[ VIII-ZR-240-90 02-10-1991 ; 1-BvR-2203-98 28-12-1999 ; VIII-ZR-111-02 05-02-2003 ; VIII-ZR-66-04 26-01-2005 ; VIII-ZR-144-06 28-03-2007 ]
Das Urteil ist nunmehr unter
http://www.bundesgerichtshof.de veröffentlicht.
http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&sid=e12123239edb756014bc19fa7dd704fb&client=%5B%273%27%2C+%273%27%5D&client=%5B%273%27%2C+%273%27%5D&nr=39650&pos=0&anz=43Stellungnahme:
Zutreffend führt der BGH in Rdn. 11 aus, dass die unmittelbare Anwendung des § 315 BGB im vorliegenden Fall ausscheide, weil sich die Parteien bereits bei Abschluss des Vetrages auf einen konkreten Tarif- dessen Höhe betragsmäßig bestimmt war -
geeinigt hatten.
Dies war zwischen den Parteien im konkreten Fall
unstreitig und bedurfte deshalb keinerlei Erörterung.
Auch die Ausführungen, in Rdn. 17, dass eine Billigkeitskontrolle bei einem
vereinbartem Anfangspreis in entsprechender Anwendung des § 315 BGB nicht in Betracht kommt, weil es an einer Monopolstellung fehlt, entspricht der langjährigen Rechtsprechung.
Wichtig sind die Ausführungen in Rdn. 19 f. des Urteils, wonach eine Beendigung eines Energieliefervertrages durch das Unternehmen einer rechtlichen Grundlage bedarf und durch die Weiterlieferung nach einer solchen Kündigung nicht davon ausgegangen werden kann, dass automtaisch "konkludent" ein neuer Vertrag zu den Allgemeinen Tarifen zustande kommt.
Im konkreten Fall erweist sich die Entscheidung als vollkommen zutreffend.
Darüber hinaus begegnet sie jedoch erheblichen Bedenken, als sie ohne Not vermeintlich Antwort gibt auf Fragen, die sich im konkreten Fall überhaupt nicht stellten, die also erkennbar überhaupt nicht zur Entscheidung anstanden.
Nicht haltbar erscheinen die Ausführungen unter Rn. 12 f. , dass der Beklagte das entsprechende Angebot durch Entnahme von Strom aus dem Verteilnetz angenommen haben könnte, da mit den veröffentlichten Allgemeinen Tarifen der Tarif betragsmäßig eindeutig bestimmt gewesen sei und so die
Preisvereinbarung zustande gekommen sein kann.
Diese Frage stellte sich gar nicht, vgl. oben.
Das die Ausführungen nicht haltbar sind, folgt daraus, dass es sich bei dem
vereinbarten Tarif "local plus" um einen gegenüber dem veröffentlichten
Allgemeinen Tarif "local classic" günstigeren Tarif gehandelt hat.
Sollten beide Tarife, also sowohl "
local plus" als auch "
local classic"
nebeneinander als
alternative Angebote öffentlich bekannt gemacht gewesen sein, so ist durch diese Veröffentlichung allein der Tarif selbstredend nicht im Sinne von Rdn. 13 von Anfang an
eindeutig bestimmt, da es ja gerade
zwei Alternativen gab.
Dies gilt um so mehr, als aus dem Tatbestand in Rdn. 1 am Ende und den Entscheidungsgründen Rdnrn. 19 bis 21 vollkommen eindeutig hervorgeht, dass sich die Parteien bei Vertragsabschluss
jedenfalls nicht auf den "
local classic" genannten
Allgemeinen Tarif der Klägerin
geeinigt hatten !
Aus dem selben Grunde ist es rein logisch unmöglich, dass ein
Sonderkundenvertrag, auf den die Vorschriften der AVBEltV von vornherein nicht zur Anwendung kommen, und den der BGH im entschiedenen Fall laut Rdn. 21 für möglich hielt, durch die Entnahme von Strom aus dem Netz
konkludent zustande kommen kann.
§ 2 Abs. 2 AVBEltV (nur nach dieser Vorschrift ist nach h. M. ein konkludenter Vertragsabschluss möglich) kommt gem. § 1 Abs. 1 Satz 2,
Abs. 2 AVBEltV überhaupt nur auf echte
Tarifkunden in der Allgemeinen Versorgung gem. § 10 Abs. 1 EnWG 1998 zur Anwendung (st. Rechtsprechung des Senats, NJW 1998, 1640, 1642).
Die Feststellung in Rdnr. 16 erscheint nicht richtig, als es sich bei dem Leistungsänderungsrecht des § 4 AVBEltV um ein
vertragsgegenständliches, also
vertragliches Recht handelt, was schon aus § 1 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 AVBEltV folgt.
Insoweit ist die Argumentation in Rdn. 15 unplausibel und nicht nachvollziehbar:
Es ist undenkbar, sich bei Vertragsabschluss - für beide Seiten
verbindlich - auf einen konkreten Preis zu einigen und
zugleich dem einen Teil ein
jederzeit ausübbares einseitiges Leistungsänderungsrecht (Leistungsbestimmungsrecht) vorzubehalten, welches die weitere Höhe des Leistungsentgeltes in das Ermessen dieses einen Vertragsteils stellt. Dann gibt es schon keine Einigung, die auch für den Vertragsteil, zu dessen Gunsten der Änderungsvorbehalt gilt,
verbindlich ist.
Der in einem echten Tarifkundenvertrag gem. § 10 Abs. 1 EnWG vertragsgegenständliche § 4 I AVBEltV macht gerade deutlich, dass man sich bei Vertragsabschluss gerade nicht auf einen Preis einigt, der dann für alle Zeit unabänderlich Geltung beansprucht. Aus § 4 II AVBEltV ergibt sich, dass das EVU durch öffentliche Bekanntgabe die
jeweiligen Preise einseitig festlegt.
Mithin gäbe es gem. § 154 Abs. 1 BGB insgesamt keine verbindliche Einigung gem. § 145 ff. BGB. Aus Rdn. 14 der Entscheidung geht hervor, dass der Senat den zu Grunde liegenden Sachverhalt der Entscheidung des Kartellsenat BGH NJW 2006, 684 offensichtlich
falsch interpretiert hat:
Denn die in BGH NJW 2006, 684 Rn. 9 genannte
Anlage 3 betraf keine Anlage der sog. Verbändevereinbarung Strom II plus, sondern eine
Anlage zum Vertrag zwischen den Parteien, nämlich ein
jeweils geltendes "
Preisblatt", so wie auch Allgemeinversorger gem. § 4 AVBEltV ihre
jeweils geltenden Preisblätter gem. § 4 II AVBEltV regelmäßig bekannt geben. Deshalb unterscheiden sich die Sachverhalte gerade nicht.
Einen solchen
Fauxpas würde man jungen Kollegen wohl zurecht als "
Sachverhaltsquetsche" anlasten.
Was mit einer Abgrenzung zur Entscheidung BGHZ 163, 282 gemeint sein könnte, ist nicht nachvollziehbar.
In diesem Beschluss des Kartellsenats vom 28.06.2005 - KVR 17/04 geht es um die Frage eines kartellrechtlichen Preishöhenmissbrauchs eines Stromnetzbetreibers (Stadtwerke Mainz) und die Frage, ob die Kartellbehörde eine Preisobergrenze verfügen und im Wege der Anordnung des Sofortvollzuges durchsetzen kann.
Das steht mit der Frage der zivilrechtlichen Billigkeitskontrolle einseitig festgelegter Entgelte von Stromversorgungsunternehmen gem. § 315 BGB in keinem direkten Zusammenhang, insbesondere als die
direkte Anwendung des § 315 BGB keine Monopolstellung oder auch nur marktbeherrschende Stellung voraussetzt.
Wenn der VIII. Zivilsenat im Zusammenhang mit der direkten Anwendung des § 315 BGB von der Rechtsprechung des Kartellsenats abweichen wollte, hätte es wohl der Anrufung des Großen Senats bedurft.
Die Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats lässt sich nicht mit der Rechtsprechung des Kartellsenats zu Preisen in Form Allgemeiner Tarife unter dynamischer Verweisung auf
jeweils geltende Preisblätter in Übereinklang bringen.
Dieses vertragliche einseitige Leistungs(neu)bestimmungsrecht des § 4 AVBEltV wird bereits bei Abschluss des Vertrages vertraglich vereinbart.
Die Entscheidung widerspricht zugleich der Rechtsprechung des III. Zivilsenats (III ZR 287/97 = NJW 1998, 3188, 3192) und des BVerwG (NVwZ 1994, 999), wonach es sich bei den Allgemeinen Stromtarifen um einseitige Preisfestlegungen handelt, die der Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB unterliegen.
Weil es in der vorliegenden Entscheidung aber gar nicht darauf ankam, hat sich der Senat auch mit dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung überhaupt nicht inhaltlich auseinandergesetzt.
Die Entscheidung widerspricht zugleich den Senatsentscheidungen vom 02.10.1991 - VIII ZR 240/90 (NJW-RR 1992, 183) und vom 05.02.2003 - VIII ZR 111/02 (NJW 2003, 1449), die der Senat in seiner großen Aufzählung in Rdn. 17 des Urteil einfach "unter den Tisch fallen" lässt bzw. "unter den Teppich kehrt", so als gäbe es gar keine
bestehende Rechtsprechung des Senats zur Billigkeitskontrolle von Stromtarifpreisen.
Der Senat hätte sich auch damit auseinderzusetzen gehabt, wenn er von seiner langjährigen st. Rechtsprechung abrücken wollte.
Das Urteil wird sicherlich kontrovers diskutiert werden, da es in sich widersprüchlich ist.
Famos erscheint, dass die
orbita dicta, auf die es für die Entscheidung überhaupt nicht ankam, in Leitsätze verpackt wurden und dass der VIII. Zivilsenat von der Rechtsprechung des Kartellsenats abweicht, ohne dass der Große Senat angerufen wurde.
Somit besteht wohl eine
divergierende Rechtsprechung zweier Senate des BGH.
Zudem stellt sich nach dem Urteil die Frage nach dem Anwendungsbereich des § 38 EnWG, der für Haushaltskunden nie eröffnet wäre, wenn immer zugleich durch Stromentnahme ein Grundversorgungsvertrag gem. § 36 EnWG zustande käme.
Auch dies spricht dafür, dass das Urteil sich zu Fragen verhält, die schon nicht Gegenstand des konkreten Verfahrens waren (die also niemand gestellt hatte) und dann zu unplausibelen Ergebnissen kommt, wohl kommen musste.
Fazit:Im konkreten Fall kommt der BGH zum richtigen Ergebnis.
Die
orbiter dicta sind indes in sich widersprüchlich und nicht nachvollziehbar, da sie auch im Widerspruch zu früheren Entscheidungen des VIII. Zivilsenats stehen (BGH NJW 2003, 3131), wonach sich die Parteien beim
konkludenten Abschluss eines Versorgungsvertrages gerade nicht auf einen konkreten Preis einigen,
§ 154 Abs. 1 BGB, aber auch zur weiteren höchstrichterlichen Rechtsprechung (BGH NJW 2006, 684, [685] Rn. 10; BGH NJW 1998, 3188, [3192] und BVerwG NVwZ 1994, 999), wonach es sich bei
veröffentlichten Allgemeinen Stromtarifen auch im Falle ihrer behördlichen Genehmigung um einseitige Preisfestlegungen des einzig
kontrahierungspflichtigen Stromversorgungsunternehmens handelt.
Vollkommen unreflektiert bleibt dabei die gesetzliche Verpflichtung aus §§ 2 Abs. 1, 36, 38 EnWG der grundversorgungspflichtigen Stromversorgungsunternehmen zur möglichst preisgünstigen, effizienten Versorgung zu verbraucherfreundlichen Bedingungen.
Auch damit hat sich der VIII. Zivilsenat in seiner Entscheidung überhaupt nicht befasst und auseinandergesetzt (so aber BGH NJW 2006, 684, [685] Rn. 13 am Ende und Rdn. 20).
Eine einheitliche Rechtsprechung besteht demnach nicht mehr.
Diese Kritik greift um so mehr, als entgegen den Ausführungen in Rdn. 16 der Entscheidung Tarifänderungen gem. § 4 AVBEltV nicht zwangsläufig mit
Preiserhöhungen verbunden sind.
Womöglich dachten die Richter des VIII. Zivilsenats, es gäbe gar nichts anderes als Erhöhungen der Stromtarife.
Einen solchen
allgemeinen Erfahrungssatz , wonach die bisherigen, einseitig festgesetzten Tarifpreise der Billigkeit entsprechen, gem. §§ 1, 2 Abs. 1 EnWG, §§ 1, 12 BTOElt angemessen sind, gibt es jedoch gerade nicht.
Die Praxis sieht anders aus:
So mussten u. a. E.ON Thüringer Energie AG rückwirkend zum 01.08.2006 und die Stadtwerke Jena- Pößneck GmbH zum 01.04.2007, aber auch die Stadtwerke Neustadt (Orla) ihre Allgmeinen Stromtarife gem. § 4 AVBEltV jüngst
erheblich absenken.
Nach Angaben der Strompreisaufsicht des TMWAI waren die Stromtarife bisher infolge überhöhter Netzentgelte zu hoch. Diesen Preisüberhöhungen konnten die Stromkunden auch nicht durch Wahl eines alternativen Anbieters ausweichen, weil diese alternativen Anbieter den Preisüberhöhungen ebenso ausgesetzt waren und allein deshalb überhaupt den Stromkunden gar keine günstigeren Angebote offerieren konnten.
Die Stromtarifpreise mussten dabei nicht etwa infolge Wettbewerbsdrucks abgesenkt werden, sondern allein auf Druck der (noch) zuständigen Aufsichtsbehörden.
Ohne deren Druck wären die Stromtarifpreise nicht nur nicht abgesenkt, sondern (im Fall Jena) sogar angehoben worden.
Dies zeigt eindeutig, dass die Strompreise durch keinen Wettbewerbsdruck kontrolliert werden.
Nach der Entscheidungspraxis der für die Netzentgeltgenehmigungen zuständigen Regulierungsbehörden des Bundes und der Länder gibt es einen allgemeinen Erfahrungssatz, dass die Netzentgelte und mit diesen die Stromtarife in der Allgemeinen Versorgung bisher überall überhöht waren.
Es würde zu vollkommen widersinnigen, geradezu
willkürlichen Ergebnissen führen, wollte man annehmen, die
Tarifkunden dieser Unternehmen seien aufgrund einer
Einigung bei Vertragsabschluss verpflichtet, die bisher
überhöhten Tarifpreise immer weiter zu bezahlen.
Thomas Fricke
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