Energiepreis-Protest > Grundsatzfragen
Neue Aufsätze zu §§ 307, 315 BGB bei Energiepreisen !!
RR-E-ft:
Gut zu wissen:
Zwei neuere Aufsätze befassen sich intensiv mit verschiedenen
Rechtsfragen der Gaspreiskontrolle aus Verbrauchersicht.
Es muss davon
ausgegangen werden, dass diese insbesondere bei den Amtsgerichten mit
Blick auf die Veröffentlichungsstellen eher nicht bekannt sind.
Basierend auf einem Gutachten für die Verbraucherzentrale NRW
http://www.verbraucherzentrale-nrw.de/UNIQ114312973004992/link200079A.ht
ml
stellen Arzt/Fitzner in der \"Zeitschrift für Neues Energierecht\" (ZNER)
2005, 305-313, die Voraussetzungen einer (als zulässig angesehenen)
Kontrolle nach § 315 BGB dar. Die Autoren gehen auch auf die Einteilung
in Tarifkunden/Sonderkunden ein, die in der Praxis sehr
unterschiedlichen und rechtlich wenig betrachteten
Preisänderungsklauseln sowie auf § 4 AVBGasV ein, der ja immer wieder
gegen die Kontrolle nach § 315 ins Felde geführt wird. Auch die
behauptete Kompensation eines Verstoßes gegen § 307 BGB durch das
Kündigungsrecht (in den AVB) wird verneint.
In einem Beitrag in \"Netzwirtschaften und Recht\" (N&R) 2006, 2-5, greift
Arzt diese Aspekte erneut auf und arbeitet vertiefend heraus, dass
Haushaltskunden auch heute keine Wahl bei der Energieversorgung haben.
Der gegen die Kontrolle nach § 315 BGB ins Felde geführte
Substitutionswettbewerb wird als faktisch nicht vorhanden
herausgearbeitet. Weiter wird klargestellt, dass im Gasbereich TARIFE im
eigentlichen Sinne seit Abschaffung der BTOGas nicht mehr existierten
und die bloße Veröffentlichung sog. Tarife nichts an der Überprüfung
nach § 315 ändert.
Daneben wird aufgezeigt, dass § 4 AVBGas einer
AGB-rechtlichen Kontrolle der verwendeten Preisänderungsklauseln nicht
entgegensteht.
Ein weiterer Aufsatz von Prof. Rott findet sich in der Zeitschrift \"Verbraucher und Recht\" (VuR) Heft 1/2006 auf Seite 1 ff:
http://www.vur-online.de/inhalt/2006-01.html
Für wen diese Aufsätze erreichbar sind, dem sei die Lektüre empfohlen.
Freundliche Grüße
aus Jena
Thomas Fricke
Rechtsanwalt
RR-E-ft:
Das aktuelle Märzheft \"Recht der Energiewirtschft\" (RdE) kann zudem fast als Themenheft zu § 315 BGB bezeichnet werden:
RdE 2006, S. 65 ff.
Prof. Dr. Dr. Säcker, \"Zum Verhältnis von § 315 BGB, § 30 AVBEltV, § 30 AVBGasV, § 24 AVBFernwärmeV und § 19 GWB\",
ebenda, S. 81 ff. \"Lichtblick\"- Urteil mit Anmerkung von Prof. Dr. Markert,
ebenda, S. 88 ff. Urteil des LG Heilbronn vom 19.01.2006
Lesenswert!!!
Säcker kommt zu dem Ergebnis, dass § 315 BGB auf Preiserhöhungen in laufenden Energielieferverträgen anwendbar ist, § 30 AVBV nicht entgegensteht und das EVU die vollständige Darlegungs- und Beweislast für die Billigkeit des neu bestimmten Preises trifft:
S.71:
\"Aus diesem Grunde muss es, wenn keine anderen Bezugsgrößen vereinbart sind, seine Kosten- und Erlöslage sowie die internen Kalkulationsgrundsätze in nachvollziehbarer Form offen legen, aus denen sich die Angemessenheit der Preiserhöhung ergibt.\"
S. 73:
\"Soweit eine Prüfung der Preiserhöhung nach § 315 BGB stattfinden kann, ist nicht lediglich zu prüfen, ob diese durch gestiegene Kosten gegenüber dem Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrages gerechtfertigt ist, sondern es ist zu prüfen, ob das EVU auf Grund der Kosten- und Erlössituation, die durch den konkreten Vertrag definiert ist, d.h. aufgrund des
Kostendeckungsbeitrages dieses Vertrages gezwungen ist, den Vertragspreis zu erhöhen. Bei einem hochprofitablen Preis kann die Weitergabe von Kostensteigerungen billigem Ermessen im Sinne von § 315 BGB widersprechen.\"
ebenda:
\"Eine Beweisführung durch einen neutralen, zur Verschwiegenheit
verpflichteten Wirtschaftsprüfer als Beweismittler hat das
Bundesverwaltungsgericht abgelehnt, wenn dessen Gutachten auf
Geschäftsunterlagen basiert, welche die Partei nur dem Sachverständigen zur Verfügung gestellt hat und die auch im Gerichtsverfahren dem Gericht und dem Prozessgegner nicht offen gelegt worden sind. Das Gericht sieht darin in Übereinstimmung mit dem Bundesgerichtshof eine Verletzung des rechtlichen Gehörs.\"
Säcker ist in zwei wesentlichen Punkten zu widersprechen:
1.
S. 70 li.Sp.
Nicht jeder \"unbillige\" Preis im Sinne des § 315 BGB ist zugleich
kartellrechtswidrig.
§ 315 BGB stellt auf die individuelle Interessenlage der Vertragsparteien
und die Wahrung des Äquivalenzprinzips im laufenden Vertragsverhältnis ab.
Der ursprünglich vereinbarte Preis darf nicht dergestalt unbillig erhöht
werden, dass nicht nur eine Gewinnschmälerung verhindert, sondern sogar eine Gewinnmehrung eintritt (vgl. BGH Urt. v. 21.09.2005 - VIII ZR 38/05).
Dies kann aufgrund besonderer Konstellation dazu führen, dass auch der neu bestimmte Preis nicht bis an den wettbewerbsanalogen Preis heranreichen darf, nämlich dann, wenn zur Erreichung des wettbewerbsanaolgen Preises auch eine im Sinne des § 315 BGB unbillige Erhöhung des kalkulierten Gewinnanteils am ursprünglich vereinbarten Preis notwendig wäre (vgl. auch Markert, RdE 2006, 87).
Insoweit erweist sich § 315 BGB tatsächlich als \"feinfühliger\" gegenüber den kartellrechtlichen Vorschriften.
2.
S. 73/74
Es gibt keine Verwirkung des Unbilligkeitseinwandes hinsichtlich über
längere Zeit vorbehaltlos gezahlter, unbeanstandeter Preise (was die Bildung eines nicht überprüfungsfähigen \"Preissockels\" zur Folge hätte):
Dies gilt schon, wie im Beitrag zutreffend ausgeführt, nicht hinsichtlich
des ideal- konkurrierenden §§ 19, 33 GWB. Missbräuchlich überhöhte Preise im Sinne des Kartellrechts werden nicht legitimiert, sondern bleiben von Anfang an verboten, auch wenn sie bereits über längere Zeit unbeanstandet gezahlt wurden.
Es gilt aber ebenso hinsichtlich des Einwandes aus § 315 BGB:
Andernfalls wären nach vorbehaltlosen Zahlungen über längere Zeit auch schon spätere Rückforderungsansprüche gem. §§ 812, 315 BGB von Anfang an ausgeschlossen:
Das ist jedoch nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung gerade nicht der Fall. Der resultierender Rückforderungsanspruch wird lediglich durch die Verjährung begrenzt ( vgl. BGH NJW 2003, 1449 = Urt. v. 05.02.2003 - VIII ZR 111/02).
Die Frage, ob die Zahlungen vorbehaltlos oder (konkludent/ ausdrücklich)
unter Vorbehalt geleistet wurden, soll sich nicht auf den Anspruch nach §§
812, 315 BGB, sondern nur auf die Darlegungs- und Beweislast im
Rückerstattungsprozess auswirken (vgl. nur BGH NJW 2003, 1449; BGH NJW 2005, 2919, 2923; BGH, RdE 2006, 81, 83).
Im Urteil des BGH vom 18.10.2005 - KZR 36/04 wird zudem ausgeführt, dass anstelle einer Rückforderungs- Leistungsklage gem. §§ 812, 315 BGB auch eine Feststellungs- und Gestaltungsklage in Betracht kommt, nämlich dort, wo es um zurückliegende Preiserhöhungen in einem noch bestehenden, anhaltendem Vertragsverhältnis geht.
(diese Ausführungen fehlen in RdE 2006, 81 ff.)
Der sich sonst ergebende Wertungwiderspruch zwischen den
idealkonkurrierenden § 315 BGB einerseits und § 19 GWB andererseits hätte dabei auffallen sollen.
Bei unterstelltem Gleichlauf von § 315 BGB und § 19 GWB
(Deckungsgleichheit), also jede Unbilligkeit auch zugleich
kartellrechtswidrig, würde sich immer ergeben, dass der Einwand nicht
verwirkt sein kann, weil er immer zugleich auch eine ebensolche
Kartellrechtswidrigkeit des Preises beträfe. (Drittengleichheit: A = B, B =
C; => A = C)
Ebenso wäre vernachlässigt, dass ja sowieso nach den o. g. Ausführungen
immer der Gesamtpreis einer Billigkeitskontrolle unterfällt und es deshalb
überhaupt nicht auf einen \"Preissockel\", wie auch nur gestiegene
Bezugspreise ankommen kann.... (Vgl. auch Fricke, WuM 2005, 547, 550, m.w.N.)
Ein weiterer Widerspruch liegt ggf. darin, dass den Kunden nach
Unbilligkeitseinwand ein Zurückbehaltungsrecht zugestanden wird und weiter ausgeführt wird:
\"Dem Interesse des vorleistungspflichtigen EVU, keine Verzögerung bei der Realisierung seiner Preisforderung hinzunehmen, kann durch
Abschlagszahlungen hinreichend Rechnung getragen werden.\"
Sehr wohl, jedoch nur auf der Basis der überhaupt nach dem
Unbilligkeitseinwand noch verbindlichen, alten Preise.
Andernfalls liefe das gesamte, umfangreich begründete Zurückbehaltungsrecht der Kunden vollständig leer.
Die Argumentation wirkt leider teilweise inkonsequent und unentschlossen.
Die weiter in der Abhandlung von Säcker vertretene Auffassung, das
Einpreisen der Immissionszertifikate in die Strompreise durch das Oligopol
sei wettbewerbsgerecht, muss man gewiss nicht teilen.
Ich denke, dass sich im Verfahren des Bundeskartellamtes, insbesondere nach der Anhörung am 30.03.2006 sich ein anderes zeigen wird. Hierzu ist nur auf die entsprechende Stellungnahme des VIK zu verweisen.
Die Anmerkung von Markert zum Urteil des BGH vom 18.10.2005 - KZR 36/04 befasst sich insbesondere unmfangreich mit der Frage, was aus diesem Urteil für die derzeitige Auseinandersetzung um die Billigkeitskontrolle von Erdgaspreisen hergeleitet werden kann.
Das nicht überraschende Ergebnis:
Direkte Anwendung des § 315 BGB auf solche einseitigen Preisbestimmungen.
Freundliche Grüße
aus Jena
Thomas Fricke
Rechtsanwalt
RR-E-ft:
Der Vollständigkeit halber seien hier noch zwei gute Aufsätze aus dem Vorjahr ergänzt:
v. Hammerstein weist auf Seite 11 nach, dass es unbillige Preise unterhalb der Verbotsschwelle gibt.
http://www2.neue-energieanbieter.de/uploads/05_03_01_Hammerstein_Anwendbarkait%20%A7%20315%20BGB.pdf
Prof. Schwintowski weist nach, dass der Anfangspreis nicht weniger einseitig bestimmt ist wie der Folgepreis. Auch er weist nach, dass Die Grenzen der zivilrechtlichen Billigkeitskontrolle und der kartellrechtlichen Vorschriften nicht zusammenfallen:
http://www2.neue-energieanbieter.de/uploads/05_03_04_LichtBlick-Gutachten%20von%20Prof%20Schwintowski%20Anwendbarkeit%20%A7%20315%20BGB.pdf
Wer diese Gutachten genau liest, wird die Parallelen zu den Erdgaspreisen und den Grund- und Ersatzversorgungstarifen im Strombereich erkennen.
Freundliche Grüße
aus Jena
Thomas Fricke
Rechtsanwalt
Graf Koks:
@RR-E-ft:
Die Frage der Anerkenntnis der Preisfestsetzung ist praktisch durchaus von Relevanz, weil nicht wenige Kunden ihren Preisprotest nicht konsequent durchhalten, Jahresabrechnungen verschlafen oder unterschiedliche Vorgaben machen, welchen Preis sie denn jetzt akzeptieren.
Zur Frage eines möglichen mehr oder minder \"stillschweigenden\" Anerkenntnisses hat die Rechtsprechung meiner Erinnerung nach - auch jenseits der Rückforderung - bereits ausdrücklich Stellung bezogen. Wissen Sie noch wo? Falls es Ihnen oder mir wieder einfällt, wäre es sachdienlich es hier zu posten.
M.f.G. aus Berlin
der Graf
RR-E-ft:
@Graf Koks
Die Frage des \"Anerkenntnisses\" oder einer stillschweigenden Zustimmung mag bei Kaufleuten eine Rolle spielen.
Im Übrigen gilt Schweigen nicht als Annahme.
Bei der Ausübung eines einseitigen Leistungsbestimmungsrechts, welches durch empfangsbedürftige Willenserklärung auszuüben ist, handelt es sich schon um kein annahmefähiges Angebot auf Vertragsänderung. Dies wäre nur bei Anpassungsverlangen etwa gem. §§ 313, 314 BGB oder auf vertraglicher Grundlage der Fall.
Dort besteht schon keine Möglichkeit zur einseitigen Preisanapassung ohne Zustimmung des anderen (Einigung/ Konsens).
Eine Zustimmung wird also bei einem einseitigen Leistungsbestimmungsrecht nicht erwartet und ist auch nicht erforderlich, erfolgt mithin auch nicht etwa schlüssig im Sinne von § 151 BGB.
Deshalb kann auch keine vorbehaltlose Zahlung als \"Zustimmung\" oder Anerkenntnis gewertet werden.
Der § 315 BGB gründet ja gerade darauf, dass ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht besteht.
Die Schutzwirkung besteht deshalb, weil es dabei gerade an einer Einigung der Vetrtragspartner fehlt. Eine solche Einigung durch Angebot und Annahme (Zustimmung) ist also gar nicht vorgesehen.
Zu erinnern ist an den BEWAG-Fall (NJW 2003, 1449) bei dem nach langen Jahren vorbehaltloser Zahlungen durch den Kunden überhöhte Strompreise zurückverlangt wurden.
http://www.kanzlei-doehmer.de/bgb812_1.htm
http://www.ra-kotz.de/energielieferungsvertrag.htm
Der Anspruch scheiterte vor dem BGH nicht daran, dass ein Rückforderungsanspruch durch die vorbehaltlos geleisteten Zahlungen nicht bestand.
Es spielte lediglich die Verjährung in den Vorinstanzen eine Rolle. Hinsichtlich des verjährten Teils wurde die Klage nicht weiter verfolgt.
Im übrigen scheiterte der Kläger allein an seiner grundsätzlichen Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich des fehlenden Rechtsgrundes für die geleisteten Zahlungen, mithin die Unbilligkeit der Strompreise.
Hätte es ein \"stillschweigendes\" Anerkenntnis durch die vorbehaltlosen Zahlungen gegeben, wäre es ersichtlich darauf erst gar nicht angekommen. Ein Rückforderungsanspruch hätte von vorn herein nicht bestanden.
Wenn also der Kunde schon für die Vergangenheit auch nach vorbehaltlosen Zahlungen wegen überhöhter Energiepreise Geld zurückverlangen kann, dann muss er erst recht in der Zukunft mit dem Unbilligkeitseinwand auch gegen zurückliegende Preise berechtigt sein, Zahlungen zurück zu behalten.
Freundliche Grüße
aus Jena
Thomas Fricke
Rechtsanwalt
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