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Autor Thema: Schreiben RA Fricke an ThüringenGas Erfurt  (Gelesen 5540 mal)

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Offline RR-E-ft

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Schreiben RA Fricke an ThüringenGas Erfurt
« am: 21. Oktober 2004, 20:22:28 »
Sehr geehrte Damen und Herren,


Kunden, die gegen die Gaspreiserhöhung zum 01.10.2004 die Unbilligkeit gem. § 315 BGB einwandten, haben Sie ein umfangreiches Schreiben \"Gaspreiserhöhung\" zukommen lassen.

Dieses Schreiben ist über weite Strecken inhaltlich vollkommen identisch mit entsprechenden Schreiben der Erdgas Südsachsen GmbH Chemnitz an deren Kunden.

Diese wortwörtlichen Übereinstimmungen über ganze Absätze hinweg überraschen und legen den Verdacht nahe, dass es sich bei den ganannten Schreiben um eine unter den Gasversorgern abgestimmte Vorgehensweise im Sinne des geltenden Kartellrechts handelt.

Bestehende Verträge \"Sonderabkommen II\" durften Sie m. E. schon nicht eigenmächtig ab 01.04.2004 in ein neues Preissystem überführen.

Nach den bestehenden Verträgen Sonderabkommen II ist Ihr unternehmen nur berechtigt, \"bei wesentlichen und langfristigen Änderungen der Wirtschafts- und Marktlage\" die Preise angemessen zu ändern.

Fraglich ist, ob die Voraussetzungen einer Preisanpassung deshalb überhaupt vorleigen. Zudem muss die Preisanpassung der Billigkeit  gem. § 315 BGB entsprechen.

Nach der langjährigen Rechtsprechung des BGH gilt zudem Folgendes:

Tarife für Leistungen der Daseinsvorsorge, auf deren Inanspruchnahme der andere Teil angewiesen ist, unterliegen einer Kontrolle gem. § 315 BGB (vgl. nur Palandt, BGB, § 315 Rn. 4, mit weiteren Nachweisen). Bis zum Nachweis der Billigkeit sind die Forderungen vollkommen unverbindlich, § 315 Abs. 3 BGB.

Nach ständiger Rechtsprechung des BGH trifft das Versorgungsunternehmen die Darlegungs- und Beweislast für die Billigkeit bei der Ermessensausübung bei Festsetzung des Leistungsentgelts (§ 315 Abs. 3 BGB) dann, wenn das Versorgungsunternehmen hieraus Ansprüche gegen die andere Vertragspartei erhebt (vgl. BGH, Urt. v. 30.06.1969 – VII ZR 170/67; NJW 1969, 1809 f.; BGH, Urt. v. 04.12.1986 – VII ZR 77/86, WM 1987, 295 = NJW 1987, 1828 unter II 3 a; BGH, Urt. v. 02.10.1991- VIII ZR 240/90, WM 1991, 2065 = NJW-RR 1992,183 unter I; BGH, Urt. v. 05.02.2003 – VIII ZR 111/02, unter II 1 b; zuletzt BGH, Urt. v. 30.04.2003 – VIII ZR 279/02, ZNER 2004, 74 f.; siehe auch OLG Celle, NJW-RR 1993, 630 f., jeweils mit weiteren Nachweisen).

Nach der Rechtsprechung des BGH ergibt sich auch nichts anderes aus § 30 Nr. 1 AVBV, nach welcher Einwände gegen Rechnungen und Abschlagszahlungen zum Zahlungsaufschub oder zur Zahlungsverweigerung nur berechtigten, „soweit sich aus den Umständen ergibt, dass offensichtliche Fehler vorliegen“.

Das Bestreiten der Billigkeit der Preisbestimmung des Versorgungsunternehmens wird davon nicht erfasst. Wie der VIII. Zivilsenat des BGH in seinem Urteil vom 19.01.1983 sowohl für den Tarifkunden- wie auch für den Sonderkundenbereich (vgl. auch BGH Urt. v. 30.10.1975 – KZR 2/75; RdE 1976, 25 unter I zu Abschn. VIII, 4 der „Allgemeinen Bedingungen für die Versorgung mit elektrischer Arbeit aus dem Niederspannungsnetz des Elektrizitätsversorgungsunternehmens“ vom 27.01.1942) ausgeführt hat, betrifft der vom Kunden eines Versorgungsunternehmens erhobene Einwand der Unbilligkeit der Preisbestimmung nach § 315 BGB nicht Rechen- oder Ablesefehler oder andere Abrechnungsgrundlagen, sondern die Leistungspflicht des Kunden, der im Falle der Unangemessenheit von Anfang an nur den vom Gericht bestimmten Preis schuldet ( § 315 Abs. 3 BGB). Wenn die nach billigem Ermessen zu treffende Bestimmung der Gegenleistung einer Partei überlassen ist, entfällt die bei einem Vertrag normalerweise bestehende Gewissheit über Inhalt und Umfang der Leistung, welche aus der Einigung der Parteien hierüber folgt. Den Belangen des Kunden, der die Preisbestimmung für unbillig hält und ein schutzwürdiges Interesse daran hat, lediglich den tatsächlich geschuldeten Preis zahlen zu müssen, kann nur dadurch hinreichend Rechnung getragen werden, dass es ihm gestattet wird, sich gegenüber dem Leistungsverlangen des Versorgungsunternehmens entsprechend dem in § 315 BGB Abs. 3 BGB enthaltenen Schutzgedanken auf die Unangemessenheit und damit die Unverbindlichkeit der Preisbestimmung zu berufen und diesen Einwand im Rahmen der Leistungsklage zur Entscheidung des Gerichts zu stellen. Hieran hat der erkennende Senat auch in nachfolgenden Entscheidungen festgehalten (vgl. BGH, Urt. v. 06.12.1989- VIII ZR 8/89, WM 1990, 608 unter B I 3 a; BGH, Urt. v. 02.10.1991 a.a.O.; zuletzt BGH, Urt. v. 30.04.2003, a.a.O., jeweils mit weiteren Nachweisen).

Nach der Rechtsprechung des BGH muss das Versorgungsunternehmen zum Nachweis der Billigkeit der von ihm geforderten Entgelte gegenüber dem Kunden seine sämtlichen Kalkulationsgrundlagen vollständig offen legen (vgl. BGH, Urt. v. 05.02.2003, a.a.O, mit weiteren Nachweisen).

Bis zu diesem Nachweis ist nach der lange bestehenden Rechtsprechung des BGH völlig offen, welche Entgelte überhaupt berechtigt gefordert werden. Die Forderungen sind vollkommen unverbindlich.

Eine Versorgungseinstellung ist evident mit einem empfindlichen Übel für den Kunden verbunden. Dieses Druckmittel darf durch das Versorgungsunternehmen deshalb nur zur Durchsetzung eindeutig berechtigter Forderungen eingesetzt werden.

Wo jedoch nach dem Einwand der Unbilligkeit gem. § 315 BGB nach der Rechtsprechung des BGH die Höhe der berechtigten Forderung völlig offen ist, ist bereits die Androhung einer Versorgungseinstellung nicht mehr von der Rechtsordnung gedeckt und kann ggf. sogar einen Straftatbestand erfüllen.

Wegen der völligen Unverbindlichkeit der Forderungen der  kann mit solchen auch nicht etwa die sofortige Kündigung der Versorgungsverträge nicht gerechtfertigt werden.

Soweit ein Versorgungsunternehmen den geforderten Nachweis durch vollständige Offenlegung der Kalkulationsgrundlagen im Zahlungsprozess erstmals führt, hat der Kunde in einem solchen Verfahren sogar noch die Möglichkeit, die Forderung sofort anzuerkennen i. S. v. § 93 ZPO, was die Kostentragungspflicht des klagenden Versorgungsunternehmens zur Folge hat.      

Nach alldem  darf ein Versorgungsunternehmen ohne eine Zahlungsklage, bei welcher die Billigkeit der geforderten Entgelte durch vollständige Offenlegung der Kalkulationsgrundlagen nachzuweisen ist, nicht durch eine Versorgungseinstellung oder die Entfernung der Messeinrichtung Druck auf den Kunden ausüben, um eine ggf. nur vermeintliche Forderung, die jedenfalls bis zur Rechtskraft eines Zahlungstitels vollkommen unverbindlich ist, durchzusetzen.

Unbeschadet vorgenannter Ausführungen ist es Ihnen mit vorgenannten Schreiben an Ihre Kunden bisher nicht gelungen, den Nachweis der Billigkeit der Preiserhöhungen sowohl im Hinblick auf deren Erforderlichkeit als auch hinsichtlich deren Angemessenheit zu erbringen.

Die Übereinstimmung mit den entsprechenden Schreiben der Erdgas Südsachsen GmbH Chemnitz bleibt zudem erklärungsbedürftig.

Informieren Sie sich auch gern im Internet unter

www.energiepreise-runter.de


Freundliche Grüße
aus Jena


Thomas Fricke
Rechtsanwalt

 

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