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Autor Thema: Schreiben RA Fricke an Stadtwerke Eilenburg  (Gelesen 7058 mal)

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Schreiben RA Fricke an Stadtwerke Eilenburg
« am: 14. Oktober 2004, 20:58:32 »
Sehr geehrte Damen und Herren,

Kunden, welche die Unbilligkeit der Gaspersiserhöhung eingewandt haben,
haben Sie ein umfangreiches Musterschreiben zugesandt.

Darin räumen Sie selbst ein, dass die Preiserhöhung der gerichtlichen Billigkeitskontrolle
unterfällt.

Hingegen muss nicht etwa der Kunde die Billigkeit gerichtlich überprüfen
lassen.

Nach der lange bestehenden Rechtsprechung des BGH gilt nämlich seit langem
Folgendes:


Tarife für Leistungen der Daseinsvorsorge, auf deren Inanspruchnahme der
andere Teil angewiesen ist, unterliegen einer Kontrolle gem. § 315 BGB (vgl.
nur Palandt, BGB, § 315 Rn. 4, mit weiteren Nachweisen). Bis zum Nachweis
der Billigkeit sind die Forderungen vollkommen unverbindlich, § 315 Abs. 3
BGB.

Nach ständiger Rechtsprechung des BGH trifft das Versorgungsunternehmen die
Darlegungs- und Beweislast für die Billigkeit bei der Ermessensausübung bei
Festsetzung des Leistungsentgelts (§ 315 Abs. 3 BGB) dann, wenn das
Versorgungsunternehmen hieraus Ansprüche gegen die andere Vertragspartei
erhebt (vgl. BGH, Urt. v. 30.06.1969 – VII ZR 170/67; NJW 1969, 1809 f.;
BGH, Urt. v. 04.12.1986 – VII ZR 77/86, WM 1987, 295 = NJW 1987, 1828 unter
II 3 a; BGH, Urt. v. 02.10.1991- VIII ZR 240/90, WM 1991, 2065 = NJW-RR
1992,183 unter I; BGH, Urt. v. 05.02.2003 – VIII ZR 111/02, unter II 1 b;
zuletzt BGH, Urt. v. 30.04.2003 – VIII ZR 279/02, ZNER 2004, 74 f.; siehe
auch OLG Celle, NJW-RR 1993, 630 f., jeweils mit weiteren Nachweisen).

Nach der Rechtsprechung des BGH ergibt sich auch nichts anderes aus § 30 Nr.
1 AVBV, nach welcher Einwände gegen Rechnungen und Abschlagszahlungen zum
Zahlungsaufschub oder zur Zahlungsverweigerung nur berechtigten, „soweit
sich aus den Umständen ergibt, dass offensichtliche Fehler vorliegen“.

Das Bestreiten der Billigkeit der Preisbestimmung des
Versorgungsunternehmens wird davon nicht erfasst. Wie der VIII. Zivilsenat
des BGH in seinem Urteil vom 19.01.1983 sowohl für den Tarifkunden- wie auch
für den Sonderkundenbereich (vgl. auch BGH Urt. v. 30.10.1975 – KZR 2/75;
RdE 1976, 25 unter I zu Abschn. VIII, 4 der „Allgemeinen Bedingungen für die
Versorgung mit elektrischer Arbeit aus dem Niederspannungsnetz des
Elektrizitätsversorgungsunternehmens“ vom 27.01.1942) ausgeführt hat,
betrifft der vom Kunden eines Versorgungsunternehmens erhobene Einwand der
Unbilligkeit der Preisbestimmung nach § 315 BGB nicht Rechen- oder
Ablesefehler oder andere Abrechnungsgrundlagen, sondern die Leistungspflicht
des Kunden, der im Falle der Unangemessenheit von Anfang an nur den vom
Gericht bestimmten Preis schuldet ( § 315 Abs. 3 BGB). Wenn die nach
billigem Ermessen zu treffende Bestimmung der Gegenleistung einer Partei
überlassen ist, entfällt die bei einem Vertrag normalerweise bestehende
Gewissheit über Inhalt und Umfang der Leistung, welche aus der Einigung der
Parteien hierüber folgt. Den Belangen des Kunden, der die Preisbestimmung
für unbillig hält und ein schutzwürdiges Interesse daran hat, lediglich den
tatsächlich geschuldeten Preis zahlen zu müssen, kann nur dadurch
hinreichend Rechnung getragen werden, dass es ihm gestattet wird, sich
gegenüber dem Leistungsverlangen des Versorgungsunternehmens entsprechend
dem in § 315 BGB Abs. 3 BGB enthaltenen Schutzgedanken auf die
Unangemessenheit und damit die Unverbindlichkeit der Preisbestimmung zu
berufen und diesen Einwand im Rahmen der Leistungsklage zur Entscheidung des
Gerichts zu stellen. Hieran hat der erkennende Senat auch in nachfolgenden
Entscheidungen festgehalten (vgl. BGH, Urt. v. 06.12.1989- VIII ZR 8/89, WM
1990, 608 unter B I 3 a; BGH, Urt. v. 02.10.1991 a.a.O.; zuletzt BGH, Urt.
v. 30.04.2003, a.a.O., jeweils mit weiteren Nachweisen).

Nach der Rechtsprechung des BGH muss das Versorgungsunternehmen zum Nachweis
der Billigkeit der von ihm geforderten Entgelte gegenüber dem Kunden seine
sämtlichen Kalkulationsgrundlagen vollständig offen legen (vgl. BGH, Urt. v.
05.02.2003, a.a.O, mit weiteren Nachweisen).

Bis zu diesem Nachweis ist nach der lange bestehenden Rechtsprechung des BGH
völlig offen, welche Entgelte überhaupt berechtigt gefordert werden. Die
Forderungen sind vollkommen unverbindlich.

Eine Versorgungseinstellung ist evident mit einem empfindlichen Übel für den
Kunden verbunden. Dieses Druckmittel darf durch das Versorgungsunternehmen
deshalb nur zur Durchsetzung eindeutig berechtigter Forderungen eingesetzt
werden.

Wo jedoch nach dem Einwand der Unbilligkeit gem. § 315 BGB nach der
Rechtsprechung des BGH die Höhe der berechtigten Forderung völlig offen ist,
ist bereits die Androhung einer Versorgungseinstellung nicht mehr von der
Rechtsordnung gedeckt und kann ggf. sogar einen Straftatbestand erfüllen.

Wegen der völligen Unverbindlichkeit der Forderungen der  kann mit solchen
auch nicht etwa die sofortige Kündigung der Versorgungsverträge nicht
gerechtfertigt werden.

Soweit ein Versorgungsunternehmen den geforderten Nachweis durch
vollständige Offenlegung der Kalkulationsgrundlagen im Zahlungsprozess
erstmals führt, hat der Kunde in einem solchen Verfahren sogar noch die
Möglichkeit, die Forderung sofort anzuerkennen i. S. v. § 93 ZPO, was die
Kostentragungspflicht des klagenden Versorgungsunternehmens zur Folge hat.  
   

Nach alldem  darf ein Versorgungsunternehmen ohne eine Zahlungsklage, bei
welcher die Billigkeit der geforderten Entgelte durch vollständige
Offenlegung der Kalkulationsgrundlagen nachzuweisen ist, nicht durch eine
Versorgungseinstellung oder die Entfernung der Messeinrichtung Druck auf den
Kunden ausüben, um eine ggf. nur vermeintliche Forderung, die jedenfalls bis
zur Rechtskraft eines Zahlungstitels vollkommen unverbindlich ist,
durchzusetzen.

Auch Ihr Hinweis auf § 32 Abs. 2 AVBGasV geht fehl. Dieser galt nämlich
schon immer und gleichwohl gibt es die o. g. Rechtsprechung des BGH.

Sie sollten deshalb Ihre Kunden nicht mit entsprechenden Fehlinformationen
einzuschüchtern versuchen. Die Verbaraucherverbände wie der Bund der
Energieverbraucher werden wohl sonst hierauf öffentlichkeitswirksam
reagieren.

Übrigends ist Ihr Unternehmen schon wegen solcher Schreiben im Forum unter
http://www.energiepreise-runter.de \"verewigt\".

Informieren Sie sich gern auch
unter:

http://marktplatz.strom-magazin.de/marktplatz/news/news_Aufgrund_von_Unbilligkeit_RA_Fricke_Zahlungsunfaehige_Kunden_koennen_Energiezahlungen_aussetzen_12619_1.html


Freundliche Grüße
aus Jena


Thomas Fricke
Rechtsanwalt

 

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