Verhandlung am 17.11.10 von 11:03 bis 12:35 Uhr.
8. Zivilsenat: Ball, Dr. Frellesen, Dr. Hessel, Dr. Achilles, Dr. Schneider
LG Dortmund - Urteil vom 18. Januar 2008 - 6 O 341/06
OLG Hamm - Urteil vom 29. Mai 2009 - 19 U 52/08
(veröffentlicht in RdE 2009, 261 = ZNER 2009, 274)
Kläger: RWE Vertriebs AG; vormals RWE Westfalen Weser Ems AG, RA Prof. Dr. Krämer, Dr. R.
Beklagte: Verbraucherzentrale NRW, RA Dr. Kummer und Wassermann
----- 11:03 ---------------------------------------------------------------------------
Ball:
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einseitiger Preisanpassungen. Es geht um insgesamt vier Preiserhöhungen im Zeitraum von 2003 bis 2005.
Die Verbraucherzentrale fordert Rückzahlungen aus abgetretenem Recht für 25 Abnehmer.
RWE argumentiert, die Kunden seien Tarifkunden und die Preisanpassungsklausel sei im übrigen wirksam.
Die Verbraucherzentrale argumentiert, alle Kunden seien Sondervertragskunden und die Preisanpassungsklausel sei unwirksam.
Der Ausgangspunkt liegt hier bei der Unterscheidung zwischen Sonder- und Tarifkunden.
Gegen Tarifkunden steht dem Versorger kraft Gesetzes ein Preisanpassungsrecht zu. Ein Preisanpassungsrecht gegen Sondervertragskunden muss dagegen vertraglich vereinbart sein. Diese muss einer Inhaltskontrolle standhalten, was in der Mehrzahl der Fälle in der Vergangenheit nicht der Fall war.
Die Vorinstanzen haben die 25 Kunden in fünf Gruppen eingeteilt:
1) 3 Kunden des nicht tarifierten Gebiets der VEW
2) 3 Kunden des nicht tarifierten Gebiets der xxx
3) 12 Kunden des tarifierten Gebiets der VEW, deren Verträge vor der Tarifierung abgeschlossen wurden.
4) 2 Kunden des tarifierten Gebiets der xxx, deren Verträge vor der Tarifierung abgeschlossen wurden.
5) 5 Kunden der tarifierten Gebiete, deren Verträge nach der Tarifierung abgeschlossen wurden.
Unstreitig ist, dass die Kunden der Gruppen 1 bis 4 ursprünglich Sondervertragskunden waren. Umstritten ist, ob die Kunden der Gruppen 3 und 4 nach der Tarifierung als Tarifkunden anzusehen sind.
Die Gruppe 5 ist laut Berufungsgericht ebenfalls Sonderkunden, da der Tarif an eine Mindestabnahme gekoppelt ist, also nicht allen Kunden offen steht, und als Sondertarif bezeichnet wird.
Für die Unterscheidung kommt es darauf an, ob das Unternehmen aus Sicht eines durchschnittlichen Abnehmers nach öffentlich bekanntgegebenen allgemeinen Tarifen beliefert oder auf Grundlage einer vertraglichen Vereinbarung.
Soweit die Kunden Sonderverträge haben, ist zu prüfen ob ein einseitiges Preisanpassungsrecht wirksam vereinbart worden ist. Dazu gibt es inzwischen eine umfangreiche Rechtsprechung des Senats. Eine Preisanpassungsklausel, die die gesetzliche Bestimmung nach §4 AVB unverändert übernimmt, benachteiligt Sonderkunden nicht unangemessen, da diese nach dem Willen des Gesetzgebers nicht eines höheren Schutzes bedürfen als Tarifkunden. Die Gleichstellung von Tarif- und Sonderkunden gilt nach Ansicht des Senats auch hinsichtlich der Transparenz.
Die Revisionserwiderung wendet dagegen ein, dass diese unveränderte Übernahme einer gesetzlichen Regelung in einen Sondervertrag gegen die EU-Gasrichtlinie verstößt. Der Senat meint, dass mit der Transparenz in dieser Richtlinie keine Klausel- sondern eine Verfahrenstransparenz gemeint ist. Es ist zu prüfen, ob eine Vorlage an den EuGH geboten ist.
Ein Alt-Kunde hat eine Preisanpassungsklausel mit Spannungsklausel aus dem Jahr 1981. Eine ähnliche Klausel war am 14.10.07 Gegenstand eines Verfahrens und wurde dort für unwirksam erachtet.
Soweit eine Preisanpassungsklausel nicht wirksam vereinbart worden ist, ist eine ergänzende Vertragsauslegung zu prüfen. Diese setzt voraus, dass eine Regelungslücke entstanden ist, die nicht durch dispositives Recht geschlossen werden kann. Das Berufungsgericht hat dies abgelehnt, weil die Beklagte sich durch eine ordentliche Kündigung aus den Verträgen lösen konnte und dies unterlassen hat.
----- 11:20 ---------------------------------------------------------------------------
Prof. Krämer (nuschelt wie immer):
Dieses Verfahren ist der erste Rückforderungsprozess vor dem BGH und hat damit grundlegende Bedeutung.
Ausreichende tatrichterliche Feststellungen zum Vertragsstatus der Kunden fehlen noch. Es gibt auch keine tatrichterlichen Feststellungen zur Billigkeit der Preise. Diese ist daher für Kunden, die vorbehaltlos gezahlt haben, als erwiesen anzusehen.
Ein Unbilligkeitseinwand erst zum Zeitpunkt der Rückforderung ist verspätet.
Zu den Gruppen 1,3,4: (zitiert Urteil, S. 13 unten und S. 18) Das Berufungsgericht hat die Einordnung der Kunden offen gelassen. Es hat stattdessen eine AGB-rechtliche Prüfung vorgenommen.
Er weist auf die Senatsrechtsprechung zur unveränderten Übernahme der AVB für Sonderkunden hin. Das Berufungsgericht konnte diese Rechtsprechung damals noch nicht berücksichtigen (da noch nicht ergangen).
Zur Gruppe 3: Eine ergänzende Vertragsauslegung muss jedenfalls bei denjenigen Kunden möglich sein, die keinen Widerspruch eingelegt und vorbehaltlos gezahlt hatten.
Ebenso muss es möglich sein, eine Vertragsänderung durchzuführen. Nach reinem AGB-Recht gibt es zwar ein Fiktionsverbot. Aber die Kunden der Gruppe 3 und 4 haben durch Gasbezug, Zahlung und fehlenden Widerspruch gleich drei Willenserklärungen abgegeben. Dies stellt keine fiktive Zustimmung nach §310 sondern eine Zustimmung nach §242 dar, auf die der Versorger vertrauen durfte.
Einige der Kunden aus Gruppe 2 hatten sehr lange Verträge aus 1994 und erst 2005 Widerspruch erhoben. Dies ist ein treuwidriges Verhalten.
Die Klausel in den Verträgen lautet \"... ist berechtigt, Preise anzupassen ...\" also ohne explizite Nennung einer Verpflichtung. Aus dem Verständnis des Versorgers und der tatsächlichen Weitergabe auch von Senkungen ergibt sich doch, dass der Versorger sich verpflichtet gesehen hat, dies zu tun; auch wenn es nicht explizit so da steht.
Das Gericht hat keine Feststellungen zur Unbilligkeit der Preise getroffen obwohl RWE umfangreiche Unterlagen vorgelegt hat.
Zum Kunden mit der Spannungsklausel: (Er zitiert aus dem Urteil) Das Berufungsgericht hat das Urteil vom 14.10.07 nicht zur Kenntnis genommen.
Zur Gruppe 5: Zwei Kunden haben langjährige Verträge und keinen Widerspruch vor ihrer Rückforderung erhoben. Die AVB wurden diesen ausgehändigt, was mittels Zeugen beweisbar ist.
Für die Einordnung von Tarif-/Sonderkunden ist die Sicht des Kunden entscheidend, sie der Senat schon vorgetragen hat. Dem muss der Tatrichter nachgehen, was bislang unzureichend geschehen ist.
Zur Wirksamkeit der Klausel: Urteil vom 24.3.08, Rz. 26, 27: Die Wahrung des ursprünglich festgelegten Äquivalenzverhältnisses. Normalerweise geht man bei Unwirksamkeit von der Frage aus, was die Parteien redlicherweise verinbart hätten (weist auf XI. Senat zur Zinsanpassung hin). Es muss nur verhindert werden, dass eine nachträgliche Gewinnausweitung stattfinden kann. Der Senat sagt nun, es genüge nicht, wenn Senkungen faktisch weitergegeben würden sondern die Formel müsse dies schon erzwingen.
Prof. Krämer pocht nochmal auf das redliche Verhalten der Versorger und möchte, dass der Senat von dieser Position abrückt.
Für eine ergänzende Vertragsauslegung gibt es vier Kriterien: längjährige Verträge, Erhöhungen und Abrechnungen nicht widersprochen, Gestehungskosten sind erheblich gestiegen, Rückforderung wird für länger zurückliegende Zeiräume erhoben. Der Hinweis auf ein ordentliches Kündigungsrecht hilft hier nicht, denn der Versorger hatte ja keinen Anlass zu einer Kündigung. Der Kunde hat in dieser Situation kein Rückforderungsrecht. Auf die Wirksamkeit einer Preisanpassungsklausel kommt es dann nicht mehr an. Der Kunde hätte den Preisanpassungen rechtzeitig widersprechen müssen.
Der Tatrichter hat sich unzureichend zur ergänzenden Vertragsauslegung S. 19, 20 geäußert. In jeder Gruppe gibt es Kunden, die keinen Widerspruch eingelegt hatten. Hier kommt §242 zum tragen. Zwischen der Leistung der Kunden und der Gegenleistung besteht inzwischen ein Unterschied von 40%.
----- 11:55 ---------------------------------------------------------------------------
Ball:
Zur Gruppe 1,3,4: BG-Urteil S. 13 und 18: Die Formulierung der beiden Seiten kann weder vom Senat noch von Prof. Krämer eindeutig interpretiert werden; sie sind missverständlich formuliert.
----- 12:00 ---------------------------------------------------------------------------
Wassermann:
Mit Gruppe 1 und 3 gibt es Probleme: Sie sind unstreitig Sonderkunden. RWE behauptet, die AVB sei vereinbart. Das Berufungsgericht hat keine Feststellungen dazu getroffen.
Falls dem so wäre, dann gäbe es nach Ansicht des Senats eine Preisanpassungsklausel, die nicht gegen §307 verstößt. Der Senat hat hieran auch gegen meine Bedenken festgehalten.
Schon im letzten Verfahren hatte ich auf die Relevanz der EU Binnenmarktsrichtlinie hingewiesen und nichts dazu in den Entscheidungsbegründungen gefunden. Daher freut mich, dass der Senat dies selbst aufgegriffen hat.
Die EU-Bestimmung ist so zu verstehen, dass der nationale Gesetzgeber dafür Sorge zu tragen hat, dass die vertraglichen Bestimmungen transparent gestaltet sind. Für Tarifkunden gelten gesonderte Schutzbestimmungen.
Der Senat räumt selbt ein, dass eine vollkommen intransparente Preisanpassungsregelung zugunsten der Versorger ermöglicht wird. Dies ist aber mit der EU-Richtlinie nicht vereinbar, da die Transparenz dadurch aufgehoben wird. Die Regelung war bis zum 1.7.2004 in nationales Recht umzusetzen. Der Senat meint, die Transparenz sei nicht als Klauseltransparenz zu verstehen. Zur Klärung ist eine Vorlagepflicht vor den EuGH zu bejahen.
Entsprechendes gilt für die Gruppe 2: Die Preisanpassungsklausel in den Sonderverträgen ist intransparent, unbestimmt und daher nicht wirksam vereinbart.
Zur Gruppe 4: Prof. Krämer sieht hier gleiche Ausführungen als für Gruppe 2.
Sowohl die AVBGas als auch die AVBsk wurde an die Kunden gesendet. Der Tarif richtet sich nach dem Verbrauch. Die AVBGas gilt für die Tarifkunden, die AVBsk gilt für Sonderkunden.
(Anm.: Die Bezeichnung AVBsk erweckt zunächst den Eindruck, es handele sich um ähnliche Bestimmungen wie die AVBGas. Tatsächlich handelt es sich aber wohl schlicht um die AGB von RWE mit einer irreführenden Bezeichnung)
Streitig geworden ist, ob eine Einordnung als Tarifkunden durch die Tarifierung vorgenommen worden ist. Das Anschreiben der RWE ist eine reine Mitteilung mangels vorhandenem Umgestaltungsrecht und kein Vertragsangebot.
Herr Wassermann weist konkludente Willenserklärungen durch Gasbezug, Zahlung, fehlenden Widerspruch zurück. Dies hat zur Folge, dass die AVBsk gelten, die eine unwirksame Preisanpassungsklausel enthalten.
Zur Gruppe 4: Der Tarif wird als \"Sondertarif\" bezeichnet, es liegen schriftliche Verträge vor und der Tarif steht nur Kunden mit einem Mindestverbrauch von 10000 kWh/Jahr offen.
Zum Kunden mit der Spannungsklausel: Er bekräftigt die Unwirksamkeit analog zur EWE-Entscheidung.
Zu Gruppen 2,4,5: Ein wirksames Preisanpassungsrecht fehlt. Die tatrichterlichen Feststellungen dazu sind ausreichend.
Ein zentraler Punkt liegt in der ergänzenden Vertragsauslegung. Für Versorger ist es nicht unzumutbar, an einen Preis gebunden zu sein, dem sie sich durch ordentliche Kündigung entziehen können. Daher kommt eine ergänzende Vertragsauslegung nicht in Betracht.
Er kritisiert die \"Obiter Dicta\" Äußerung des Senats in Rn 52 der genannten Entscheidung (14.7.10 ?)
Für länger zurückliegende Rückforderungen ist der Versorger durch die Regelverjährung von drei Jahren geschützt. OLG Koblenz vom 2.9.2010: Wegen dieser kommt eine ergänzende Vertragsauslegung nicht in Betracht.
Die unbeanstandete Hinnahme eine Preisanpassung ist keine Willenserklärung. Es gibt hier keinen Vertrauensschutz für Versorger, da das Risiko der Klauselwirksamkeit beim Verwender liegt.
Der Umstand, dass Kunden keinen Widerspruch eingelegt haben, kann nicht entscheidend sein, denn es ist nicht Aufgabe der Kunden, die AGB auf Wirksamkeit zu prüfen und den Verwender darauf hinzuweisen. Auf welchen Zeitpunkt will man denn den Anlaß für eine Kündigung festlegen? Die Fehlbeurteilung der Rechtslage und der dadurch bedingte Verzicht auf eine Kündigung liegen im Risikobereich des Versorgers. Wie kann man dann von den Kunden eine korrekte Rechtsbeurteilung abverlangen.
Herr Wassermann warnt den Senat davor, auch in diesem Aspekt \'ein Faß aufzumachen\' und eine Spezialrechtsprechung für den Energiebereich zu entwickeln. (Anm.: Herr Balls Gesichtsausdruck ist \"not amused\").
Eine ergänzende Vertragsauslegung kann nicht dazu führen, dass eine unwirksame Preisanpassungsklausel im Ergebnis doch Vertragsbestandteil wird.
Spätestens 2005 und 2006 wurde Widerspruch bzw. Klage auf Rückzahlung erhoben. Dabei ging es um Preise von 2003, die 2004 in Rechnung gestellt wurden. Angesicht der jahresweisen Abrechnung kann man da nicht von länger zurückliegenden Zeiträumen sprechen.
----- 12:30 ---------------------------------------------------------------------------
Dr. R.
Die EU-Richtlinie ist für Preise, die für 2003 festgelegt wurden, irrelevant.
Es geht darin um Verfahrens-, nicht Klauseltransparenz.
Zur Gruppe 5: Wie können Sonderverträge zustandegekommen sein, wenn der Versorger zu diesem Zeitpunkt garkeine solchen mehr angeboten hat, sondern nur noch die Belieferung im Rahmen der Grundversorgung?
Das Hinweisschreiben zur Tarifumstellung ist als Kündigung zu verstehen.
Zur RN 52 des Senats: Es geht um Vertrauenssschutz.
Zum Kunden mit der Spannungsklausel: Er hat Widerspruch nur gegen die vorletzte Preisanpassung erhoben, macht aber Rückforderungen für Zeiträume davor geltend.
Durch eine Rückforderung entsteht ein grobes Missverhältnis zwischen Preis und Leistung.
----- 12:35 ---------------------------------------------------------------------------
Wassermann:
Wieso sind denn einzelne Widersprüche relevant?
Der Widerspruch eines einzigen Kunden muss den Versorger doch bereits darauf hinweisen, dass mit seinen AGB etwas nicht stimmt!
----- 12:35 ---------------------------------------------------------------------------
Ball:
Ein weiteres Verfahren mit ähnlicher Fragestellung wird am 8.12.2010 verhandelt.
Ein drittes gleichgelagertes Verfahren ist in Vorbereitung.
Am Mittwoch, 9.02.2010 um 10:00 wird der Senat - voraussichtlich in allen drei Verfahren - eine Entscheidung verkünden.
Gruss,
ESG-Rebell.