Stellungnahme zum Gaspreis - Urteil des Landgericht Karlsruhe vom 03.02.2006 – 9 S 300/05 (Vorinstanz AG Karlsruhe, Urteil vom 27.05.2005 – 1 C 262/04)Ein Kunde hatte gegen eine Zahlungsklage des Gasversorgers vor dem Amtsgericht Karlsruhe geltend gemacht, dass mit ihm kein Versorgungsvertrag zustande gekommen sei und zudem die Unbilligkeit der Preisbestimmung gem. § 315 Abs. 3 BGB gerügt.
Das AG Karlsruhe hatte im Urteil vom 27.05.2005 – 1 C 262/04 in Übereinstimmung mit der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung einen konkludenten Vertragsschluss allein durch die Entnahme von Gas aus dem Verteilnetz gem. § 2 Abs. 2 AVBGasV bejaht, die Zahlungsklage des Gasversorgers jedoch gleichwohl vollständig als derzeit unbegründet abgewiesen, weil der klagende Gasversorger die Billigkeit der geforderten Preise nicht durch Offenlegung seiner Preiskalkulation nachgewiesen hatte:
http://www.energieverbraucher.de/index.php?pre_cat_open=2&id=131&subid=1617&subsubid=1628&Die Berufung des Gasversorgers führte nun zur Aufhebung der amtsgerichtlichen Entscheidung und zur Verurteilung zur Zahlung.
Das Berufungsurteil des LG Karlsruhe gründet im wesentlichen auf der Rechtsprechung des OLG Stuttgart vom 17.02.2005 - 2 U 83/04, wonach nach der 6. GWB- Novelle die Vorschriften der §§ 19 GWB die zivilrechtliche Billigkeitskontrolle gem. § 315 Abs. 3 BGB verdränge:
http://www.agfw.de/fileadmin/dokumente/rec/LG_Stuttgart_050217_2U83-04.pdfDiese Rechtsprechung wurde jedoch durch die BGH- Urteile vom 07.02.2006 - KZR 8/05 und KZR 9/05 (BMR ./. EnBW) gerade aufgehoben. Mit diesen aktuellen Entscheidungen wurde die Rechtsprechung im sog. „Lichtblick- Urteil“ bestätigt:
http://www.verivox.de/News/ArticleDetails.asp?aid=13375Der BGH hatte gerade in den Urteilen vom 05.07.2005 (u.a. NJW 2005, 2919, WuM 2005, 589 und WuM 2005, 593), jeweils in den Entscheidungsgründen unter II. 1. herausgestellt, dass Tarife von Unternehmen, die Leistungen der Daseinsvorsorge anbieten, auf deren Inanspruchnahme der andere Vertragsteil im Bedarfsfall angewiesen ist, nach billigem Ermessen festgesetzt werden müssen und einer
Billigkeitskontrolle entsprechend § 315 Abs. 3 BGB unterworfen sind!
http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&sid=3462b0270f491359ebc82bd3f44f9765&client=12&nr=33507&pos=0&anz=1http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&sid=502357f5664ab411a014924300d6633a&client=12&nr=33508&pos=0&anz=1Wie man in Anbetracht dieser eindeutigen Rechtsprechung zu dem Ergebnis gelangen kann, seit der 6.GWB- Novelle 1999 sei dies nicht mehr der Fall, seit dem habe die Preiskontrolle lediglich über § 19 GWB zu erfolgen, wo die GWB- Vorschriften nicht zu Anwendung kommen, fände gar keine zivilrechtliche Preiskontrolle mehr statt, bleibt vollkommen unerfindlich.
Die BGH- Rechtsprechung im „Lichtblick- Urteil“ vom 18.10.2005 – KZR 36/04 - zudem
klar vor Augen, gelangte das Berufungsgericht in nicht nachvollziehbarer Weise zu der Auffassung, § 19 GWB würde die Billigkeitskontrolle gem. § 315 BGB verdrängen.
Dabei hatte der BGH in der vorgenannten Entscheidung gerade die Anwendung des § 315 BGB auf einseitige Preisbestimmungen bestätigt und darüber hinaus daneben auch eine kartellrechtliche Kontrolle zugelassen - ein Zustand den es nach der Argumentation des LG Karlruhe gar nicht geben kann:
http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=pm&sid=55451c0406933bcced059764a5c604a7&nr=34761&linked=urt&Blank=1&file=dokument.pdfhttp://www.ewerk.hu-berlin.de/content/ewerk/ausgabe.php?message_id=413&type=infoVgl. hierzu auch schon das entsprechende Rechtsgutachten von
Schwintowski, auf S. 5 ff.:
http://www2.neue-energieanbieter.de/uploads/05_03_04_LichtBlick-Gutachten%20von%20Prof%20Schwintowski%20Anwendbarkeit%20%A7%20315%20BGB.pdfDas Berufungsgericht führte aus, dass aufgrund der gesetzlichen Versorgungspflicht des Gasversorgungsunternehmens allein durch die Entnahme von Gas aus dem Verteilnetz ein Versorgungsvertrag zustande kam.
In einem solchen Fall kommen die durch das Gasversorgungsunternehmen gem. § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV bereits veröffentlichten Tarife zur Anwendung, welche das Versorgungsunternehmen jederzeit einseitig neu bestimmen kann.
Vertragsverhandlungen über den Preis hatten gerade nicht stattgefunden und werden in diesem Bereich wegen des Gleichbehandlungsgebots und kartellrechtlichen Diskriminierungsverbots auch gerade nicht zugelassen und finden nicht statt.
Der Beklagte ging schon selbst davon aus, gar keinen Vertrag geschlossen zu haben. Allein die Tatsache der Gasentnahme- durch wen auch immer- wurde als auf einen Vertragsabschluss gerichtete Willenserklärung gewertet, ohne dass ein Vertrag so abgeschlossen wurde, wie man es gemeinhin kennt.
Es ist schon fraglich, ob auch die Gasentnahme durch einen Dritten dem Grundstückseigentümer als eine solche Willenserklärung zugerechnet werden kann. Bisher war ein entsprechendes Handeln des Vertragsschließenden erforderlich, der erkennen konnte, dass allein durch sog. sozialtypisches Verhalten ein Vertrag geschlossen wird.
Es kommen in diesem Bereich jedenfalls die durch das Gasversorgungsunternehmen bereits einseitig bestimmten Preise zur Anwendung.
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung im sog. „Lichtblick- Urteil“ des BGH sind in solchen Situationen die Anfangspreise gerade nicht weniger einseitig bestimmt sind als die einseitig bestimmten Folgepreise.
Auf solche einseitigen Leistungsbestimmungen findet § 315 BGB direkt Anwendung.
Demnach konnte es schon auf das Vorliegen der rechtsdogmatischen Voraussetzungen einer analogen Anwendung der Norm nicht ankommen.
Auch eine Verdrängung durch Vorschriften des GWB kommt deshalb nicht in Betracht.
Darauf verweist u. a. auch der frühere Direktor des Bundeskartellamtes Prof. Dr. Kurt Markert in einem aktuellen Beitrag in Energieinformationsdienst Nr. 7/06 auf Seite 19 ff. in einer Besprechung des Gaspreis-Urteils des Landgerichts Heilbronn.
Die Rechtsprechung des Landgerichts Heilbronn war dem Landgericht Karlsruhe offensichtlich nicht bekannt und fand deshalb auch keine Berücksichtigung innerhalb der Urteilsbegründung.
Weil das Berufungsgericht § 315 BGB schon für nicht anwendbar hielt, brauchte es sich auch gar nicht erst noch mit der Frage des § 30 AVBGasV befassen.
Das Urteil des Landgerichts Karlsruhe schließt mit der Zulassung der Revision zum Bundesgerichtshof, weil über die Frage der entsprechenden Anwendung des § 315 Abs. 3 BGB auf Gaslieferungsverträge nach der Änderung des § 19 GWB noch nicht entschieden sei, in der Rechtsprechung der Instanzgerichte dazu unterschiedliche Auffassungen vertreten werden.Möglicherweise wird der Bundesgerichtshof auch nach dieser Entscheidung des Landgerichts Karlsruhe nun Gelegenheit erhalten, in der Revision darüber zu entscheiden.
Wie ersichtlich geworden ist, ist das am 03.02.2006 um 10.00 Uhr verkündete Urteil zugunsten der
Münchner E.ON Ruhrgas-Tochter Thüga AG um 11.43 Uhr bei deren Prozessbevollmächtigten Freshfields Bruckhaus Deringer (u.a. Dres. Kunth/ Tüngler) in Düsseldorf eingegangen, vgl. hierzu nur hier:
http://www.entega.de/privatkunden/erdgas/wissenswertes/preiswidersprueche/documents/landgericht_karlsruhe_03022006.pdfhttp://rsw.beck.de/rsw/shop/default.asp?sessionid=A14989B241184B2B8D4A2DF612646651&docid=152171http://www.freshfields.com/sector/energy/de.aspEs scheint aber wohl selbst dem BGW nicht mehr ganz geheuer zu sein, so dass es von dort- anders als sonst - bisher keinen Kommentar, keinen Jubel mit großer Posaune dazu gibt:
http://www.bgw.de/de/presse/pressemitteilungen/article_2005_8_16.htmlhttp://www.bgw.de/de/presse/pressemitteilungen/article_2006_1_19_5.htmlDas Urteil steht wohl allzusehr im Widerspruch zur jüngsten BGH- Rechtsprechung. Zudem hatte man das erstinstanzliche Urteil in der aktuellen Debatte verschwiegen.
Soweit in dem Urteil auf den Aufsatz
Fricke, WuM 2005, 547, 548 verwiesen wird, kann es sich nur um ein
Blindzitat aus einem Schriftsatz der Kollegen handeln.
Hätte man diesen Aufsatz tatsächlich gelesen, wären schon die darin zitierten BGH- Urteile vom 05.07.2005 im selben Heft (!) wohl nicht verborgen geblieben, ebenso wie der Verweis auf das Urteil des BGH vom 06.03.2001- KZR 37/99, aus welchem eindeutig hervorgeht, dass nach der Rechtsprechung des Kartellsenats des BGH zivilrechtliche Billigkeitskontrolle gem. § 315 BGB und kartellrechtliche Vorschriften, so auch § 19 GWB, vollkommen eigenständig,
nebeneinander zur Anwendung kommen:
http://www.rws-verlag.de/BGH-FREE/volltex3/vo76246.htmIn dieser Entscheidung heißt es bekanntlich:
\"(a) Ein Unternehmen, das ohne Wettbewerber ist oder keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt ist und diese Stellung dazu ausnutzt, Entgelte oder sonstige Geschäftsbedingungen zu fordern, die von denjenigen abweichen, die sich bei wirksamem Wettbewerb mit hoher Wahrscheinlichkeit ergeben würden, verstößt gegen das Verbot der mißbräuchlichen Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung (§ 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 4 Nr. 2 GWB). Ein solches Verhalten kann nach § 32 GWB von der Kartellbehörde untersagt werden und nach § 33 GWB Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche nach sich ziehen. Sollte die Beklagte für den Anschluß an ihr Kabelnetz oder für dessen Nutzung von den Mietern der Klägerin mißbräuchlich überhöhte Entgelte fordern, so haben die Mieter - unbeschadet der Frage, ob ihnen insoweit Ansprüche gegen den Vermieter zustehen - die Möglichkeit, entweder die Beklagte unmittelbar auf Unterlassung in Anspruch zu nehmen (Bornkamm in Langen/Bunte, Kartellrecht, 9. Aufl., § 33 GWB Rdnr. 23) oder die Kartellbehörde einzuschalten. Damit ist in kartellrechtlicher Hinsicht der Schutz der Mieter vor einem Ausbeutungsmißbrauch gewährleistet.
(b) Daneben besteht für die Mieter die Möglichkeit, die faktisch von der Beklagten einseitig bestimmten Entgelte entsprechend §§ 315, 316 BGB gerichtlich darauf überprüfen zu lassen, ob sie der Billigkeit entsprechen, und sie, sofern dies nicht der Fall ist, durch Urteil festsetzen zu lassen[/b].\" [/i]
Abgesehen davon, dass das Gericht für die Frage einer Kartellrechtswidrigkeit wohl schon gar nicht selbst zuständig gewesen wäre (Zuständigkeit eines besonderen Kartellsenats), ist nicht ersichtlich, welchen Prüfungsmaßstab das Gericht für eine Preiskontrolle anhand von § 19 GWB überhaupt hätte anlegen wollen, wenn es schon nicht auf
marktübliche Preise abstellen wollte.
Kartellrechtskonform sind immer nur marktübliche bzw. - wo wie vorliegend nur ein einziges Monopolunternehmen im räumlich relevanten Markt tätig ist -
wettbewerbsanaloge Preise, die nicht erheblich überschritten werden dürfen.
Eine Verpflichtung zu marktüblichen Preisen stellt das Gericht jedoch gerade in Abrede.
Dafür gäbe es keinen Anhaltspunkt....
Vgl. hierzu nur die Ausführungen im Rechtsgutachten
v. Hammerstein ; S. 10 ff.:
http://www2.neue-energieanbieter.de/uploads/05_03_01_Hammerstein_Anwendbarkait%20%A7%20315%20BGB.pdfDiese Art der Herangehensweise des Berufungsgerichts ist überhaupt nicht nachvollziehbar und kann in der Revision deshalb keinen Bestand haben. Der BGH ist in solcherlei Fällen geneigt, ganz deutliche Worte zu finden.
Eine entsprechende Revisionsentscheidung dürfte deshalb mit noch größerer Spannung erwartet werden als im Fall des Heilbronner Gaspreisurteils, weil es vorliegend von Anfang an um die
Billigkeit des Gesamtpreises geht.
Ein gewisses Geschmäckle bekommt dieses Urteil dadurch, dass bereits einen Tag vor Urteilsverkündung durch Medien an die Verbraucherzentrale Baden-Würtemberg herangetreten wurde, dieses Urteil am Tag seiner Verkündung öffentlich zu kommentieren, obschon die Verbraucherzentralen
- wie auch jeder Dritte - dieses Urteil vor seiner Verkündung inhaltlich noch gar nicht kennen konnte!Ein Fernsehteam hatte sich kurz nach Urteilsverkündung bei der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz angekündigt, damit diese zu dem auch dieser unbekannten Urteil sofort ein öffentliches Statement abgibt.
Ein solcher Vorgang kann nicht anders als
ungewöhnlich bezeichnet werden.
Tatsächlich wurde dieses Urteil dann - bis auf die ersichtlichen Veröffentlichungen im Internet - nicht weiter publik gemacht oder von seiten der Versorgungswirtschaft kommentiert.
Man wird wissen, warum.
(Wenn die Urteilssammlung auf der Seite
alle Urteile enthalten soll, gehört auch dieses Urteil des LG Karlsruhe dazu.)
Freundliche Grüße
aus Jena
Thomas Fricke
Rechtsanwalt