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Autor Thema: Rechtswidrige Hartz IV-Sanktionspraxis - Sanktionsmoratorium  (Gelesen 16032 mal)

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Offline eislud

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Rechtswidrige Hartz IV-Sanktionspraxis - Sanktionsmoratorium
« am: 22. September 2009, 16:17:22 »
Rechtswidrige Hartz IV-Sanktionspraxis - Sanktionsmoratorium

Grundsätzlich geht es bei der Hartz IV-Sanktionspraxis darum, daß den sogenannten \"Drückebergern\" - also Hartz IV Empfängern, die nicht bereit sind sich wieder in \"zumutbarer Weise\" in die Arbeitswelt einzugliedern - die Hartz IV Unterstützung bis teilweise unter das Lebensnotwendige reduziert wird.

Dabei obliegt es alleine den vielfach schlecht ausgebildeten und unterbezahlten Mitarbeitern der Jobcenter und Arbeitsagenturen darüber zu entscheiden, ob es sich um einen \"Drückeberger\" handelt oder nicht. Eine dahingehende Entscheidung kann von dem Betroffenen nur durch eine gerichtliche Auseinandersetzung rückgängig gemacht werden, was regelmäßig sehr langwierig ist. Bis dahin erhält er nur die reduzierte Unterstützung.

Daß diese Sanktionspraxis in zahlreichen Gerichtsurteilen angeprankert wird und vielfach die im Grundgesetz verankerte Verhältnismäßigkeit verletzt, stört die Jobcenter und Arbeitsagenturen wenig. Frei nach dem Grundsatz: Machen wir einfach weiter wie bisher.

Telepolis berichtet hier unter anderem anhand von Beispielen über diese rechtswidrige Hartz IV-Sanktionspraxis und ein Bündnis, das sich dagegen zur Wehr setzt.

So sollte beispielsweise ein Epileptiker sinnvollerweise auf einem Baugerüst arbeiten und eine Hartz IV-Bezieherin wurde vom Job-Center dazu angehalten, die \"Nebentätigkeit\" Prostitution gegen ihren Willen fortzusetzen. Ein Diabetiker konnte sich aufgrund der Sanktionen kein Insulin und auch kein Essen mehr leisten. ...

Die Mitarbeitern der Jobcenter und Arbeitsagenturen sind Götter unter den Säugetieren. Sie können über Leben und Tod entscheiden.

Das Bündnis führt hier eine Unterschriftensammlung durch, um diese rechtswidrige Sanktionspraxis zu stoppen.
Zitat
Die fragwürdige Sanktionspraxis gegen Erwerbslose muss sofort gestoppt werden!

Hartz-IV-Sanktionen bedeuten die Kürzung des Lebensnotwendigen.
Sie sind unangemessen und entsprechen nicht unserer demokratischen Gesellschaftsform.

Um faire Lösungen zu schaffen, ist die Anwendung des § 31 SGB II auszusetzen.
Neben Ruhm und Ehre, sei mein Dank jedem Unterzeichner gewiss.  

Offline AKW NEE

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Rechtswidrige Hartz IV-Sanktionspraxis - Sanktionsmoratorium
« Antwort #1 am: 22. September 2009, 16:52:24 »
Für die einzelnen Leistungsempfänger werden von der Agentur so genannte Leistungsakten geführt. Hier wird aller Schriftverkehr zwischen Amt und Antragsteller gesammelt, sowie weitere auch Ermittlungsergebnisse.

Für gerichtliche Auseinandersetzungen kann die Akte auch mal, wie von der Agentur in Uelzen, zum Nachteil des Antragstellers verändert werden!

Offline reblaus

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Rechtswidrige Hartz IV-Sanktionspraxis - Sanktionsmoratorium
« Antwort #2 am: 22. September 2009, 20:06:03 »
§ 31 SGB II ist eine sehr faire Lösung für all die Putzfrauen, Kanalarbeiter, Hilfskräfte, Friseure, Zimmermädchen und sonstig Berufstätige mit geringem Einkommen, denen Teile ihres Einkommens abgezogen werden, um Rentner, Kranke und Arbeitslose zu finanzieren, und die Teile ihres Einkommens zur Zahlung von Mehrwert-, Mineralöl-, Versicherungs- oder andere Verbrauchssteuern aufwenden müssen.

Mit diesen Steuern werden unter anderem die HartzIV-Leistungen derjenigen finanziert, die nicht soviel Glück haben, und keine Arbeitsstelle finden, mit der sie ihren Lebensunterhalt selbst erwirtschaften können. Dies ist fair.

Es ist den oben genannten Kleinverdienern aber nicht zuzumuten morgens um 5 Uhr oder früher aufzustehen, 8 Stunden in anderer Leute Fäkalien zu stehen, für kleines Geld Akkordarbeit zu leisten oder sich auf sonstige Weise anzustrengen, damit andere die Wahl haben, statt unangenehmer schwerer Arbeit nachzugehen, lieber zuhause zu bleiben und andere \"dümmere\" Zeitgenossen für den eigenen Lebensunterhalt schuften zu lassen. Das wäre unfair.

§ 31 Absatz 1 SGB II lautet:

Zitat
Das Arbeitslosengeld II wird unter Wegfall des Zuschlags nach § 24 in einer ersten Stufe um 30 vom Hundert der für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nach § 20 maßgebenden Regelleistung abgesenkt, wenn
   1.    der erwerbsfähige Hilfebedürftige sich trotz Belehrung über die Rechtsfolgen weigert,
      a)    eine ihm angebotene Eingliederungsvereinbarung abzuschließen,
      b)    in der Eingliederungsvereinbarung festgelegte Pflichten zu erfüllen, insbesondere in ausreichendem Umfang Eigenbemühungen nachzuweisen,
      c)    eine zumutbare Arbeit, Ausbildung, Arbeitsgelegenheit, eine mit einem Beschäftigungszuschuss nach § 16a geförderte Arbeit, ein zumutbares Angebot nach § 15a oder eine sonstige in der Eingliederungsvereinbarung vereinbarte Maßnahme aufzunehmen oder fortzuführen, oder
      d)    zumutbare Arbeit nach § 16 Abs. 3 Satz 2 auszuführen,
   2.    der erwerbsfähige Hilfebedürftige trotz Belehrung über die Rechtsfolgen eine zumutbare Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit abgebrochen oder Anlass für den Abbruch gegeben hat.

Dies gilt nicht, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige einen wichtigen Grund für sein Verhalten nachweist.

Hartz IV gehört zu den besten Reformen, die dieses Land jemals in Angriff genommen hat. Diese Reform hat Millionen Arbeitsplätze geschaffen und vielen Menschen eine neue Chance eröffnet, ihr Leben durch eigene Kraft zu gestalten.

Offline eislud

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Rechtswidrige Hartz IV-Sanktionspraxis - Sanktionsmoratorium
« Antwort #3 am: 23. September 2009, 01:13:40 »
@reblaus
Wie Du dem Anfangsbeitrag und den Links entnehmen kannst, geht es eigentlich weniger um die \"Drückeberger\", sondern vielmehr um diejenigen, die zu Unrecht sanktioniert wurden.

Du kannst doch nicht ernsthaft beführworten, daß beispielsweise ein Epileptiker, der mitunter ständig mit einem epileptischen Anfall rechnen muß, entweder auf einer Baustelle auf einem Baugerüst arbeiten muß oder sanktioniert wird.

Ich kann auch nicht glauben, daß Du selbst als Mitarbeiter einer Arbeitsagentur, eine ehemalige Prostituierte dazu zwingen würdest wieder anschaffen zu gehen, auch wenn sie das mit ihrem Gewissen nicht mehr vereinbaren kann. Sollten in einem solchen Fall dann nicht alle Hartz IV Empfänger dazu verpflichtet werden können, vielleicht noch als 1 Euro Job?

Das sind keine konstruierten Beispiele sondern Beispiele, die für die Betroffenen bittere Realität geworden sind.

Daß es zahlreiche Fälle von zu Unrecht verhängten Sanktionen gibt, zeigen die zahlreichen Gerichtsurteile, die solche Sanktionen wieder aufgehoben haben.

Mit dem § 31 SGB II gibt man den vielfach schlecht ausgebildeten und überforderten Mitarbeitern der Jobcenter und Arbeitsagenturen ein Mittel an die Hand, auf einen puren Verdachtsfall hin oder aufgrund von Kleinigkeiten eine empfindliche Strafe zu verhängen, die nur über ein Gerichtsverfahren des Betroffenen wieder aufgehoben werden kann. Selbst die Bundesregierung hat nach entsprechenden Gerichtsurteilen eingeräumt, dass bei der jetzigen Gesetzesregelung gegen die Verhältnismäßigkeit im Grundgesetz verstoßen wird.

Es ist offensichtlich, daß der § 31 SGB II in seiner heutigen Ausprägung nicht dazu geeignet ist, \"Drückeberger\" von anderen Personen zu unterscheiden. Solange das so ist, hat er schon keine Berechtigung.        


Wie Du ebenfalls dem Anfangsbeitrag und den Links entnehmen kannst, geht es hier nicht um eine Beurteilung von Hartz IV, sondern ausschließlich um die Hartz IV-Sanktionspraxis, die sich aus dem § 31 SGB II ergibt. Und es geht auch nicht um die vielen Arbeitsplätze, die während einer ausgeprägten Aufschwungphase in den letzten Jahren neu entstanden waren und die damit verbundenen fallenden Arbeitslosenzahlen, die zudem noch durch immer neue und abgewandelte Berechnungsgrundlagen zusätzlich geschönt wurden.

Offline reblaus

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Rechtswidrige Hartz IV-Sanktionspraxis - Sanktionsmoratorium
« Antwort #4 am: 23. September 2009, 07:58:41 »
@eislud
Sie haben gefordert § 31 SGB II auszusetzen, bzw. zu einer Unterschriftenaktion aufgerufen, die diese Forderung erhebt.

Ich bin weder der Meinung, dass irgendjemand zur Erwirtschaftung seines Lebensunterhalts der Prostitution nachgehen solle, oder diese von ihm früher freiwillig betriebene Arbeit fortsetzen solle, noch bin ich der Auffassung, dass ein Epileptiker solche Arbeiten aufnehmen solle, bei denen er unkalkulierbare Risiken für Leib und Leben eingeht.

Deshalb habe ich § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II fett gedruckt. Denn dort steht ausdrücklich, dass niemand zu solchen Tätigkeiten die Sie beschreiben gezwungen werden darf. Wenn in Einzelfällen ein inkompetenter Behördenmitarbeiter solche Forderungen aufstellen sollte, und dem Widerspruch gegen einen solchen Bescheid nicht abgeholfen wird, so steht jedem Hartz IV Empfänger der Rechtsweg im Wege eines einstweiligen Verfügungsverfahrens offen.

Für die Aussetzung eines Gesetzes, das Hartz IV Empfängern abverlangt, sich nach ihren Möglichkeiten um eine Arbeit zu bemühen besteht überhaupt kein Anlass. Hier werden bedauerliche Einzelschicksale von interessierten Kreisen benutzt, diese Reform abzuschaffen.

Was aus der Sicht mancher vielleicht nachvollziehbar ist. Ein Hartz IV Empfänger, der wieder Arbeit gefunden hat, könnte sich angesichts der gewaltigen Abgabenlast, die man ihm zur Finanzierung des Sozialstaats plötzlich aufbürdet, veranlasst sehen statt der Linkspartei zukünftig FDP zu wählen.

Offline eislud

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Rechtswidrige Hartz IV-Sanktionspraxis - Sanktionsmoratorium
« Antwort #5 am: 23. September 2009, 14:03:13 »
@reblaus
Eine Großzahl der Sanktionen sind rechtswidrig, wie die Anzahl der gewonnen Prozesse gegen die Maßnahmen beweist. Es handelt sich somit nicht um Einzelfälle/Einzelschicksale, wie Du gerne glauben machen möchtest.  

Eine angemessene Anwendung des § scheitert schon an der schwammigen Formulierung \"Dies gilt nicht, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige einen wichtigen Grund für sein Verhalten nachweist.\", weil es offensichtlich dem Verwender des § obliegt, einen Grund als wichtig oder nicht wichtig anzusehen.  

Seit Jahren gelingt es der Bundesagentur für Arbeit nicht, geeignete Instrumente zu etablieren, die den Behördenmitarbeitern eine Unterscheidung nach wichtigem Grund und nicht wichtigem Grund ermöglichen. Ansonsten gäbe es die zahlreichen zu Unrecht verhängten Sanktionen nicht. Zeit genug war wohl vorhanden.

Wenn es also nicht möglich ist treffsicher einen \"Drückeberger\" von einem anderen zu unterscheiden, dann erscheint ein solcher § nicht geeignet. Das insbesondere dann, wenn eine falsche Entscheidung auf der einen Seite zu Risiken für Leib und Leben führen kann, wenn der Job wider besseren Wissens angenommen wird, oder auf der anderen Seite die finanzielle Unterstützung unter das Existenzminimum fällt, wenn der Job wegen des besseren Wissens nicht angenommen wird, was ebenfalls zu Risiken für Leib und Leben führen kann.      

Zudem ist die Arbeitsverweigerung ein eher seltener Sanktionsgrund. Es führen häufig bereits Kleinigkeiten zu unberechtigten Sanktionen, wie beispielsweise die Verweigerung einer Unterschrift unter eine völlig unverständliche Eingliederungsvereinbarung. Auch wenn solche Sanktionen gegen die Verhältnismäßigkeit verstoßen, werden sie immer noch praktiziert. Auch hier hat die Bundesagentur für Arbeit es versäumt, geeignete Abhilfe zu schaffen.      

Daß jedem Hartz IV Empfänger der Rechtsweg offen steht, wird nicht bestritten. Er kann und wird nur eben häufig aus den unterschiedlichsten Gründen nicht angewendet. Die Betroffenen sind schlichtweg überfordert und kennen ihre Rechte nicht, was in einem Dschungel voller Fußangel-Paragrafen und unklarer Regelungen, die sich mitunter gegenseitig widersprechen, für einen Normalbürger nachvollziehbar ist. Du kannst nicht Deine Kenntnisse als ausgebildeter Rechtsanwalt zum Maß aller Dinge machen.

Es geht auch augenscheinlich nicht darum das Hartz IV Gesetz auszusetzen, sofern Du das meintest, sondern nur einen § der für die zahlreichen zu Unrecht verhängten Sanktionen verantwortlich ist.

Was macht man denn mit einem §, wenn er sich in der Praxis als untauglich herausstellt?
Wenn es nach Dir gehen würde, dann würde man ihn wohl einfach so belassen wie er ist, völlig egal, ob er sich in der Praxis bewährt hat oder ob er häufig zu Ungerechtigkeiten führt - nur die gute Absicht zählt.

Vielleicht solltest Du Dir mal zumindest Kapitel 5.4 Resümee der Broschüre \"Wer nicht spurt, kriegt kein Geld - Sanktionen gegen Hartz-IV-Beziehende - Erfahrungen, Analysen, Schlussfolgerungen\" (PDF) ansehen.

Ich bin nicht arbeitslos und war es auch noch nicht. Ich setze mich aber für eine Wiederherstellung eines sozialeren Staates ein und dafür, daß die Würde des Menschen vom Staat wieder geschützt wird und es sich dabei nicht nur um leere Floskeln im Grundgesetz handelt. Gibt es einen Fall, in dem der Staat die Würde des Menschen nicht schützt, dann ist das einer zu viel.

Du hingegen scheinst die Meinung zu vertreten, daß es auf Einzelfälle nicht ankommt.

Offline reblaus

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Rechtswidrige Hartz IV-Sanktionspraxis - Sanktionsmoratorium
« Antwort #6 am: 23. September 2009, 16:46:24 »
@eislud

Sie scheinen der Ansicht zu sein, dass man ein Gesetz, das missachtet wird am besten abschafft.

- Geschwindigkeitsbegrenzungen vor Schulen, die zur Raserei verleiten
- Einkommensteuergesetze, die zur Hinterziehung einladen
- Mehrwertsteuergesetze, die die Schwarzarbeit befördern

sollte man abschaffen, um diese unakzeptablen Gesetzesverstöße zu bekämpfen.

Der Zwang, sich um eine zumutbare Arbeit bemühen zu müssen, ist die grundlegende Voraussetzung dafür, dass Hartz IV Bezüge in einer Höhe bezahlt werden können, die nahe an den unteren Einkommensgruppen liegen. Ein Sozialsystem muss entweder über einen Anreiz oder über Zwang dafür sorgen, dass von ihm nur in unabwendbar notwendigen Fällen Gebrauch gemacht wird. Anderenfalls ist es wirtschaftlicher keiner Arbeit nachzugehen, als für acht Stunden täglichen Arbeitsaufwandes das gleiche zu erwirtschaften, was man auch durch einen Amtsbesuch pro Monat erzielen könnte.

Die Alternative wäre, die Hartz IV Bezüge auf Überlebensniveau zu reduzieren, so dass eine Arbeitsaufnahme aus finanziellen Erwägungen Sinn machen würde. Da halte ich eine gesetzliche Verpflichtung für den milderen Eingriff, trifft er doch nur diejenigen, die sich um die Arbeitsaufnahme drücken wollen.

Die von Ihnen aufgezeigten Beispiele beweisen doch, dass die Verwaltung mit solcher Rechtsauslegung nicht durchkommt. Dass es die Öffentlichkeit interessiert, wenn das Gesetz ungerecht angewendet wird.  Rechtsunkundigen Hartz-IV-Empfängern könnte auch ein Beratung durch Freiwillige zu ihrem Recht verhelfen.

\"Der wichtige Grund\" ist keine schwammige Formulierung sondern eine Generalklausel, die es den Gerichten ermöglicht, die unterschiedlichsten Lebenssachverhalte als Grund für eine berechtigte Verweigerung heranzuziehen. Sie als Nichtjurist haben doch völlig treffsicher erkannt, dass ein Epileptiker einen wichtigen Grund gegen seinen Einsatz auf einem Baugerüst vorweisen kann. Dass das Recht die Prostitution zu verweigern, auch für ehemalige Prostituierte ein wichtiger Grund darstellt, haben Sie ebenso richtig beurteilt.

Mir kommt es sehr auf Einzelschicksale an. Ich weiß aber auch, dass hilfsbedürftige Menschen auf das Verständnis der anderen angewiesen sind. Dieses Verständnis wird untergraben, wenn die anderen sich ausgenutzt fühlen. Dann wird über einen Kamm geschert. Deshalb ist eine Missbrauchsbekämpfung gerade zum Schutz der wirklich Bedürftigen notwendig, damit diese die Solidarität auch erhalten, die sie benötigen.

Offline eislud

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Rechtswidrige Hartz IV-Sanktionspraxis - Sanktionsmoratorium
« Antwort #7 am: 23. September 2009, 17:39:33 »
@reblaus
Zitat
Sie scheinen der Ansicht zu sein, dass man ein Gesetz, das missachtet wird am besten abschafft.

- Geschwindigkeitsbegrenzungen vor Schulen, die zur Raserei verleiten
- Einkommensteuergesetze, die zur Hinterziehung einladen
- Mehrwertsteuergesetze, die die Schwarzarbeit befördern

sollte man abschaffen, um diese unakzeptablen Gesetzesverstöße zu bekämpfen.
Vielleicht solltest Du nochmal darüber nachdenken, ob es hier nicht einen entscheidenden Unterschied gibt. Das was Du hier darstellst ist reine Polemik.
Bei der Hartz IV-Sanktionspraxis ist es nicht der Bürger, der das Gesetz mißachtet, sondern der Staat. Das ist wahrlich ein Unterschied. Der Staat macht ein Gesetz was ihm selbst ermöglicht zu Unrecht zu sanktionieren. So etwas ist in meinen Augen mehr als lächerlich. Und dagegen setze ich mich zur Wehr.


Gegen ein angemessenes Anreiz- oder Zwangsystem habe ich gar nichts einzuwenden, solange es gerecht und fair ist und nicht zu Unrecht Sanktionen verhängt werden, wie es hier eben unwidersprochen der Fall ist. Wenn also die Behörden mit der Generalklausel nicht umzugehen verstehen, dann scheint es nicht das geeignete Instrument zu sein, die Bürger angemessen zu sanktionieren. Um nichts anderes geht es.

Eine Beratung durch Freiwillige gibt es bereits, was Du wüßtest, wenn Du Dir die Mühe machen würdest die zur Verfügung gestellten Informationen zu sichten.
Eine solche Beratung kann aber nur denjenigen helfen, die eine solche Beratung auch aufsuchen. Das ist ersichtlich bei vielen aus den unterschiedlichsten Gründen nicht der Fall (geht auch bereits aus den zur Verfügung gestellten Informationen hervor).  

Deine Sicht der Dinge krankt einfach daran, daß Du in gutem Glauben auf den Staat vertraust, daß er es schon richtig macht. Und daß Du weiter annimmst, daß es für den Bürger akzeptabel ist, ungerechtfertigte Sanktionen entweder hinzunehmen oder Zeit, Aufwand und Kraft dafür einzusetzen, die ungerechte Behandlung wieder zu korrigieren und bis dahin auf die lebensnotwendige Hartz IV Unterstützung zu verzichten.

Obwohl beispielsweise die Verweigerung einer Unterschrift unter eine völlig unverständliche Eingliederungsvereinbarung laut Urteilen der Gerichte nicht mehr sanktioniert werden darf und obwohl dazu eine Dienstanweisung der Bundesagentur für Arbeit seit langem existiert, wird es immer noch praktiziert. Ja, sorry, aber was will der Staat seinen Bürgern den noch abverlangen. Wie oft sollen die Bürger noch wegen dem gleichen Fall Gerichte bemühen müssen?

Offline reblaus

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Rechtswidrige Hartz IV-Sanktionspraxis - Sanktionsmoratorium
« Antwort #8 am: 23. September 2009, 18:27:06 »
Dann argumentiere ich mal in Ihrer Richtung.

Das Finanzministerium verwendet zwischenzeitlich massenhaft sog. Nichtanwendungserlasse, mit denen die Finanzämter angehalten werden, Urteile der Finanzgerichte auch des Bundesfinanzhofs nicht anzuwenden. Hier wird von der Regierung angeordnet geltendes Recht gebrochen. Sollen wir deshalb die Steuervorschriften abschaffen?

Ihr Problem ist, dass Sie ein Gesetz abschaffen wollen, obwohl das Problem bei der Verwaltung liegt. Das Gesetz ist hervorragend. Wenn die Verwaltung nicht spurt, müssen Sie die Verwaltung verbessern. Für mich stellt sich die Frage, ob es nicht doch das Gesetz ist, das man nicht haben will.

Wer von der Verwaltung seine Bezüge gekürzt bekommt, weil er nicht der Prostitution nachgehen wollte, bekommt vor den Verwaltungsgerichten binnen weniger Tage einstweiligen Rechtsschutz. Abgesehen davon kann er ein solches Verhalten anzeigen. Stellen Sie Hartz IV Empfänger nicht als hilflose Vollidioten dar. Die wissen sich schon zu wehren, und diejenigen die es nicht wissen, sollten es beizeiten lernen. Ansonsten bleiben sie ewig Opfer, nicht nur von sturen Verwaltungsangestellten.

Hilfe zur Selbsthilfe ist das Zauberwort.

Offline Zeus

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« Antwort #9 am: 23. September 2009, 19:33:55 »
@eislud
Man sollte aus einer Mücke auch keinen Elefanten machen. So bedauerlich die geschilderten Vorfälle sind, sie bleiben die Ausnahme, und haben sicherlich auch zu entsprechenden Maßnahmen geführt, ansonsten wären nicht inkompetente  oder schlecht ausgebildete Mitarbeiter zu thematisieren, sondern die Leitung der Jobcenter und Arbeitsagenturen.
Im Rahmen eines Energienothilfefonds, habe ich seit mehr als nunmehr anderthalb Jahren mit Dutzende von Hartz IV- Bezieher zu tun gehabt. Darunter war kein einziger Fall, beim dem eine Sanktion nicht berechtigt gewesen wäre. Und seltsamerweise betraffen die seltenen Fälle nur Singles unter 25 Jahre.
Das soll nicht heißen, dass es auch zu Auseinandersetzungen mit der Arge kam, weil z.B. ein notwendiges Darlehen zunächst verweigert wurde, aber auch diese Fälle ließen sich meistens ohne gerichtliche Auseinandersetzung erledigen.
Und noch eins : es ließe sich auch sehr leicht ein Buch  über Hartz IV- Bezieher schreiben die gelogen und betrogen haben, ob bei der Agentur, den Energieversorgern oder einer Hilfe-Organisation. Hier werden Sie dann aber möglicherweise argumentieren, dass dies dann nur aus der Not heraus geschehen ist.

Offline eislud

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« Antwort #10 am: 23. September 2009, 20:14:08 »
@reblaus
Mit einem Aussetzen wird gerade erreicht, daß sich der Gesetzgeber Gedanken darum machen muß, wie er eine ordnungsgemäße Anwendung in der Verwaltung sicherstellen kann. Das ist genau eine Möglichkeit das langjährige Problem in der Verwaltung anzugehen. Vielleicht gibt es auch andere. Tatsache ist, daß zu Unrecht sanktioniert wird und es bisher nicht in den Griff zu bekommen war.
 
Ich stelle Hartz IV Empfänger nicht als hilflose Vollidioten dar. Ich beziehe mich auf die Untersuchungen aus der Broschüre, die belegen, daß die Hartz IV Empfänger ihren Hintern in vielen Fällen nicht hochbekommen - für mich auch aus nachvollziehbaren Motiven.

Zitat
Hilfe zur Selbsthilfe ist das Zauberwort.
Sag das mal jemandem, der in Rechnungen ertrinkt und sich nicht mehr überwinden kann, überhaupt noch Post zu öffnen.

@Zeus
Ich möchte aus einer Mücke keinen Elefanten machen auch wenn es für einen Betroffenen sicherlich keine Mücke ist.

Dein Datenmaterial aus Dutzenden von Hartz IV- Beziehern und insbesondere Deine Arbeit in Ehren. Das Datenmaterial aus der Broschüre ist aber sicherlich umfangreicher. Mal reingeschaut?

Ja, es ließe sich auch sehr leicht ein Buch über Hartz IV- Bezieher schreiben die gelogen und betrogen haben, so wie es auch beim Thema Steuerhinterziehung als Volkssport möglich wäre. Diese Personen sind hier ja auch nicht wirklich thematisiert und solche Praktiken kann ich auch in der Regel nicht befürworten. Und im Einzelfall wird eine solche Praktik trotzdem bei mir auf Gehör stoßen, weil derjenige tatsächlich an der Wand stand und sich keinen anderen Rat mehr wußte, ja.

Offline reblaus

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« Antwort #11 am: 23. September 2009, 20:55:17 »
@eislud
In dieser Broschüre gibt es 10 Betroffene, die von ihren Erfahrungen berichten. Ein Betroffener kann seine eigene Situation aber nur ziemlich schwer selbst objektiv beurteilen.

Dann gibt es noch eine Umfrage in verschiedenen Berliner Beratungsstellen. Auch hier kann wohl kaum von einer objektiven Beurteilung ausgegangen werden.

Das sind alles persönliche Erfahrungen, die als Begründung herhalten sollen, diese Sanktionspraxis ohne wenn und aber abzuschaffen. Eine objektive neutrale Untersuchung der tatsächlichen Umstände sieht anders aus. Es geht halt doch nicht um die Verwaltung sondern um das Gesetz, das man nicht mag.

Am Rande, wenn jemand nicht arbeiten will, obwohl er arbeiten könnte, und dadurch in menschenunwürdige finanzielle Verhältnisse gerät, ist das allein sein Problem, nicht das seiner Mitbürger.

Offline eislud

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« Antwort #12 am: 23. September 2009, 23:29:33 »
Telepolis 2 Teil: Rechtswidrige Hartz IV-Sanktionspraxis


@reblaus
Betroffene und diejenigen, die direkt an der Front arbeiten, sind niemals objektiv. Und? Sind deren Aussagen deshalb völlig falsch? Gibt es etwa deshalb gar keine ungerechtfertigte Sanktionspraxis? Was ist bloß mit den vielen erfolgreichen Widersprüchen und Klagen? :rolleyes:

Wenn Du objektivere Daten besorgen kannst oder überhaupt andere dann laß es mich und/oder noch besser die Interviewpartner bei Telepolis wissen. :)
Demnächst wird es wohl eine Analyse des Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit geben. Da wird man sich dann wohl die Sicht der Arbeitsagentur ansehen können. Die wird dann womöglich auch nicht objektiver sein. Ich freue mich trotzdem drauf, weil sie nicht alles unter den Tisch fallen lassen können, eben weil vieles auch öffentlich ist.

Am Rande, wenn jemand zu Unrecht sanktioniert wird und dadurch in menschenunwürdige finanzielle Verhältnisse gerät, ist das auch ganz alleine sein Problem, nicht das seiner Mitbürger. In diesem Fall hilft auch nicht unser \"Sozialstaat\", er ist ja gerade dafür verantwortlich.  

Zitat
... Wer von der Verwaltung seine Bezüge gekürzt bekommt, weil er nicht der Prostitution nachgehen wollte, bekommt vor den Verwaltungsgerichten binnen weniger Tage einstweiligen Rechtsschutz. ...
Korrigier mich, wenn ich falsch liege. Binnen weniger Tage gibt es nur dann einstweiligen Rechtsschutz, wenn die Sachlage eindeutig ist (wie im Falle eines Prostitutionszwanges), so wie im zivilrechtlichen Bereich eine einstweilige Verfügung. Ansonsten muß zuerst mal mündlich verhandelt werden. Das heißt, es dauert regelmäßig nicht nur wenige Tage. Außerdem sind die Sozialgerichte völlig überfüllt, das hilft sicherlich nicht das Verfahren zu beschleunigen.

Mir ging es bisher um die Aussetzung der Sanktionspraxis. Aber vermutlich hast Du recht. Es gibt sicherlich auch noch andere Dinge bei Hartz IV zu bemängeln. Ich werde in Zukunft noch mehr Augen und Ohren aufsperren.

Offline reblaus

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Rechtswidrige Hartz IV-Sanktionspraxis - Sanktionsmoratorium
« Antwort #13 am: 24. September 2009, 09:35:58 »
@eislud
Ein Rechtsstaat zeichnet sich dadurch aus, dass der Bürger den Staat verklagen kann, ihm das zu gewähren, was ihm nach Recht und Gesetz zusteht.

In einem Gerichtsverfahren muss die Verwaltung nachweisen, dass der Bürger seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen ist, und die Sanktion zu Recht erfolgte.

Entweder sind Sie ein paar Schlaumeiern aufgesessen, die kräftig auf die Tränendrüsen drücken, um mit ihrem angeblich harten Schicksal ein paar Euros für lau abgreifen zu können, oder aber es geht Ihnen eben nicht um die korrekte Durchführung der Sanktionen sondern um ihre Abschaffung ohne wenn und aber. Dann sollten Sie das aber auch sagen.

Offline eislud

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Rechtswidrige Hartz IV-Sanktionspraxis - Sanktionsmoratorium
« Antwort #14 am: 24. September 2009, 23:16:38 »
Telepolis 3 Teil: Rechtswidrige Hartz IV-Sanktionspraxis

Zitat
... Eine Abschaffungsforderung verlangt immer auch Alternativen für das Abgeschaffte. [...] Ein Moratorium würde allen Zeit geben, zu diskutieren und breit zu überlegen. Genau das Gegenteil der überstürzten Einführung von Hartz IV, ersonnen von einer kleinen Elitetruppe, der Hartzkommission. [...] überall finden wir Menschen, mit denen es diesen Minimalkonsens des Moratoriums gibt, der da lautet: Wir wollen, dass keinen Tag länger so mit Erwerbslosen umgegangen wird. Und wir wollen uns über unterschiedliche Ideologien und Menschenbilder hinweg austauschen, was sich unsere Gesellschaft gegenwärtig für eine Sozialpolitik wünscht und zutraut. ...


@reblaus
Nun noch mal für Dich. :)
Man will nicht das Hartz IV Gesetz abschaffen.
Man will auch nicht den § 31 SGB II ersatzlos streichen sondern aussetzen.
Man will einen Stopp der Ungerechtigkeiten und die Möglichkeit über eine bessere Lösung zu diskutieren.  

Zitat
Original von reblaus
Ein Rechtsstaat zeichnet sich dadurch aus, dass der Bürger den Staat verklagen kann, ihm das zu gewähren, was ihm nach Recht und Gesetz zusteht.

In einem Gerichtsverfahren muss die Verwaltung nachweisen, dass der Bürger seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen ist, und die Sanktion zu Recht erfolgte.
Na, das will ich mal stark hoffen.  

Zitat
Original von reblaus
Entweder sind Sie ein paar Schlaumeiern aufgesessen, die kräftig auf die Tränendrüsen drücken, um mit ihrem angeblich harten Schicksal ein paar Euros für lau abgreifen zu können, oder aber es geht Ihnen eben nicht um die korrekte Durchführung der Sanktionen sondern um ihre Abschaffung ohne wenn und aber. Dann sollten Sie das aber auch sagen.
Vielleicht ist es aber auch einfach so, daß Du die Sache falsch beurteilst oder bei Dir eigene persönliche Interessen, welcher Art auch immer, Dir nicht erlauben, die Sanktionspraxis mal zu hinterfragen? Vielleicht hast Du aber auch nur keine Lust dazu?

Tatsache ist doch einfach, daß es Fälle von zu Unrecht verhängten Sanktionen gibt. Du hast das doch auch nicht bestritten.
Und nun meinst Du, den Betroffenen vorschreiben zu müssen, wie sie sich gegen dieses Unrecht zur Wehr setzen. Laß es doch einfach die Betroffenen und deren Vertreter entscheiden, welchen Weg sie nun einschlagen wollen, wo sich doch in der Vergangenheit herausgestellt hat, daß man mit den zahlreichen Widersprüchen und Klagen nicht wirklich weiterkommt.

Nur so nebenbei: Die Ex-Prostituierte hat nicht geklagt, weil sie verhindern wollte, daß Bekannte, Nachbarn und insbesondere ihr Sohn von dieser früheren Beschäftigung Wind bekommen. Ganz schön idiotisch oder? Anstatt dessen mußte sie wegen Geldmangels wieder auf den Strich gehen.

Du bist jetzt sicherlich der Meinung, daß diese Geschichte erfunden ist, oder wirst mir begreiflich machen wollen, daß sie es doch selbst Schuld ist ganz nach Deinem Motto \"Hilfe zur Selbsthilfe ist das Zauberwort\"?
Es ist aber nun mal so, daß nicht jeder so dicke Ellenbogen hat wie Du (danke Joe für diese Umschreibung). Und solche Menschen gehören nun mal auch zu unserer Gesellschaft, so wie auch Du, und das trotz Deiner dicken Ellenbogen.

 

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