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Autor Thema: Stadtwerke müssen Gaspreiserhöhung darlegen  (Gelesen 21212 mal)

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Offline nomos

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Offline RR-E-ft

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Stadtwerke müssen Gaspreiserhöhung darlegen
« Antwort #1 am: 01. Oktober 2007, 15:17:52 »
@Nomos

Man weiß schon nicht, ob der Beklagte (einen Angeklagten gibt es dabei nicht) überhaupt als Tarifkunde beliefert wird, sich also ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht gem. § 315 Abs. 1 BGB überhaupt aus § 4 AVBGasV ergeben kann, der Beklagte ein solches einseitiges Leistungsbestimmungsrecht in dem Verfahren überhaupt bestritten hat.

Die meisten Kunden, die mit Gas heizen, dürften nämlich aufgrund eines Sonderabkommens beliefert werden, also gerade nicht als Tarifkunden.

Zitat
Sonderabkommen (SA) Arbeitspreis 5,77ct / kWh
gültig ab 7.301 bis 99.999 kWh/Jahr
 
 Arbeitspreis (CleverOnline) 5,52 ct / kWh
 
 Grundpreis 17,85 € / Monat

Wurde bei Abschluss des Sonderabkommens kein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht gem. § 315 Abs. 1 BGB vereinbart, so bedarf es auch keiner Darlegungen der Stadtwerke zur Billigkeit der Preiserhöhung. Eine einseitige Preiserhöhung ist dann schon unzulässig, wenn bei Vertragsabschluss  gar kein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht der Stadtwerke  vereinbart wurde.

Für die Tatsache, dass bei Vertragsabschluss überhaupt ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht gem. § 315 Abs. 1 BGB vereinbart wurde, tragen die Stadtwerke die Darlegungs- und Beweislast (vgl. Palandt, BGB, § 315 Rn. 19).

Der verklagte Verbraucher muss ein bestehendes einseitiges Leistungsbestimmungsrecht  allerdings im Prozess bestreiten, so dass das Gericht sich damit auseinandersetzen muss. Bestreitet der verklagte Kunde ein solches Recht nicht und rügt nur die Preiserhöhung als unbillig, dann kann es tatsächlich noch der entsprechenden Darlegungen der Stadtwerke bedürfen.

Der Bericht in den Medien lässt also besorgen, dass ein solches Bestreiten bisher verabsäumt wurde.  :rolleyes:

Offline userD0009

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Stadtwerke müssen Gaspreiserhöhung darlegen
« Antwort #2 am: 02. Oktober 2007, 01:47:57 »
Ich war heute bei der Verhandlung vor Ort.

In der Tat wurde mündlich, weder vom Gericht noch von den Parteien, etwas zum Bestehen eines einseitigen Leistungsbestimmungsrechtes vorgetragen.

Es wurde auch nichts darüber geäußert, ob es sich bei dem Beklagten um einen Tarif- oder Sondervertragskunden handelt.

Das Gericht stellte klar, dass lediglich die Gaspreiserhöhungen im Zeitraum 01.01.2005 bis 31.12.2006 Streitgegenstand seien.
Es werde keine Überprüfung der Preise, die vor dem 01.01.2005 gegolten haben vorgenommen. Diese seien als akzeptiert zu betrachten.

Es scheint, als wurde im vorliegenden Fall auch nicht der Gesamtpreis gerügt, sondern lediglich die Erhöhungen.

Das Gericht meinte in diesem frühen ersten Termin auf Grundlage des BGH Urteils vom 13.06.2007 \"ein paar Pflöcke bereits setzten zu können\":

1. § 315 sei bei Gaspreisen anwendbar

2. Eine Tariferhöhung, mit der lediglich gestiegene Bezugskosten des Gasversorgers an die Tarifkunden weitergegeben werden, entspreche grundsätzlich der Billigkeit; sie kann allerdings unbillig sein, wenn und soweit der Anstieg der Bezugskosten durch rückläufige Kosten in anderen Bereichen ausgeglichen wird.

3. Das Gericht werde keinen Blick auf die Ebene hinter dem Gasversorger, sprich evtl. Konzernstrukturen und Zusammenhänge mit Vorlieferanten, werfen. Es werde keine Billigkeitsprüfung anhand des Weltmarktpreises für Gas vornehmen.

4. Das Gericht forderte den Klägern auf, den Bezugsvertrag mit dem Gaslieferanten vorzulegen, aus dem sich die Bezugskosten ergeben.

5. Weiter wurde der Kläger aufgefordert, die Kosten und Einsparungen in anderen Bereichen der Gassparte (Kosten und Einsparungen in den Sparten Wasser und Fernwärme seien irrelevant) dem Gericht bekannt zu geben. Wobei sich die Detailtiefe noch im Laufe des Verfahrens ergeben müsse. Zum jetzigen Zeitpunkt könne das Gericht noch keine exakte Anforderung dafür aussprechen.

Offline superhaase

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Stadtwerke müssen Gaspreiserhöhung darlegen
« Antwort #3 am: 02. Oktober 2007, 08:38:15 »
Zitat
Original von belkin
3. Das Gericht werde keinen Blick auf die Ebene hinter dem Gasversorger, sprich evtl. Konzernstrukturen und Zusammenhänge mit Vorlieferanten, werfen.
Das darf doch nicht wahr sein.
Darauf würde ich als Beklagter bestehen.
Es darf doch nicht sein, dass durch geschicktes Outsourcing bzw. eine einfache Gewinnverschiebung (Kartell?!) die Gesetze so einfach unterlaufen werden können, ohne dass die Gerichte bereit sind, einen Blick darauf zu werfen.
Das wäre doch schon allein ein Revisionsgrund....

ciao,
sh
8) solar power rules

Offline nomos

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Stadtwerke müssen Gaspreiserhöhung darlegen
« Antwort #4 am: 02. Oktober 2007, 11:41:31 »
Zitat
Original von RR-E-ft
......
Der Bericht in den Medien lässt also besorgen, dass ein solches Bestreiten bisher verabsäumt wurde.  :rolleyes:
    @RR-E-ft

    Zu der Bietigheim-Bissinger Rechtsanwältin der Beklagten hat auch meine Initiative Kontakt.  Aus diesem Grund steht der Fall bei mir unter besonderer Beobachtung.  ;) Ich hoffe nicht, dass da was versäumt wurde.

    Die Rechtsanwältin Susanne Pohl spricht von Billigkeit und § 315 Abs. 3 BGB.

    Richter Schlotz-Pissarek verlangt von den Stadtwerken die Kosten nachvollziehbar aufzuschlüsseln.

    Stadtwerkechef Klaus Rilling träumt von 15 % Umsatzrendite. Das bei Stadtwerken, die überwiegend direkt oder indirekt Kommunen gehören! Die Eigenkapitalrendite nennt der Stadtwerkechef nicht.
O-Töne (SWR3-Nachrichten)[/list]

Offline userD0009

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Stadtwerke müssen Gaspreiserhöhung darlegen
« Antwort #5 am: 02. Oktober 2007, 12:42:03 »
Zitat
Original von nomos

Richter Schlotz-Pissarek verlangt von den Stadtwerken die Kosten nachvollziehbar aufzuschlüsseln.

@nomos

Das Gericht sprach in diesem Zusammenhang nicht von Kosten,  sondern von der Forderung iHv ca. 1700 Euro, die die Stadtwerke vor Gericht einklagen. Diese solle in die einzelnen Forderungen aufgeschlüsselt werden, so dass nachvollziehbar sei, welche Einzelforderungen in dem Gesamtbetrag von ca. 1700 Euro enthalten sind.


Offline superhaase

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Stadtwerke müssen Gaspreiserhöhung darlegen
« Antwort #7 am: 02. Oktober 2007, 13:16:03 »
Der Richter scheint mir ein unmündiger und mutloser Angsthase zu sein.

Vielleicht sollte man ihm die \"richtige\" Interpretation dieses Urteils nahelegen.....
8) solar power rules

Offline taxman

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Stadtwerke müssen Gaspreiserhöhung darlegen
« Antwort #8 am: 02. Oktober 2007, 13:36:36 »
Zitat
Original von nomos
Zitat
Original von RR-E-ft
......
Der Bericht in den Medien lässt also besorgen, dass ein solches Bestreiten bisher verabsäumt wurde.  :rolleyes:
    @RR-E-ft

    Zu der Bietigheim-Bissinger Rechtsanwältin der Beklagten hat auch meine Initiative Kontakt.  Aus diesem Grund steht der Fall bei mir unter besonderer Beobachtung.  ;) Ich hoffe nicht, dass da was versäumt wurde.

    Die Rechtsanwältin Susanne Pohl spricht von Billigkeit und § 315 Abs. 3 BGB.

    Richter Schlotz-Pissarek verlangt von den Stadtwerken die Kosten nachvollziehbar aufzuschlüsseln.

    Stadtwerkechef Klaus Rilling träumt von 15 % Umsatzrendite. Das bei Stadtwerken, die überwiegend direkt oder indirekt Kommunen gehören! Die Eigenkapitalrendite nennt der Stadtwerkechef nicht.
O-Töne (SWR3-Nachrichten)[/list]

Kann man solche Versäumnisse während eines Prozesses nachholen?
pin.energiepreise@yahoo.de

Dort treffen sich Kunden der Stadtwerke Walldorf, Heidelberg, Hockenheim, Weinheim, Neckargemünd, MVV und Erdgas Südwest!

Offline RR-E-ft

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Stadtwerke müssen Gaspreiserhöhung darlegen
« Antwort #9 am: 02. Oktober 2007, 14:05:55 »
@Schöfthaler

Man muss es auch nicht anders machen, als der BGH in seinem Urteil vom 13.06.2007 (VIII ZR 36/06). Der BGH hatte nämlich zunächst geprüft, ob überhaupt ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht gem. § 315 Abs. 1 BGB besteht (vgl. Tz. 14/ 17). Diesen notwnendigen Prüfungsschritt darf man natürlich nicht überspringen.


@taxman

Was in einem Zivilprozess wann vorzutragen ist bzw. vorgetragen werden kann, ergibt sich aus der Zivilprozessordnung. Diese Regelungen wiederum sind Teil der juristischen Ausbildung, so dass Anwälte darüber Bescheid wissen. Wer sich für eine solche Ausbildung interessiert, kann ggf. eine solche starten. Aber sicher nicht hier.

@nomos

Die Umsatzrenditen der Gasversorger (Vertrieb) in einzelnen Vertragsverhältnissen (Deckungsbeiträge) lässt sich bereits länger bei ca. 30 Prozent abschätzen. Siehste hier. Das hat mit dem Gesamtumsatz und dem Jahresüberschuss des Unternehmens herzlich wenig zu tun, weil es um die Deckungsbeiträge im konkreten Vertragsverhältnis geht.

Offline nomos

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Stadtwerke müssen Gaspreiserhöhung darlegen
« Antwort #10 am: 02. Oktober 2007, 15:00:24 »
Zitat
Original von RR-E-ft
Die Umsatzrenditen der Gasversorger (Vertrieb) in einzelnen Vertragsverhältnissen (Deckungsbeiträge) lässt sich bereits länger bei ca. 30 Prozent abschätzen. Siehste hier. Das hat mit dem Gesamtumsatz und dem Jahresüberschuss des Unternehmens herzlich wenig zu tun, weil es um die Deckungsbeiträge im konkreten Vertragsverhältnis geht.
    Das mit der Preiskalkulation sehen \"meine\" Stadtwerke so.

    Rendite? Da kommen einem ja die Tränen. ;)
    Die großen Vier verdienen sich Milliarden, viele der Kleinen (Stadtwerke & Co.) verdienen sich Millionen und subventionieren oft zusätzlich quer mit jährlich neuen Rekordmeldungen. Gerichte helfen wohl nicht wirklich weiter. Das muss auf der politischen Ebene gerichtet werden.

    Hier noch der Bericht der Stuttgart Nachrichten [/list]

    Offline RR-E-ft

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    Stadtwerke müssen Gaspreiserhöhung darlegen
    « Antwort #11 am: 02. Oktober 2007, 16:15:34 »
    Man fasst es kaum. Jetzt sollen die Metallrohre, die in der Erde liegen, plötzlich 50 Prozent teurer geworden sein, wodurch sich das Erdgas verteuert habe:

    Esslinger Presse

    Zitat
    Die Stadtwerke haben bei diesem Prozess viel zu verlieren: „Wir beziehen eine Milliarde Kilowattstunden im Jahr von unserem Lieferanten, der EnBW“, sagte Leif Peter Holderegger, der Anwalt der Stadtwerke. „Wenn die den Preis nur um 0,1 Cent pro Kilowattstunde erhöhen, würden wir eine Million draufzahlen. Das müssen wir zwangsläufig an die Kunden weitergeben.“ Der Gaspreis leite sich mit vierteljährlichem Verzug vom Ölpreis ab. Zudem seien die Preise für Metallrohre bis zu 50 Prozent gestiegen.

    Die Stadtwerke liefern ja wohl keine Metallrohre an die Kunden. Besser nicht. Manch einer könnte sonst noch auf Gedanken kommen....

    Offline RR-E-ft

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    Stadtwerke müssen Gaspreiserhöhung darlegen
    « Antwort #12 am: 02. Oktober 2007, 21:11:20 »
    Ein verklagter Sondervertragskunde sollte  in dieser Situation zugleich eine Widerklage auf Feststellung erwägen, dass sämtliche Preiserhöhungen unwirksam waren, so dass auch gleich für den laufenden Energiebezug geklärt werden kann, dass nicht die erhöhten Preise verlangt werden können.

    Offline nomos

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    Stadtwerke müssen Gaspreiserhöhung darlegen
    « Antwort #13 am: 06. Oktober 2007, 10:35:46 »

    Offline nomos

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    Stadtwerke müssen Gaspreiserhöhung darlegen
    « Antwort #14 am: 09. Oktober 2007, 10:23:23 »
    Zitat
    Original von Schöfthaler
    Der Richter bedauert, dass die Frage der Machenschaften hinter den Kulissen der Konzerne und die eigentlichen Gründe für die dramatischen Gaspreisanstiege aufgrund des BGH-Urteils vom Juni für die Entscheidung des Gerichts nicht mehr relevant sein können, obwohl er das selbst für fragwürdig hält.
      Die SWE sollen auf Wunsch des Richters zudem ihre Kostensituation darstellen und er will sich den Vertrag der Stadtwerke mit ihrem Gaslieferanten, der EnBW, anschauen. Die EnBW ist zu 49 Prozent an den SWE beteiligt.

      Das genau ist der interessante Aspekt in diesem Fall. Die EnBW ist Vorlieferant   und da wird wohl der größte Teil der überhöhten Gewinne gemacht. Der Richter sollte sich mehr ansehen als nur den Liefervertrag. Die Preisgestaltung innerhalb der Lieferkette kann insbesondere bei Beteiligungsverhältnissen nicht unberücksichtigt bleiben. Das BGH-Urteil vom Juni schliesst eine Prüfung hier nicht aus und diese Frage ist relevant, sie ist hier geradezu geboten. Ansonsten könnten Gesetze und Verordnungen  jederzeit über Beteiligungskonstrukte und sonstige Gestaltungen ausgehebelt werden. Das kann nicht geltendes Recht sein.

     

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