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Autor Thema: LG Konstanz: § 315 BGB bei Sonderverträgen unanwendbar  (Gelesen 10497 mal)

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Offline RR-E-ft

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LG Konstanz: § 315 BGB bei Sonderverträgen unanwendbar
« am: 04. Januar 2007, 19:34:33 »
[ 9-O-71-06-KfH   28-12-2006 ]

LG Konstanz, 9. Kammer für Handelssachen
Hinweis- Beschluss vom 28.12.2006 - 9 O 71/06 KfH


Der Versorger klagte Restzahlungen aus Gasabrechnungen ein, deren Beträge ausschließlich aus Preiserhöhungen im laufenden Vertragsverhältnis eines Sondervertrages resultieren und deren Zahlungen verweigert wurden.

Das Gericht weist zutreffend darauf hin, dass der Anfangspreis eines Sondervertrages vertraglich vereinbart und nicht einseitig bestimmt wurde und deshalb keiner Billigkeitskontrolle unterfällt (st. Rspr.).

Es wurde dabei unstreitig eine gegenüber den Allgemeinen Tarifen günstigerer Sonderpreis S 1 vereinbart.

Das Gericht weist darauf hin, dass die AGB- Klausel, mit der sich der Versorger die jederzeitige Änderung der Sonderpreise S 1 vorbehält, wegen Verstoßes gegen § 307 BGB unwirksam ist und deshalb kein weiterer Zahlungsanspruch der Klägerin besteht.

Der Klägerin wird deshalb die Klagerücknahme anheim gestellt. Alternativ sollte die Klägerin objektive Gründe dafür vortragen, ab wann und in welcher Höhe sie trotz Abschluss des Sondervertrages und Unwirksamkeit der Preisänderungsklausel berechtigt zu sein glaubt, einen höheren als den ursprünglich vereinbarten Gaspreis zu verlangen.



Der Beschluss liegt dem Bund der Energieverbraucher in Abschrift vor und wird hoffentlich alsbald in die Entscheidungssammlung eingestellt.

Der geäußerten Rechtsansicht des LG Konstanz gehört meine ungeteilte Zustimmung.

Fazit:

Bei Sonderverträgen gilt oft der ursprünglich vereinbarte Preis fort.


Freundliche Grüße
aus Jena



Thomas Fricke
Rechtsanwalt

Offline jroettges

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LG Konstanz: § 315 BGB bei Sonderverträgen unanwendbar
« Antwort #1 am: 04. Januar 2007, 22:56:09 »
Zitat
Der geäußerten Rechtsansicht des LG Konstanz gehört meine ungeteilte Zustimmung.
Wer schließt sich da als Verbraucher nicht freudig an!

Die GVU werden das natürlich so nicht sehen wollen. Sie reiten weiterhin wie der Schimmelreiter durch Nacht und Wind und berufen sich auf selbstbestellte Gutachten. In diesen wird  vorgeblich bewiesen, dass die GVU die Preissteigerungen ihrer Vorlieferanten nicht vollständig an die Kunden weitergegeben haben. Davon ließen sich bisher einige wenige Amtsrichter beeindrucken, deren Urteile die GVU nun wie Standarten vor sich her tragen.

Es geht aber um die Preise als Ganzes, die den Vorgaben des EnWG entsprechen müssen, um als "billig" zu gelten.
Bei Sonderverträgen geht es darüberhinaus um die Frage, ob es überhaupt Steigerungen der vertraglich vereinbarten Preise geben durfte. Dazu hat das LG Konstanz die richtigen Fragen gestellt.

Insgesamt steht der große Showdown aber noch aus! Dies neue Urteil lässt aber hoffen!

Offline RR-E-ft

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LG Konstanz: § 315 BGB bei Sonderverträgen unanwendbar
« Antwort #2 am: 05. Januar 2007, 10:07:00 »
@jroettges

Es handelt sich bisher um einen Hinweis- Beschluss des LG Konstanz, somit fraglich, ob der Versorger seine Klage überhaupt weiterverfolgt.

Da bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hatte, ist eine Klagerücknahme nur noch mit Zustimmung des verklagten Kunden zulässig.

Kommt es zu keiner Klagerücknahme, wird das Gericht die Rechtsfrage in einem Urteil zu entscheiden haben. Aber auch nur dann.

Klar ist indes, dass sich ein Energielieferant wegen § 307 BGB in einem Sondervertrag kein jederzeitiges, unbegrenztes Preisänderungsrecht in AGB vorbehalten kann (st. Rspr. des BGH).

Das LG Konstanz macht in dem genannten Beschluss auch deutlich, dass dies gleichermaßen für Strom und Gas gilt.

Etwa bei einem Verweis auf § 4 AVBV würde es sich um ein solches jederzeitiges, einseitiges Leistungsbestimmungsrecht handeln, welches gegen § 307 BGB verstößt.

Deshalb habe ich auch meine Auffassung insoweit hinsichtlich der sog. Norm- Sonderverträge, wie sie in Energiedepesche- Sonderheft geäußert wurde, zu revidieren, auf welche etwa Herr  Kollege Dr. Kunth am 07.09.2006 noch in Frankfurt/ Main bei einer Veranstaltung der BGW- Kongress GmbH verwies.

Norm- Sonderverträge sind nun einmal Sonderverträge, deren Bestimmungen regelmäßig  uneingeschränkt dem AGB- Recht unterliegen.



Freundliche Grüße
aus Jena




Thomas Fricke
Rechtsanwalt

Offline pegasus

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LG Konstanz: § 315 BGB bei Sonderverträgen unanwendbar
« Antwort #3 am: 05. Januar 2007, 11:50:09 »
Als seit längerer Zeit aufmerksamer Leser der Forenbeiträge, Strom-und Gasrebell und Nichtjurist versuche ich jetzt, aufgrund des das o.g. Urteils den Widerspruch gegen Tarif- und Sonderverträge nochmals gedanklich zu ordnen. Ich hoffe, dass die folgende Zusammenfassung von dem/den Kompetenten in dieser Runde gelesen und beurteilt wird:
1. Strom/Gas-Tarifkunde: es ist Widerspruch möglich nach § 315 BGB gegen den Gesamtpreis (Grund- und Arbeitspreis) und die Preiserhöhungen (Grund- und Arbeitspreis). Hier habe ich die Möglichkeit, Preiserhöhungen nicht zu bezahlen oder die Zahlung überhaupt einzustellen.

2. Strom/Gas-Sondervertragskunde: es gilt § 307 BGB, d.h. es wurde (irgendwann) eine Preisbasis (Grund- und Arbeitspreis) zwischen EVU und Kunden vereinbart, an die beide gebunden sind. Sind in diesem Vertrag Preisänderungsklauseln enthalten, müssen diese klar und nachvollziehbar für den Kunden definiert sein. Wirksame Klauseln sind (s. Forenbeiträge bzw. Urteile) in aller Regel in solchen Sonderverträgen nicht oder nur sehr selten enthalten (muss jedoch im Einzelfall gerichtlich zu klären sein).
Folge: Es gilt der zu Vertragsbeginn bzw. bei Vertragsänderung oder Vertragsneuformulierung jeweils vereinbarte Preis. Preiserhöhungen sind deshalb unwirksam.
Sollten aber wirksame Preisänderungsklauseln eine/mehrere Erhöhungen zulassen, kann gegen diese Erhöhungen jedoch nach § 315 BGB Widerspruch eingelegt werden.

Ich freue mich riesig auf ein feed-back.

Allen ein schönes Wochenende – insbes. denen, die auf meinen Beitrag antworten

Gruss pegasus

Offline RR-E-ft

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LG Konstanz: § 315 BGB bei Sonderverträgen unanwendbar
« Antwort #4 am: 05. Januar 2007, 13:11:55 »
@pegasus

Zu Tarifkunden ist bereits alles gesagt.

§ 315 BGB findet allein wegen des in § 4 AVBV bzw. nunmehr § 5 GVV gesetzlich angeordneten einseitigen  Leistungsbestimmungsrechts des EVU Anwendung (so auch Kunth/ Tüngler zur Verhandlung vor dem BGH am 20.12.2006).

Es gilt § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB mit deutlicher Betonung auf den Worten "nur" und "wenn". Vor dem Wort "nur" darf man sich das Wort "überhaupt" getrost hinzudenken.

Dazu bestehen eigene Threads.

Bei Sondervertragskunden sind einseitige Preisänderungen überhaupt nur zugelassen, wenn es dazu eine wirksame Preisänderungsbestimmung gibt, welche die Richtlinien und Grenzen der Änderung so klar definiert, dass keinerlei Ermessen für das EVU mehr verbleibt, sonst handelt es sich schon um unzulässige Beurteilungsspielräume im Sinne des § 307 BGB.

Dies hat wohl zur Konsequenz, dass § 315 BGB neben § 307 BGB nicht mehr zur Anwendung kommen kann, weil das relativ weite Ermessen des § 315 BGB schon immer zu weit ist für das nach § 307 BGB notwendige Korsett.

Klauseln, die noch ein Ermessen belassen, verstoßen also schon gegen § 307 BGB.

Bei automatisch wirkenden Preisgleitklauseln, die keinerlei Ermessen belassen, kommt aber daneben § 315 BGB nicht mehr in Betracht (vgl. BGH, Urt. v. 11.10.2006). Auch logisch.

Gibt es keine wirksame Preisänderungsklausel im Sondervertrag, sind deshalb einseitige Preisänderungen im laufenden Vertragsverhältnis insgesamt unzulässig.

Dies hat zur Folge, dass es bei dem bei Vertragsabschluss einmal vereinbarten Preis verbleibt, weil einseitige Preiserhöhungen keine Rechtsgrundlage haben und deshalb unwirksam sind (vgl. LG Bremen, LG Berlin, LG Dresden etc.).

Darauf scheint im Ergebnis auch beim BGH alles hinauszulaufen.  


Freundliche Grüße
aus Jena



Thomas Fricke
Rechtsanwalt

Offline eislud

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LG Konstanz: § 315 BGB bei Sonderverträgen unanwendbar
« Antwort #5 am: 05. Januar 2007, 16:37:30 »
@RR-E-ft
In welchen Fällen kann es denn nach aktueller Rechtssprechung überhaupt noch eine direkte oder indirekte Anwendung des § 315 BGB bei Sonderverträgen geben?

Gruss eislud

Offline RR-E-ft

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LG Konstanz: § 315 BGB bei Sonderverträgen unanwendbar
« Antwort #6 am: 05. Januar 2007, 17:26:02 »
@eislud

In den Fällen, in denen der vertraglich vereinbarte Anfangspreis aufgrund einer Monopolstellung oder eines bestehenden Anschluss- und Benutzungszwanges (trotz vertraglicher Einigung !) faktisch einseitig bestimmt wurde, könnte man an eine entsprechende Anwendung des § 315 BGB denken.

Eine ganz eigene Sicht der Dinge hat das OLG Dresden. Mit dieser Sicht scheinen indes wohl alle überfordert. Da muss man ggf. auf die Revision zum BGH warten.

Leider ist auch das Urteil des OLG Dresden noch nicht in der Entscheidungssammlung veröffentlicht.

Offline RR-E-ft

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LG Konstanz: § 315 BGB bei Sonderverträgen unanwendbar
« Antwort #7 am: 12. Februar 2007, 12:01:56 »

Offline gastrom

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LG Konstanz: § 315 BGB bei Sonderverträgen unanwendbar
« Antwort #8 am: 20. Februar 2007, 22:02:55 »
@ RR-E-ft

Gegen sämtliche Gaspreiserhöhungen nach dem 31.12.2004 habe ich unter Bezugnahme auf §315 BGB wegen Unbilligkeit Widerspruch eingelegt.
Die Jahresrechnung 2005 habe ich entsprechend gekürzt und auch die monatlichen Abschläge nicht in der  geforderten Höhe bezahlt.
Jetzt ist die Jahresrechnung 2006 ins Haus gekommen. Ich bin dabei, diese ebenfalls mit den Preisen Stand 31.12.2004 „umzuarbeiten“. Die monatlich gezahlten Abschläge reichen danach bis auf einen geringen Nachzahlbetrag aus.
Wenn ich die Kürzung der Rechnung dem Versorger mitteile, wollte ich das in Form eines Widerspruchs gegen die vorliegende Rechnung tun.
Sollte ich das Konstanzer Urteil und die nachfolgenden Ausführungen im Forum richtig verstanden habe, kann ich mich als S1- Kunde wohl gar nicht auf §315 BGB berufen.
Sondern ich muss mich wegen der Formulierung „Es gilt jeweils das aktuelle Preisblatt“ auf § 307 BGB (Unwirksamkeit der Preisanpassungsklausel) beziehen.
Da ich das in den bisherigen Widersprüchen nicht getan habe (315 statt 307) war das doch bisher nicht etwa alles für umsonst? Oder?

Freundliche Grüße von

gastrom

Offline RR-E-ft

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LG Konstanz: § 315 BGB bei Sonderverträgen unanwendbar
« Antwort #9 am: 20. Februar 2007, 22:52:21 »
@gastrom

Wenn man die üblichen Musterbriefe verwendet hat, ist alles in Ordnung.

Wichtig ist, dass man das Recht des Versorgers  zu einseitigen Preisänderungen bestreitet und zudem hilfsweise die jeweils erhöhten Preise insgesamt gem. § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB als unbillig und unverbindlich rügt und auch die alten Preise ausdrücklich nur noch unter dem Vorbehalt der Rückforderung zahlt. Auch das entsprechende Urteil des OLG Karlsruhe betraf einen Sondervertragskunden und § 315 BGB.

Also ganz ruhig.

Wichtig ist, dass man selbst die Rechnungsbeträge und Abschläge richtig kürzt, insbesondere auch die Abschläge wegen des geringeren Verbrauches in diesem milden "Winter", die Gegenrechnung aufmacht und eine exakte Verrechnungsbestimmung trifft, so dass eine anderweitige Verrechnung von Anfang an unzulässig ist.

Dumm, wenn man Widerspruch auf Widerspruch verschickt, aber die Rechnungsbeträge und Abschläge gar nicht konsequent kürzt, sondern weiter überzahlt.

Nie sollte man mehr bezahlen, als den Rechnungsbetrag, der sich bei Zugrundelegung des Verbrauches und der alten Preise ergibt. Wer mit seinen Abschlägen diesbezüglich schon überzahlt hat, der hat eindeutig etwas falsch gemacht.

Wenn man (ggf. zu einem bestimmten Versorger) Hilfe braucht, unbedingt den anderen, entsprechenden Thread benutzen und nichts hier zu den Urteilsbesprechungen reinschreiben, weil es sonst unübersichtlich wird.

Übrigends handelt es sich nur um einen Hinweisbeschluss des LG Koblenz, welcher eine vorläufige Rechtsauffassung wiedergibt. Um ein Urteil handelt es sich dabei noch nicht.

Urteile zu § 307 BGB vgl. LG Bremen, LG Berlin, LG Dresden und (etwas aus der Art geschlagen) OLG Dresden.

 

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