PM des BGH Nr 153/09Zunächst zur Abgrenzung Sondervertragskunde/ Tarifkunde
Anders als das Berufungsgericht angenommen hat, war die Beklagte nicht unmittelbar nach der - im Zeitpunkt der streitgegenständlichen Preiserhöhungen noch geltenden - Vorschrift des § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV zur Preisänderung berechtigt, weil es sich bei dem Kläger nicht um einen Tarifkunden im Sinne von § 1 Abs. 2 AVBGasV handelt. Der Senat hat entschieden, dass es für die Unterscheidung zwischen Tarifkundenverträgen im Sinne von § 10 Abs. 1 EnWG 1998, § 1 Abs. 1 AVBGasV (jetzt Grundversorgungsverträgen im Sinne von § 36 Abs. 1 EnWG 2005) und Normsonderkundenverträgen mit Haushaltskunden darauf ankommt, ob das Versorgungsunternehmen – aus der Sicht eines durchschnittlichen Abnehmers – die Versorgung zu öffentlich bekannt gemachten Bedingungen und Preisen im Rahmen einer Versorgungspflicht nach den genannten Vorschriften anbietet oder ob das Angebot unabhängig davon im Rahmen der allgemeinen Vertragsfreiheit erfolgt. Aus den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten ergibt sich eindeutig, dass der Vertrag mit dem Kläger danach als Sonderkundenvertrag einzustufen ist. Eine einseitige Preisänderung durch die Beklagte hätte deshalb nur auf der Grundlage einer wirksamen Preisanpassungsklausel erfolgen können.
Die Preisänderungsklausel im konkreten Sondervertrag Tarif \"GASAG Aktiv\" war unwirksam, so dass keine einseitige Preisänderung darauf gestützt werden konnte. Soweit so gut.
Ohne, dass es für die konkrete Entscheidung darauf ankam, hat der Senat
obiter dicta entschieden:
Nach Auffassung des Senats hält allerdings eine Preisanpassungsklausel, die das im Tarifkundenverhältnis bestehende gesetzliche Preisänderungsrecht nach § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV unverändert in einen Normsonderkundenvertrag übernimmt, also davon nicht zum Nachteil des Kunden abweicht, einer Inhaltskontrolle stand. Den Vorschriften in § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV kommt insoweit eine \"Leitbildfunktion im weiteren Sinne\" auch im Hinblick auf Preisanpassungsklauseln in Normsonderkundenverträgen zu. Der Gesetzgeber des AGB-Gesetzes (§ 23 Abs. 2 Nr. 2 AGBG, jetzt § 310 Abs. 2 Satz 1 BGB) wollte es den Versorgungsunternehmen freistellen, ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen mit Sonderabnehmern entsprechend den Allgemeinen Versorgungsbedingungen auszugestalten, weil Sonderabnehmer, auch wenn sie Verbraucher sind, keines stärkeren Schutzes bedürfen als Tarifabnehmer.
Insoweit verkennt die Entscheidung, dass sich § 310 Abs. 2 BGB nicht auf die Transparenz- und Inhaltskontrolle gem. § 307 BGB bezieht, eine solche deshalb nicht ausschließt (Vgl. BGH Urt. v. 29.04.2008 - KZR 2/07).
Der weite Spielraum der Billigkeit genügt nicht den Anforderungen an Begrenzung und Konkretisierung, die § 307 BGB erfordert (vgl. BGH, Urt. v. 13.07.04 - KZR 10/03 unter II.6; BGH Urt. v. 21.04.2009 - XI ZR 78/08].
Der Kunde, der die Kosten des Versorgers nicht kennt, hat damit keine reale Möglichkeit einzuschätzen, ob eine gerichtliche Billigkeitskontrolle zur Durchsetzung einer bestehenden Verpflichtung zur Preissenkung Aussicht auf Erfolg hat.
BGH, Urt. v. 21.04.2009 - XI ZR 78/08 Tz. 38
Lässt eine Preis- und Zinsänderungsklausel weiter den Kunden darüber im Unklaren, ob und in welchem Umfang das Kreditinstitut zu einer Anpassung berechtigt oder zu seinen Gunsten verpflichtet ist, läuft auch die dem Kunden eingeräumte Möglichkeit einer gerichtlichen Kontrolle weitgehend leer.
Kommt es erst gar nicht zu einer gebotenen Herabsetzung des Preises oder Zinssatzes, versagt sie für gewöhnlich, weil der Kunde mangels hinreichenden Anhalts schon eine solche Verpflichtung des Verwenders zumeist nicht zu erkennen vermag. Erfolgt eine Preis- oder Zinsanpassung zu seinen Ungunsten, fehlt ihm die Beurteilungsgrundlage, ob sich die Anpassung im Rahmen des der Bank zustehenden Gestaltungsspielraumes bewegt oder ein Verfahren nach § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB mit Erfolg betrieben werden kann (Habersack, WM 2001, 753, 757).
Diesen entscheidenden Gesichtspunkt hat der Senat nicht berücksichtigt.
Insoweit steht die Entscheidung wohl im Widerspruch zu allen sonstigen Entscheidungen des BGH zu den Anforderungen, die an die Wirksamkeit von Preisänderungsklauseln gem. § 307 BGB nach dem Transparenzgebot zu stellen sind. Eine Rechtfertigung dafür liegt insbesondere nicht in § 310 Abs. 2 BGB, weil sich diese Vorschrift ausdrücklich nicht auf § 307 BGB bezieht.
Der Senat hat damit wohl obiter dicta und ohne Not entgegen dem Gesetzwortlaut für Preisänderungsklauseln in Energie- Sonderverträgen das Transparenzgebot des § 307 BGB aufgehoben.
Das wäre ein Skandal!Der Senat hätte somit die sog. Normsonderkunden den Tarifkunden praktisch gleichgestellt.
Da hat der Senat wohl
obiter dicta contra legem entschieden, wenn er ohne gesetzliche Grundlage das Transparenzgebot des § 307 BGB bei Normsonderverträgen für nicht anwendbar erklärt.
Zugleich verstößt der Senat wohl gegen Denkgesetze, wenn er aus der gesetzlichen Regelung eine Verpflichtung zur Preisabsenkung entnimmt, zugleich jedoch in seinen Entscheidungen vom VIII ZR 36/06 und VIII ZR 138/07 einen vereinbarten Preissockel postuliert, der eine solche Verpflichtung ausschließen soll, weil ein angeblich vereinbarter Preissockel geschützt sein soll.
Besteht ein Recht und eine Pflicht zur Tarifbestimmung und - änderung, ist der jeweils geltende Tarifpreis nicht das Ergebnis einer Preisvereinbarung mit dem einzelnen Kunden, sondern das Ergebnis der Ausübung des einseitigen Leistungsbestimmungsrechts des Versorgers, mithin dessen
Ermessensentscheidungen, den jeweiligen Tarif zu erhöhen, abzusenken oder aber stabil zu halten. Eine Frage der Logik.
Der Kartellsenat des BGH hatte in der Entscheidung vom 29.04.2008 - KZR 2/07 zutreffend noch darauf verwiesen, dass das nicht näher konkretisierte gesetzliche Tarifbestimmungs- und Tarifänderungsrecht seine Rechtfertigung allein in der bestehenden gesetzlichen Versorgungspflicht finde, was für
vereinbarte Erdgas- Sonderpreise jedoch nicht gelten könne.
Es ist vollkommen richtig, dass da wo einen Energieversorger eine gesetzliche Versorgunpflicht (Grundversorgung) trifft, er gesetzlich zu einer möglichst preisgünstigen leitungsgebundenen Versorgung verpflichtet ist, dafür Allgemeine Preise aufzustellen hat und gesetzlich zur Bestimmung und Änderung dieser Preise gleichermaßen berechtigt und verpflichtet ist, eine gerichtliche Billigkeitskontrolle als Ausübungskontrolle des bestehenden Leistungsbestimmungsrechts gegenüber grundversorgten Kunden stattfindet.
Das
obiter dicta des Senats in der heutigen Entscheidung hätte nun etwaig zur Folge, dass eine solche gerichtliche Kontrolle auch bei Sonderverträgen außerhalb jeder gesetzlichen Versorgungspflicht zu erfolgen hätte, wenn nur die Preisänderungsklauseln entsprechend ausgestaltet wären.
Die Gerichte hätten also auch für solche Sonderverträge zu kontrollieren, ob einseitige Preiserhöhungen erforderlich und angemessen waren und ob eine bestehende Verpflichtung zur Preissenkung jeweils ebenso erfüllt wurde undzwar auch dann, wenn die Parteien gerade kein einseitiges Leistungsbestiommungsrecht gem. § 315 Abs. 1 BGB bei Vertragsabschluss vereinbart hatten, sondern sich auf einen besonderen Preis bei Vertragsabschluss geeinigt hatten.
Die Gerichte hätten mithin nicht nur die Grundversorgungspreise, sondern auch Sondervertragspreise zu kontrollieren.
Dies liefe aber gerade auch der gesetzlichen Regelung des § 315 BGB zuwider, die eine Billigkeitskontrolle grundsätzlich nur dann zulässt, wenn die Parteien bei Vertragsabschluss vereinbart haben, ein Vertragsteil solle den zu zahlenden Preis erst nach Vertragsabschluss einseitig bestimmen.
BGH, Urt. v. 19.11.2008 (VIII ZR 138/07) Tz. 16
Eine unmittelbare Anwendung von § 315 Abs. 1 und 3 BGB setzt voraus, dass die Parteien vereinbart haben, eine von ihnen solle nach Abschluss des Vertrages die Leistung bestimmen. Daran fehlt es, wenn zwischen den Parteien eine vertragliche Einigung über den Preis zustande gekommen ist.
Zu einer gerichtlichen Billigkeitskontrolle ließe sich deshalb nur dann gelangen, wenn die Auslegung ergibt, dass sich die Parteien bei Vertragsabschluss noch nicht auf einen Preis geeinigt haben, vielmehr ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht des Lieferanten vereinbart wurde. Eine solche wiederum hätte indes eine Gesamtpreiskontrolle zur Folge, die der Senat für Tarifkunden mehrfach abgelehnt hat.
Ich halte mich da weiter an die Entscheidung des OLG Hamm vom 29.05.2009:
Denn in Verträgen mit Verbrauchern sind an die Ausgewogenheit und Klarheit einer Änderungsklausel hohe Anforderungen zu stellen. Klauseln, die dem Verwender eine Preiserhöhung nach freiem Belieben gestatten, sind unwirksam. Die Klausel muss Grund und Umfang der Erhöhung konkret festlegen, so dass der Kunde erkennen kann, unter welchen Voraussetzungen sich die Preise ändern und nach welchen Kriterien der neue Preis berechnet wird. Außerdem muss verhindert werden, dass der Verwender nachträglich seinen im vereinbarten Preis enthaltenen Gewinnanteil erhöht und damit das Äquivalenzprinzip verletzt wird (BGH NJW-RR 2005, 1717; BGH, NJW 2007, 1054 = sog. Flüssiggasentscheidungen.).
Dieser Beurteilung lässt sich nicht der nach § 307 Absatz 3 Satz 1 BGB einzubeziehende Rechtsgedanke entgegenhalten, die Preisanpassungsklausel entspreche dem gesetzlichen Leitbild der §§ 4 Absatz 1 und 2 AVBGasV.
Zwar hat die AVBGasV für die Versorgung von Tarifkunden eine „Leitbildfunktion im weiteren Sinne\" und verkörpert eine Wertentscheidung, die der Verordnungsgeber in dem Tarifkundenbereich getroffen hat mit der Folge, dass sie einen gewichtigen Hinweis darauf enthält, was auch im Vertragsverhältnis mit Sonderabnehmern zu beachten ist (BGH, NJW 2009, 321 ff.). Ob deswegen eine entsprechend den Regelungen in §§ 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV gestaltete Preisanpassungsklausel, damit auch eine vertragliche Einbeziehung von § 4 AVBGasV, einer Prüfung gem. § 307 BGB Stand hielte, hat der BGH bisher nicht entschieden (BGH a.a.O., Rz. 21). Die „Leitbildfunktion\" kann jedoch aus Sicht des Senats nur für die Bewertung von Preisanpassungsklauseln von Bedeutung sein, die in Bezug auf Maßstab, Anlass und Umfang einer Preisänderung eine klare und transparente Regelung enthalten. Für die hier entscheidungserhebliche Frage, unter welchen Voraussetzungen, zu welchen Zeitpunkten und in welchem Umfang Preise gegenüber Sonderkunden erhöht werden dürfen oder auch wieder gesenkt werden müssen, gibt das Leitbild keine Antwort.
Obiter dicta sind noch keine Entscheidungen, sondern führen allenfalls in eine obiter dicta- tur.
Wenn der Versorger berechtigt und verpflichtet sein will, nachträgliche Kostenerhöhungen und Kostensenkungen nach gleichen Kriterien weiterzugeben, dann müssen diese Kriterien vorher feststehen und in der Preisänderungsklausel selbst benannt werden, weil sonst nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Kriterien nachträglich eine interne Änderung erfahren. Zudem muss auch der Kunde bei Vertragsabschluss entscheiden, ob er mit der Einbeziehung einer solchen Preisänderungsklausel einverstanden ist, § 305 II BGB. Für diese Entscheidung muss die Klausel klar und verständlich sein.
Die Kriterien können und dürfen sich insbesondere nicht erst aus der Rechtsprechung des BGH zur Zulässigkeit von Tarifpreisänderungen ergeben.
Denn wenn alle weiteren preisbildenden Kostenfaktoren gleich geblieben waren, die Bezugskosten zum Zeitpunkt X um 100 Einheiten gestiegen sind, würde nach der Rechtsprechung des Senats eine Tarifpreiserhöhung zum Zeitpunkt X um 10 Einheiten ebenso der Billigkeit entsprechen wie um 90 oder 100 Einheiten.
Faktisch nicht kontrollierbar.
Thomas Fricke
Rechtsanwalt