGasV und dadurch würden sich diese Fälle zu denen unterscheiden, die Gegenstand des BGH Urteils vom 15.7.2009 waren, denn für die Belieferung zu Classic Konditionen gäbe es kein Formerfordernis.
Alle Kunden wären seit 2003 informiert und automatisch bei bestimmten Verbrauch in den Classic Tarif eingestuft, und das nicht gegen den Willen der Kunden.
Ein Preisanpassungsrecht ergäbe sich aus §4 Abs. 1, Abs 2 AVBGasV bzw. §5 Abs. 2 GasGVV. Die AVBGasV wären den Kunden schon vor 2003 bekannt gewesen.
2. Sollte man die wirksame Einbeziehung von §4 AVBGasV oder die Preisanpassungsklausel bestreiten, käme es zur Lückenschließung im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung.
$$ 305 ff. BGB schützen den Vertragspartner des Verwenders vor einseitiger Ausnutzung der Konditionengestaltungsfreiheit. Da dem Verbraucher kein niedrigerer Preis als der Marktpreis zustehen würde, muss, wenn die Preisanpassung unwirksam ist oder ihre Einbeziehung fehlt, die im Vertrag entstehende Lücke im Wege ergänzender Vertragsauslegung geschlossen werden.
3. Auch wegen §307 Abs. 3 BGB gäbe es eine Notwendigkeit zur ergänzenden Vertragsauslegung. Die Notwendigkeit folgt daraus, dass die Vereinbarung zur Preisvariabilität in auf unbestimmte Zeit geschlossenen Dauerschuldverhältnissen eine nicht kontrollfähige Preisabrede darstellt. Zur Begründung wird das BGH Urteil vom 10.6.2008 zur Zinsvariabilität zitiert. Zwischen Zinsanpassungsklauseln und Preisanpassungsklauseln gäbe es keinen Unterschied.
Würde es im Classic nicht diese ergänzende Vertragsauslegung geben, hätte man eine Festpreisabrede, der die Avacon aber nie zugestimmt hätte. Dafür gäbe es den Tarif Constant. Jetzt wird noch das Urteil vom OLG Hamm vom 6.3.2008 zitiert, was (Anmerkung von mir) der BGH aber schon wieder mit Urteil vom 13.1.10 kassiert hat.
4. Außerdem käme die „Ergänzende Vertragsauslegung“ gemäß §306 Abs. 2 BGB in Betracht. Ist eine Bestimmung unwirksam oder fehlt sie, so richtet sich der Vertragsinhalt nach den gesetzlichen Vorschriften: §§133, 157 BGB.
Da geht’s darum, was die Vertragspartner eigentlich gewollt hätten, wenn sie schon 2003 von der Unwirksamkeit des §4 AVBGasV gewusst hätten. Avacon behauptet, die Vertragspartner hätten sich auf eine Preisanpassungsregelung geeinigt, die das Änderungsrecht der AVBGasV unverändert in den Vertrag übernimmt und sie hätten niemals an einem Festpreis festgehalten.
Würde man einwenden, dass man einer Preisanpassungsregelung nicht zugestimmt hat, wäre das ohne Substanz. Es käme auf eine objektiv-generalisierende Abwägung der Interessen an.
Auch würde die Ablehnung der ergänzenden Vertragsauslegung Neu- und Bestandskunden ungleich behandeln. Dann kommt man zum BGH Urteil (Kartellsenat) vom 29.4.2008 ab und folgert daraus, dass die ersatzlose Streichung der Preisanpassungsklausel das Vertragsgefüge einseitig zugunsten der Kunden verschieben würde. Man gibt zu, dass der Kartellsenat die ergänzende Vertragsauslegung mit dem Kündigungsrecht des Versorgers verknüpft (eine Bindung des Versorgers an den vereinbarten Preis ist bis zum nächsten Kündigungstermin zumutbar), meint aber gleichzeitig, dass der Kartellsenat übersehen hat, dass gemäß §306 Abs. 3 BGB im Fall der Unzumutbarkeit, der ganze Vertrag unwirksam ist. Auch der VIII Zivilsenat, hätte mit Urteil vom 15.7.2009 nicht gesagt, welche Anforderungen für den Nachweis der Unzumutbarkeit gestellt werden müssen. Daraus wird gefolgert, dass auch wenn der Versorger kündigen könnte, es trotzdem ein unzumutbares Ergebnis sein kann, denn sonst hätten Kartell- und Zivilsenat die ergänzende Vertragsauslegung komplett ablehnen müssen.
5. Dann versucht man den Nachweis der Unzumutbarkeit sowohl aus a) vertragsspezifischer Sicht, als auch durch b) Betrachtung des finanziellen Gesamtrisikos zu erbringen.
Zu a) wird behauptet, dass nur, wenn der Versorger den Marktpreis erhält, es keine unzumutbare Belastung wäre.
Preise von 2004 wären schon 2005 oder später keine Marktpreise mehr gewesen, dies könnte man jederzeit durch Gutachten und Testate nachweisen.
Zu b) wird behauptet, dass würde die im Vertrag entstandene Lücke nicht im Wege ergänzender Vertragsauslegung durch unveränderte Übernahme des Preisanpassungsrechts aus §4 AVBGasV geschlossen, würde es zu massenhaften Rückforderungsansprüchen kommen, was ebenfalls unzumutbar wäre. Den Einwand, dass Risiken aus Massengeschäften im Rahmen der Prüfung des $306 Abs. 2 BGB per se unbeachtlich sind, bügelt man damit ab, dass es kein vom Versorger zu verantwortender Umstand ist, sondern ein marktgegebener. Es könnte nicht angehen, großen Risiken durch Aufteilung in mehrere kleine, die rechtliche Relevanz abzusprechen.
6. Man stellt noch zwei Überlegungen an (sehr interessant):
a) würde es keine vertragliche Bindung zwischen den Parteien geben, müssten alle Verträge nach Bereicherungsrecht rück abgewickelt werden und der Versorger objektiven Ersatz für das verbrauchte Gas bekommen. Bei nur unwirksamer Preisanpassungsklausel (der restliche Vertrag gilt), könnten sich die Kunden aber nicht besser stehen, als bei vollständiger Vertragsunwirksamkeit.
b) der Verwender kann bei unwirksamen AGBs dem Vertragspartner zu Schadenersatz verpflichtet sein. Wenn jetzt aber trotz unwirksamen AGBs kein Schaden entstanden ist, weil der Kunde zu marktüblichen Preisen beliefert wurde, dann wäre es ausgeschlossen, den Kunden jetzt über die Ablehnung der ergänzenden Vertragsauslegung in den Genuss noch besserer (nicht marktüblicher) Preise kommen zu lassen.
7. Zusammen gefasst:
Die entstehende Lücke bei Unwirksamkeit oder fehlgeschlagener Einbeziehung, kann nur durch ergänzende Vertragsauslegung geschlossen werden. Die Parteien hätten eine Regelung vereinbart, die nicht hinter dem gesetzlichen Preisanpassungsrecht in §4 AVBGasV zurück bleibt. Die Verwendung eine Klausel, die AVB Recht entspricht hat Leitbildfunktion und wird bei Tarifkunden auch ohne rechtsgeschäftliche Erklärung Vertragsbestandteil. Es gibt keine Zweifel, was man vereinbart hätte, wenn man von der Unwirksamkeit der Preisanpassungsklausel schon bei Vertragsabschluss gewusst hätte.
8. Dann wird auf das Urteil des LG Hannover vom 1.12.09 eingegangen.
Die Avacon Anwälte nennen das Angebot mit der Überschrift „Flexibilität bei höheren Verbrauch Avacon Erdgas Classic“ Werbebroschüre und die darin verwendetet Preisanpassungsklausel nur den „vierten Spiegelpunkt“. Und dann sagen sie, dass die vom LG zugedachte rechtliche Bedeutung des „vierten Spiegelpunkts der Werbebroschüre“ (Anmerkung von mir, das ist die Preisanpassungsklausel „bei nachhaltiger Preisänderung im Heizölmarkt, werden die Erdgaspreise angepasst“) nicht zutrifft. Diese Aussage wäre keine „Allgemeine Bestimmung“, sondern nur ein Tarifmerkmal.
Es wird auf die allgemeinen Maßstäbe für die Auslegung von Erklärungen als AGB eingegangen und was für Konsequenzen das in diesem Fall hat.
Nämlich der Intention der Klägerin (Unerheblichkeit), dem Kundenverständnis(nicht der wirkliche Wille, sondern das typische Verständnis eines Gaskunden zählt) und das Tarifmerkmale keine AGBs sind. Man gibt zu, dass eine „Allgemeine Bestimmung “ in einem Vertrag Vorrang vor der AVBGasV haben kann, aber die Aussage „bei nachhaltiger Preisänderung im Heizölmarkt, werden die Erdgaspreise angepasst“ in einer Werbebroschüre wäre keine Preisgleitklausel sondern ein Tarifmerkmal.
Würde man aber jetzt einwenden, dass in der sogenannten „Werbebroschüre“ ganz klar steht, dass Classic ein Sondervertrag ist und dort weiter zu lesen ist „Für die Belieferung mit Erdgas zu Sondervertragspreisen gilt, sofern in den allgemeinen Bestimmungen der Verträge nicht anders vereinbart, die AVBGasV entsprechend.“, wird argumentiert, dass sich dieser Satz auf die „Allgemeinen Bestimmungen der Verträge“ und nicht auf
die Bestimmungen der Werbebroschüre bezieht, und genau diesen Umstand hätte das LG Hannover verkannt.
Die Preisanpassungsklausel der Broschüre wäre nämlich keine allgemeine Bestimmung, sondern beschreibendes Tarifmerkmal und identisch mit dem Passus aus §1 Abs.1 AVBGasV, wo es gar keine AGBs gibt. Es hätte sich auch noch nie irgendein Kunde zur Begründung eines Anspruchs auf ein Tarifmerkmal berufen, sondern immer auf die AVBGasV.
Als Ergebnis: Das LG Hannover hat die Preisanpassungsklausel „bei nachhaltiger Preisänderung im Heizölmarkt, werden die Erdgaspreise angepasst“ völlig verkannt.
9. Zu Altverträgem mit Hastra/Landesgas etc. wird gesagt:
Seit Umstellung aller Altverträge auf Classic würden nur die unverändert übernommenen Regelungen der AVBGasV gelten, weil es zu keinem Neuabschluss sondern nur zur Vertragsänderung kam. Die Einbeziehung der AVBGasV könnte nicht an §305 Abs. 2 BGB gemessen werden, sondern nur an Vereinbarungen auf die sich die Parteien bis zur Vertragsänderung 1.10.2003 geeinigt hätten (§305 würde nur gelten, falls keine Vereinbarungen getroffen sind). Vor dem 1.10.2003 hätte auch schon die AVBGasV gegolten, denn die hätte man damals als Wärmesondervertragskunde der Hastra/Landesgas etc. ausgehändigt bekommen. Außerdem könnten bei Massengeschäften nicht so strenge Einbeziehungsvoraussetzungen gestellt werden (BGH Urteil vom 25.3.1982 über Abwasserbeseitigung).
Der Versorger ist der Meinung es reicht aus, wenn die AGBs in seinen
Geschäftsräumen aushängen. Außerdem könnte man die AGBs in der Bibliothek oder dem Internet nachlesen. Auf Nachfrage würde man sie auch zugeschickt bekommen. Weil man auch nie Widerspruch gegen die Einbeziehung der AVBGasV gemacht hat, wäre sie wirksam einbezogen. Die Argumentation für die wirksame Einbeziehung der GasGVV ist dieselbe wie bei der AVBGasV (keine speziellen Vereinbarungen getroffen, also gelten die rechtlichen Regelungen).
10. Hat man Musterschreiben des BDE für seinen Preisprotest verwendet, ist man nach Auffassung des Versorgers ganz schlecht dran. In diesen Musterschreiben heißt es zumeist „Sollten Sie zu dieser einseitigen Preiserhöhung berechtigt sein, bindet mich eine solche nicht, so lange die Angemessenheit Ihrer jeweiligen Preisforderung nicht von mir anerkannt oder von dem zuständigen Gericht rechtskräftig festgestellt wurde“. Das interpretiert der Versorger dahingehend, dass man zur Zahlung bereit ist, wenn nur die Billigkeit nachgewiesen ist. Der Versorger könnte dem Kunden vertrauen und hätte keinen Grund zur Kündigung, wenn er den Billigkeitsnachweis erbringt. Die ergänzende Vertragsauslegung würde genau aus diesem Grunde nicht ausscheiden.
Hat man vielleicht sogar noch dem Versorger eine Preiserhöhung von 2% zugestanden (solche Musterschreiben vom BDE gab es auch), wäre der Kunde in jedem Fall verpflichtet die nach billigem Ermessen erhöhten Preise zu zahlen, völlig unabhängig von der Frage des Preisanpassungsrechts. Das Zugeständnis 2% mehr zu zahlen, könnte nur als Anerkenntnis einer Billigkeit entsprechenden Preiserhöhung verstanden werden und nur im Vertrauen darauf wurde die Belieferung mit Gas fortgesetzt und von einer Kündigung abgesehen.
Wenn man dem Versorger erst jetzt im Gerichtsverfahren das Recht zur Preisanpassung abspricht, wäre das treuwidrig und es müsste in jedem Fall im Rahmen des Verfahrens eine Billigkeitskontrolle durchgeführt werden.
Liebe Grüße Opa Ete