Den Schlüssel zur Lösung sehe ich in Art. 81 EG. Der EuGH gesteht diesem eine privilegierte Stellung innerhalb der Kartellnormen zu, weil in Absatz 2 ausdrücklich bestimmt ist, dass Verstöße nach Absatz 1 nichtig sind. Das findet sich so weder in Art. 82 EG noch im GWB. Die Nichtigkeit von Handlungen gegen diese Verbote bemisst sich nach den jeweiligen nationalen Normen. Aus diesem Umstand liest der EuGH heraus, dass es die Verfasser des Art. 81 EG als besonders vordringliche Aufgabe ansahen, Verstöße gegen Art. 81 EG zu bekämpfen und zu verhindern.
Dies bedeutet dass die Bildung des Kartells strenger verfolgt werden muss, als die ökonomischen Folgen z. B durch überhöhte Preise, die es verursacht. Das trägt der ökonomischen Realität Rechnung. Es soll niemandem verboten werden Mondpreise zu verlangen. Wenn Sie auf Ihr T-Shirt dick „Chanel“ drucken, können Sie es für 160,00 € veräußern, wenn im Etikett „H & M„ steht halt nur für 20,00 € (bei gleicher Qualität!). Deshalb ist im Prinzip auch gegen die Preisbindung an leichtes Heizöl nichts einzuwenden. Solange der Markt funktioniert, soll es jedem unbenommen bleiben, sein überteuertes Gas mit wundervollen Versprechungen und tollem Namen unters Volk zu bringen. In einem funktionierenden Markt werden genügend Anbieter von den gigantischen Gewinnspannen angelockt werden, und sich mit günstigeren Preisen Marktanteile sichern.
Der freie Marktzutritt ist die fundamentale Regulierungsvoraussetzung in einer Marktwirtschaft. Wenn genügend Kunden mit ihren Anbietern unzufrieden sind, eröffnet sich eine Marktlücke für ein Unternehmen, dass die Leistung besser anbietet. Dann rennen die Kunden zur Konkurrenz und nicht vor Gericht. Vielleicht sollte man den unwilligen Amtsrichtern klar machen, dass sie ohne freien Marktzutritt die vielen Verbraucherklagen auch bei 20 Stundenschichten nicht würden abarbeiten können.
@tango-charly
Dies deckt sich mit der Einschätzung des BGH, dass diese Prozesswelle durch den nicht funktionierenden Markt verursacht wurde. Er übersieht aber, dass die Rechtsprechung diese Barrieren überhaupt erst geschaffen hat, hinter denen es sich die Kartelle so gemütlich machen, und dass die Schwerter der Kartellbehörden, die er herbeisehnt, immer noch stumpf sind. Erst wenn die Kartellbildung ebenso hart bestraft wird wie die Steuerhinterziehung, hat die Verwaltung genügend Sanktionskraft, um diesen Missbrauch zu verhindern.
Die Vorstellung von der Wichtigkeit gut funktionierender Märkte ist in der Rechtsprechung z. B. bei Unterlassungsansprüchen wegen Wettbewerbsverstößen verwendet worden. Außergerichtliche Anwaltskosten können mit Hinweis auf die Geschäftsführung ohne Auftrag auf den Gegner abgewälzt werden, weil auch dieser als Marktteilnehmer ein elementares Interesse an einem funktionieren Wettbewerb hat. Was spricht dagegen, diese Idee auf die Marktabschottung anzuwenden. Dem redlichen Gasversorger eröffnen sich ungeahnte Möglichkeiten in einem funktionierenden Markt sein Geschäft auszuweiten. Er hat daher ein elementares Interesse daran, dass die Märkte funktionieren.
Schließlich ist der freie Marktzutritt auch durch Art. 12 GG geschützt. Er ist sogar die entscheidende Grundvoraussetzung, dass ein freies Gewerbe überhaupt entstehen und weiterexistieren kann. Ohne freien Marktzutritt kann niemand Geschäfte abschließen, es sei denn, er ist Teil der privilegierten Marktteilnehmer. Ohne Aussicht auf Geschäftsmöglichkeiten sind aber Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse völlig wertlos. Es ist daher kontraproduktiv die Bekämpfung von Kartellen zu erschweren, in dem man dem Schutzerfordernis für Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse größere Bedeutung zuweist.
Der Kern der Problematik besteht meines Erachtens aus zwei Fragen:
1. Gebietet Art. 81 EG dass alle nationalen Normen unter Beachtung der Grundrechte so auszulegen sind, dass sie eine möglichst effektive Durchsetzung des Verbots in Absatz 1 ermöglichen?
2. Sind alle Handlungen und Vereinbarungen die ursächlich auf einem Verstoß gegen Art. 81 EG beruhen von der Nichtigkeit in Absatz 2 umfasst?
Werden beide Fragen mit ja beantwortet, sollte die Sache bedeutend einfacher sein.
Den Vertoß gegen Art. 81 EG kann man durch die bestandskräftigen Beschlüsse des Bundeskartellamts analog § 33 GWB beweisen.
Bei § 315 BGB dürfen die Beweiserleichterungen des Versorgers nicht soweit gehen, dass er seine Verstrickung in das Kartell verheimlichen kann. Wenn er verstrickt ist, sind Preiserhöhungen unbillig, die auf unwirksamen Bezugspreiserhöhungen beruhen. Die Folge ist, dass er lediglich Kostensteigerungen aus ungerechtfertigter Bereicherung weitergeben darf. Die Rechtsprechung des BGH zur Überprüfung der Ölpreisbindung halte ich nicht für einschlägig, weil dies allenfalls ein Verstoß gegen „einfaches“ Kartellrecht darstellen würde, was begründen könnte, dies nicht so streng zu sehen.
Unter Hinweis auf die Äußerung des EuGH
Darüber hinaus erfasst diese Nichtigkeit die getroffenen Vereinbarungen oder Beschlüsse in allen ihren vergangenen oder zukünftigen Wirkungen
könnte man sogar eine Nichtigkeit der Preisfestsetzung begründen (Theorie „der Früchte vom vergifteten Baum“), so dass sämtliche Kunden des Versorgers einen neuen Anlauf nehmen könnten. Allerdings müsste man hierfür ein deutsches Gericht finden, das eine so weit reichende Entscheidung fällen würde. Dann ist nämlich neben den Banken und der Automobilindustrie auch noch die Gaswirtschaft pleite. Dem EuGH könnte man soviel Chuzpe vielleicht noch zutrauen.
Vielleicht zieht der eine oder andere Versorger seine Zahlungsklage angesichts derart unverhältnismäßiger Risiken zurück.
Kann die schuldhafte Verstrickung eines Versorgers durch Recherche der Tatbestandsvoraussetzungen im Internet jetzt nachgewiesen werden, und besteht ein ursächlicher Zusammenhang zu einer vereinbarten Preiserhöhung, besteht ein Anfechtungsgrund.
Auf eine Verwirkung von Rechten des Kunden kann sich ein Gasversorger nur dann berufen, wenn er auf darauf vertrauen durfte, dass diese Rechte nicht mehr wahrgenommen werden. Dieses Vertrauen besteht aber nicht, wenn er durch eine schuldhafte Verstrickung in das Kartell wissen muss, dass der Kunde bei Kenntnis dieser Umstände seine Forderung aus anderen Rechtsgründen z. B. wegen § 33 GWB geltend machen könnte.
In allen Fällen vermute ich nicht, dass man die Preise von 1998 wird durchsetzen können, man müsste dazu ja jeden einzelnen Preisschritt beseitigen können, aber die Preise von 2003 waren auch noch besser als die 2007. Preiserhöhungen nach dem September 2007 sind mit dem vorliegenden Sachverhalt nicht angreifbar, aber vielleicht wurde ja schon wieder ein neues Kartell gegründet.
Beim Schadensersatz nach § 33 GWB hat das Gericht die Tatumstände so zu bewerten, wie sie sich aus der bestandskräftigen Entscheidung der Kartellbehörde ergeben. In jedem einzelnen Beschluss des Bundeskartellamts sind die Teilnehmer an dem Kartell namentlich aufgeführt. Hinzu kämen die Regionalgasversorger die solche Verträge schuldhaft abgeschlossen haben, was nachgewiesen werden müsste. Alle Teilnehmer sind Gesamtschuldner. Bei der Dauer wird nicht ganz klar, ob das Kartell schon seit dem 29.04.1998 (Liberalisierung der Energiemärkte) besteht. Beweisschwierigkeiten dürften sich aus der Feststellung des Schadens ergeben. So unüberwindlich halte ich das allerdings nicht. Wir haben die Steigerungen der Grenzübergangspreise und die Preissteigerungen beim Endverbraucher. Dann kennen wir die Kosten der Durchleitung, daraus berechnet sich ein gigantischer Betrag der in den vergangenen Jahren kassiert wurde, ohne dass ich irgendeine Leistung erkennen kann, die diese Summe rechtfertigen könnte. Das ist der Ausbeutungsgewinn. Und diesen kann man gem. § 33 GWB als volkswirtschaftlichen Schaden ansetzen. Dieser wäre durch den Gesamtverbrauch zu dividieren und mit dem Verbrauch des Klägers zu multiplizieren. Wenn das Kartell seit 1998 besteht, sind sämtliche Gewinne zwischen dem 29.04.1998 und dem 30.09.2007 betroffen. Dass ein Sachverständiger zu dem Ergebnis kommt, dass ein Schaden überhaupt nicht entstanden ist, halte ich für abwegig.
Ich halte mich keinesfalls für befähigt, gegen eine Phalanx der Firmen E.ON, RWE, BASF, Shell, Exxon-Mobile, ENI etc. anzutreten, und auch noch den Hauch einer Chance zu haben. Von daher sind das alles nur Denkanstöße.
Wenn man es dann geschafft hat, nach zweimaliger Anrufung des BVerfG endlich zum EuGH vorgelassen zu werden, kann man immer noch nicht ausschließen, dass die einem dort lapidar mitteilen, dass sie das alles nicht so ernst gemeint haben. Aber das kennen Sie ja.