Energiepreis-Protest > Grundsatzfragen
Unbillige Weitergabe eines tatsächlichen Bezugskostenanstiegs laut Bundesgerichtshof
RR-E-ft:
Wenn der Versorger im Prozess einen bestrittenen Bezugskostenanstieg nachgewiesen hat, so stellt sich - bei bestehendem einseitigem Leistungsbestimmungsrecht im Sinne von § 315 Abs. 1 BGB - die Frage, ob dessen Weitergabe im Wege von Preiserhöhungen der Billigkeit entsprach.
Vgl. Hierzu Hinweisbeschluss LG Köln vom 07.01.2009 - 90 O 41/07
Der BGH hat im Urteil vom 19.11.2008 (VIII ZR 138/07 Rn. 43 ) entschieden, dass nicht jedwede Weitergabe gestiegener Bezugskosten der Billigkeit entspricht.
--- Zitat ---Das schließt allerdings nicht aus, dass jedenfalls die Weitergabe solcher Kostensteigerungen im Verhältnis zum Abnehmer als unbillig anzusehen ist, die der Versorger auch unter Berücksichtigung des ihm zuzubilligenden unternehmerischen Entscheidungsspielraums ohne die Möglichkeit einer Preiserhöhung aus betriebswirtschaftlichen Gründen vermieden hätte. Das Recht zur Preiserhöhung nach § 4 AVBGasV kann, wie die Revisionserwiderung zutreffend geltend macht, angesichts der sich aus § 2 Abs. 1, § 1 Abs. 1 EnWG ergebenden Verpflichtung des Energieversorgungsunternehmens zu einer möglichst sicheren, preisgünstigen, verbraucherfreundlichen, effizienten und umweltver-träglichen leitungsgebundenen Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität und Gas nicht dazu dienen, dass es zu beliebigen Preisen einkauft, ohne güns-tigere Beschaffungsalternativen zu prüfen (Markert, RdE 2007, 263, 265; Säcker, ZNER 2007, 114, 115), und im Verhältnis zu seinem Vorlieferanten Preisanpassungsklauseln und -steigerungen akzeptiert, die über das hinausgehen, was zur Anpassung an den Markt und die Marktentwicklung im Vorlieferantenverhältnis erforderlich ist (vgl. zu einer entsprechenden Einschränkung des Änderungsrechts von Banken bei Zinsänderungsklauseln in Kreditverträgen BGHZ 97, 212, 217 ff., 222; 158, 149, 155).
--- Ende Zitat ---
Im Gasbereich gilt dabei:
Die Marktentwicklung in den Vorlieferantenverhältnissen wird durch die Entwicklung der Erdgasimportpreise (Wert der Ware Erdgas an der deutschen Grenze, amtlich erfasst vom BAFA) sowie die daraus resultierende Entwicklung der Großhandelspreise für Erdgas in Deutschland bestimmt. Dieser Entwicklung können sich die Gasversorger und ihre Vorlieferanten nicht entziehen.
Diese maßgebliche Preisentwicklung wurde für die Jahre 1991 bis 2006 [in Ct/ kWh] im amtlichen Monitoringbericht der Bundesnetzagentur Strom und Gas 2007 auf Seite 155 f. aufgezeigt.
Der Wert der Ware Erdgas an der deutschen Grenze hatte sich nach den amtlichen Feststellungen des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA), Eschborn in den Jahren 2003 bis 2006 wie folgt entwickelt:
2003 1,22 Ct/ kWh
2004 1,18 Ct/ kWh
2005 1,61 Ct/ kWh
2006 2,13 Ct/ kWh
Beweis:
Monitoringbericht der Bundesnetzagentur Strom und Gas 2007, S. 156, (Anlage B ), Sachverständigengutachten
Der Bericht ist im Internet vollständig veröffentlicht unter
http://www.bundesnetzagentur.de/media/archive/12086.pdf.
Der Wert der Ware Erdgas hatte sich auf der Großhandelsebene infolge der Ölpreisbindung von 2003 auf 2006 mithin nur um 0,91 Ct/ kWh erhöht.
Beweis: Sachverständigengutachten
Der von der Klägerin behauptete Bezugskostenanstieg war demzufolge nicht notwendig im Vorlieferantenverhältnis zur Anpassung an die Marktsituation.
Sind die Bezugskosten des Versorgers stärker angestiegen als der amtlich festgestellte Wert der Ware Erdgas an der deutschen Grenze und die Großhandelspreise für Erdgas in Deutschland nach den amtlichen Feststellungen der Bundesnetzagentur, so kann ein solcher Anstieg im Vorlieferantenverhältnis nicht erforderlich gewesen sein, was zur Folge haben kann, dass die Weitergabe solcher unnötigen Kosten nicht der Billigkeit entspricht.
Entwicklung der Erdgasimportpreise
Die Weitergabe des lediglich für die Anpassung an die Marktverhältnisse im Vorlieferantenverhältnis tatsächlich notwendigen Bezugskostenanstiegs kann gleichwohl immer noch unbillig sein, nämlich wenn und soweit er durch rückläufige Kosten bei den weiteren Kostenbestandteilen des Preissockels ausgeglichen werden konnte, so der BGH in der Entscheidung vom 19.11.2008 (Rn. 39):
--- Zitat ---Eine auf eine Bezugskostensteigerung gestützte Preiserhöhung kann allerdings - wie die Revisionserwiderung zu Recht einwendet - unbillig sein, wenn und soweit der Anstieg durch rückläufige Kosten in anderen Bereichen ausgeglichen wird (BGHZ 172, 315, Tz. 26). Unter diesem Gesichtspunkt müssen jedenfalls die Kostenbestandteile des Preissockels in die Beurteilung der Billigkeit der Preiserhöhung einbezogen werden, auch wenn dieser in seiner Gesamtheit, wie ausgeführt (oben unter 1), einer Billigkeitskontrolle entzogen ist (vgl. Dreher, ZNER 2007, 103, 107).
--- Ende Zitat ---
Für die entsprechende Beurteilung ist es notwendig, die weiteren Kostenbestandteile des Preissockels und deren zwischenzeitliche Entwicklung zu kennen (Netzkostenanteil, Kosten der Messung und Abrechnung, ggf. Konzessionsabgaben, Energiesteuern,....).
Im eigentlichen geht es dabei um die Entwicklung der sog. betriebswirtschaftlichen Deckungsbeiträge innerhalb der Preise selbst. Diese dürfen nicht steigen.
Diese Deckungsbeiträge der konkret kalkulierten Preise können auch dann steigen, wenn der Gesamtgewinn des Unternehmens nicht gestiegen ist oder sogar rückläufig war. Ebenso spricht ein gestiegener Gesamtgewinn des Unternehmens nicht zwingend für eine (unbillige) Erhöhung des Deckungsbeitrages innerhalb des konkreten kalkulierten Vertragspreises.
Notwendig ist, dass ein betroffener Tarifkunde hierzu im Prozess etwas vorträgt oder besser vortragen lässt.
[Wurde in einem Sondervertrag kein Preisänderungsrecht vereinbart oder ist ein solches wegen Unwirksamkeit der Preisänderungsklausel nicht wirksam, so sind auch die vorgenommenen einseitigen Preiserhöhungen unwirksam, ohne dass es darauf ankommt, ob diese einer Billigkeitskontrolle standhielten, vgl. BGH, Urt. v. 17.12.2008 - VIII ZR 274/06].
Black:
Hier ist aber zu beachten, dass der BGH in der gleichen Entscheidung auch einschränkt:
--- Zitat ---Die Revision rügt weiter zu Recht, dass das Berufungsgericht ange-nommen hat, die Beklagte (EVU) müsse vortragen, was sie unternommen habe, um günstigere Preise bei Lieferanten zu erreichen, ihre Behauptung, sie habe sich der Ölpreisbindung nicht entziehen können, sei zumindest unsubstantiiert.
--- Ende Zitat ---
RR-E-ft:
@Black
Die von Ihnen zitierte Passage steht dem nicht entgegen.
Unbestritten können sich Gasversorger und deren Vorlieferanten nicht der Ölpreisbindung als solcher entziehen. Der Wert der Ware Erdgas an der deutschen Grenze hängt laut BAFA von der Entwicklung der Preise für Mineralöl ab. Nur deshalb (internationale bzw. europäische Ölpreisbindung) ändert sich ja der Wert der Ware Erdgas an der deutschen Grenze und mithin auch die Großhandelspreise für Erdgas.
In Europa wird Erdgas auf der Großhandelsebene (Importstufe) regelmäßig in US- Dollar pro 1.000 Kubikmeter gehandelt, wobei für die europäischen Gaspreise die Entwicklung der Rotterdammer Rohölnotierungen für Nordsee- Öl (Brent) maßgeblich ist. Das ganze nennt sich europäische Preisformel und wird gemeinhin als Ölpreisbindung der Gaspreise bezeichnet.
Die europäischen Gaspreise sind dadurch nicht an die Entwicklung der Heizölpreise (Raffenerieprodukte) in den europäischen Ländern gekoppelt, sondern an die Preise für Erdöl = Rohöl und zudem abhängig vom Wechselkurs zwischen US- Dollar und Euro.
Siehste hier.
--- Zitat ---Ein weiteres Ergebnis der Verhandlungen: Die Seiten gehen zur europäischen Preisformel über und verzichten dabei auf die Zwischenhändler bei den Gaslieferungen. Auf Grundlage dieser Vereinbarungen hatten am 19. Januar die Chefs von Gazprom und Naftogas im Beisein Putins und Timoschenkos einen Liefervertrag für die kommenden zehn Jahre unterzeichnet.
Seit Anfang der 90er Jahre bis einschließlich 2007 wurde russisches Gas auf Basis der Aschchabader Preisformel in die Ukraine geliefert. Bei der Festlegung des Gaspreises waren nicht die europäischen Preise ausschlaggebend, sondern die günstigen Preise für den Rohstoff aus Zentralasien. Dieses Gas wurde von Gazprom eingekauft.
Die Vorzugsbehandlung der Ukraine wurde dadurch gerechtfertigt, dass Russland bis zu 80 Prozent des für die Endverbraucher in Europa bestimmten Gases durch den Nachbarstaat transportiert. So zahlte Kiew vergangenes Jahr für das russische Gas 179,5 US-Dollar je 1000 Kubikmeter, wobei der in den europäischen Staaten geltende Preis mehr als 400 US-Dollar je 1000 Kubikmeter betrug.
--- Ende Zitat ---
--- Zitat ---Diese Preise werden aber höchstwahrscheinlich ihre Talfahrt fortsetzen, da sie an die sechs Monate alten Erdölpreise in Europa gekoppelt sind. Laut Prognosen wird der europäische durchschnittliche Preis für Erdgas im zweiten Quartal auf 250 US-Dollar je 1000 Kubikmeter Gas fallen, im dritten bzw. vierten sogar auf 175 bis 180 US-Dollar. Der Durchschnittspreis für Europa in Gazproms Etat beträgt 280 US-Dollar je 1000 Kubikmeter Gas.
--- Ende Zitat ---
Im 4. Quartal 2008 lag der europäische Gaspreis bei über 500 US-Dollar je 1.000 Kubikmeter.
--- Zitat ---Europäische Kunden müssen für tausend Kubikmeter Gas des russischen Konzerns Gazprom seit dem 1. Oktober mehr als 500 Dollar (350 Euro) zahlen, wie das Unternehmen am Mittwoch mitteilte.
--- Ende Zitat ---
Wie sich die Gaspreise an der deutschen Grenze aufgrund dieser Ölpreisbindung nach der europäischen Preisformel ändern, wird vom BAFA monatlich statistisch erfasst, der Grenzübergangswert oder Erdgasimportpreis monatlich in Ct/ kWh ermittelt und mit zeitlicher Verzögerung von zwei Monaten veröffentlicht.
Maßgeblich ist, ob die Kostenanstieg der Marktentwicklung auf dem vorgelagerten Vorlieferantenmarkt (unter Zugrundelegung der \"europäischen Preisformel\") entspricht oder aber die vertraglichen Abreden zwischen dem Gasversorger und dessen Vorlieferant zu einem darüber hinausgehenden - stärkeren - Bezugskostenanstieg führen. In einem solchen Fall kann die Weitergabe der gestiegenen Bezugskosten nicht der Billigkeit entsprechen.
Steht dem Versorger gegenüber dem Kunden ein gesetzliches Leistungsbestimmungsrecht (§ 4 AVBGasV, § 5 GVV) zu, folgt laut BGH daraus eine gesetzliche Verpflichtung, die Preise im laufenden Vertragsverhältnis abzusenken, wenn es rückläufige Kosten zulassen und dies den Kunden günstig ist (BGH, Urt. v. 29.04.2008 KZR 2/07 Rdn. 23, 26). Es besteht dabei - anders als in Sonderverträgen - eine gesetzliche Verpflichtung, rückläufige Kosten durch Preissenkungen an die Kunden weiterzugeben. Oftmals bestehen Zweifel, ob der gesetzlichen Verpflichtung, rückläufigen Kosten nach gleichen Maßstäben Rechnung zu tragen, entsprochen wird.
Der Wert der Ware Erdgas an der deutschen Grenze folgt dem Wert von Mineralöl (= Rohöl) und nicht dem Wert von Mineralölprodukten (Heizöl).
--- Zitat ---Der Grenzübergangspreis zeigt den Preis des Erdgases an der deutschen Grenze und folgt in der Regel mit einer gewissen Zeitverzögerung den Preisen für Mineralöl.
--- Ende Zitat ---
RR-E-ft:
Scheinbar billige Erhöhungen erweisen sich als unbillig.
Black:
Welchen Datums ist denn das \"bundesweit erste Sachverständigengutachten\"?
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