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Autor Thema: Gaspreisurteil LG Bonn vom 07.09.2006  (Gelesen 9279 mal)

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Offline RR-E-ft

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Gaspreisurteil LG Bonn vom 07.09.2006
« am: 14. September 2006, 18:59:07 »
[ 8-S-146-05  07-09-2006 ]

Das Gaspreis- Urteil des Landgerichts Bonn Az. 8 S 146/05, verkündet am 07.09.2006 wurde veröffentlicht:


http://www.energieverbraucher.de/de/site/Hilfe/Container-Urteilssammlung/site__1890/

Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
Die Revision wurde ausdrücklich zugelassen.


Anmerkung:


Das Gericht kam hinsichtlich der Transparenzkontrolle einer Preisänderungslausel zu einem m. E. nicht vertrebaren Ergebnis.

"Die Preise können geändert werden, wenn die Tarifpreise sich ändern". ist nun einmal keine transparente Klausel.

Bemerkenswert ist, dass das Gericht auf Preisänderungen gegenüber Tarifkunden nach § 4 AVBGasV als vertragliches einseitiges Leistungsbestimmungsrecht zutreffend § 315 BGB zur Anwendung bringen will.

Es handelte sich um in 2003 geschlossene Sonderverträge, deren Anfangspreis nach Auffassung des Gerichts Gegenstand einer vertraglichen Einigung waren, mithin nicht einseitig bestimmt waren im Sinne einer direkten Anwendung des § 315 BGB.

Mit der Frage einer faktisch einseitigen Bestimmung des Anfangspreises aufgrund der Monopolstellung im Bereich der Daseinsvorsorge und einer analogen Anwendung des § 315 BGB deshalb (insoweit) hatte sich das Gericht nicht befasst.

In dem konkreten Fall handelte es sich bei der angegriffenen Preiserhöhung zum 01.01.2005 um die erstmalige Preiserhöhung  nach Vertragsabschluss in 2003.


Wenn das LG Bonn in diesem Zusammenhang vom nicht konrollierbaren Anfangspreis als "Preissockel" spricht, meint es ersichtlich etwas anderes als das LG Hamburg in seinem Hinweisbeschluss, auf den Bezug genommen wurde.

Zur Überprüfung standen auch allein die Preiserhöhungen aufgrund der Prozessanträge der Kläger. Auf die angegriffenen Preiserhöhungen wurde  § 315 BGB direkt angewandt.

Die Billigkeitskontrolle von Erdgaspreisen hat nach diesem Urteil grundsätzlich anhand der eröffneten Preiskalkulation zu erfolgen (im Anschluss an OLG Karlsruhe).

Auf den Vergleich mit den Preisen anderer Gasversorger kann demnach nicht abgestellt werden.

Im Übrigen kontrollierte das Gericht die Billigkeit der erhöhten Preise anhand der gestiegenen Bezugskosten, da nach unbestrittenen Vortrag sich die Steuern und Abgaben, die Netz- und Personalkosten etc. und alle anderen Bestandteile der Preiskalkulation sich nicht geändert hatten.

Die Bezugskosten seien dabei nicht vollständig weitergegeben worden.
Der entsprechende Vortrag sei von den Klägern nicht bestritten worden.

Zwar hatte die Beklagte bei gesunkenen Bezugspreisen in IV/ 2003 und I/2004 die Gaspreise zum 01.01.2004 auch gesenkt.

Es ist jedoch nichts dafür ersichtlich, dass die Beklagte die nach Vertragsschluss gesunkenen Bezugskosten vollständig an die Kläger weitergegeben hatte.

Viele Gasversorger hatten entsprechende Preissenkungen einfach unter den Tisch fallen lassen. Dies ist jedoch für die saldenmäßige Betrachtung der Bezugskostensteigerung beachtlich. Es zeichnet sich dadurch regelmäßig ein anderes Bild.

Bei den unstreitig im Übrigen konstanten Kalkulationsbestandteilen und den nicht vollständig weiter gegebenen Bezugskostensteigerungen ergäbe sich mithin, dass die Preiserhöhungen der Billigkeit entsprachen.

Logisch und konsequent.

Die Entscheidung beruht also maßgeblich auf der unzutreffenden Anwendung des § 307 BGB, im Übrigen am nicht hinreichendem Bestreiten, so dass das Gericht im konkreten Fall  eine ausreichende Beurteilungsbasis sah.

Weil das Urteil auf dem unzureichenden Bestreiten gründen soll, lässt es sich auf andere Kunden der Regionalgas Euskirchen nicht übertragen.

Wegen der fehlerhaften Anwendung des § 307 BGB hat die ausdrücklich zugelassene Revision jedenfalls Aussicht auf Erfolg.

Das Gericht verkannte, dass durch die AGB nicht von den gesetzlichen Bestimmungen der AVBGasV abgewichen werden konnte, da deren Anwendungsbereich auf Sonderkunden schon überhaupt nicht eröffnet war (§ 1 Abs. 1 Satz 2 AVBGasV). Dies war schon immer so und hat sich nicht etwa erst durch die Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes 2005 geändert.

Eine nachträgliche Überprüfbarkeit über § 315 BGB reicht nach der gefestigten Rechtsprechung gerade nicht dafür, dass eine AGB- Klausel dem Transparenzgebot des § 307 BGB genügt (vgl. nur OLG Stuttgart, ZNER 2005, 163, [164], re. Sp, m.w.N.):

http://www.pontepress.de/pdf/200502OLGStgt13_01_2005.pdf

Bei der Beurteilung der Klausel machte das Gericht den Fehler, dass es anstatt auf eine notwendig  abstrakt-generelle Betrachtung bei der Klauselkontrolle auf die konkrete Vertragsdurchführung abstellte und deshalb auch die Tatsache der Preissenkung zum 01.01.2004 (vgl. Seite 8 UA) in seine wertende Überlegung mit einbezog.

http://forum.energienetz.de/viewtopic.php?t=4125

Insoweit hat eine Revision Aussicht auf Erfolg.

Bereits im November wird der BGH über eine Revision zu einem Urteil des OLG Köln vom 13.01.2006 zu befinden haben, welches eine Preisänderungsklausel unter Einbeziehung der AVBGasV in die Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Energielieferanten zum Gegenstand hatte.

Was das im Ergbenis  bestätigte Urteil des AG Euskirchen betrifft, ist zu sagen, dass dessen Begründung vom LG Bonn vollständig verworfen und durch eine neue Begründung ersetzt wurde.

Weil dieses Urteil auf den Besonderheiten gründet (Angriff der erstmaligen Preiserhöhung  nach Vertragsabschluss, Nichtbestreiten von Tatsachen durch die Kläger) lässt sich dieses Urteil keinesfalls dergestalt verallgemeinern, dass der Versorger Regionalgas Euskirchen nun die Billigkeit seiner Erdgaspreise umfassend nachgewiesen bzw. das LG Bonn diese umfassend geprüft und danach als "billig" bewertet habe.

Das LG Bonn sah sich vielmehr nach den gestellten Prozessanträgen und dem unbestrittenen Vortrag der Beklagten ausdrücklich einer weitergehenden, vertiefteren Prüfung enthoben an.

http://www.ksta.de/html/artikel/1157542128504.shtml
 
Noch weniger lässt es eine Verallgemeinerung dergestalt zu, dass nun etwa die Preiserhöhungen anderer Versorger der Billigkeit entsprochen hätten.

Übertragbar ist indes die Rechtsauffassung, dass die Billigkeitskontrolle bei Gastarifkunden nach § 315 BGB anhand der offen zu legenden Preiskalkulation zu erfolgen hat.

Auch wenn das Urteil im Ergebnis bisher nicht überzeugen kann, hat es insoweit doch für weitere Klarheit bezüglich vieler Rechtsfragen im Interesse der Verbraucher gesorgt und stärkt deren Position.



Freundliche Grüße
aus Jena




Thomas Fricke
Rechtsanwalt

Offline Fridericus Rex

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Gaspreisurteil LG Bonn vom 07.09.2006
« Antwort #1 am: 15. September 2006, 22:06:41 »
Wenn ich das Urteil richtig verstehe, bedeutet dies, dass es ausreichend ist, wenn der Versorger die Erhöhung des Gaspreises mit der Erhöhung der gestiegenen Bezugspreise nachweist.

Das habe ich nun schon öfter gelesen, werden dass nun alle Gerichte so machen?

Offline RR-E-ft

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Gaspreisurteil LG Bonn vom 07.09.2006
« Antwort #2 am: 16. September 2006, 00:32:45 »
@Fridericus Rex

Da haben Sie das Urteil falsch gelesen oder nicht verstanden.

Leider war dann auch meine Anmerkung zu dem Urteil für Sie auch nicht verständlich.

Das Gericht verlangte die Offenlegung der Preiskalkulation, soweit, wie sich die Preise einseitig bestimmt geändert hatten.

Das war nur deshalb der Fall, weil die Kläger den Vortrag der Beklaten, alle anderen Kalkulationsbestandteile hätten sich überhaupt  nicht geändert, nicht bestritten hatten.

Nur daraus konnte sich ergeben, dass das Gericht eine hinreichende Beurteilungsgrundlage sah.

Im Zivilprozess ist es so, dass unbestrittener Vortrag als der gegebener  Sachverhalt genommen wird, so dass über entsprechende unstreitige Tatsachen kein Beweis mehr geführt werden braucht.

Nur bestrittener Vortrag bedarf einer Beweisaufnahme und einer Beweiswürdigung.

Schon wenn der Zahlungsverweigerer auf zahlung verklagt wird und den geforderten Gesamtpreis als unbillig rügt, ergibt sich ein vollkommen anderer Kontrollmaßstab.

Darauf weist das Gericht ausdrücklich hin, indem es auf die prozessuale Wirkung der gestellten Anträge verweist (§ 308 ZPO), wonach lediglich die Preiserhöhungen, nicht aber die Gesamtpreise  streitgegenständlich waren.

Ohne Antrag ist das Gericht nicht zu einer Entscheidung berufen, § 308 ZPO.

Merke: Wo kein Kläger, da kein Richter.

Ersichtlich wollen die Landgerichte Hamburg und Oldenburg wie auch das OLG Karlsruhe die gesamte Preiskalkulation sehen, so wie auch das LG Bonn, wenn man nur den Antrag anders gestellt hätte bzw. es keine vertragliche Einigung auf den Anfangspreis in 2003 gegeben hätte.

Die Billigkeitskontrolle findet demnach soweit statt, wie die Preise gem. § 315 BGB  einseitig bestimmt wurden.

Bei einem konkludenten Vertragsschluss mit einem Tarifkunden ist auch der Anfangspreis einseitig bestimmt (vgl. BGH, Urt. v. 18.10.2005 - KZR 36/04, NJW 2006, 684; BGH, Urt. v. 07.02.2006 - KZR 8/05 und KZR 9/05; BGH, Urt. v. 30.04.203 - VIII ZR 278/02, NJW 2003, 3131).

Ggf. sei Energiedepesche Sonderheft empfohlen, auf die bei der letzten BGW- Tagung auch Kollege Dr. Kunth in seinem Referat schon auf Folie Nr. 1 Bezug nahm.

Womöglich haben auch die Versorger, zumal diejenigen, welche keine eigene Rechtsabteilung haben, das Urteil insoweit missverstanden.

Man muss auch Entscheidungen, die auf den ersten Blick negativ ausgefallen sind, mehrmals lesen und genauer analysieren.

Ebenso hat man positive Entscheidungen kritisch zu hinterfragen.


Freundliche Grüße
aus Jena



Thomas Fricke
Rechtsanwalt

Offline Fridericus Rex

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Gaspreisurteil LG Bonn vom 07.09.2006
« Antwort #3 am: 16. September 2006, 08:09:57 »
@Rechtsanwalt Fricke

Mhhh, ich denke schon das ich das Urteil richtig gelesen und auch verstanden habe.

Das LG Bonn führt auf Seite 13 unten aus:
 
Zitat
Die von der Beklagten vorgenommene Preiserhöhungen sind nicht unbillig im Sinne des § 315 BGB. Denn anhand der von der Beklagten vorgelegten Unterlagen steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Preissteigerung allein auf den gestiegenen Bezugskosten der Beklagten aus den wirksamen Verträgen mit den Vorlieferanten beruhen


Wenn irgendetwas nicht bestritten wurde, so ist das doch nur eine Frage des Einzelfalls. Mir ging es eher um die generelle Aussage, dass bei gestiegenen Bezugskosten auch der hiermit in Einklang stehenden Änderungen des Tarifs angemessen. Das haben ich hier im Forum auch schon öfter gelesen.

Was mir noch aufgefallen ist, nach der Vorlage des Testats der Wirtschaftsprüfer hat das Gericht (S. 15 oben) ausgeführt
Zitat
Insbesondere vor dem Hintergrund dieser Bescheinigung - deren Inhalt die Kläger ebenfalls nicht bestritten haben - hätte es den Klägern oblegen, die von Ihnen behauptete Quersubventionierung anderer Geschäftszweige der Beklagten bzw. die übermäßige Gewinnsteigerung substantiiert darzulegen


Heißt das, dass nach einem Testat ein bestreiten überhaupt nicht mehr ausreichend ist, sondern der Kunde dann selbst mehr vortragen muss?

Offline RR-E-ft

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Gaspreisurteil LG Bonn vom 07.09.2006
« Antwort #4 am: 16. September 2006, 14:33:56 »
@Fridericius Rex


Es war meine Rede, dass das Urteil hinsichtlich der Tatsachenfeststellungen eine Einzelfallentscheidung ist.

Das ist immer der Fall, weil die festgestellten Tatsachen immer vom Bestreiten abhängen.

Erst aufgrund der festgestellten Tatsachen- ob durch unbestrittenen Vortrag oder nach einer entsprechenden Beweisführung - hat das Gericht eine Beurteilungsgrundlage.

Vorliegend hätten die Kläger den Inhalt der vorgelegten Bescheinigung bestreiten müssen, was offensichtlich nicht geschehen ist.

Das Gericht verweist ausdrücklich darauf, dass der Inhalt der Bescheinung unbestritten blieb, so dass es seine Entscheidung darauf stützen konnte...

Somit hatte das Gericht nicht weiter zu prüfen, ob der Inhalt der Bescheinigung überhaupt den Tatsachen entsprach.

Ebenso verhielt es sich mit der Behauptung, alle anderen Positionen der Kalkulation seien unverändert geblieben, was nicht stimmen muss.

Nur deshalb konnte das Gericht allein auf gestiegene Bezugskosten abstellen, was in der Entscheidung deutlich herausgestellt wurde.

Das Gericht fand dahin über einen logischen Schluss.

Man darf also keine Sätze aus dem Zusammenhang reißen, sondern muss Schritt für Schritt nachvollziehen, wie das Gericht zu seiner Entscheidung fand.

Sonst zieht man selbst die falschen Schlüsse aus der Entscheidung.



Freundliche Grüße
aus Jena



Thomas Fricke
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Offline RR-E-ft

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Gaspreisurteil LG Bonn vom 07.09.2006
« Antwort #5 am: 05. Dezember 2006, 22:50:43 »
Weitere Veröffentlichungsstellen:

http://www.regionalgas.com/gfx/presse/Urteil_LG_Bonn_8S146_05.pdf

http://www.pontepress.de/pdf/200603U9.pdf


Das Urteil sollte sich in der Revision nicht halten lassen, da es in Bezug auf die Transparenzerforderungen des § 307 BGB klar im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes steht:

BGH: Verhältnis § 307 BGB zu § 315 BGB

Anders sieht es wohl Herr Kollege Knauss aus Bonn:

http://www.mkvdp.de/en/news/LG-Bonn-Preis%C3%A4nderungsklauseln-Gasliefervertr%C3%A4ge-Sonderkunden.html

"Denn es geht bei der Inhaltskontrolle nur um einen Vergleich mit der gesetzlichen Regelung, was notwendigerweise voraussetzt, dass diese nicht ohnehin Vertragsbestandteil ist."

Diese Aussage gilt eben allenfalls für eine Abweichung in AGB von dispositivem Recht. Die Bestimmungen der AVBGasV und der GasGVV sind jedoch schon für Sondervertragskunden überhaupt kein dispositives Recht, von dem abgewichen werden könnte....

Die zugelassene Revision wurde eingelegt und man darf gespannt sein, wie der Bundesgerichtshof entscheiden wird.

 

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