Forum des Bundes der Energieverbraucher

Autor Thema: Hat der Stromversorger recht?  (Gelesen 4781 mal)

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

Offline XYZZ

  • Wenigschreiber
  • Beiträge: 3
  • Karma: +0/-0
Hat der Stromversorger recht?
« am: 19. Januar 2007, 10:59:47 »
Hat der Stromversorger recht?

"Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) ist § 315 Abs. 3 BGB auf Tarife und sonstige Entgeltregelungen solcher Unternehmen anwendbar, die mittels eines privatrechtlich ausgestalteten Benutzungsverhältnisses Leistungen der Daseinsvorsorge anbieten, auf deren Inanspruchnahme der andere Vertragsteil angewiesen ist, wobei die Anwendbarkeit des § 315 Abs. 3 BGB in diesem Zusammenhang entweder aus der Monopolstellung des an dem jeweiligen Verfahren beteiligten Unternehmens oder aus einem bestehenden Anschluss- und Benutzungszwang hergeleitet wurde."

Weitere Hinweise sind:
- § 315 würde in der Rechtsprechung "ausschließlich" im Bereich Gas- und Wasserversorgung eine Rolle spielen

- § 315 würde auf die Tarife und Leistungen des Versorgers nicht anwendbar sein, da durch die Liberalisierung KEINE Monopolstellung mehr gegeben wäre.

Bisher bin ich immer davon ausgegangen, dass § 315 BGB nichts mit einer Monopolstellung eines Versorgers zu tun hat, oder?

- Ergibt sich direkt aus § 5 Abs. 2 StromGVV ein Recht auf einseitige Preisänderung? Schließt dieser § eine AGB-Kontrolle tatsächlich aus?

- trifft es zu, dass insoweit der Versorger die Regelungen der jeweiligen GVV unverändert übernommen hat, § 310 Abs. 2 BGB die Anwendung der §§ 308 und 309 BGB ausschließt?

Es wäre toll, wenn mir jemand weiterhelfen könnte oder mir aber per Link oder Hinweis Tipps zum Nachlesen geben könnte.

Vielen DANK dafür!

Offline RR-E-ft

  • Rechtsanwalt
  • Forenmitglied
  • ***
  • Beiträge: 17.078
  • Karma: +15/-2
  • Geschlecht: Männlich
Hat der Stromversorger recht?
« Antwort #1 am: 19. Januar 2007, 11:39:13 »
@XYZZ

a)

Nur bei einer Versorgung in der Grund- und Ersatzversorgung ergibt sich ein einseitiges Preisbestimmungsrecht aus § 5 StromGVV mit der Folge, dass § 315 BGB direkt anwendbar ist, vgl. auch § 17 Abs. 1 Satz 3 StromGVV.


Dies war auch bereits bei den früheren Stromtarifkunden so, zu denen der BGH die Anwendbarkeit des § 315 BGB bestätigt hat (vgl. BGH, Urt. v. 05.02.2003 - VIII ZR 111/02 = NJW 2003, 1449 unter II 1 b):


b) Dem steht nicht entgegen, daß nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 4. Dezember 1986 - VII ZR 77/86, WM 1987, 295 = NJW 1987, 1828 unter II 3 a; Senat, Urteil vom 2. Oktober 1991 - VIII ZR 240/90, WM 1991, 2065 = NJW-RR 1992, 183 unter I; siehe auch OLG Celle NJW-RR 1993, 630 f.; AG Bad Neuenahr-Ahrweiler NJW 1998, 2540 f.) und allgemeiner Meinung im Schrifttum (Ludwig/Odenthal/Hempel/Franke, Recht der Elektrizitäts-, Gas- und Wasserversorgung, Bd. 1 § 30 Rdnr. 56 AVBEltV; siehe auch Soergel/Wolf, BGB, 12. Aufl., § 315 Rdnr. 59) die Darlegungs- und Beweislast für die Billigkeit der Ermessensausübung bei Festsetzung des Strompreises das Versorgungsunternehmen trifft. Diese Beweislastverteilung folgt aus der Sachnähe; derjenige, der die Leistung bestimmt, kennt am besten die dafür maßgebenden Umstände, so daß er sie ohne weiteres darlegen und gegebenenfalls beweisen kann (Baumgärtel/Strieder, § 315 Rdnr. 3 BGB).  

Auf eine Monopolstellung oder nur marktbeherrschende Stellung  kommt es dabei nach der Rechtsprechung des BGH gerade nicht an (vgl. BGH, Urt. v. 02.10.1991 - VIII ZR 240/90 = NJW-RR 1992, 183 unter III 2 c.):

http://www.agfw.de/fileadmin/dokumente/rec/BGH_911002_VIIIZR240-90.pdf


Die Frage der direkten Anwendbarkeit des § 315 BGB auf Tarifkundenverträge ist Gegenstand des Revisionsverfahrens VIII ZR 144/06, welches am 28.02.2007 vor dem Bundesgerichtshof verhandelt werden soll.

b)

In Sonderverträgen bedarf es demgegenüber einer wirksamen Preisänderungsklausel gem. § 307 BGB.

Dies ergibt sich für Haushaltskunden unmittelbar aus § 42 EnWG, wonach es einer Preisänderungsbestimmung in solchen Verträgen bedarf.

§ 310 Abs. 2 BGB schafft dabei keinerlei Besserstellung für EVU im Hinblick auf die Transparenzkontrolle und das Bestimmtheitsgebot  des § 307 BGB.

In einem Sondervertrag sind deshalb einseitige Preisänderungen ausgeschlossen, wenn es an einer wirksamen Preisänderungsklausel im Sinne des § 307 BGB fehlt, die Voraussetzungen und Richtlinien genau regelt, also die Voraussetzungen und in den Rahmen für Preisänderungen.

Eine AGB- Vertragsklausel, die dem Verwender ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht gem. § 315 BGB (etwa entsprechend § 5 StromGVV) vorbehält wird dabei den Anforderungen des § 307 BGB nicht gerecht (vgl. BGH KZR 10/03 unter II 6 b):

"Die Unangemessenheit der Klausel läßt sich entgegen der Auffassung der Beklagten nicht mit dem Argument ausräumen, eine einseitige Leistungsbestimmung habe gemäß § 315 BGB nach billigem Ermessen zu erfolgen und sei andernfalls unverbindlich. § 315 BGB scheidet als unmittelbare Rechtfertigung einer Klausel schon deshalb aus, weil die Vorschrift eine wirksame Anwendungsvereinbarung bereits voraussetzt und die Entscheidung über die Wirksamkeit der Vertragsklausel sich ausschließlich nach den Angemessenheitsmaßstäben des § 307 BGB, § 9 AGBG richtet (BGHZ 89, 206, 213). Auch als inhaltliche Beschränkung des Anwendungsbereichs einer Klausel läßt sich der in § 315 BGB enthaltene Rechtsgedanke nicht verwerten, weil der weite Spielraum der Billigkeit nicht den an die Eingrenzung und Konkretisierung einer Formularbestimmung zu stellenden Anforderungen genügt (BGHZ 89 aaO)."


Demnach kann allein eine Bezugnahme auf die Bestimmungen der StromGVV als AGB in einem Sondervertrag wegen Verstoßes gegen § 307 BGB kein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht des Stromlieferanten wirksam begründen.

Im Ergebnis besteht deshalb kein Recht des Stromlieferanten zu einseitigen Preisänderungen.


Entsprechendes gilt für alle anderen Energielieferungsverträge, also auch Gaslieferungsverträge.

Fazit

Es gilt also Folgendes:

Besteht schon kein vertraglich wirksam vereinbartes einseitiges Leistungsbestimmungsrecht, sind einseitige Preisänderungen regelmäßig ausgeschlossen.

Besteht demgegenüber ein vertraglich vereinbartes einseitiges Leistungsbestimmungsrecht, so kommt § 315 BGB darauf direkt zur Anwendung.

Eine marktbeherrschende Stellung oder Angewiesenheitslage des Bestimmungsgegners ist nicht Tatbestandsvoraussetzung des § 315 BGB:

Bestimmung der Leistung durch eine Partei

(1) Soll die Leistung durch einen der Vertragschließenden bestimmt werden, so ist im Zweifel anzunehmen, dass die Bestimmung nach billigem Ermessen zu treffen ist.

(2) Die Bestimmung erfolgt durch Erklärung gegenüber dem anderen Teil.

(3) Soll die Bestimmung nach billigem Ermessen erfolgen, so ist die getroffene Bestimmung für den anderen Teil nur verbindlich, wenn sie der Billigkeit entspricht. Entspricht sie nicht der Billigkeit, so wird die Bestimmung durch Urteil getroffen; das Gleiche gilt, wenn die Bestimmung verzögert wird.


c) Wo es noch darauf ankommen sollte:

Der Umfang der Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich des Nachweises der Billigkeit eines einseitig bestimmten Strompreises durch ein Stromversorgungsunternehmen ergibt sich aus o. g. Entscheidung des BGH vom 02.10.1991, dort unter III 3 a).

Demnach bedarf es der Offenlegung der Preiskalkulation.

Noch konkreter ergibt sich dies aus dem Beschluss des LG Gera vom 08.11.2006:

http://www.energieverbraucher.de/files.php?dl_mg_id=756&file=dl_mg_1163494755.pdf

Offline XYZZ

  • Wenigschreiber
  • Beiträge: 3
  • Karma: +0/-0
Hat der Stromversorger recht?
« Antwort #2 am: 19. Januar 2007, 12:56:50 »
Zitat von: \"RR-E-ft\"
@XYZZ

a)

Nur bei einer Versorgung in der Grund- und Ersatzversorgung ergibt sich ein einseitiges Preisbestimmungsrecht aus § 5 StromGVV mit der Folge, dass § 315 BGB direkt anwendbar ist, vgl. auch § 17 Abs. 1 Satz 3 StromGVV.


Dies war auch bereits bei den früheren Stromtarifkunden so, zu denen der BGH die Anwendbarkeit des § 315 BGB bestätigt hat (vgl. BGH, Urt. v. 05.02.2003 - VIII ZR 111/02 = NJW 2003, 1449 unter II 1 b):


b) Dem steht nicht entgegen, daß nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 4. Dezember 1986 - VII ZR 77/86, WM 1987, 295 = NJW 1987, 1828 unter II 3 a; Senat, Urteil vom 2. Oktober 1991 - VIII ZR 240/90, WM 1991, 2065 = NJW-RR 1992, 183 unter I; siehe auch OLG Celle NJW-RR 1993, 630 f.; AG Bad Neuenahr-Ahrweiler NJW 1998, 2540 f.) und allgemeiner Meinung im Schrifttum (Ludwig/Odenthal/Hempel/Franke, Recht der Elektrizitäts-, Gas- und Wasserversorgung, Bd. 1 § 30 Rdnr. 56 AVBEltV; siehe auch Soergel/Wolf, BGB, 12. Aufl., § 315 Rdnr. 59) die Darlegungs- und Beweislast für die Billigkeit der Ermessensausübung bei Festsetzung des Strompreises das Versorgungsunternehmen trifft. Diese Beweislastverteilung folgt aus der Sachnähe; derjenige, der die Leistung bestimmt, kennt am besten die dafür maßgebenden Umstände, so daß er sie ohne weiteres darlegen und gegebenenfalls beweisen kann (Baumgärtel/Strieder, § 315 Rdnr. 3 BGB).  


Es handelt sich um eine Versorgung i.d. GRUNDVERSORGUNG. Ich habe gegenüber dem EVU, wie oben von Ihnen aufgeführt, in etwa auch entsprechend argumentiert. Daher verwundert mich die Haltung des Versorgers um so mehr!

Zitat von: \"RR-E-ft\"
Auf eine Monopolstellung oder nur marktbeherrschende Stellung  kommt es dabei nach der Rechtsprechung des BGH gerade nicht an (vgl. BGH NJW-RR 1992, 183 unter III 2 c.):

http://www.agfw.de/fileadmin/dokumente/rec/BGH_911002_VIIIZR240-90.pdf


Das ist auch meine Überzeugung und Argumentation!


Zitat von: \"RR-E-ft\"
Die Frage der direkten Anwendbarkeit des § 315 BGB auf Tarifkundenverträge ist Gegenstand des Revisionsverfahrens VIII ZR 144/06, welches am 28.02.2007 vor dem Bundesgerichtshof verhandelt werden soll.


Danke für Ihre ausführlichen Hinweise; auf dieses Urteil bin auch ich sehr gespannt!

Eine letzte Frage noch. Was ist von dieser Position zu halten?

Zitat
"Unabhängig davon, dass unsere Preis- und Abschlagsforderungen selbstverständlich der Billigkeit entsprechen, sind wir daher auch nicht dazu verpflichtet, Ihnen die Billigkeit insoweit nachzuweisen. Insbesondere sind wir nicht zu einer Offenlegung unserer Kalkulation verpflichtet. Letzteres würde selbst dann gelten, wenn unser Unternehmen - bei einer unterstellten Anwendbarkeit des § 315 BGB - die Billigkeit der Preis- und Abschlagsforderungen nachweisen müsste (vgl. hierzu Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 14.03.2006 zu Az.: 1 BvR 2087/03 und 1 BvR 2111/03)."


Hat sich damit die Forderung nach "Offenlegung der Kalkulation" für immer erledigt?

Nochmals vielen DANK für die Hilfe!

Offline RR-E-ft

  • Rechtsanwalt
  • Forenmitglied
  • ***
  • Beiträge: 17.078
  • Karma: +15/-2
  • Geschlecht: Männlich
Hat der Stromversorger recht?
« Antwort #3 am: 19. Januar 2007, 13:11:57 »
@XYZZ


Bei der Festsetzung der Grundversorgungstarife handelt es sich um eine einseitige Leistungsbestimmung.

Diese ist gem. § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB für den anderen nur verbindlich, wenn sie der Billigkeit entspricht.

Der Versorger hat die Billigkeit seiner getroffenen Leistungsbestimmung nachzuweisen. Wie der Nachweis zu erfolgen hat, ergibt sich aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes.

Es muss nicht die Sorge des Verbrauchers sein, ob der Versorger nun seiner Nachweispflicht genügt oder nicht:

Bis dahin kann sich der Verbraucher nämlich jedenfalls auf die Unverbindlichkeit gem. § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB berufen, was zur Folge hat, dass derzeit kein fälliger, im Zahlungsprozess durchsetzbarer Zahlungsanspruch des Versorgers besteht.

Die Einrede der unbilligen Leistungsbestimmung wird gem. § 17 Abs. 1 Satz 3 StromGVV vom normativen Einwendungsausschluss nicht umfasst, so dass Zahlungen bis zum Nachweis der Billigkeit zurückgehalten werden können.

BGH, Urt. v. 05.07.2005 X ZR 60/04 = NJW 2005, 2919:


Es ist eine grundlegende gesetzliche Regel des privaten Schuldrechts, daß der Gläubiger das Entstehen, die Begründetheit und die Fälligkeit seiner Forderung darlegen und beweisen muß, bevor er Erfüllung verlangen kann, und daß er umgekehrt keine Leistung beanspruchen kann, wenn der Schuldner berechtigte Einwände darlegt und beweist (vgl. BGH, Urt. v. 05.07.1990 - IX ZR 294/89, NJW-RR 1990, 1265 für den ähnlich gelagerten Fall der Bürgschaft auf erstes Anfordern, dort auch in Anwendung des § 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG).


Der Verbraucher erleidet also keinerlei Nachteil daraus, dass der Versorger den Billigkeitsnachweis nicht im entsprechenden Umfange führt, weil er seinerseits seine Zahlungen bis dahin zurückbehalten darf und selbst weiter Anspruch auf die Lieferung hat.

Mehr kann man als Verbraucher nicht verlangen.

Der Beschluss des BVerfG betrifft eine vollständig andere Konstellation, die auf die zivilrechtliche Billigkeitskontrolle nicht übertragen werden kann. Dort ging es um den Anspruch direkter Wettbewerber auf Akteneinsicht bei der Regulierungsbehörde im Verwaltungsverfahren.

Dabei handelt es sich um eine grundsätzlich andere Konstellation.

Niemand zwingt den Versorger, seine Kalkulation offen zu legen, wenn er dies nicht möchte.

Er hat nur eben bis zum Billigkeitsnachweis keinen fälligen Zahlungsanspruch gegen den Verbraucher und bleibt diesem gegenüber weiter zur Lieferung verpflichtet.

Damit muss er leben und kann er wohl zumeist auch.

So ist es ihm möglich, den Zahlungsanspruch auch später zu verfolgen und zwar zu einer Zeit, zu der Wettbewerber nicht mehr rückwirkend mit ihm in einen Wettbewerb eintreten können und deshalb auch kein Interesse an der längst überholten  Preiskalkulation mehr haben können, so dass keinerlei Gefahr zu besorgen steht.

Zudem bestehen zivilprozessuale Besonderheiten und Möglichkeiten, wie etwa ein sog. in-camera- Verfahren, ohne dass dies hier vertieft werden müsste und sollte.

Anders gewendet:

Für immer erledigt hat sich der Zahlungsanspruch des Versorgers, wenn der Billigkeitsnachweis nicht erfolgt.

Diese Folge ergibt sich ohne weiteres aus der Rechtsprechung (vgl. BGH NJW-RR 1992, 183 ff.; OLG München, NJW-RR 1999, 421).


Deshalb muss es niemanden verwundern, dass EVU die Sache naturgemäß gern anders sehen möchten. Das war schon immer so, wie das o. g. Urteil des BGH vom 02.10.1991 deutlich zeigt.

Wer meint, er könnte und müsste seinen Versorger mit sachlichen Argumenten überzeugen, der schlägt ein totes Pferd.

Es ist sinnlose Zeitverschwendung.

 

Bund der Energieverbraucher e.V. | Impressum & Datenschutz