Forum des Bundes der Energieverbraucher

Autor Thema: Neu: Zuständigkeit der Landgerichte !!!  (Gelesen 5451 mal)

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Offline RR-E-ft

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Neu: Zuständigkeit der Landgerichte !!!
« am: 12. Juli 2005, 20:13:30 »
Im Bundesgesetzblatt Teil I. Nr. 42  wurde am 12.07.2005 das neue Energiewirtschaftsgesetz vom 07.07.2005 verkündet, welches am 13.07.2005 in Kraft tritt:

http://www.energieverbraucher.de/files.php?dl_mg_id=489&file=dl_mg_1121173991.pdf

Nach § 102 EnWG sind nunmehr über alle Streitigkeiten aus dem Gesetz unabhängig von der Höhe des Streitwertes die Landgerichte sachlich zuständig, funktional die Kammern für Handelssachen.

Nach § 108 EnWG n.F. handelt es sich um eine ausschließliche Zuständigkeit der nach dem Gesetz zur Entscheidung berufenen Gerichte.

Dies kann auch alle einstweiligen Verfügungsverfahren gegen Energieversorger betreffen.

Vor den Landgerichten herrscht gem. § 78 ZPO Anwaltszwang.

Der Anspruch auf Versorgung mit Strom und Gas folgt nun aus §§ 36, 115 II, 116 EnwG n.F. i.V.m. § 5 AVBV.


Für Strompreise der bisherigen allgemeinen Versorgung gelten bis zum 01.07.2007 weiter die Bestimmungen der BTOElt.



Freundliche Grüße
aus Jena



Thomas Fricke
Rechtsanwalt

Offline Monaco

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Neu: Zuständigkeit der Landgerichte !!!
« Antwort #1 am: 13. Juli 2005, 09:45:30 »
Hallo, Herr Fricke,

was bedeutet dies nun für den \"einsprucherhebenden\" Gasendverbraucher konkret?

Erhöht sich damit möglicherweise das \"Kostenrisiko\" im Falle einer gerichtlichen Auseinandersetzung?


Mit freundlichen Grüßen
ins thüringische Jena


Monaco.

Offline Cremer

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Neu: Zuständigkeit der Landgerichte !!!
« Antwort #2 am: 13. Juli 2005, 10:50:22 »
Hallo Herr Fricke,

können Sie bitte den § 115 \"Bestehende Verträge\" und § 116 \"Bisherige Tarifkundenverträge\" des neuen EnWG erläutern, insbesondere § 115 in den Abs. 2 und Abs. 3

Welche Auswirkungen hat dies auf bestehende Verträge der Endkunden mit den Versorgern?

Heißt es, dass die Tarifverträge nur noch eine Laufzeit von 6 Monaten haben?
MFG
Gerd Cremer
BIFEP e.V.

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Offline RR-E-ft

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Neu: Zuständigkeit der Landgerichte !!!
« Antwort #3 am: 13. Juli 2005, 11:37:11 »
@Monaco

Im gerichtlichen Mahnverfahren bleibt alles beim alten.

Möglicherweise muss der Versorger mit seiner Zahlungsklage zur KfH des Landgerichts, muss sich also dort anwaltlich vertreten lassen.

Die Zuständigkeitsfrage wird wohl der erste Streitfall werden.

Der Kunde, der sich gegen eine landgerichtliche Klage zur Wehr setzen will, muss sich auch anwaltlich vertreten lassen. Oft verlangt der Anwalt einen Vorschuss.

Das wäre also nicht gerade verbraucherfreundlich.

Ein sofortiges Anerkenntnis mit der Kostentragungspflicht des Versorgers bleibt weiter möglich.

Somit steigt das Kostenrisiko vor allem für die Versorger, die nun umfassend Anwälte mit Zahlungsklagen beauftragen müssen.

Aufwand und Nutzen geraten angesichts der klaren Rechtslage (LG Mannheim etc. pp) für die Versorger weiter in ein ungünstiges Verhältnis.

Vor allem wissen Sie in einem solchen Fall, dass ihnen vor Gericht kein Verbraucher ohne Anwalt entgegentritt.

Die entsprechende \"Waffenungleicheit\" vor den Amtsgerichten entfällt.

Insoweit läge die Bestimmung auch im Interesse der Verbraucher.


Das Gesetz ist heute in Kraft getreten und wirft schon viele Fragen auf, auf die sich alle erst einstellen müssen, auch die Versorger selbst.



@Cremer

Grundsätzlich gelten die Verträge erst einmal unverändert weiter.

Da fragen Sie mal Ihre Stadtwerke, die werden Ihnen gern weiterhelfen bei der Frage, in welcher Verfassung man nun mit den Verträgen lebt.



Freundliche Grüße
aus Jena



Thomas Fricke
Rechtsanwalt

Offline Cremer

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Neu: Zuständigkeit der Landgerichte !!!
« Antwort #4 am: 13. Juli 2005, 15:32:15 »
@ Fricke,

ich werde tunlichst nicht die Stadtwerke fragen und sie mit dem Kopf daraufstoßen.
Denn dann kommen die sofort und legen einen neuen Sondertarifvertrag A für Gas vor.
Sie können davon ausgehen, dass dieser sodann die Widerspruchsmöglichkeit gemäß § 315 BGB ausschließen wird, siehe Abhandlung RA Gersemann, Freiburg

Muß ich aber dann gemäß EnWG eine mögliche einseitige Kündigung eines Vertrages einfach so als Verbraucher hinnehmen?  
Ich glaube nicht!
MFG
Gerd Cremer
BIFEP e.V.

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Offline JGrave

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Neu: Zuständigkeit der Landgerichte !!!
« Antwort #5 am: 29. Juli 2005, 23:46:56 »
@RR-E-ft

Gerichtliche Zuständigkeiten

Nach § 102 EnWG n.F. sind in \"bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten\" nunmehr streitwertunabhängig die Landgerichte zuständig.

- Gilt das ab jetzt auch für Streitigkeiten aus der bis 30.06.2007 weitergeltenden Bundestarifordnung Elektrizität (BTOElt), die auf dem EnWG fußt ?

- Welcher Rechtsweg ergibt sich aus Streitigkeiten mit der Landes-Genehmigungsbehörde bezüglich deren Verletzung von Aufsichtspflichten nach § 14 BTOElt (VerwG oder jetzt auch grundsätzlich LG) ?

- Ist etwa das Bundeswirtschaftsministerium \"Fach- oder Rechtsaufsichtsbehörde\" gegenüber der Landes-Genehmigungsbehörde in Streitigkeiten über die ordnungsgemäße Anwendung der BTOElt ?

Offline RR-E-ft

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Neu: Zuständigkeit der Landgerichte !!!
« Antwort #6 am: 30. Juli 2005, 11:52:29 »
@JGrave

Es ist einhellige Meinung, dass der einzlene Kunde durch das Tarifgenehmigungsverfahren nicht betroffen wird, deshalb auch kein eigenes Klagerecht vor den Verwaltungsgerichten gem. § 42 II VwGO hat, weil er nicht in eigenen Rechten betroffen wird.

Die Tarifgenehmigung spielt nur im Verhältnis EVU- Behörde.

Soweit die Tarifgenehmigung durch das Land als Energieaufsichtsbehörde erfolgt, ist der Bund überhaupt nicht zuständig. Es gibt weder eine Fach- noch eine Rechtsaufsicht durch das Bundeswirtschaftsministerium.


Weil der einzelne Kunde auf das Tarifgenehmigungsverfahren nach der BTOElt keinerlei Einfluss  hat, verbleibt ihm gerade die Möglichkeit, sich mit dem Einwand der Unbilligkeit gem. § 315 BGB zur Wehr zu setzen.

Der BGH hatte in einem Rückerstattungsprozess vollkommen offen gelassen, ob einer Tarifgenehmigung Indizwirkung zukommen kann.

Im Zahlungsprozess trägt der Versorger die vollständige Darlegungs- und Beweislast für die Billigkeit der Entgeltforderungen. Hierfür reicht lediglich ein Indiz nicht aus.

Sie können also Unbilligkeit einwenden, den Versorger auffordern, Ihnen allle tarifgenehmigungsunterlagen einschließlich Antrag, und Kostenträgerrechnung vorzulegen etc. pp., was immer noch nicht ausreicht.

Der Versorger muss auch dabei seine Preiskalkulation offen legen.

Das ist also der einzige Weg, den Versorger zu zwingen, seine Preiskalkulation offen zu legen.

Bezüglich des Tarifgenehmigungsverfahrens selbst sind Sie weder beteiligt, noch klagebefugt.

Sie können sich deshalb nur über § 315 BGB mit dem Versorger vor einem Zivilgericht auseinandersetzen.


Ich rate dringend dazu, diesen klagen zu lassen.

Wenn Sie diesen klagen lassen, ist die Gerichtszuständigkeit zunächst auch nicht Ihr Problem....

Freundliche Grüße
aus Jena




Thomas Fricke
Rechtsanwalt

Offline JGrave

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Neu: Zuständigkeit der Landgerichte !!!
« Antwort #7 am: 30. Juli 2005, 14:57:11 »
@RR-E-ft

Unabhängig vom Billigkeitsaspekt des Gesamtpreises
Es gibt außerhalb des allumfassenden Billigkeitseinwandes (= non-plus-ultra) doch auch Einzelfragen, die aufgrund einzelner Verordnungen (z.B. BTOElt) auch einzeln, konkret und zeitnah geklärt werden könnten (Prozeßökonomie?).

Beispiel Ein EVU verrechnet Meß- und Steuereinrichtungen, die in der Kundenanlage überhaupt nicht eingebaut sind. Nach § 4 Abs. 4 BTOElt dürfen aber nur technisch notwendige und vom Kunden zusätzlich veranlaßte Einrichtungen verrechnet werden. Das EVU verschanzt sich hinter der behördlichen Tarifgenehmigung, die diesen Aspekt nicht zutreffend berücksichtigt. Die Landes-Energieaufsicht hat auf Hinweis gemerkt, dass sie - anders als bei ihren anderen Tarifgenehmigungen - beim vorliegenden EVU die Tarifgenehmigung in diesem Punkt unzutreffend (folglich h.E. rechtsfehlerhaft) erteilt hat (so auch die Auffassung der Verbraucherzentrale), will dies aber (aus verständlichen Gründen) nicht zugeben bzw. revidieren.

Wenn der Stromkunde durch eine nicht insgesamt fehlerfreie Verwaltungshandlung (Genehmigung nach § 12 BTOElt) oder nicht fehlerfreie Ermessensausübung (behördliche Aufsichtspflicht nach § 14 BTOElt) nachteilige Folgen hinnehmen muß, ist er doch direkt beschwert (§ 42 Abs. 2 VwGO). Nach Art. 19 Abs. 4 GG müßte sich hiergegen auch ein eigens verfolgbarer Rechtsweg eröffnen. Andernfalls bliebe eine fehlerhaft arbeitende Energieaufsicht grundsätzlich der gerichtlichen Kontrolle nach § 114 VwGO auf Initiative des direkt betroffenen Bürgers/Kunden verschlossen (rechtsfreier Raum?).

Offline RR-E-ft

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Neu: Zuständigkeit der Landgerichte !!!
« Antwort #8 am: 30. Juli 2005, 15:21:26 »
@JGrave

Der Kunde hat mit dem Genehmigungsverfahren nichts zu tun, ist durch dieses auch nicht beschwert:

Nach BVerwGE 95, 133 = RdE 1994, 230 wurde die Klagebefugnis eines Tarifkunden gegen die erteilte Tarifgenehmigung unter Verweis auf die bisherige Rechtsprechung (VG Berlin, RdE 1982, 144 ff.; OVG Münster, et 1992, 287, (288) )verneint, weil dieser nicht in eigenen Rechten verletzt sein kann und somit die Voraussetzung des § 42 II VwGO nicht vorliegen kann. Die Verwaltungsgerichte verweisen gerade auf den Zivilrechtsweg und § 315 BGB.


Es gibt auch entsprechende Urteile des BGH dazu, dass eine Tarifgenehmigung keinerlei Auswirkungen auf das zivilrechtliche  Vertragsverhältnis hat.

Diese Rechtsprechung ist eindeutig.




Es ist gerade gut für den Kunden, braucht dieser doch nur die Unbilligkeit einwenden.....

Prozessökonomischer geht es nicht.

Dabei ist auch zu beachten, dass nunmehr auch von den Verwaltungsgerichten ein Prozesskostenvorschuss verlangt wird.



Wenn Sie eine Tarifgenehmigung als solche angreifen würden, wäre der Streitwert immens:

Die Netzentgelte machen nur einen Teil der Strompreise aus.

Der Streitwert in Sachen Bundeskartellamt gegen TEAG nur wegen der Überhöhung der Netznutzungsentgelte betrug 113 Mio EUR.

Der Streitwert, wenn es um die Stromtarifgenehmigung geht, also nicht lediglich NNE- Überhöhung, sondern NNE insgesamt und darüberhinaus Gesamtstrompreis  könnte also noch weit darüber liegen.

Wegen der mangelnden Erfolgsaussichten (mangelnde Zulässigkeit wegen fehlender Klagebefugnis), vgl. oben wird keine Prozesskostenhilfe gewährt.

Wenn Sie sich auf diesen Weg begeben wollten, müssten Sie also mit einer entsprechenden Kostenbelastung rechnen.

Mein Rat:

Ganz schnell wieder vergessen.


Sie können aber jederzeit die Tarifaufsichtsbehörde darüber informieren, wenn Ihnen etwas aufgefallen ist.

Das setzt aber kein förmliches Verfahren in Gang.

Es herrscht der Opportunitätsgrundsatz, so wie auch bei den Kartellbehörden:

Sie haben keinen einklagbaren Anspruch auf ein Einschreiten der Behörden.

Und Sie sind auch nicht darauf angewiesen, weil Ihnen ja andere Möglichkeiten wie aufgezeigt eröffnet sind (Art. 19 IV GG).
 


Freundliche Grüße
aus Jena


Thomas Fricke
Rechtsanwalt

 

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