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Autor Thema: Bundeskartellamt gibt Gaskonzernen wieder freie Hand  (Gelesen 5011 mal)

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Offline RR-E-ft

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Bundeskartellamt gibt Gaskonzernen wieder freie Hand
« am: 16. Juni 2010, 19:07:38 »
Bundeskartellamt gibt Gaskonzernen wieder freie Hand


Zitat
Die Großhändler dürfen ihre Kunden – Stadtwerke und Regionalversorger – wieder beliebig lange und intensiv an sich binden. Nach Auffassung von Kartellamtschef Andreas Mundt werden sich die Kunden darauf aber gar nicht mehr einlassen. Der Wettbewerb sei inzwischen so intensiv, dass er die Gefahr einer Marktabschottung nicht mehr sieht. Die kleineren Wettbewerber sehen das aber anders und kritisieren den Schritt scharf.


Eine Katastrophe für den langsam beginnenden Wettbewerb auf dem deutschen Gasmarkt..
Den Bundeskartellamtspräsidenten hatte sich wohl die FDP mitgebracht. Dort vertraut man wohl auch nach der Finanzkrise darauf, der Markt werde alles von allein richten.

Die den E.ON- Konzern in Kartelrechtssachen oft vetretende Düsseldorfer Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer begrüßte die Ernennung Mundt´s zum Kartellamtspräsidenten. Das sagt wohl einiges.

Mal im Garten nachsehen, ob die Bananen schon reifen.

Offline DieAdmin

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Bundeskartellamt gibt Gaskonzernen wieder freie Hand
« Antwort #1 am: 16. Juni 2010, 19:33:31 »
Gibts da nicht Paragrafen in Gesetzen, die solche Langfristigen Verträge untersagen, oder sind die gleich mit abgeschafft worden?

Offline RR-E-ft

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Bundeskartellamt gibt Gaskonzernen wieder freie Hand
« Antwort #2 am: 16. Juni 2010, 22:17:57 »
bne befürchtet Aus für den Wettbewerb

E.ON Ruhrgas jubelt

Die Propagandisten formulieren gar:

Zitat
Mit einer richtungsweisenden Entscheidung hat das Bundeskartellamt heute den zunehmenden Wettbewerb auf dem Gasmarkt bestätigt und weiter befördert.

Wie denn, bitte schön?

Die jüngste Entscheidung des BKartA kontarkariert die früheren Entscheidungen des Bundeskartellamtes zum Verbot langfristiger Verträge, des OLG Düsseldorf und des BGH zu dieser Frage. Die befragten Gasversorger (Regionalversorger usw) hatten auch schon vor dem Verbot langfristiger Verträge erklärt, der Wettbewerb im Gasbereich laufe doch eigentlich prima. Einige waren der E.ON Ruhrgas in dem Verfahren um die Untersagungsverfügungen sogar beigesprungen.

An den Marktverhältnissen auf der Importstufe grundsätzlich geändert hat sich indes bisher nichts, auch nicht an der Marktkonzentration.

Man wird das Gefühl nicht los, eine Laus im Pelz zu haben.

Eigentlich bedarf es einer Verpflichtung für die wenigen Importeure, alle importierten Gasmengen an einer einheitlichen  Börse zur Verfügung zu stellen, so dass sich dort über Angebot und Nachfrage  ein einheitlicher Marktpreis für Erdgas, erwartungsgemäß nahe den Erdgasimportpreisen mit Rücksicht auf die derzeitigen Spotmarktpreise etwas darunter liegend,  herausbilden kann, der für alle Nachfrager gilt und insbesondere keine marktunüblichen Preisspaltungen etwa für angbeliches Kommunalgas und Kraftwerksgas mehr zulässt.

Zu diesem zu bildenden Marktpreis hinzu treten dann die Netzentgelte einschließlich vorgelagerte Netze und die Steuern und Abagben und schon gibt es eigenständige Marktpreise für Erdgas, an denen keiner mehr vorbeikommt.  

Das wäre für mich die notwendige Konsequenz aus dem Evaluierungsbericht des Bundeskartellamtes vom 15.06.2010, dort Seite 22, wonach es an den virtuellen Handelspunkten immer noch an Liquidität fehlt.

Offline Lothar Gutsche

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Bundeskartellamt gibt Gaskonzernen wieder freie Hand
« Antwort #3 am: 16. Juni 2010, 22:55:22 »
@ Evitel2004

Es existiert kein gesetzliches Verbot für Langfristverträge, sondern nur eine Reihe von Verfügungen des Bundeskartellamtes gegen die Ferngaslieferanten, u. a. die Untersagungsverfügung B 8 – 113/03 – 1 vom 13.1.2006 über bestimmte langfristige Gaslieferverträge von E.ON Ruhrgas. Diese Entscheidung des Bundeskartellamtes wurde am 10.2.2009 vom Bundesgerichtshof mit dem Beschluss KVR 67/07 bestätigt. Daneben gibt es noch mehrere Verpflichtungszusagen anderer Ferngaslieferanten und zugehörige Verfügungen des Bundeskartellamtes gemäß § 32 GWB. Diese Verfügungen stammen aus den Jahren 2007-2008 und sind in dem Entscheidungsarchiv des Bundeskartellamtes unter den Aktenzeichen B8 - 113/03 - 2, B8 - 113/03 - 3, ... bis B8 - 113/03 - 15 abrufbar.

Gesetzlich verboten sind durch § 1 GWB wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen, durch § 19 GWB der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung, insbesondere der Preismissbrauch, durch § 20 GWB Diskriminierung und unbillige Behinderung durch Unternehmen mit Marktmacht. Auf EU-Ebene gibt es ähnliche Vorschriften mit den Artikeln 81 und 82 des EG-Vertrages, die aber mit Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages zum 1.12.2009 in einem neuen Vertrag überführt wurden, z. B. wurde aus Art. 81 EG der Art. 101 AEUV.  

Das Problem bei der Entscheidung des Bundeskartellamtes vom 15.6.2010 besteht meiner Ansicht nach darin, dass nun Wettbewerber der Ferngaslieferanten oder Stadtwerke als Kunden der Ferngaslieferanten bei Kartellverstößen den Missbrauch bei den Kartellbehörden anzeigen und gegebenenfalls vor Gericht nach dem GWB nachweisen müssen. Erst dann kann das missbräuchliche Verhalten abgestellt werden und eine Grundlage für Schadenersatzforderungen entstehen. Leider dauern Kartellverfahren im allgemeinen mehrere Jahre, vermutlich zu lange, ohne den gerade entstandenen jungen Wettbewerb auf dem Ferngasmarkt wieder im Keim zu ersticken.  Für uns als private Endverbraucher ist es praktisch unmöglich, ohne Unterstützung durch die Kartellbehörden mit vertretbarem Aufwand Kartellverstöße nachzuweisen. In meinem eigenen Zivilstreit mit den Stadtwerken Würzburg beruht ein wichtiger Teil meiner Argumentation auf dem kartellamtlichen Verbot der Langfristverträge, vgl. Seite 19 - 23 im Schriftsatz vom 18.2.2009 unter http://www.ra-bohl.de/Schriftsatz_18.02.09.pdf.

Das Bundeskartellamt wird jedoch in seinen Personalressourcen derart knapp gehalten, dass es ähnliche Verfahren wie das mit den Langfristverträgen von E.ON Ruhrgas in Zukunft so weit wie möglich vermeidet. Denn ein Gerichtsverfahren wie mit den Langfristverträgen von E.ON Ruhgas zieht sich über mindestens drei Jahre hin und legt fast eine ganze Beschlussabteilung lahm. Eine Lawine an Gutachten und Schriftsätzen überrollt die wenigen Referenten im Bundeskartellamt. Da kämpft ein David mit den Goliaths in Gestalt der Großkanzleien vom Typ Freshfields Bruckhaus Deringer. Im Zusammenhang mit dem Verkauf der Thüga von E.ON an ein Stadtwerke-Konsortium hatte ich eine Prüfung des Verkaufs auch unter den Gesichtspunkten der § 1 GWB und § 19 GWB als sogenanntes Hardcore-Kartell beantragt. Die 10. Beschlussabteilung des Bundeskartellamts lehnte es mit für mich unzureichenden Gründen ab, ein entsprechendes Verfahren zu eröffnen. Dahinter steckt mit hoher Wahrscheinlichkeit auch einfach eine Prioritätensetzung und Mangelverwaltung in der Kartellbehörde.

Der neue Präsident des Bundeskartellamtes, Herr Andreas Mundt, scheint die Fakten aus dem Bericht über die Evaluierung der Beschlüsse zu langfristigen Gaslieferverträgen in seiner Pressemitteilung vom 15.6.2010 falsch zu interpretieren. Nach meiner Einschätzung verwechselt er Ursache und Wirkung. Viele der positiven Beobachtungen, die in dem Bericht dargestellt werden, beruhen in erster Linie auf dem Verbot der Langfristverträge und nicht vorwiegend auf den zahlreichen anderen Maßnahmen, die vom Bundeskartellamt, von der Bundesnetzagentur oder vom Gesetzgeber in den letzten Jahren initiiert wurden.  Es hat den Anschein, als bestätigt sich die Abhängigkeit des Bundeskartellamtes von den Energiekonzernen, über die ich schon in dem Thread \"Chef des Bundeskartellamtes ermutigt Energiekonzerne\" spekuliert hatte.  

Viele Grüße
Lothar Gutsche

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Bundeskartellamt gibt Gaskonzernen wieder freie Hand
« Antwort #4 am: 16. Juni 2010, 23:41:01 »
Wichtig ist, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass sich über Angebot und Nachfrage überhaupt erst einmal ein einheitlicher Marktpreis für Erdgas herausbilden kann. Einer solchen Marktpreisbildung steht entgegen, wenn erhebliche Gasmengen absatzseitig langfristig gebunden und deshalb als notwendige Liquidität dem Markt entzogen sind.

Dann spielen E.ON Ruhrgas & Co. mit einigen Kunden wieder langfristig  HEL-Preisbindung, mit anderen wieder langfristig HSL- Preisbindung, mit wieder anderen langfristig Kohle- Preisbindung und was den Brüdern noch so alles Drolliges einfallen mag. Der Erfindungsreichtum kannte dabei schon bisher kaum Grenzen.    

All diese - in langfristigen Bezugsverträgen angeblich notwendigen Preiskopplungen - geben weder die Entwicklung der Erdgasimportpreise (Wert der importierten Ware Erdgas an der deutschen Grenze) noch der Spotmarktpreise wieder.

Sie sind deshalb selbst als Spannungsklauseln völlig ungeeignet zur Anpassung an einen im Wettbewerb frei gebildeten Marktpreis für Erdgas, wie der Bundesgerichtshof (kein anderer als der oft gescholtene VIII. Zivilsenat des BGH)  in seinen Entscheidungen vom 24.03.2010 völlig zutreffend festgestellt hatte.

Das Bundeskartellamt schickt sich deshalb mit der jüngsten Entscheidung wohl an, \"mit dem Hintern einzureißen\", was gerade als Voraussetzung für einen einsetzenden Wettbewerb auf dem Gasmarkt so langwierig wie mühselig geschaffen wurde.

Für den beherzten Gaskunden der Stadtwerke kommt dann nämlich - am Ende der Lieferkette - wieder dieser grobe Unfug heraus:

Gaspreiserhöhung zum 01.08.10 um 0,65 Ct/ kWh (netto)

Will man jedoch die Bildung eines Marktpreises für ein Gut wie Erdgas, muss man dafür Sorge tragen, dass Angebot und Nachfrage an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit (Markt) aufeinandertreffen.

Das Angebot an Erdgas auf dem deutschen Markt bestimmt sich nun einmal nach den importierten Gasmengen und den wenigen im Inland geförderten Gasmengen, das über diese verfügbaren Mengen aggregierte Angebot muss an einem Markt placiert werden, wo es auf die Nachfrage der Marktgegenseite trifft.

Wenn das weiterhin nicht gelingt, kann sich auch kein im Wettbewerb gebildeter Preis für Erdgas herausbilden.

Die Frage, die sich stellt ist die, wer die Kompetenz und die Macht hat, einen solchen notwendigen Markt, der bisher nicht besteht, zu schaffen. Die Energiekonzerne, der Bundeswirtschaftsminister, das Bundeskartellamt, das BAFA...? Schon klar: Eher nicht bei einem Zivil- oder Kartellgericht.

Es bedarf zum einen entsprechender Gestaltungsmacht und darüber hinaus eines enstprechenden Gestaltungswillens.

Wo bzw. bei wem finden wir beides?!

Wir haben es beim Gas - was Import und Erzeugung betrifft - mit einem Oligopol zu tun. Dessen Marktmacht im Interesse eines funktionierenden Wettbewerbs zu beschränken, ist Aufgabe des Staates.

Ich meine, es sei wohl der Gesetzgeber gefordert, die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen.

Offline RR-E-ft

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Bundeskartellamt gibt Gaskonzernen wieder freie Hand
« Antwort #5 am: 17. Juni 2010, 13:24:09 »
Kollege Dr. Kasper (VZBV) pro Ölpreisbindung?

Ölpreisbindung sinnvoll

Zitat
„Wenn allein Angebot und Nachfrage den Gaspreis regeln, kann es beispielsweise im Winter sehr teuer werden“, sagt Thorsten Kasper vom Bundesverband der Verbraucherzentralen. „Es könnte also ohne Ölpreisbindung zu massiven Preissteigerungen kommen.“

Derzeit wird Gas bereits OTC und am Terminmartkt langfristig ohne Ölpreisbindung gehandelt.

Wenn aufgrund der Nachfrage Erdgas im freien Handel im Winter teurer wäre als im Sommer, würden die Lieferanten, womöglich auch die Letztverbraucher mit verstärkter Gas- Speicherung reagieren.

Derzeit wird das Gas aus dem Ausland mit Ölpreisbindung auf Rohöl- und USD- Basis kontinuierlich, zumeist in Form von sog. Bandlieferungen nach Deutschland importiert und hier in großen Mengen zwischengespeichert.

Dies erfordert es nicht, das nach Deutschland importierte Gas verkaufsseitig mit einer Ölpreisbindung zu versehen.

Offline RR-E-ft

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Bundeskartellamt gibt Gaskonzernen wieder freie Hand
« Antwort #6 am: 22. Juni 2010, 17:08:51 »
Gazprom doch für Ölpreisbindung


Zitat
Der russische Energiekonzern Gazprom will weitgehend an der Koppelung von Erdgaspreisen an Rohölnotierungen festhalten. Das Unternehmen sei weiterhin an langfristigen Gaslieferverträgen interessiert, erklärte Gazprom-Vize Alexander Medvedev. \"Die Spotmärkte sind noch viel zu unreif, um als Referenzmarke für Erdgas zu dienen.\"  Im Gegensatz zu Großbritannien, wo es mehr als ein Dutzend wichtiger Marktteilnehmer gebe, sei der Gasmarkt in Kontinentaleuropa nicht \"tief\" genug – zu wenige Käufer und Verkäufer beteiligen sich am Handel.

Es kommt also darauf an, die Handelsmärkte zu stärken, in dem das Angebot dort ausgeweitet wird.  Der Gaspreis ist in Langfristverträgen weiterhin an Rohölnotierungen gekoppelt, nicht jedoch an die Preise für Raffenerieprodukte wie etwa leichtes Heizöl.

Nach alldem könnte in Deutschland aber der Erdgasimportpreis (Wert der Ware Erdgas an der deutschen Grenze laut BAFA) als Referenzmarke dienen. Dieser  Erdgasimportpreis ist viel dichter am Marktpreis für Erdgas als etwa die Notierungen für leichtes Heizöl an bestimmten Marktorten in Deutschland. Jene haben mit den Marktpreisen für Erdgas in Deutschland nichts gemein, wie der BGH in seinen Urteilen vom 24.03.2010 (VIII ZR 178/08 und VIII ZR 304/08] zutreffend festgestellt hatte.

In jedem Fall bedarf es eines Paradigmenwechsels bei der Gaspreisbildung.  Siehe auch hier.

Erdgasimportpreise Entwicklung

 

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