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BGH Urteil vom 15.02.2006 zu §§ 315 BGB, 30 AVBV !!!
RR-E-ft:
[ VIII-ZR-278-02 , VIII-ZR-279-02 30-04-2003 ; KZR-36-04 18-10-2005 ; VIII-ZR-138-05 15-02-2006 ]
Das Urteil vom 15.02.2006 - VIII ZR 138/05 auch zum Verhältnis § 315 BGB, 30 AVBFernwärmeV:
http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=2006-2-15&nr=35754&anz=14&pos=11&Frame=2
http://www.energieverbraucher.de/de/site/Hilfe/Container-Urteilssammlung/site__1797/
Anmerkung:
Der VIII. Zivilsenat des BGH bestätigt seine Rechtsprechung aus den Urteilen vom 30.04.2003 - VIII ZR 278/02 und VIII ZR 279/02:
http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=2003-4&nr=26256&anz=183&pos=23&Frame=2
Allein durch die Entnahme aus dem Versorgungsnetz kommt gem. § 2 Abs. 2 AVBV ein Versorgungsvertrag zustande, bei dem es an einer ausdrücklichen Einigung auf die Preise fehlt.
Eigentlich ist kein Vertragsschluss denkbar, bei dem sich die Parteien nicht über eine Hauptleistungspflicht, nämlich den zu zahlenden Preis geeinigt haben. Versorgungsverträge richten sich nach Kaufrecht. Bei Kaufverträgen gehört der Preis zu den wesentlichen Vertragsbestandteilen (essentialia negotii), über welche zur Wirksamkeit des Vertrages eine Einigung der Parteien erfolgen muss. Unter einer Einigung versteht man zwei übereinstimmende Willenserklärungen, welchen in der Regel Vertragsverhandlungen vorausgehen, zumindest zugelassen sind.
Anders als im Werkvertrags- und Diensrecht gibt es im Kaufrecht keine ortsüblichen Preise oder Taxen, welche im Zweifel zur Anwendung kommen.
Damit es bei fehlender Einigung nicht wegen Dissens gem. § 154 BGB zur Unwirksamkeit eines solches Vertrages und danach allein zur bereicherungsrechtlichen Abwicklung zwischen den Parteien kommt, wird zugunsten des Versorgungsunternehmens ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht des Versorgers in entsprechender Anwendung des § 315 BGB angenommen.
Die entsprechende Anwendung des § 315 BGB schützt dabei zunächst die Interessen des Versorgers, der sonst allein auf bereicherungsrechtliche Ansprüche verwiesen wäre.
Im entschiedenen Fall hatte der Versorger - bei dem sich wegen der geringen Anzahl an Kunden und des Fehlens eigener Wärmeerzeugung und eines eigenen Netzes schon die Frage stellte, ob er denn überhaupt Versorger i.S.d. AVBFernwärmeV sei - klar erkennbar keine marktbeherrschende Stellung und stand ggf. im Wettbewerb mit dem eigenen Vorlieferanten, der über sein Netz neben dem Versorger auch eigene Kunden mit Fernwärme versorgte.
Daraus folgt zugleich spiegelbildlich , dass sich der Abnehmer auf die Unbilligkeit der Preise wie bei einer einseitigen Leistungsbestimmung durch das Versorgungsunternehmen gem. § 315 BGB (also in direkter Anwendung der Norm) berufen kann (auf eine Monopolstellung, Leistung der Daseinsvorsorge kommt es somit nicht an !!!).
(Bei einer Einigung auf vom Versorger bestimmte "jeweils geltende Tarife" gem. § 4 Abs. 1, Abs. 2 AVBV, die auf jeweils geltenden Preisblättern des Versorgers einseitig festgelegt werden, kommt m. E. die neuere Preislisten- Rechtsprechung des BGH, Urt. v. 18.10.2005 - KZR 36/04, RdE 2006, 81 ff. zum Tragen, wonach eine künstliche Aufspaltung in einen einer Einigung unterfallenden Anfangspreis und einseitig bestimmten Folgepreisen zu willkürlichen Ergebnissen führen würde und deshalb der Anfangspreis nicht weniger einseitig bestimmt ist wie der später einseitig bestimmte Folgepreis.)
Trotzdem § 30 Nr. 1 AVBV nach seinem Wortlaut sämtliche tatsächlichen und rechtlichen Gründe, die der Kunde der Entgeltforderung des Versorgungsunternehmens entgegensetzen kann, abdeckt, verbieten es jedoch Sinn und Zweck , den Kunden mit dem Unblligkeitseinwand auf einen Rückerstattungsprozess zu verweisen:
"Fehlt es an einer Vereinbarung der Parteien über den zu zahlenden Preis, entfällt jedoch schon die bei einem Vertrag normalerweise bestehende Gewissheit über Inhalt und Umfang der Leistung, welche aus der Einigung der Parteien hierüber folgt.
Den berechtigten Belangen des Kunden, der den von ihm geforderten Preis für zu hoch hält, kann in diesen Fällen - ebenso wie bei der einseitigen Leistungsbestimmung durch das Versorgungsunternehmen - nur dadurch hinreichend Rechnung getragen werden, dass es ihm gestattet wird, diesen Einwand schon im Rahmen der Leistungsklage zu erheben, und er nicht zur Geltendmachung auf einen Rückforderungsprozess verwiesen wird. Denn es geht dabei nicht um Fehler einer konkreten Abrechnung, sondern um die Feststellung der vertraglichen Grundlagen für Art und Umfang der Leistungspflicht."
Der BGH stellt damit nochmals deutlich klar, dass das Bestreiten der Billigkeit der Preisbestimmung des Versorgungsunternehmens nicht durch § 30 Nr. 1 AVBV ausgeschlossen wird (vgl. S. 17 UA, Tz. 28; S. 19 UA Tz. 29).
Dies gilt für die Fälle, wo der Vertrag allein durch Energieentnahme aus dem Verteilnetz des EVU konkludent (schlüssig), mithin ohne ausdrückliche Einigung mit Vereinbarung des Preises abgeschlossen wurde (§ 2 Abs. 2 AVBV) bzw. der Versorger die jeweiligen Preise einseitig mit Preisliste bestimmt.
Es gilt weiter für Fälle einseitiger Leistungs(neu)bestimmungen durch das EVU, also gerade im Falle einseitig bestimmter Preiserhöhungen, wie sie gerade im Strom- und Gasbereich stattfinden.
Der VIII. Zivilsenat hat damit noch einmal ganz klar Stellung bezogen, und die Hintertür, welche der X. Zivilsenat (Werkvertragsrecht) den Versorgern in den Urteilen vom 05.07.2005 ggf. offen lassen wollte (vgl. Frau Ambrosius), jedenfalls wieder zugeklappt.
Im Falle über Streitigkeiten aus Energielieervrträgen (Kaufrecht) ist reglmäßig der VIII. Zivilsenat des BGH zuständig und deshalb auch maßgeblich.
Noch deutlichere Worte kann der BGH kaum finden, um der umhergeisternden sog. Verdrängungsthese, wie auch der Legende von der Anwendbarkeit des § 315 BGB nur im Bereich von Monopolen und der Daseinsvorsorge entgegenzuwirken. All diese aus meiner Sicht wohl gepflegten Legenden werden klar widerlegt.
Und am Rande bemerkt geht noch etwas aus dem Urteil hervor:
Fehlt es in Enrgielieferungsverträgen an Preisänderungsklauseln, so gelten die Preise bei Vertragsabschluss unverändert fort (vgl. S. 19 UA Tz. 29).
Dies sollte dann auch für Fälle gelten, bei denen sich Preisänderungsklauseln von Versorgungsunternehmen als unwirksam erweisen.
Freundliche Grüße
aus Jena
Thomas Fricke
Rechtsanwalt
RR-E-ft:
Für manchen ist das Urteil hier vielleicht einfacher und schneller erreichbar:
http://www.recht-in.de/urteile/urteilzeigen.php?u_id=127100
Das o. g. Urteil des BGH vom 18.10.2005 - KZR 36/04 ist mit Querverweisen u.a. auch hier erreichbar:
http://lexetius.com/2005,2957
Folgender Aufsatz bedarf nun wohl nochmaliger kritischer Überarbeitung, entspricht er doch offensichtlich nicht mehr der BGH- Rechtsprechung:
http://www.agfw.de/fileadmin/dokumente/rec/Gemeinschaftsaufsatz_Par315_et_0512.pdf
Nun stellt sich nur noch die Frage, ob sich etwa auch der BGH als eine Art Wiederholungstäter wieder einmal \"zu Unrecht über die Auffassung von Büdenbender hinweggesetzt\" hat:
http://www.agfw.de/fileadmin/dokumente/rec/060127_Vm_To_Anm_Urteil_LG_Heilbronn_060119_6S16-05Ab.pdf
Indes spricht der BGH anders als das LG Heilbronn offensichtlich nicht von einer analogen Anwendung des § 315 BGB, sondern von einem klaren Leistungsbestimmungsrecht gem. § 315 BGB.
Freundliche Grüße
aus Jena
Thomas Fricke
Rechtsanwalt
Graf Koks:
@RR-E-ft:
Der BGH spricht in der Entscheidung VIII ZR 138/05 nur einmal unter Rz. 16 von einer entsprechenden Anwendung von §§ 316, 315 BGB, und dies in Hinblick auf die bei Vertragsschluss vorgefundene Situation, dass der Kunde Fernwärme entnimmt (hierdurch Zustandekommen des Versorgungsvertrages) und eine Verhandlung über das Entgelt daher naheliegenderweise nicht möglich ist.
Entsprechend deshalb, weil das Bestimmungsrecht daher aus dem faktisch begründeten Vertrag folgt und nicht aufgrund der Abreden der Parteien eine Leistungsbestimmung vorzunehmen war?
Letztlich ist diese Frage nach der Entscheidung BGH KZR 36/04 irrelevant.
M.f.G. aus Berlin
der Graf
RR-E-ft:
@Graf Koks
Beim faktischen Vertragsschluss fehlt es an der Einigung über den Preis.
Um § 154 BGB zu vermeiden, kommt es zu entsprechenden Anwendung §§ 315, 316 BGB, siehe oben.
Das neue BGH- Urteil ist wichtig, weil es noch einmal deutlich über die Urteile vom 05.07.2005 hinausgeht, zudem aufzeigt, dass es gar nicht auf eine Monopolstellung und Angewiesenheitslage ankommt, auf welche der X. Zivilsenat abstellte.
Zudem erfolgt gegenüber dem X. Zivilsenat eine ganz deutliche Klarstellung hinsichtlich § 30 AVBV.
Die sog. Verdrängungsthese setzt ja da an, dass es einer rechtsdogmatischen Voraussetzung für eine entsprechende Anwendung der Norm bedürfe.
Dieser Ansatz ist grundfalsch und nicht haltbar, weil ja § 315 BGB zunächst gar nicht zugunsten der Kunden Anwendung findet, sondern zugunsten des EVU, welches sonst allein auf bereicherungsrechtliche Ansprüche verwiesen wäre.
Dass EVU kann ja durch kartellrechtliche Vorschriften überhaupt nicht davor geschützt werden, dass es ohne die Anwendung des § 315 BGB auf bereicherungsrechtliche Ansprüche verwiesen wäre.... Deshalb bedarf es der entsprechenden Anwendung des § 315 BGB.
Die Schutzbedürftigkeit des Bestimmungsgegners ergibt sich ohne weiteres daraus und kann also nicht wieder entfallen.
Die sog. Verdrängungsthese ist also vollkommen absurd, jedoch raffiniert gestrickt.
Freundliche Grüße
aus Jena
Thomas Fricke
Rechtsanwalt
Graf Koks:
@RR-E-ft:
Es ging mir nur um die Frage warum und inwieweit der BGH von einer \"entsprechenden\" Anwendung spricht, denn die Parameter Grundpreis, Leistungspreis und Anschlusswert kamen ja unbestritten gerade nicht durch Verhandlungen zustande.
M.f.G. aus Berlin
der Graf
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