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Autor Thema: OLG Celle, B. v. 21.02.2008 - 13 U 160/06 (Kart) - Gasversorger soll Kostenentwicklung nachweisen  (Gelesen 4053 mal)

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Offline RR-E-ft

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13 U 160/06 (Kart)
5 O 118/06 Landgericht Verden




H i n w e i s  -  u n d  B e w e i s b e s c h l u s s


In der Kartellsache

Stadtwerke .... gegen


I.   

Es wird auf folgendes hingewiesen:

1.

Die beabsichtigte Beweiserhebung erfolgt auf der Grundlage, dass die Beklagte bei der Belieferung der Kläger keine Monopolstellung innehat.

Nach der Rechtsprechung des BGH stehen alle Gasversorgungsunternehmen auf dem Wärmemarkt in einem (Substitutions-)Wettbewerb mit den Anbietern konkurrierender
Energien (BGH, Urt. v. 13. Juni 2007 - VIII ZR 36/06 Rn. 34 und Leitsatz f; Hinweis des 8. Zivilsenats des BGH v. 16. Oktober 2007 in der Sache VIII ZR 351/06). Der Senat folgt dieser Rechtsprechung (Beschl. v. 10. Januar 2008 - 13 VA 1/07 (Kart.)).

Es ist im Übrigen nicht ersichtlich, dass sich die Wettbewerbssituation im vorliegenden Fall in erheblicher Weise von jener unterscheidet, die in dem vom BGH entschiedenen Fall gegeben war. Deshalb ist ohne weitere Feststellungen zum Wärmemarkt im Raum Diepholz davon auszugehen, dass jene Tariferhöhungen, die von den Kunden unbeanstandet hingenommen wurden, nicht der Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB unterliegen (vgl. BGH, Urt. v. 13. Juni 2007 - VIII ZR 36/06).

2.

Es kann jedenfalls vorläufig offen bleiben, ob eine Billigkeitskontrolle auch auf der Basis eines Vergleichs mit den Gaspreisen anderer Anbieter vorgenommen werden kann. Der Senat neigt dazu, dies zu verneinen.

Eine solche Überprüfung würde dazu führen, dass auch vorangegangene, von den Klägern nicht beanstandete Preiserhöhungen in die Billigkeitsprüfung einbezogen wären. Dieses dürfte nicht sachgerecht sein, wenn man davon ausgeht, dass der in der Vergangenheit nicht beanstandete „Preissockel“ als vereinbart gilt (vgl. BGH, Urt. v. 13. Juni 2007 - VIII ZR 36/06, Rn. 28, 36).

3.

Der Senat geht entsprechend den Feststellungen im angefochtenen Urteil davon aus, dass alle Kläger ihre Gaslieferungen nach dem sog. Vollversorgungstarif erhalten.

4.

Der Senat geht ferner davon aus, dass die Beklagte vor den hier streitigen Erhöhungen zuletzt eine Erhöhung zum 1. Oktober 2004 vorgenommen hatte. Der Beklagten wird aufgegeben, vorzutragen, wann jedem der Kläger die Jahresabrechnungen mit den zum 1. Oktober 2004 erhöhten Tarifen zugingen, und wann die Kläger erstmals Beanstandungen gegen die Gaspreise erhoben.

II.

Frist zur Stellungnahme: 21. März 2008

Es bleiben vorbehalten, den Beweisbeschluss gemäß dem weiteren Vorbringen zu ändern.

III.

Es soll über folgende Fragen Beweis erhoben werden:

1.   

Hat die Beklagte mit den Gaspreiserhöhungen zum 1. Oktober 2005 und zum 1. Januar 2006 lediglich ihre gestiegenen Bezugskosten weitergegeben?

2.   

Waren die Kosten der Beklagten in den anderen Bereichen (außer Bezugskosten) in den Zeiträumen

- 1. Oktober 2004 bis 30. September 2005 und
- 1. Oktober 2005 bis 31. Dezember 2005

rückläufig?

IV.

Die Hauptgeschäftsstelle der Wirtschaftsprüferkammer, Rauchstraße 26, 10787 Berlin, soll ersucht werden, einen geeigneten Sachverständigen vorzuschlagen.

V.

Dem Interesse der Beklagten an der Geheimhaltung etwaiger Geschäftsgeheimnisse wird wie folgt Rechnung getragen:

- Der Sachverständige fordert die für das Gutachten benötigten Geschäftsunterlagen unmittelbar von der Beklagten an. Er setzt das Gericht hiervon in Kenntnis. Die Beklagte stellt ihm die Unterlagen vollständig zur Verfügung.

- Der Sachverständige übersendet das fertige Gutachten zunächst nur an das Gericht und an die Beklagte. Die Beklagte legt gegenüber dem Gericht dar, an welchen Teilen des Gutachtens aus welchen Gründen ein Geheimhaltungsinteresse besteht. Auf dieser Grundlage trifft das Gericht die weiteren Entscheidungen, auf welche Weise die Geheimhaltung sichergestellt wird.

VI.

Die Einholung des Gutachtens wird davon abhängig gemacht, dass die Beklagte einen der Höhe nach noch zu bestimmenden Auslagenvorschuss einzahlt.


Celle, 21. Februar 2008
Oberlandesgericht




Anmerkung:

Bei den Fragen, ob es einen einheitlichen Wärmemarkt gibt und ggf., ob auf diesem ein wirksamer Wettbewerb besteht, der geeignet ist, die Höhe der Gaspreise wirksam zu beeinflussen, handelt es sich m. E.  um Tatsachenfragen.

Wenn entsprechende Tatsachen streitig sind, bedarf es hierzu einer Beweisaufnahme. Deshalb handelt es sich unter Punkt 1. um eine reine (unzulässige) Unterstellung.

Gegen eine entsprechende Wettbewerbssituation sprechen das Sondergutachten der Monopolkomission Nr. 49, der aktuelle Monitoringbericht der Bundesnetzagentur als auch die amtliche Begründung zur Verschärfung der Preismissbrauchsaufsicht im Energiebereich gem. § 29 GWB n. F. .

Der VIII. Zivilsenat des BGH hatte im Urteil vom 13.06.2007 - VIII ZR 36/06 festgestellt, dass er als Revisionsgericht an die Tatsachenfeststellungen der Instanzgerichte gebunden sei.

Tatsächlich hatte aber das Landgericht Heilbronn mit guten Argumenten die Existenz eines wirksamen Wettbewerbs auf einem einheitlichen Wärmemarkt, der die Gaspreise beeinflussen könnte verneint. Deshalb kam das Landgericht Heilbronn gerade wegen einer bestehenden Monopolstellung zur entsprechenden Anwendung des § 315 BGB.

Wie der VIII. Zivilsenat des BGH diese Feststellungen des LG Heilbronn in ihr genaues Gegenteil verqueren konnte, bleibt unerfindlich.

Auch der Kartellsenat des OLG Dresden [RdE 2007, 58] hatte überzeugend eine marktbeherrschende Stellung des regionalen Gasversorgers festgestellt und einen wirksamen Wettbewerb zwischen Gasversorgern und Heizöllieferanten verneint.  Es bleibt abzuwarten, wie der Kartellsenat des BGH in der Verhandlung am 04.03.2008 Az. KZR 2/07 diese Frage ggf. beurteilen wird.

Zutreffend geht das Gericht unter Punkt 2. davon aus, dass ein Preisvergleich mit anderen Gasversortgern nicht zum Billigkeitsnachweis taugt, wenn es um die Billigkeit einer einseitigen Preiserhöhung geht.

Denn die Preisvergleiche sagen schlicht und ergreifend nichts darüber aus, ob bei dem betroffenen Unternehmen überhaupt Kosten gestiegen sind oder ob es nicht zu Lasten seiner Kunden  den in die Preise einkalkulierten Gewinnanteil nachträglich erhöht, was gerade unbillig ist.

Man kann die Frage stellen, ob es sich bei dem beabsichtigten Sachverstigengutachten nicht um einen unzulässigen Ausforschungsbeweis handelt, wenn kein entsprechender detaillierter Vortrag gehalten sein sollte.

Offline RR-E-ft

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Offline tangocharly

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Celle scheint Hardliner in Sachen \"Substitutions-Wettbewerb\" geworden zu sein. Während der Kartellsenat (der dies anders sieht) für einen OLG-Kartellsenat nichts gilt, gilt ein fragwürdiges Urteil des VIII. Senats diesem Senat alles.

Allerdings frage ich mich jetzt doch (weil die Urteilsgründe des LG Heilbronn hier nicht vorliegen), wie der VIII. Senat wegen -angeblichen - Nichtbestreitens faktischer Behauptungen des dortigen Revisionsgegners zu einer anderen Beurteilung des Wettbewerbs kommen konnte.

Wenn das Berufungsgericht die Wettbewerbslage beurteilen mußte, dann war diese faktische Lage dort doch auch streitig.

Wenn das Berufungsgericht aber die Faktenlage nicht richtig aufgeklärt haben sollte (was der VIII.Senat ja eben selber nicht kann), dann wäre doch eine Rückverweisung an die Berufungsinstanz nötig gewesen.

Ergo hatte das Berufungsgericht gegen Denkgesetze oder Erfahrungsgrundsätze verstoßen (Zitat: \"Substitutionswettbewerb mit guten Gründen abgelehnt\") und der VIII. Senat hat doch eine revisionsrechtlich saubere Einschätzung vorgenommen ???

Frage: Steht das Urteil des LG Heilbronn irgenwo im Netz zur Verfügung (Herr Fricke, Sie beziehen sich darauf !).
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Offline RR-E-ft

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@tangocharly

OLG Celle nimmt seit jeher einen gewissen Ruhm hinsichtlich abseitiger Entscheidungen im Energiebereich für sich in Anspruch. OLG Celle eben, wie Energierechtler schreiben.

In medias:

Urteil des LG Heilbronn

Aus den Randnummern 62, 63 des Urteils des LG Heilbronn geht hervor, warum dieses davon ausgegangen ist, dass die Gaspreise des Versorgers nicht durch einen wirksamen Wettbewerb auf einem einheitlichen Wärmemarkt begrenzt werden. Das LG Heilbronn stellt sich damit gerade gegen alle vorzitierten Entscheidungen zum weiter gefassten Markt.

Wie der VIII. Zivilsenat in seinem Urteil vom 13.06.2007 - VIII ZR 36/06 in Randnummer 35 die entsprechende Aussage des LG Heilbronn in das genaue Gegenteil verqueren konnte, ist nicht nur mir schleierhaft (vgl. Markert, ZNER 2008, 44 ff.).

Der Argumentationsstrang des LG Heilbronn war, dass der Gasversorger eine Monopolstellung hat und deshalb § 315 BGB entsprechende Anwendung findet. Hierfür musste das LG Heilbronn zunächst einmal eine Monopolstellung des Gasversorgers feststellen.

Anders der VIII. Zivilsenat des BGH, der eine Monopolstellung verneint hat, jedoch auf das gesetzliche Leistungsbestimmungsrecht zutreffend § 315 BGB unmittelbar angewendet hat, so dass es auf eine Monopolstellung beim Streitgegenstand der Billigkeitskontrolle einer Gastariferhöhung als solcher (§ 308 ZPO) nicht ankam (so auch ausdrücklich Fricke, WuM 2005, 547 ff.)

Dabei wurde m.E. verkannt, dass sich das gesetzliche Leistungsbestimmungsrecht auf den jeweiligen Gastarifpreis bezieht und dieser deshalb auch insgesamt zur Billigkeitskontrolle stehen muss.

Insoweit kam es nicht auf die Kontrolle des irgendwann bei Vertragsabschluss geltenden Preises (so aber: Markert), sondern auf die Kontrolle des zuletzt einseitig festgesetzten \"jeweiligen\" (konkret ab 01.10.2004 geltende) Entgelts [insgesamt] an. Der erhöhte Tarifpreis hätte darauf überprüft werden müssen, ob er unter Beachtung des § 1 EnWG gebildet wurde.

Gegenstand des gesetzlichen Leistungsbestimmungsrechts ist die Entgelthöhe des Tarifs und nicht lediglich die Änderung der selben (Delta).

Die Entscheidungen des LG Heilbronn und des BGH weichen deshalb in entscheidenden Punkten voneinander ab:

LG Heilbronn bejaht Monopolstellung und wendet § 315 BGB deshalb entsprechend an. BGH wendet § 315 BGB hingegen unmittelbar an und verneint Monopolstellung wegen eines angeblich bestehenden Wettbewerbs, den er selbst nicht feststellen konnte, aber wohl aus Gesetzesbegründungen in Bundestagsdrucksachen herausgelesen haben will, was mehr als zweifelhaft erscheinen muss.

(Wenn es tausende Bücher über den Yeti gäbe, stünde damit immer noch nicht fest, ob diese Spezies tatsächlich existiert).

Das Urteil des LG Heilbronn wie auch das Urteil des BGH vom 13.06.2007 haben eigene Thread, ggf. dort weiter diskutieren.

Maßgeblich für die Rechtsprechung im Energiebereich ist die Rechtsprechung der 2. Kartellkammer des OLG Düsseldorf (örtlich zuständig für Entscheidungen unter Beteiligung der in Bonn sitzenden BNetzA bzw. BKartA). Der geht von der klassischen Marktabgrenzung aus, die auch dem Beschluss des Kartellsenats des BGH vom 25.09.2007 - KZR 33/06 entspricht.

Gegen die erste Entscheidung des OLG Celle (Preismissbrauch Gas Stadtwerke Uelzen) wurde Rechtsbeschwerde zum Kartellsenat des BGH eingelegt.

Offline RR-E-ft

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Die von mir in Bezug genommene Stellungnahme von Prof. Markert.

 

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