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Autor Thema: Umdenken nach dem Bremer Urteil gefragt?  (Gelesen 9440 mal)

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Offline RR-E-ft

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Umdenken nach dem Bremer Urteil gefragt?
« Antwort #15 am: 31. Mai 2006, 10:00:13 »
@Cremer

Wie der Volksmund schon weiß:

"Alles hat seine Zeit."

Die Versorger berufen sich vor Gericht darauf und halten Sammelklagen gegen Gaspreiserhöhungen in 2004 nun für verwirkt, was natürlich nicht überzeugt.

Gleichwohl wird aufzeigt, dass es für jedwede Optionen auch "Zeitfenster" gibt, die sich möglicherweise mal schließen.

Wenn man denn bestimmte Optionen im Auge haben sollte, bedeutet dies auch, dass man sich entscheiden sollte, weil nun einmal alles seine Zeit hat. Sonst steht zu besorgen, dass sich die eigenen Optionen verringern.

Das sind alles Überlegungen, die mit einem selbst recht wenig zu tun haben, weil man getrost abwarten kann, ob und ggf. wann man wie (E.ON Westfalen Weser meint auch wo) verklagt wird.

Geht es jedoch darum, gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen, so könnte es angezeigt sein, diese Überlegung mit einzuschließen.

Es könnte ja sein, dass sich eine Vielzahl von Widersprüchlern in der Zwischenzeit dazu bewegen lassen hat, die Zahlungen auf die Jahresverbrauchsabrechnungen doch zu leisten.

Die Zahl derer wäre womöglich geringer, wenn es auch bei deren Versorgern Sammelklagen mit Signalwirkung gegeben hätte.

Möglicherweise wäre aber auch die Zahl derjenigen noch viel größer, die überhaupt Widerspruch eingelegt hätten, weil solche Verfahren viele Verbraucher erst  ermutigen.

Stellt man gemeinsam etwas auf die Beine im Sinne einer actio, was Juristen mit Klage übersetzen, hat man Mitstreiter im Sinne einer Streitgenossenschaft. Lässt man sich ggf. allein verklagen, fehlt es an diesen Mitstreitern, also Streitgenossen im Sinne der Zivilprozessordnung (§ 60 ZPO).

In einem solchen Fall streitet man allein mit dem Versorger vor Gericht, wenn dieser nicht seinerseits im Wege der Sammeklage (Zulässigkeit m. E. fraglich) vorgeht und sich so erst eine Streitgenossenschaft auf der anderen Seite im Verfahren willkürt (E.ON Westfalen Weser vor der Dortmunder Kartellkammer).

Es gibt also in diesem Sinne einen deutlichen Unterschied zwischen Einzel- und Mitstreitern.

Und es gibt auch die Fälle, wo schon Musterverfahren gegen Preiserhöhungen einzelner Versorger geführt werden, von denen andere Kunden des selben Versorgers (und eigentlich keiner sonst) einen Vorteil haben können und welche von diesen, die auch einen Vorteil daraus ziehen möchten, wie aufgezeigt unterstützt werden können und sollten.



Freundliche Grüße
aus Jena



Thomas Fricke
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Offline kamaraba

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Umdenken nach dem Bremer Urteil gefragt?
« Antwort #16 am: 31. Mai 2006, 10:11:49 »
Man muß vielleicht auch einmal seine Ziele neu definieren – gestern war § 315, heute ungültige Vertragsklauseln und morgen ? Der Denkansatz war schon richtig.
Respekt und alles Gute nach Hamburg und Bremen, viel Erfolg für München.
Aber, wie oben schon ausgeführt, kommt eine Sammelklage für viele nicht in Frage, weil Sie auf dem Lande wohnen oder in einer Provinzstadt wie Karlsruhe. Außerdem gibt es noch viel zu wenige Anwälte, die sich mit der Materie auskennen. Einen für viele gangbaren Weg hat Herr Cremer ja schon beschrieben – aussitzen - und das mache ich vorerst auch.

Gruss aus Karlsruhe

Rainer Maier
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Gruss aus der EnBW-Hauptstadt Karlsruhe
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Offline RR-E-ft

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Umdenken nach dem Bremer Urteil gefragt?
« Antwort #17 am: 31. Mai 2006, 10:28:25 »
@kamaraba

Das Ziel ist eigentlich immer das gleiche und ändert sich auch gar nicht:

Nicht mehr an den eigenen Energieversorger zu bezahlen als wirklich nötig.

Dieses Ziel verfolgt jeder für sich aus einem vollkommen legitimen, eigennützigen Interesse heraus.

Um mehr handelt es sich oftmals nicht. Das ist überhaupt nicht schlimm, nicht abwertend, wenn man in der Frage ehrlich mit sich ist.
 

Dieses Ziel wird sich wohl zwischenzeitlich bei niemandem geändert haben, allenfalls eine Überlegung, auf welchem Wege man dieses Ziel am besten erreicht. Ziel und Weg müssen nicht notwendigerweise identisch sein.

Zudem besteht die Möglichkeit, darüber hinaus Ziele zu definieren, die man noch verfolgen kann.

Und dann ist die Reihenfolge wohl die, dass man sich zunächst Mitstreiter vor Ort sucht und sich dann ggf. gemeinsame Ziele definiert sich dann erst gemeinsam die Frage stellen kann, ob man ggf. gemeinsam etwas zur Erreichung eines derart definierten gemeinsamen Ziels gemeinsam auf die Beine stellen kann.

Diese Frage stellt sich sonst wohl schon gar nicht.

Und erst wenn man sich dazu entschieden hat, ggf. gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen, stellt sich die Frage, wen man ggf. beauftragt und wer dafür zur Verfügung steht, wo man weitere Unterstützung findet.

Die Überlegungen wird man deshalb ggf. in diese Reihenfolge zu bringen haben.


Wenn man demgegenüber vom Ende her an diese Fragen herangeht, dann stellen sich die Fragen gar nicht.

Meines Erachtens sucht man also erst den Kontakt zu potentiellen Mitstreitern in der Region, überlegt dann mit diesen gemeinsam, ob und ggf. was man gemeinsam unternehmen möchte und kann und wo man ggf. dafür Unterstützung findet (Verbraucherverbände).

Brandenburg ist ein ausgewiesenes Flächenland, in dem die Menschen teilweise weit auseinander gesiedelt leben. Gleichwohl war es möglich, bisher drei Sammelklagen gegen drei Versorger bei drei verschiedenen Landgerichten auf den Weg zu bringen.

Wenn das in einem dünn besiedelten Flächenland zu bewerkstelligen ist, dann könnte es in einer Großstadt vielleicht auch möglich sein.

Wo nun eine Grenze zu setzen wäre, wo eine solche Möglichkeit nicht besteht, ist für mich nicht erkennbar.

Es ist nicht absehbar, wie vieler Anwälte es bedürfen sollte, die sich damit auskennen. Da ein Anwalt als Unternehmer wirtschaftlich handeln muss, hat er gar keine Veranlassung, sich mit dem Thema vertieft zu befassen, wenn keine entsprechenden Leistungen am Markt nachgefragt werden.

Es stellt sich ggf. wohl eher die Frage, wie lange die Anwälte, die sich damit vertieft auskennen, noch zur Verfügung stehen oder sich ggf. umorientieren, weil sie von anderer Seite lukrativere Betätigungsmöglichkeiten anerboten bekommen.

Und fest steht wohl auch, dass sich wohl kein Anwalt vertieft in die Materie einarbeiten kann, wenn sich ein einzelner Mandant, der auf Zahlung weniger hundert Euro auf Restzahlung verklagt wurde, an ihn wendet.

Dieser arme Kollege könnte nämlich über die Zeit der Abwicklung eines solch umfangreichen wie wirtschaftlich wenig auskömmlichen  Mandats (mehrere Schriftsätze im Umfange nicht unter 40 Seiten)  im übertragenen Sinne "verhungert" sein.

Womöglich ist auch eine solche Überlegung bisher aus dem Blick geraten.

Werden entsprechende anwaltliche Leistungen am Markt nicht nachgefragt, könnte es im Falle eines Falles sein, dass zu wenige Leistungsanbieter, wenn notwendig am Markt zur Verfügung stehen.

Diese Frage stellt sich für den Einzelnen jedoch  erst dann, wenn er ggf. selbst auf entsprechende Leistungen zurückgreifen muss. Bisher ist das ja nicht der Fall. Mancher traut sich auch alles allein zu.

Einer vertieften Einarbeitung bedarf es jedoch dann nicht mehr, wenn bereits gefestigte Rechtsprechung der Gerichte vorliegt. Eine solche müsste indes erst einmal geschaffen werden, was wiederum entsprechende Verfahren voraussetzt.


"Wenn der Topf aber nun ein Locch hat, lieber Heinrich, was dann?"



Freundliche Grüße
aus Jena



Thomas Fricke
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Offline uwes

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Umdenken nach dem Bremer Urteil gefragt?
« Antwort #18 am: 31. Mai 2006, 11:27:56 »
Zitat von: \"RR-E-ft\"
Ich mache nach wie vor einen deutlichen Unterschied zwischen koordinierten Sammelklagen an Landgerichten und Einzelfeststellungsklagen an Amtsgerichten.
...
Verfahren wie in Hamburg und Bremen sind wiederum dem gegenüber vorzugswürdig.
...
Es kommt also auf eine differenzierte Betrachtung an.


Wir stimmen in dieser Auffassung absolut überein.

Eine Nuance haben Sie bei ihrer Betrachtungsweise aber nicht bedacht und das ist wohl die differenzierte Betrachtung.

Diese lässt sich am Beispiel Oldenburg und Delmenhorst erklären.

Das für Delmenhorst zuständige Amtsgericht ist in Delmenhorst. Dort arbeiten Beamte, Richter und Angestellte, die in großen Teilen ebenfalls zu den Kunden des Delmenhorster Gasversorgers und vor allen Dingen den Zeitungslesern der Delmenhorster Regionalblätter gehören.

Das für Delmenhorst zuständige Landgericht hat seinen Sitz in Oldenburg. Dort arbeitet niemand, der die Verhältnisse in Delmenhorst kennt und von den politischen Verflechtungen der swd GmbH und der Stadt gehört hätte.

Zudem hatte Oldenburg gerade letztes Jahr gegen einen Kläger entschieden.

In Delmenhorst fanden sich eine Vielzahl von Widerständlern, die durchaus mit dem Gedanken leben konnten und wollten, den Prozess vor dem Delmenhorster Gericht und nicht im fernen Oldenburg auszutragen.

Die Entwicklung gab den Betroffenen Recht. Das AG Delmenhorst steht mit seiner Rechtsauffassung voll auf Seiten der Verbraucher und Bürger von Delmenhorst. Viel Arbeit zur Suche von Rechtsprechung und Literatur brauchte sich die Richterin nicht zu machen. Ihr sind die aktuellsten Entscheidungen jeweils vorgelegt worden. Hieraus hat sie sich die für sie passenden herausgezogen und zitiert.

Es läuft also alles so, wie man sich das vorstellt - auch bei einem Amtsgericht. Vor allen Dingen sind die Prozesse am Laufen und die Presse berichtet. Die nicht beteiligten Betroffenen sehen, dass hier etwas passiert. Wenn alle die Probleme "aussitzen" würden, dann würde nichts berichtet und die Leute würden den Mut verlieren, ihren Widerstand aufrecht zu erhalten.

So ist jetzt alle paar Wochen wieder etwas in der Zeitung nachzulesen und auch die Zauderer werden bestärkt, sich den beriets aktiven Protestlern anzuschließen.
Mit freundlichen Grüßen

Uwes
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Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten

Offline RR-E-ft

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Umdenken nach dem Bremer Urteil gefragt?
« Antwort #19 am: 31. Mai 2006, 13:28:30 »
@uwes

Das ist vollkommen in Ordnung und dagegen wollte ich auch überhaupt nichts gesagt haben.

Es ist ja auch meine Rede, dass es wichtig ist, dass es überhaupt  Verfahren mit regionalem Bezug gibt und darüber berichtet wird.

Hat ein Prozess gegen einen großen Regionalversorger im Norden zum Ergebnis, dass dieser seine Kunden wirtschaftlich ausgenommen hat, wird nicht unbedingt ersichtlich, was daraus umnittelbar auf ein Stadtwerk in der Provinz zu schließen wäre, dessen Versorgung unter anderen Bedingungen erfolgen könnte.

Im Grundsatz ist es also wohl so, dass es für jeden Versorger zumindest eines entsprechenden Verfahrens bedarf. Natürlich lässt sich das schlecht bewerkstelligen, weshalb oft entsprechende Prioritäten gesetzt werden.

Wichtig bleibt indes, dass es weiter entsprechende Verfahren gibt. Es sind auch weitere solcher Verfahren gegen namhafte Versorger in Vorbereitung.

Wenn man jetzt darauf abstellen wollte, es gäbe schon genügend solcher Verfahren, wäre dies womöglich nicht zielführend.

Immerhin möglich, dass das OLG Bremen das Urteil des LG Bremen aufhebt und diesem doch eine Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB  aufgibt und es danach wieder zu einem Erfolg der Verbraucher kommt, wogegen dann Berufung eingelegt wird....

Sollte dann irgendwann rechtskräftig feststehen, dass die Preiserhöhungen wegen Unbilligkeit unwirksam waren, wären die Rückforderungansprüche von Vorbehaltszahlern und Kunden, die ohne Vorbehalt gezahlt haben, bereits verjährt.




Freundliche Grüße
aus Jena



Thomas Fricke
Rechtsanwalt

 

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