0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.
Verfahrensfortgang beim BGH, nach Aussetzung des Verfahrens durch EuGH****BundesgerichtshofMitteilung der Pressestelle_______________________________________________________________________________________Nr. 008/2016 vom 18.01.2016Verhandlungstermin am 3. Februar 2016, 10.00 Uhr, in Sachen VIII ZR 71/10 (Grenzen der Weitergabe eigener Bezugskosten-steigerungen des Gasversorgers an den Tarifkunden)Die Klägerin, ein regionales Energie- und Wasserversorgungsunternehmen, verlangt von der Beklagten, die sie als Tarifkundin (Grundversorgungskundin) leitungsgebunden mit Erdgas beliefert, die Zahlung restlichen Entgelts in Höhe von 2.733,12 € für Erdgaslieferungen in den Jahren 2005 bis 2007. Den in diesem Zeitraum von der Klägerin vorgenommenen Erhöhungen des Arbeitspreises widersprach die Beklagte - erstmals mit Schreiben vom 14. Februar 2006. Die Klägerin macht geltend, Grund für die vorstehend genannten Preisänderungen seien jeweils Änderungen ihrer Bezugskosten gewesen, wobei sie mit den Preiserhöhungen ihre gestiegenen Bezugspreise nicht einmal in vollem Umfang weitergegeben habe. Die Beklagte hat die Bezugskostensteigerungen bestritten und in diesem Zusammenhang zusätzlich geltend gemacht, die Klägerin habe die Bezugskostensteigerung unter anderem durch die besondere Gestaltung der Vertriebsform verursacht. Die Klägerin sei an ihren Vorlieferanten als Gesellschafterin beziehungsweise als Mitglied beteiligt; der Sinn dieser Vertriebsform bestehe darin, die eigenen Bezugspreise künstlich in die Höhe zu treiben, während die Klägerin auf der anderen Seite an den Gewinnen dieser Vorlieferanten beteiligt sei. Bisheriger Prozessverlauf: Die Klage hatte in den Vorinstanzen Erfolg. Das Landgericht hat die Preiserhöhungen für wirksam erachtet, da die Klägerin gemäß § 4 Abs. 1, 2 AVBGasV* zur Preisänderung berechtigt gewesen sei und die Preiserhöhungen der Billigkeit entsprochen hätten, weil sie im Wesentlichen auf gestiegene Bezugskosten zurückzuführen seien. Das Bestreiten der Beklagten hat das Landgericht als unbeachtlich angesehen, weil es nicht ausreichend substantiiert sei. Den Vortrag der Beklagten, die Klägerin habe die Bezugskosten durch die besondere Gestaltung der Vertriebsform künstlich in die Höhe getrieben, hat das Landgericht als unerheblich betrachtet, da die Bezugskosten nicht der gerichtlichen Kontrolle unterlägen. Mit der vom Landgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter. Der Senat hatte das vorliegende Verfahren mit Beschluss vom 18. Mai 2011 ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Vorabentscheidung über die Auslegung des Art. 3 Abs. 3 in Verbindung mit Anhang A Buchst. b und/oder c der Gas-Richtlinie 2003/55/EG*** vorgelegt. Die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist 23. Oktober 2014 ergangen. Der Senat hat daraufhin durch seine Urteile vom 28. Oktober 2015 (VIII ZR 158/11 und VIII ZR 13/12) seine Rechtsprechung zum Preisanpassungsrecht der Energieversorgungsunternehmen im Bereich der Erdgasversorgung von Tarifkunden (Gasgrundversorgung) geändert und entschieden, dass § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV* und der Nachfolgeregelung in § 5 Abs. 2 GasGVV aF** ein gesetzliches Preisanpassungsrecht des Energieversorgers für die Zeit ab dem 1. Juli 2004 - dem Ablauf der Umsetzungsfrist der Gas-Richtlinie 2003/55/EG*** - nicht (mehr) entnommen werden kann, weil eine solche Auslegung nicht mit den Transparenzanforderungen der genannten Richtlinie vereinbar wäre. Er hat weiter entschieden, dass sich jedoch aus der gebotenen ergänzenden Vertragsauslegung des Gaslieferungsvertrags ergibt, dass der Versorger Preiserhöhungen zwar nicht mehr in dem bisher nach § 4 Abs. 1, 2 AVBGasV* beziehungsweise § 5 Abs. 2 GasGVV** aF für möglich erachteten Umfang vornehmen, aber eigene (Bezugs-)Kostensteigerungen an den Kunden weitergeben darf. Der Senat wird zu prüfen haben, ob unter Zugrundelegung der vorbezeichneten Grundsätze das Urteil des Landgerichts der rechtlichen Nachprüfung standhält. Vorinstanzen: AG Ravensburg - Urteil vom 10. Juni 2009 (10 C 1292/07) LG Ravensburg - Urteil vom 25. Februar 2010 (1 S 124/09) * § 4 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Gasversorgung von Tarifkunden vom 21. Juni 1979 (AVBGasV; in Kraft bis zum 7. November 2006) (1) 1Das Gasversorgungsunternehmen stellt zu den jeweiligen allgemeinen Tarifen und Bedingungen Gas zur Verfügung. […] (2) Änderungen der allgemeinen Tarife und Bedingungen werden erst nach öffentlicher Bekanntgabe wirksam. […] ** § 5 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Grundversorgung von Haushaltskunden und die Ersatzversorgung mit Gas aus dem Niederdrucknetz vom 26. Oktober 2006 (Gasgrundversorgungsverordnung - GasGVV; in der ab dem 8. November 2006 bis zum 29. Oktober 2014 geltenden Fassung) […] (2) 1Änderungen der Allgemeinen Preise und der ergänzenden Bedingungen werden jeweils zum Monatsbeginn und erst nach öffentlicher Bekanntgabe wirksam, die mindestens sechs Wochen vor der beabsichtigten Änderung erfolgen muss. 2Der Grundversorger ist verpflichtet, zu den beabsichtigten Änderungen zeitgleich mit der öffentlichen Bekanntgabe eine briefliche Mitteilung an den Kunden zu versenden und die Änderungen auf seiner Internetseite zu veröffentlichen. […] *** Richtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG (in Kraft vom 4. August 2003 bis zum 2. März 2011) Art. 3 - Gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen und Schutz der Kunden […] (3) 1Die Mitgliedstaaten ergreifen geeignete Maßnahmen zum Schutz der Endkunden und zur Gewährleistung eines hohen Verbraucherschutzes und tragen insbesondere dafür Sorge, dass für schutzbedürftige Kunden ein angemessener Schutz besteht, wozu auch geeignete Maßnahmen gehören, mit denen diesen Kunden geholfen wird, den Ausschluss von der Versorgung zu vermeiden. 2In diesem Zusammenhang können sie Maßnahmen zum Schutz von Kunden in abgelegenen Gebieten treffen, die an das Erdgasnetz angeschlossen sind. 3Sie können für an das Gasnetz angeschlossene Kunden einen Versorger letzter Instanz benennen. 4Sie gewährleisten einen hohen Verbraucherschutz, insbesondere in Bezug auf die Transparenz der allgemeinen Vertragsbedingungen, allgemeine Informationen und Streitbeilegungsverfahren. 5Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass zugelassene Kunden tatsächlich zu einem neuen Lieferanten wechseln können. 6Zumindest im Fall der Haushalts-Kunden schließen solche Maßnahmen die in Anhang A aufgeführten Maßnahmen ein. […] Anhang A - Maßnahmen zum Schutz der Kunden Unbeschadet der Verbraucherschutzvorschriften der Gemeinschaft, insbesondere der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinie 93/13/EG des Rates, soll mit den in Artikel 3 genannten Maßnahmen sichergestellt werden, dass die Kunden […] b) rechtzeitig über eine beabsichtigte Änderung der Vertragsbedingungen und dabei über ihr Rücktrittsrecht unterrichtet werden. Die Dienstleister teilen ihren Kunden direkt jede Gebührenerhöhung mit angemessener Frist mit, auf jeden Fall jedoch vor Ablauf der normalen Abrechnungsperiode, die auf die Gebührenerhöhung folgt. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass es den Kunden freisteht, den Vertrag zu lösen, wenn sie die neuen Bedingungen nicht akzeptieren, die ihnen ihr Gasdienstleister mitgeteilt hat; c) transparente Informationen über geltende Preise und Tarife sowie über die Stan-dardbedingungen für den Zugang zu Gasdienstleistungen und deren Inanspruchnahme erhalten; […] Pressestelle des Bundesgerichtshofs76125 KarlsruheTelefon (0721) 159-5013Telefax (0721) 159-5501
Zudem hat er entschieden, dass eine von der Revision geforderte erneute Vorlage dieses Verfahrens an den Gerichtshof der Europäischen Union zur Vorabentscheidung über die Auslegung der in Art. 3 Abs. 3 in Verbindung mit Anhang A der Gas-Richtlinie 2003/55/EG*** zum Schutz der Gas-Haushaltskunden enthaltenen Transparenzanforderungen nicht erforderlich ist, da die insoweit entscheidungserheblichen Fragen durch das auf Vorlage des Senats im vorliegenden Verfahren ergangene Urteil des Gerichtshofs vom 23. Oktober 2014 (C-359/11 und C-400/11 - Schulz und Egbringhoff) bereits geklärt sind.
Wenn Vertragsparteien eine Rechtsvorschrift in ihren Vertrag einbeziehen, die sich nachträglich als europarechtswidrig erweist, so ist zu prüfen, was genau mit der Einbeziehung gewollt war (§§ 133, 157 BGB). Ging es den Parteien um die Regelung als Gesetz (so wohl regelmäßig bei einer dynamischen Verweisung) oder um ihren sachlichen Gehalt (so wohl regelmäßig bei einer statischen Verweisung). Nur im ersten Fall kann die Unwirksamkeit des Gesetzes auch zu einer Vertragslücke führen. Und selbst das ist nicht zwingend. Jedenfalls kann man nicht ohne weiteres annehmen, dass die Vertragsparteien mit der Norm auch das gesamte darin enthaltene genetische Programm, die verfassungs- und unionsrechtlichen Voraussetzungen, mit aufnehmen wollten. Wiederum illustriert der vorliegende Fall die Problematik, da der BGH (sogar unter Berufung auf den „mutmaßlichen Parteiwillen“!) davon ausgeht, dass die Parteien just das wollten, was europarechtlich nicht geht, nämlich ein Preisanpassungsrecht ohne Transparenzgebot.
BGB §§ 133 B, 157 D, 433 Abs. 2; EnWG 2005 § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1; AVBGasV § 4 Abs. 1, 2; GasGVV § 5 Abs. 2 aF; GasRL Art. 3 Abs. 3 i.V.m. Anhang Aa)Den Vorschriften des § 4 Abs. 1, 2 AVBGasV und des § 5 Abs.2 GasGVV aF kann ein gesetzliches Preisanpassungsrecht des Gasgrundversorgers für die Zeit ab dem 1.Juli 2004 -dem Ablauf der Umsetzungsfrist der Gas- Richtlinie 2003/55/EG - nicht (mehr) entnommen werden, weil eine solche Auslegung nicht mit den Transparenzanforderungen des Art. 3 Abs. 3 in Verbindung mit Anhang A dieser Richtlinie vereinbar ist; jedoch ergibt sich aus der gebotenen ergänzenden Vertragsauslegung (§§ 157, 133 BGB) des Gaslieferungsvertrages, dass der Gasversorger Preiserhöhungen zwar nicht mehr in dem bisher nach den genannten Vorschriften der Gasgrundversorgungsverordnungen für möglich erachteten Umfang vornehmen darf, er aber berechtigt ist, Steigerungen seiner eigenen (Bezugs-)Kosten, soweit diese nicht durch Kostensenkungen in anderen Bereichen ausgeglichen werden, an den Kunden weiterzugeben, und dass er verpflichtet ist, bei einer Tarifanpassung Kostensenkungen ebenso zu berücksichtigen wie Kostenerhöhungen(Bestätigung und Fortführung der Senatsurteile vom 28.Oktober 2015 -VIII ZR 158/11, ZIP 2015, 2226, zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt, und VIII ZR 13/12, juris; vom 9.Dezember 2015 -VIII ZR 208/12, juris, VIII ZR 236/12, juris, und VIII ZR 330/12, juris).b)Diese ergänzende Vertragsauslegung gibt keine Veranlassung zu einer erneuten Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union zur Auslegung der oben genannten Transparenzanforderungen, da die insoweit entscheidungserheblichen Fragen durch das auf Vorlage des Senats ergangene Urteil des Gerichtshofs vom 23.Oktober 2014 (C-359/11 und C-400/11, NJW 2015, 849 - Schulz und Egbringhoff) bereits - im Sinne eines acte éclairé - eindeutig geklärt sind.c)Für Gaspreiserhöhungen, die vor dem 1. Juli 2004 vorgenommen worden sind, bleibt es bei der bisherigen Rechtsprechung des Senats (siehe nur Senatsurteile vom 13. Juni 2007 -VIII ZR 36/06, BGHZ 172, 315 Rn.14 ff.; vom 19. November 2008 -VIII ZR 138/07, BGHZ 178, 362 Rn.26), wonach § 4 Abs. 1, 2 AVBGasV ein Recht des Gasgrundversorgers zu entnehmen ist, die Preise nach billigem Ermessen (§315 BGB) zu ändern, und der demgemäß erhöhte Preis zum vereinbarten Preis wird, wenn der Kunde eine auf der Grundlage einer Preiserhöhung vorgenommene Jahresabrechnung akzeptiert hat, indem er weiter Gas bezogen hat, ohne die Preiserhöhung in angemessener Zeit gemäß § 315 BGB zu beanstanden (Senatsurteil vom 9.Februar 2011 -VIII ZR 295/09, WM 2011, 1860 Rn. 41 mwN). Dies gilt auch für den Fall eines durch privatrechtliche Gestaltung herbeigeführten faktischen Anschluss-und Benutzungszwangs (Bestätigung und Fortführung der Senatsurteile vom 19.November 2008 -VIII ZR 138/07, aaO Rn. 18 bis 23; vom 8. Juli 2009 - VIII ZR 314/07, WM 2009, 1957 Rn. 17; vom 26. September 2012 -VIII ZR 249/11, ZNER 2013, 44 Rn. 34 mwN).d)Angesichts der sich aus § 2 Abs. 1, § 1 Abs. 1 EnWG 2005 ergebenden Verpflichtung des Energieversorgungsunternehmens zu einer möglichst sicheren, preisgünstigen, verbraucherfreundlichen, effizienten und umweltverträglichen leitungsgebundenen Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität und Gas trifft den Versorger die Verpflichtung, die eigenen Bezugskosten im Interesse der Kunden niedrig zu halten; vom Preisänderungsrecht des Gasgrundversorgers sind daher (Bezugs-)Kostensteigerungen nicht umfasst, die er auch unter Berücksichtigung des ihm zuzubilligenden unternehmerischen Entscheidungsspielraums ohne die Möglichkeit einer Preiserhöhung aus betriebswirtschaftlichen Gründen vermieden hätte (Fortführung der Senatsurteile vom 13.Juni 2007 -VIII ZR 36/06, aaO Rn. 27; vom 19.November 2008 -VIII ZR 138/07, aaO Rn. 42 f.).e)Zu den Anforderungen an den Vortrag und das Bestreiten sowie an die Feststellung von (Bezugs-)Kostensteigerungen des Gasversorgers (Fortführung der Senatsurteile vom 19. November 2008 -VIII ZR 138/07, aaO Rn. 45 ff.; vom 8. Juli 2009 -VIII ZR 314/07, aaO Rn. 21, 30 f.; vom 28.Oktober 2015 -VIII ZR 158/11, aaO Rn.89 ff., und VIII ZR 13/12, aaO Rn. 91 ff.).BGH, Urteil vom 6. April 2016 -VIII ZR 71/10 -LG RavensburgAG Ravensburg
Bund der Energieverbraucher e.V. | Impressum & Datenschutz