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Autor Thema: Tricksen mit der Berufungsgrenze?  (Gelesen 4616 mal)

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Offline ESG-Rebell

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Tricksen mit der Berufungsgrenze?
« am: 22. Mai 2008, 18:40:42 »
Verbraucheranwälte haben beobachtet, dass einige Stadtwerke neuerdings Kunden tatsächlich auf Zahlung verklagen, wenn ihre Forderungen unterhalb der Berufungsgrenze von 600 Euro liegen.

Offenbar hoffen die Versorger, bei diesen Kunden ein positives AG-Urteil erstreiten und dann gleich \"den Sack zumachen\" zu können.

Eine besondere Brisanz vor diesem Hintergrund erhält der Argwohn eines Foren-Mitglieds, das eine gewisse Sympathie zwischen dem Amtsrichter und dem Aufsichtsrat der Stadtwerke seines Wohnortes vermutet - nicht nur weil diese regelmäßig gemeinsam golfen (kein Klischee - die golfen wirklich!).

Steht zu befürchten, dass manche Stadtwerke mit Hilfe von befangenen AG-Richtern und durch Missbrauch der Berufungsgrenze \"zu tricksen\" versuchen?


Wer auf Zahlung verklagt wird, der kann Widerklage erheben mit dem Ziel, die Unbilligkeit und Unwirksamkeit der Preisfestsetzung feststellen zu lassen. Gibt das AG der Zahlungsklage der Stadtwerke statt, dann muss es folglich auch die Widerklage des Kunden zurückweisen.

Eröffnet dieser Umstand dem Kunden den Weg in die nächste Instanz, auch wenn das AG die Berufung wegen Unterschreitung der Grenze nicht zulassen möchte?


Mal grundsätzlich: Gibt es eigentlich einen guten Grund, keine Widerklage auf Feststellung zu erheben, wenn man auf Zahlung verklagt wird?

Gruss,
ESG-Rebell.

Offline Powersafer

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Tricksen mit der Berufungsgrenze?
« Antwort #1 am: 23. Mai 2008, 11:40:49 »
Hallo ESG-Rebell,
in diesen Fällen wäre es doch sinnvoll, als Verbraucher schon in den Widerspruchsschreiben auf das EnWiG hinzuweisen, und dann im Falle des Falles, falls das EVU vors Amtsgericht will dort dessen Zuständigkeit anzufechten und zu beantragen, daß das Verfahren dem nach § 102 EnWiG zuständigem Landgericht übergeben wird. Es gab im Forum dazu auch schon Beiträge von Hrn. Fricke.
Schönen Gruß aus bayerisch Schwaben !

Offline tangocharly

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Tricksen mit der Berufungsgrenze?
« Antwort #2 am: 23. Mai 2008, 16:15:00 »
Die Berufungsgrenze gilt natürlich auch vor dem Landgericht !

Wer also mit einem Betrag unter 600 Eur auf den Bauch fällt, der hat (fast) ausgekichert, wenn das Gericht nicht mitspielt durch Berufungszulassung (bis auf die Gehörsrüge, § 321a ZPO, oder die Verfassungsbeschwerde).

Nur nützt das dem Versorger auch nichts, weil der ja auch nicht wieder so tun kann, als ob das Amtsgericht (oder ggf. das Landgericht)  alle Verbraucher damit -hic et nunc- unter die Fuchtel bekommt. Jeder Einzelfall ist nur \"für und wider\" für diese Individualparteien entschieden.

Und schon mit der nächsten Rechnung heißt es auch für den vormaligen Beklagten: \"Neues Spiel - neues Glück\".

Gerade bei diesen Streitwert-Konstellationen ist dann natürlich die Feststellungs-Widerklage ein Kriterium, über die Hürde des niedrigen Streitwertes hinweg zu gelangen.

Da sich aber Leistungsklage (Zahlung) und Feststellungswiderklage (Unbilligkeit) nicht überschneiden dürfen, geht dies aber nur, wenn die künftigen Entgelte der Unbilligkeitsüberprüfung unterzogen werden sollen (was dann aber auch wieder ganz schön teuer werden kann - Streitwert Feststellungsklage: 3,5-facher Jahresbetrag).  Hier werden dann auch Rechtsschutzversicherungen schnell zickig.
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Offline tangocharly

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Tricksen mit der Berufungsgrenze?
« Antwort #3 am: 28. Mai 2008, 11:11:05 »
Wegen der Frage zur Widerklage sollten Sie diesen Thread beobachten (es handelt sich um eine Verhandlung vor dem VIII. Senat, der seinerzeit in der \"Heilbronner Entscheidung\" zur Frage der Offenlegung von Kalkulationsgrundlagen keine Antwort gegeben hatte - und diese Frage jetzt [heute] entscheiden muß) :

Zitat
Verhandlungstermin: 28. Mai 2008

VIII ZR 138/07

AG Dinslaken - Urteil vom 13. Juli 2006 - 31 C 295/05

LG Duisburg - Urteil vom 10. Mai 2007 - 5 S 76/06

Die Beklagte, ein kommunales Gasversorgungsunternehmen, beliefert den Kläger aufgrund eines 1983 geschlossenen Vertrags mit Gas. Zum 1. Januar 2005 erhöhte die Beklagte den Arbeitspreis von 3,05 Cent/kWh auf 3,56 Cent/kWh, zum 1. Januar 2006 auf 4,35 Cent/kWh; ab dem 1. April 2006 verlangte sie 4,25 Cent/kWh.

Mit der Klage hat der Kläger die Feststellung begehrt, dass er zur Zahlung des von der Beklagten verlangten Gaspreises nicht verpflichtet sei, solange dessen Billigkeit nicht festgestellt sei. Mit der Widerklage hat die Beklagte bis einschließlich April 2006 einen Betrag von 594,94 € verlangt. Daraufhin hat der Kläger die Klage für erledigt erklärt.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Die gegen die Verurteilung aufgrund der Widerklage gerichtete Berufung des Klägers hatte Erfolg. Das Landgericht hat die Widerklage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die von der Beklagten verlangten Preise seien einer Billigkeitskontrolle (§ 315 BGB) zu unterziehen. Eine solche sei jedoch nicht möglich, weil die Beklagte ihrer Darlegungslast nicht nachgekommen sei. Unter anderem hätte die Beklagte unter Vorlage ihrer Bezugsverträge vortragen müssen, dass, wie und warum ihre Bezugspreise gestiegen seien. Sie hätte ferner darlegen müssen, was sie ihrerseits unternommen habe, um günstigere Gaspreise bei ihren Lieferanten zu erzielen. Es reiche nicht aus, wenn die Beklagte lediglich die Beträge angebe, um die ihre Einkaufspreise in absoluten Zahlen gestiegen seien, ohne gleichzeitig darzulegen, wie sie ihren Preis kalkuliere. Die Offenlegung der Kalkulation sei der Beklagten auch unter dem Aspekt der vom Schutz des Art. 12 Grundgesetz erfassten Geschäftsgeheimnisse nicht unzumutbar.

Dagegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Beklagten.

In diesem Falle hatte der Kläger zunächst Feststellungsklage erhoben. Der Versorger meinte, gegen die Feststellungsklage eine Leistungs(Wider-)klage stellen zu müssen (aus der PI-Vorschau des BGH wird allerdings nicht ganz klar, in wie weit sich diese Gegenstände überschnitten hatten).

Jedenfalls erklärte daraufhin der Klg. die Hauptsache (seiner Klage) für erledigt und das Amtsgericht hatte, vermutlich weil sich der Versorger  der Erledigungserklärung des Klägers nicht anschloss, dann die Klage abgewiesen. Zugleich wurde der Leistungs-Wider-Klage stattgegeben (Billigkeit positiv beurteilt).

Dieser Vorgang ist deshalb interessant, weil (was noch zu klären sein wird) neben einer bereits rechtshängigen Feststellungsklage noch eine (deckungsgleiche ?) Leistungsklage als Widerklage erhoben wurde.

Da eine Leistungsklage ein weiter reichendes Klageziel hat, als eine Feststellungsklage, nämlich das Ziel der Verpflichtung zur Zahlung, wäre dies im umgekehrten Fall (Feststellungs-Wider-Klage) nicht vorstellbar.

Der BGH wird also am 28.05.2008  spannende Antworten liefern und sollte beobachtet werden. Interessant wird auch sein, ob sich der VIII. Senat nun offen mit dem Kartellsenat anlegen will und wird !
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Offline RR-E-ft

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Tricksen mit der Berufungsgrenze?
« Antwort #4 am: 28. Mai 2008, 12:44:53 »
@tangocharly

Der Kläger hatte vor dem AG Dinslaken seine Feststellungsklage (Unbilligkeit der Entgelte) nach Erhebung der Widerklage des Versorgers auf Zahlung für erledigt erklärt.

Der Versorger hatte sich dieser Erledigungserklärung nicht angeschlossen, so dass das Amtsgericht nur noch über die gewandelte Feststellungsklage (Feststellung, dass Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist) zu entscheiden, dass sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt habe.

Letztere Feststellungsklage - die nicht mehr den selben Gegenstand hatte, wie die ursprünglich erhobene Feststellungsklage - hatte das Amtsgericht abgewiesen.

Zurecht, denn der Streitgegenstand der ursprünglich erhobenen Feststellungsklage des Verbrauchers und der Zahlungsklage des Versorgers war gerade nicht deckungsgleich.

Wärend die Feststellungsklage wegen Unwirksamkeit der Entgeltneufestsetzung  immer auch die weiteren Zahlungsansprüche einer erst noch folgenden Verbrauchsabrechnung betrifft, betrifft die Zahlungsklage des Versorgers lediglich die Zahlungspflicht bezüglich eines bereits abgeschlossenen Abrechnungszeitraums (vgl. LG Berlin, LG Dresden bzgl. Rechtsschutzbedürfnis für Sammelklage).

Die Erhebung der Widerklage war deshalb hinsichtlich der ursprünglichen Feststellungsklage gerade kein erledigendes Ereignis.

Gegen die entsprechende Klageabweisung hinsichtlich der gewandelten Feststellungsklage durch das Amtsgericht Dinslaken wurde keine Berufung eingelegt, so dass diese in Rechtskraft erwachsen ist.

Berufung wurde hingegen eingelegt, soweit das Amtsgericht Dinslaken auf die Widerklage dem Versorger den eingeklagten Betrag zusprach.

Nur über diese Zahlungsklage ging dann das Berufungsverfahren vor dem LG Duisburg, wie sich aus dem am 10.05.2006 verkündeten Urteil (siehe Urteilssammlung) ergibt.

Das Landgericht Duisburg änderte das Urteil des AG Dinslaken ab, und wies die Zahlungsklage des Versorgers ab.

Begründet wurde diese Entscheidung damit, dass der Versorger die Billigkeit der von ihm einseitig festgesetzten und zur Abrechnung gestellten Entgelte, deren Zahlung er beansprucht, nicht nachgewiesen hat.

Fazit:

Der Streitgegenstand einer Feststellungsklage entfaltet Wirkung auch in der Zukunft. Der Streitwert einer Feststellungsklage auf Unwirksamkeit einer Entgeltneufestsetzung ist deshalb auch weit höher als der Streitwert einer Zahlungsklage, bei der der Streitwert mit der eingeklagten Hauptforderung identisch ist.

Im Falle des AG Dinslaken war die Berufung des Verbrauchers nur zulässig, weil sie vom Amtsgericht ausdrücklich zugelassen wurde.

Die heutige Verhandlung vor dem BGH konnte deshalb nur die im Wege einer Widerklage erhobene Zahlungsklage des Versorgers betreffen, welcher die Unbilligkeitseinrede des Verbrauchers entgegenstand.

Das Amtsgericht Dinslaken hatte diese wegen § 30 AVBGasV für unbeachtlich gehalten.

 

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