Niedersächsisches Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr; Hannover
E-Mail:
info@mw.niedersachsen.deStrompreis, Preisvergleich vom 15.11.2007
„Hirche: Preisvergleich fördert Transparenz und Wettbewerb im Interesse der Verbraucher“
Stromtarif der Stadtwerke Lingen GmbH, Entwicklung vom 01.01.2006 bis 01.01.2008
Sehr geehrter Herr Wirtschaftsminister Hirche,
Sie haben sich auf der Web-Seite Ihres Ministeriums u.a. wie folgt geäußert:
„Eine starke Missbrauchsaufsicht ist eines der Wichtigsten Instrumente zur Förderung von Transparenz und Wettbewerb auf dem Energiemarkt. Wir wollen den aufgeklärten Verbraucher… Die Landeskartellbehörde wird die Ergebnisse ihrer Abfrage jetzt im Rahmen der nachträglichen kartellrechtlichen Missbrauchsaufsicht prüfen.“
Die Stadtwerke Lingen GmbH hat den Stromtarif (Allgemeiner Tarif, Haushalt) zum 01.01.2008 erneut erhöht.
Der Tarif besteht aus dem Arbeitspreis und dem Grundpreis.
Der Arbeitspreis netto setzt sich aus folgenden Anteilen zusammen:
Vertrieb und Gewinn, Netznutzung, Konzessionsabgabe, EEG-Umlage, KWK-Umlage, Stromsteuer.
Der Grundpreis netto hat folgende Anteile:
Vertrieb und Gewinn, Netznutzung, Messung, Abrechnung.
Zum Nettopreis kommt noch die Umsatzsteuer hinzu.
Der vom Versorger insbesondere zu verantwortende, weil beeinflussbare Preisanteil „Vertrieb und Gewinn“ hat sich – bei einem Musterverbrauch von 3.500 kWh/Jahr - im Vergleich 01.01.2006 zu 01.01.2008 wie folgt verändert:
Arbeitspreis netto: + 54,6 % (01.01.2006 +25,3 %; 01.02.2007 +42,4 %; 01.01.2008 +8,6 %). Grundpreis netto:+ 5,2 % (01.02.2007 +5,2 %).
Gesamtpreis (Arbeit und Grund) netto: + 48,8 %.
Es ist nicht einzusehen, warum im Gesamtpreis der Preisanteil „Vertrieb und Gewinn“ in 24 Monaten um 48,8 Prozent gestiegen ist.
Ebenfalls ist festzustellen, dass der Anteil „Vertrieb und Gewinn“ am Nettopreis vom 01.01.2006 mit 32,7 % bis 01.01.2008 mit 42,2 % um 10,5 Prozent gestiegen ist. Auch das ist außerordentlich.
Das Netzentgelt der Stadtwerke Lingen GmbH wurde durch die Bundesnetzagentur (Beschluss vom 23.01.2007) zur Berechnung an die Endverbraucher ab 01.01.2007 erheblich gekürzt, und zwar sowohl beim Arbeitspreis als auch beim Grundpreis. Die gekürzten Netzentgelte sind von den Versorgern sofort anzuwenden.
Die Stadtwerke Lingen GmbH hat die verminderten Netzentgelte ab 01.01.2007 nicht an die Kunden weitergegeben. Durch diese unterlassene Preisreduzierung ist der Anteil Vertrieb und Gewinn zum 01.02.2007 im Verhältnis zum vorherigen Preisanteil vom 01.01.2006 gestiegen: Arbeitspreis +42,4 %, Grundpreis +5,2 %.
Dabei ist eine Erhöhung der EEG-Umlage von 0,600 Cent/kWh auf 0,745 Cent/kWh berücksichtigt
Auch der Grundpreis musste also nach der Netzentgeltminderung gesenkt werden; er wurde jedoch unverändert beibehalten. Die Berechtigung für einen verbrauchs- und lieferunabhängigen Grundpreis ist ohnehin fraglich. Der Heizöllieferant berechnet keinen Grundpreis.
Angezweifelt wird auch die Erhöhung der EEG-Umlage ab 01.01.2008 (von 0,745 um 0,505) auf 1,250 Cent/kWh (+ 67,8 %).
Bundesminister Gabriel hatte eine Begründung zur Strompreiserhöhung mit einer hohen EEG-Umlage deutlich zurückgewiesen.
Verschwiegen wird die Senkung der KWK-Umlage um 31,1 %.
Sie erhalten eine Datei (EXCEL-Format) mit der Tarifentwicklung der Stadtwerke Lingen GmbH vom 01.01.2006 bis 01.01.2008. Anlage
Es gibt derzeit keine Begründung für eine derartige Erhöhung des Strompreises:
Die Strombezugskosten (Großhandelspreise) betragen laut Branchenverband VDEW nicht mal ein Viertel des Strompreises für den Endverbraucher.
Strom-Erzeugung (Aufkommen): 25 % Atom, 24 % Braunkohle, 21 % Steinkohle, 11 % Erdgas, 8 % Wasser und Wärmekraft, 2 % Sonstige (= 91 %), 9 % Importe = 100 %.
Die Stromerzeugungskosten sind kaum teurer geworden, weil die Brennstoffkosten zur Stromerzeugung aus den heimischen Energieträgern nur geringfügig gestiegen sind.
BAFA Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle: „17.12.2007: G 10/2007 Erdgasimporte: Oktober 2007 …Der durchschnittliche Grenzübergangspreis ist im betrachteten zwölfmonatigen Zeitraum im Vergleich zur Referenzperiode um 2,9 % …gesunken.“
Erdöl wird zur Stromerzeugung nicht verwendet.
Der Anteil der Strombeschaffung über die Strombörse beträgt nur 15 %. Dieser Anteil ist höchstens um 10 % gestiegen. Dabei bereichern die höheren Erlöse an der Strombörse noch zusätzlich die Kraftwerksbetreiber (vor allem E.ON und RWE).
Es ist schon klar, dass Sie die Interessen der Wirtschaft vertreten (müssen), auch die der Energiewirtschaft. Es besteht aber auch eine ordnungspolitische Aufgabe.
Anscheinend ist dieser Wirtschaftszweig inzwischen so ziemlich „von der Rolle“, und drangsaliert große Teile der Bevölkerung mit überhöhten Energiepreisen.
Der neue Chef von RWE, Jürgen Großmann, lässt in großformatigen vierseitigen Anzeigen-Beilagen u.a. verkünden:
„Um zufriedene Kunden zu haben, braucht man Vertrauen. Das wollen wir aufbauen. …Außerdem sind die entscheidenden Rohstoffe wie Öl, Gas und Kohle deutlichen teuerer geworden. Das treibt auch den Strompreis. … Eine Dauerhafte Verhärtung der Standpunkte jedoch müssen wir verhindern. …RWE lädt deshalb Industrie, Politik und Verbraucher zu einem Energiepakt ein (für Deutschland). …So ist auch die Politik gefordert. Zunächst durch Ehrlichkeit. Die Höhe der Strompreise deutscher Haushalte wird heute zu 70 Prozent vom Staat bestimmt oder beeinflusst. Dies wird leider oft verschwiegen. …Diese Fakten müssen vorurteilsfrei diskutiert und den Kunden verständlich gemacht werden – jenseits von Demagogie und Ideologie…“
Gegenüber dem „SPIEGEL“ hatte er geäußert: „Uns wird nicht mehr abgenommen, dass wir ehrbare Kaufleute sind. Unsere Denke muss sich ändern. …“
– Wie wahr!
Die entscheidenden Rohstoffe zur Stromerzeugung sind nicht deutlich teurer geworden; Erdöl wird gar nicht verwendet. Die Strompreise werden nicht zu 70 Prozent vom Staat bestimmt oder beeinflusst. Am 01.01.2008 beträgt der „originäre“ Steueranteil am Bruttopreis (Stromsteuer und Umsatzsteuer) 25,8 %. Die staatlich veranlassten Umlagen (EEG, KWK) betragen 7,0 %. Soviel zu Ehrlichkeit und Demagogie!
„Pakt für Deutschland“: was soll das nationale Wortgeklingel?! Es wird schon von den „Vier Besatzungszonen der Energiekonzerne in Deutschland“ gesprochen. Inzwischen fühlt sich der Verbraucher in vielen Bereichen besser in Europa aufgehoben, auch bei der EU-Wettbewerbskommission.
Der Präsident des Bundeskartellamtes, Bernhard Heitzer, hat sich in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung am 26.10.2007 u.a. wie folgt geäußert: „…Die angekündigten Preiserhöhungen von Eon und RWE seien ‚dreist’. …Denn hinter einer Missbrauchsuntersuchung steht ja sehr deutlich der Vorwurf ,ihr handelt unredlich’. Die Reputation der Energiewirtschaft ist schon hinreichend ramponiert …“
Die Begründung der Erhöhung des Strompreises mit gestiegenen Bezugskosten – also Brennstoffpreise – bezeichnet der Präsident des Bundeskartellamtes, Bernhard Heitzer, als „Vorwand“ (27.11.2007 energate Redaktion).
„…E,on, RWE und Co. legen eine bemerkenswerte Mischung aus Arroganz und Aggressivität an den Tag. ...Ihre Manager sind Gebietsfürsten und so benehmen sie sich auch. …(DIE ZEIT 08.11.2007).“
Die gesetzliche Grundlage des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG 2005) wird so recht nicht gewürdigt – außer im Sondergutachten „Strom und Gas 2007“der Monopolkommission. Die Monopolkommission spricht von „Vermachtete Marktstruktur... sieht in der bloßen Weitergabe von Kosten eines Quasi-Monopolisten eine große Gefahr, da diese Kosten in der Regel überhöht sind…\" Das EnWG gilt auf allen Handelsstufen.
„§ 1 (1) Zweck des Gesetzes ist eine möglichst sichere, preisgünstige, verbraucherfreundliche, effiziente und umweltverträgliche leitungsgebundene Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität und Gas.
§ 2 (1) Energieversorgungsunternehmen sind im Rahmen der Vorschriften dieses Gesetzes zu einer Versorgung im Rahmen des § 1 dieses Gesetzes verpflichtet.“
Daraus erwächst den regionalen Versorgern, wie z.B. den Stadtwerken eine vertragliche Nebenpflicht gegenüber ihren Kunden, da sie als kommunales Unternehmen einen öffentlichen Zweck erfüllen und eine preisgünstige Versorgung garantieren müssen.
Die Stadtwerke Lingen GmbH gehört zu 60 Prozent der Stadt Lingen (Ems) und ihren Bürgern. Diese haben einen Anspruch auf Transparenz.
Erforderlich ist auch, die einzelnen Preisbestandteile auf der Stromrechnung aufzuschlüsseln.
Hierzu könnten Sie z.B. den § 42 EnWG „Stromkennzeichnung, Transparenz der Stromrechnungen“ entsprechend ergänzen. Im Absatz 6 steht zurzeit:
„Elektrizitätsunternehmen sind verpflichtet, in ihren Rechnungen an Letztverbraucher das Entgelt für den Netzzugang gesondert auszuweisen.“
Wie eine „transparente“ Stromrechnung aussehen kann, zeigte vor einiger Zeit die Stadtwerke Wittenberge GmbH auf ihrer Web-Seite:
http://www.stadtwerke-wittenberge.de unter „Rohrpost“. Die Muster-Rechnung ist auf Seite 2 ersichtlich Anlage
Auch im „Gesetz für den Vorrang Erneuerbarer Energien (EEG)“ lautet der § 15 „Transparenz“:
Abs. 2 Satz 1 „Netzbetreiber und Elektrizitätsversorgungsunternehmen sind verpflichtet, auf ihren Internetseiten …2. einen Bericht … zu veröffentlichen …“
Zwischen den Berichten der Stadtwerke Lingen GmbH und der Stadtwerke Rotenburg (Wümme) GmbH besteht schon ein großer Unterschied.
Die Energiewirtschaft hat bei den Verbrauchern jegliche Glaubwürdigkeit eingebüßt.
Die Politiker sollten das bedenken, denn Energieverbraucher sind auch Wähler.
Mit freundlichen Grüßen Anlagen