Wichtig erscheint mir der Umstand, dass der BGH in dieser Entscheidung Gelegenheit fand, sich mit dem Verhältnis >Tarifkunde< >Sondervertragskunde> >Normsondervertragskunde< zu befassen.
Dabei kam die insoweit grundlegende Entscheidung des BGH vom 12.12.1984 (Az.: VIII ZR 295/83) wieder ins Spiel, die sich mit der Veröffentlichung der Tarife und einer etwaigen Qualifizierung hierdurch befaßt hatte (jedoch Einiges offen ließ):
Tz.: 13
Der Senat hat unter Geltung von § 6 des Gesetzes zur Förderung der Energiewirtschaft (Energiewirtschaftsgesetz - EnWiG) vom 13. Dezember 1935 für die Abgrenzung zwischen Tarifkundenverträgen und Sonderkundenverträ-gen ausgesprochen, dass unter einem Tarif dasjenige Preisgefüge zu verste-hen ist, zu dem sich ein Versorgungsunternehmen öffentlich erbietet, im Rah-men seiner aus § 6 EnWiG folgenden Verpflichtung jedermann an sein Versor-gungsnetz anzuschließen und zu versorgen (Senatsurteil vom 12. Dezember 1984 - VIII ZR 295/83, WM 1985, 431, unter I 2). Dabei hat er der Veröffentli-chung der Vertragsmuster indizielle Bedeutung für den Willen des Versor-gungsunternehmens beigemessen, die darin enthaltenen Bedingungen der All-gemeinheit und nicht nur einzelnen Abnehmern anzubieten; er hat jedoch offen gelassen ob und unter welchen weiteren Voraussetzungen veröffentlichte Ver-tragsmuster letztlich als Tarife behandelt werden müssen (aaO).
Was der BGH allerdings aus der früheren BTO-Gas heraus liest .....
Tz.: 15
Nach der Bundestarifordnung Gas (aufgehoben mit Wirkung vom 29. April 1998 durch Art. 5 Abs. 2 Nr. 4 des Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts vom 24. April 1998, BGBl. I S. 730) waren die Versor-ger zwar verpflichtet und nach der Bundestarifordnung Elektrizität (aufgehoben mit Wirkung vom 1. Juli 2007 durch Art. 5 Abs. 3 des Zweiten Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts vom 7. Juli 2005, BGBl. I S. 1970) jedenfalls berechtigt, zur Erfüllung ihrer Versorgungspflicht nach § 6 EnWiG, an dessen Stelle zunächst § 10 EnWG 1998 und nunmehr § 36 EnWG 2005 getre-ten sind, mehrere Allgemeine Tarife (Kleinverbrauchstarif und Grundpreistarif, Pflichttarif und Wahltarife) anzubieten.
...... gibt allerdings der Wortlaut der
BTO-Gas (BGBl I, 1959, 46 - Nr. 7 vom 25.02.1959) jedoch nicht her.
Die Pflichttarife waren in § 1 BTO-Gas geregelt. Diese gesetzlich definierten \"Pflichttarife\" unterschieden sich gem. § 3 BTO-Gas in den \"Kleinverbrauchstarif\" und gem. § 4 BTO-Gas in den \"Grundpreistarif\".
Daneben existierte kein gesonderter \"Wahltarif\" (wie vom BGH zitiert), sondern wurde dem Verbraucher das Recht zur Wahl zwischen den beiden genannten Pflichttarifen eingeräumt (§ 2 BTO-Gas).
Wenn man dies so unbedarft liest, dann kommt doch schnell (aus Versorgersicht) der Gedanke auf, dass bei der \"Fülle von Allg. Tarifen\" - so wie der BGH dies aneinander reiht -, alles was von Seiten des EVU an Tarifen veöffentlich wurde, automatisch \"Allgemeiner Tarif\" sein muß (Umkehrung der Indizrechtsprechung des VIII. Senats im Urteil vom 12.12.1984 - s.o.).
Liest man dann die Entscheidung vom 15.07.2009 weiter, dann wird schnell deutlich, dass der VIII. Senat versucht seine frühere Entscheidung vom 12.12.1884 weiter zu denken.
Denn
Tz.: 17
b) Welche Art von Vertrag vorliegt, muss demnach durch Auslegung er-mittelt werden. Im vorliegenden Fall ergibt sich aus § 1 der Allgemeinen Ge-schäftsbedingungen der Beklagten eindeutig, dass es sich bei dem Angebot \"G. -Aktiv\" nicht um ein Angebot zum Abschluss eines Tarifvertrages im Sinne von § 10 Abs. 1 EnWG 1998 (Grundversorgungsvertrages nach § 36 Abs. 1 EnWG 2005), sondern um ein (an Haushaltskunden gerichtetes) Ange-bot zum Abschluss eines Sondervertrages handelt. Nach § 1 Nr. 1 der Allge-meinen Geschäftsbedingungen beliefert die Beklagte jeden Kunden als Tarif-kunden auf der Grundlage der AVBGasV, \"der faktisch Gas aus dem Versor-gungsnetz (…) entnimmt, ohne zuvor (…) einen Erdgasversorgungsvertrag zu Sonderkonditionen abgeschlossen zu haben\". Demgegenüber gelten gemäß § 1 Nr. 2 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen für den Abschluss eines Erd-gasversorgungsvertrages mit Sonderpreiskonditionen vorrangig die Allgemei-nen Geschäftsbedingungen. Der vom Kläger gewählte Tarif \"G. -Aktiv\" wird ausdrücklich als Preisangebot mit Sonderpreiskonditionen benannt, für das in den §§ 14 und 15 weitere \"Besondere Geschäftsbedingungen\" formuliert sind.
.... damit hat das Weiterdenken des VIII. Senat auch in dieser hochspannenden Frage wieder zu den Interpretationsmechanismen der Rechtsgeschäftslehre geführt, welche von den \"unteren Instanzen\" gerne mit einigen wenigen Federstrichen vom Tisch gewischt wird (\"... und so schließt der Jurist messerscharf : Was nicht sein kann, nicht sein darf\").
Doch warum ist der VIII. Senat in dieser Frage wieder auch auf halbem Weg stehen geblieben, wenn er doch gerne mit
orbiter dicta arbeitet ?
In dieser spannenden Frage steckt schließlich mehr drin, als das was auf irgendwelchen Tarifveröffentlichungen, Angeboten, etc. drauf steht !
Immerhin hat diese Frage schon einmal den Bundesfinanzhof beschäftigt (
Urteil vom BFH-Urteil vom 31.7.1990 (I R 171/87) BStBl. 1991 II S. 315). In dieser Entscheidung befaßte sich der BFH mit dem Urteil des BGH vom 12.12.1984 (s.o.) und mit den Pflichttarifen der BTO-Gas. Der Sachverhalt dort lag in etwa so:
Mit Kunden, die Gas zu dem Tarif ZH 1 beziehen wollten, wurden regelmäßig gleichlautende (standardisierte) Verträge, sogenannte Sonderabkommen ZH 1, geschlossen. Jedoch wurde auch nicht selten der Tarif ZH 1 bei Kunden angewandt, mit denen ein solches schriftliches Sonderabkommen nicht getroffen worden war. Andererseits berechnete die Klägerin bei Kunden, mit denen ein solches Sonderabkommen getroffen worden war, nicht den Tarif ZH 1, sondern den Tarif H II, wenn dies für den Kunden günstiger war.
Warum lag nach Auffassung des BFH damals in dem Tarif ZH1 kein \"Allgemeiner Tarif\" vor, obgleich er veröffentlicht gewesen war ? Die Antwort gibt der BFH wie folgt:
Als Allgemeiner Tarifpreis ist nur der Tarif anzusehen, mit dem das Energieversorgungsunternehmen seiner Verpflichtung gemäß § 6 Abs. 1 EnWG nachkommt; dies ist im Streitfall nur hinsichtlich der Kleinverbrauchstarife für Haushaltsbedarf und Gewerbe und der Grundpreistarife für Haushaltsbedarf und Gewerbe der Fall. Dem steht nicht entgegen, daß die Klägerin nach dem Tarif ZH 1 auch mit Kunden abrechnete, die kein Sonderabkommen abschlossen. Es handelt sich insoweit um ein Zugeständnis der Klägerin innerhalb des Allgemeinen Tarifs, das den Tarif ZH 1 nicht insgesamt zu einem Allgemeinen Tarif machte.
Der Terminus \"Zugeständnis\" deutet auf die Gestaltungsform der freien vertragsrechtlichen Basis hin, welche auch vom VIII. Senat am 15.07.2009 betont wird. Doch der Bundesfinanzhof geht in seinen Überlegungen noch weiter, um sich dem Verdacht der reinen Förmelei zu entziehen. Er führt weiter aus, indem er auf Ziffer 17 Abs. 2 der Durchführungsbestimmungen zur Konzessionsabgabenordnung und zu ihrer Ausführungsanordnung vom 17. Februar 1943 (Mitteilungsblatt des Reichskommissars für die Preisbildung 1943 S. 228 ) verweist:
Danach gelten als Entgelte für Lieferungen aus Sonderverträgen Entgelte für Lieferungen, deren Preisstellung sich zwar an die Allgemeinen Tarifpreise anlehnt, bei denen jedoch wegen der Besonderheit der Abnahmeverhältnisse ein Nachlaß auf die Allgemeinen Tarifpreise eingeräumt ist (vgl. auch Eiser/Riederer/Obernolte, Energiewirtschaft, Kommentar, § 6 EnWG I Anm. 4 b).
Ein Blick zurück auf den Sachverhalt der Entscheidung des BFH zeigt, dass auch im dort entschiedenen Fall der Kunde \"halt einfach so eingestuft wurde, wenn dies für den Kunden günstiger war\" (kömmt doch irgendwie bekannt vor - gell).
Das entscheidende Argument - das die Sache auf den Boden derjenigen das gesamte Energiewirtschaftsrecht beherrschenden Grundsätze zurück bringt - folgt sodann auf dem Fuße:
Für die Ansicht des Senats ist entscheidend, daß im Interesse der Gleichmäßigkeit der Besteuerung auf die Regelungen in der KAE abgestellt wird. Es soll damit verhindert werden, daß die von den Sonderabnehmern bezogenen Roheinnahmen unverhältnismäßig hohe Unkosten und Konzessionsabgaben auslösen.
Wer wollte bei all den \"grundversorgten Haushaltskunden mit Gasabnahmen von 35.000 bis 70.000 kWh bestreiten, dass deren Einordnung in die Grundversorgung und der hierdurch ausgelösten Höhe der Konzessionsabgabe, im Verhältnis zur Höhe der Konzessionsabgabe eines Sondervertragskunden, eine unverhältnismäßig höhere Kostenbelastung auslöst.
Ich wünsche mir, dass endlich ein \"Unterrichter\" einmal soviel Zivilcourage aufbringt, um diese Frage urteilsmäßig durchzudeklinieren, damit sich der VIII. Senat einmal mit der Frage befasst, ob das EVU Haushaltskunden nicht nur Sonderkonditionen anbieten darf, sondern dazu nachgerade verpflichtet ist (§ 2 Abs. 1 EnWG).
Dass diese Konzessionsabgaben irgendwo versacken, ist schon Skandal genug. Dass aber, so wie unlängst geschehen, das Amtsgericht Ravensburg auch noch Sheriff von Nottingham spielen muß und den dezidierten \"Sonderkundentarif\" schlicht zur Grundversorgung umpolt, ist zuviel des Guten. Ja Sherwood-Forrest scheint wohl überall möglich.