Beim Kartellsenat des BGH sehe ich eine Verwirrung zwischen den Begriffen "Preisregulierung" und "Billigkeitsprüfung". Gerade in der Grundversorgung mit Energie spielen diese Begriffe nach der Argumentation des VIII. Zivilsenats eine entscheidende Rolle zur Begründung der Preissockeltheorie. In juris-Randnummer 27 des Strompreis-Urteils EnZR 56/15 vom 7.3.2017 äußert sich der Kartellsenat zur Billigkeitskontrolle der Anfangspreise. Dabei übernimmt er ohne jede Einschränkung entgegen seiner bisherigen Rechtsprechung die Preissockel-Theorie des VIII. Zivilsenates mit folgender Formulierung:
Bei Zustandekommen eines Grundversorgungsvertrags kann die Klägerin von dem Beklagten grundsätzlich den zu Beginn der Grundversorgung im Oktober 2011 geltenden Allgemeinen Preis als vereinbarten (Anfangs-)Preis beanspruchen. Denn diesen Allgemeinen Preis schuldete der Beklagte ungeachtet des von ihm erhobenen Widerspruchs allein durch die tatsächliche Inanspruchnahme der ihm im Rahmen der Grundversorgung angebotenen Versorgungsleistungen als vereinbarten Preis (vgl. BGH, Urteil vom 22. Februar 2012 VIII ZR 34/11, WM 2012, 2061 Rn. 38). Dieser ist nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs selbst im Falle einer Monopolstellung des Lieferanten - wie hier der Klä-gerin in ihrer Eigenschaft als Grundversorger - keiner Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB zugänglich (vgl. BGH, Urteile vom 19. November 2008 - VIII ZR 138/07, BGHZ 178, 362 Rn. 17 ff., vom 13. Juli 2011 - VIII ZR 342/09, NJW 2011, 2800 Rn. 36 und vom 22. Februar 2012 - VIII ZR 34/11, WM 2012, 2061 Rn. 38). Diese Beurteilung beruht auf den Besonderheiten der auf dem Gebiet der Energiewirtschaft bestehenden Gesetzgebung für die Elektrizitäts- und Gasversorgung, für die der Gesetzgeber hat erkennen lassen, überhöhte Preise ausschließlich durch eine Verschärfung der kartellrechtlichen Missbrauchsaufsicht und nicht im Wege zivilrechtlicher Auseinandersetzungen bekämpfen zu wollen, was für diesen Bereich einer analogen Anwendung von § 315 Abs. 3 BGB die Grundlage entzieht (vgl. BGH, Urteile vom 19. November 2008 - VIII ZR 138/07, aaO, Rn. 23 und vom 13. Juli 2011 - VIII ZR 342/09, aaO).Wie sehen denn konkret die "
Besonderheiten der auf dem Gebiet der Energiewirtschaft bestehenden Gesetzgebung für die Elektrizitäts- und Gasversorgung" aus? Sowohl der nationale Gesetzgeber als auch der europäische Gesetzgeber erachten einen besonderen Schutz des Energiekunden für notwendig:
• § 1, § 2 des Energiewirtschaftsgesetzes verlangen eine möglichst preisgünstige Versorgung mit Energie
• § 29 GWB zur Energiewirtschaft präzisiert das Verbot, als Anbieter von Energie seine marktbeherrschende Stellung zu missbrauchen, und zwar über die weiterhin anwendbaren §§ 19 und 20 des GWB hinaus
• Die europäischen Strom- und Gasrichtlinien verlangen jeweils in Artikel 3 von den Mitgliedsstaaten geeignete Maßnahmen zum Schutz von Endkunden, und zwar über die allgemeinen Verbraucherschutzvorschriften hinaus.
Keines dieser Gesetze schränkt in irgendeiner Weise die Anwendung von § 315 BGB zur „
Bestimmung der Leistung durch eine Partei“ ein. Vielmehr verschaffen diese Vorschriften den Energieverbrauchern zusätzlichen Schutz. Sie liefern Maßstäbe für die Billigkeit eines Preises und verschärfen den Umfang einer Billigkeitsprüfung gegenüber anderen Wirtschaftssektoren ohne derartige Zusatzvorschriften. Die Behauptung des Gegenteils durch den VIII. Zivilsenat am BGH ist schlicht falsch und gesetzwidrig. Die ständige Wiederholung falscher, gesetzwidriger Aussagen ändert zwar nicht ihren Wahrheitsgehalt, aber sie durchdringt nach 10 Jahren nun offensichtlich auch die Gehirne von Bundesrichtern. Die Propaganda des VIII. Zivilsenats wirkt, wie das obiter dictum in den juris-Randnummern 23 und 27 im Urteil EnZR 56/15 vom 7.3.2017 beweist.
Vergleicht man das Urteil vom 7.3.2017 unter Aktenzeichen EnZR 56/15 mit dem Vorlagebeschluss KZR 12/15 vom 7.6.2016 an den EuGH, so zeigen sich gravierende Unterschiede hinsichtlich folgender Fragen:
- Wird bei Vertragsabschluss ein Preis vereinbart oder vom Leistungserbringer ohne Verhandlung einseitig festgesetzt?
- Bedeutet die Anwendung des § 315 BGB eine Preisregulierung bedeutet oder nicht?
- Besitzt der § 315 BGB eine kartellrechtliche Schutzfunktion?
- Beseitigt die Festsetzung eines Preises durch Urteil nach § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB den Preissetzungsspielraum des Energieversorgers?
- Ist der bei Vertragsabschluss geltende Preis („Preissockel“) ist nach § 315 BGB überprüfbar?
Nach dem Vergleich beider Entscheidungen im Hinblick auf diese Fragen gesteht der Kartellsenat einem Unternehmen als Netznutzer durch § 315 BGB einen höheren Schutz zu als einem privaten Energieverbraucher. Während der grundversorgte Energiekunde im allgemeinen kein Unternehmen ist und dem wirtschaftlich weit stärkeren Energieversorgungsunternehmen gegenübersteht, handelt es sich bei einem Infrastrukturnutzer um ein Unternehmen, das üblicherweise finanziell deutlich stärker ausgestattet ist als ein privater Haushalt und das dem Netzbetreiber sowohl fachlich-technisch als auch in kaufmännischen und rechtlichen Fragen auf Augenhöhe begegnen kann. Insofern ist der geringere Schutz des grundversorgten Haushaltskunden überraschend und auch nicht mit den oben genannten Verbraucherschutzvorschriften der EU vereinbar.
Vor dem Hintergrund habe ich am 28.4.2017 folgenden Brief an die Präsidentin des Bundesgerichtshofes und an alle Mitglieder des Großen Senats für Zivilsachen am Bundesgerichtshof gerichtet:
Sehr geehrte Frau Präsidentin Limperg,
ich wende mich an Sie als Vorsitzende des Großen Senats für Zivilsachen am Bundesgerichtshof. Innerhalb der letzten 12 Monate hat der Kartellsenat des BGH zwei Entscheidungen getroffen, die ein uneinheitliches Verständnis von Preisregulierung und Billigkeitsprüfung in der Grundversorgung mit Energie offenbaren. Ich bitte Sie, bei der nächsten Zivilsache, in der es um die Billigkeitsprüfung des Anfangspreises in der Grundversorgung mit Energie geht, nach § 132 GVG den Großen Senat für Zivilsachen einzuberufen und die Rechtsfrage zu klären, ob in der Grundversorgung mit Energie der bei Vertragsschluss geltende Preis einer Billigkeitsprüfung nach § 315 BGBG unterliegt.
Darüber hinaus wäre es wünschenswert, wenn Sie in Ihrer Funktion als Präsidentin des Bundesgerichtshofes gegen sämtliche Richter des VIII. Zivilsenats unter Vorsitz der beiden Richter Dr. Karin Milger und Wolfgang Ball förmliche Disziplinarverfahren nach § 63 DRiG einleiten, soweit sie an den Urteilen zur Preissockel-Theorie mitgewirkt haben. Denn mit seiner Rechtsprechung zur Billigkeitskontrolle von Energiepreisen missbraucht der VIII. Zivilsenat seine richterliche Unabhängigkeit. Der VIII. Zivilsenat lässt keine Bindung an Recht und Gesetz erkennen, sondern verstößt in krasser Weise gegen die Gewaltenteilung als Fundament unserer Demokratie, indem der Senat die Rolle des Gesetzgebers übernimmt. Die Methoden der Richter entstammen der Pseudo-Logik und der Winkeladvokatur.
Mit seinen Willkür-Urteilen erschüttert der VIII. Zivilsenat das Vertrauen der Allgemeinheit in die Rechtsprechung als Ganzes. Im konkreten Fall resultieren aus den schwer wiegenden, bewussten Rechtsbrüchen des VIII. Zivilsenats Milliarden-Schäden zu Lasten der Energieverbraucher in Deutschland. In Billigkeitsprozessen zu Energiepreisen übernehmen die unteren Gerichtsinstanzen zur Arbeitsentlastung oft wie Subsumptionsautomaten die Leitsätze aus den kritisierten BGH-Entscheidungen zur Billigkeitsprüfung von Energiepreisen, ohne sie selbst nochmals zu prüfen. Offenbar hat dieses gesetzwidrige Vorgehen nun auch den Kartellsenat des BGH erfasst, wie ich unten ausführlich begründe.
Richterliche Unabhängigkeit ist indes kein Freibrief für Justizwillkür. In Artikel 97 Absatz 1 des Grundgesetzes heißt es: „Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen.“ Ohne Bindung an das Gesetz kann sich die Rechtsprechung nicht auf ihre Unabhängigkeit berufen, vgl. auch Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes. Mit seiner Rechtsprechung zum Preissockel hat sich der VIII. Zivilsenat so weit vom Boden des Gesetzes entfernt, dass von Rechtsbeugung im Sinne des § 339 StGB auszugehen ist. Die Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats erweckt den Eindruck, als ob BGH-Richter im Interesse der Energieversorger die wirtschaftliche Ausbeutung breiter Bevölkerungsschichten fördern wollten.
Das Deutsche Richtergesetz hat eine Dienstaufsicht vorgesehen, die im Fall von Rechtsbeugung sehr wohl eine inhaltliche Überprüfung richterlicher Entscheidungen ermöglicht. Zwar darf nach § 26 DRiG im Allgemeinen der Inhalt einer richterlichen Entscheidung nicht Gegenstand von Dienstaufsichtsmaßnahmen sein. Aber, so der führende Kommentar von Dr. Günther Schmidt-Räntsch und Dr. Jürgen Schmidt-Räntsch zum Deutschen Richtergesetz auf Seite 443 in Randnummer 31 zu § 26 DRiG, 6. Auflage 2009: „Eine Ausnahme besteht nur insoweit, als auf Grund gesetzlicher Vorschriften der Inhalt einer Entscheidung im Disziplinar- oder Strafverfahren nachgeprüft werden kann, so bei Rechtsbeugung (§339 StGB).” Ferner heißt es in Randnummer 40 zu § 26 DRiG auf Seite 447: „Sofern es sich um Richterbestechung oder Rechtsbeugung handelt (§§ 334, 339 StGB) beziehen sich die Maßnahmen der Dienstaufsichtsbehörde zwangsläufig auch auf den Inhalt einer richterlichen Entscheidung. In solchen Fällen wird die zuständige Dienstbehörde aber unverzüglich die richterliche Entscheidung über die vorläufige Dienstenthebung und die Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens (§ 63 Abs. 2 und § 83) herbeizuführen haben.”
Bei den Richtern des VIII. Zivilsenats handelt es sich um Wiederholungstäter. Zu dieser Einschätzung muss jeder gelangen, der sich das Leitsatzurteil des VII. Zivilsenats vom 28.10.2015 unter Aktenzeichen VIII ZR 158/11 zu den Gaspreisen in der Grundversorgung anschaut. Diese bereits 10 Jahre andauernde Unrechtsprechung gegen das Volk muss fachlich durch den Großen Senat für Zivilsachen und disziplinarisch durch die Dienstvorgesetzten so bald wie möglich beendet werden.
Mit freundlichen Grüßen
Lothar Gutsche
Zu diesem Anschreiben gehört eine 35 Seiten starke Begründung, die wie folgt gegliedert ist:
1. Entscheidungen des BGH-Kartellsenats vom 7.6.2016 und 7.3.2017
1.1 relevante Passagen aus dem Vorlagebeschluss KZR 12/15 vom 7.6.2016
1.2 relevante Passagen aus dem Urteil EnZR 56/15 vom 7.3.2017
1.3 Differenzen zwischen beiden Entscheidungen
2. Pflicht zum Billigkeitsnachweis
2.1 Herkunft des Preisbestimmungsrechts in der Grundversorgung
2.1.1 Pflicht zur Grundversorgung aus § 36 Abs. 1 EnWG 2005
2.1.2 Billigkeitsmaßstab aus dem EnWG bei der Preisbestimmung
2.2 Kritik an der Preissockel-Theorie
2.2.1 Billigkeitsprüfung des Anfangspreises laut BGH-Kartellsenat
2.2.2 Vergleichbarkeit mit Netznutzung
2.2.3 Widersprüche durch die Preissockel-Theorie
2.3 Darlegungs- und Beweislast
2.3.1 Verteilung der Beweis- und Darlegungslast
2.3.2 Umfang der Billigkeitsprüfung
2.3.3 Billigkeitsnachweis unabhängig von Genehmigung
2.4 Verbot der Preisspaltung nach § 36 Abs. 1 EnWG
2.5 Schutzbedürftigkeit der Haushaltskunden laut EU-Recht
3. Unverbindlichkeit der Gesamtpreise ohne Billigkeitsnachweis
3.1 keine Preisvereinbarung
3.1.1 Preisbestimmungspflicht des Grundversorgers keine Vereinbarung
3.1.2 keine Vereinbarung durch Schweigen
3.2 keine Teilunverbindlichkeit von Preisen
3.3 Differenzierung zwischen Preisregulierung und Billigkeitsprüfung
4. Gaspreis-Urteil VIII ZR 158/11 vom 28.10.2015
4.1 Reduktion der Verbraucherrechte durch EU-Verbraucherschutz?
4.2 Abwägung nach Treu und Glauben im Stile des BGH
4.3 Unvorhersehbarkeit von Preissenkungen
4.4 Verfassungswidrigkeit des BGH-Urteils vom 28.10.2015
4.5 Benachteiligung grundversorgter Kunden gegenüber Sondervertragskunden
5. Unvereinbarkeit der Preissockel-Theorie mit EU-Verbraucherrecht
5.1 Beispiel 1: Umfang der Billigkeitsprüfung abhängig von Preissockel
5.2 Beispiel 2: nicht überprüfbarer Preissockel bei Feststellung von Unbilligkeit
5.3 Beispiel 3: Preissockel bei Kostensenkungen
5.4 Beispiel 4: unbillig überhöhte Preissockel
5.5 Fazit aus den Beispielen
Anlagen
Diese Ausarbeitung schicke ich jedem Interessierten gerne per Email zu.
Lothar Gutsche
Email: lothar.gutsche@arcor.de