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BGH, Urt. v.28.10.15 VIII ZR 158/11 Ergänzende Vertragsauslegung Tarifkunden
uwes:
--- Zitat von: mathaub am 16. Januar 2016, 16:21:07 ---Hallo!
Ist der Beschluss des AG Delmenhorst abrufbar?
Für Hilfe wäre ich dankbar....
Grüße
Mathaub
--- Ende Zitat ---
Nein, ich habe lediglich den Text zitiert. Spannend wird es erst, wenn das Gericht seine Ankündigung auch wahr macht.
tangocharly:
Trotz der beiden Entscheidungen des EuGH vom 23.10.2014 und vom 21.03.2013 ergehen sämtliche Folgeentscheidungen des 8.ZS-BGH seit dem 28.10.2015 ständig mit der gleichen Begründung, wonach der nationale Richter ja mit seiner "erg. Vertragsauslegung" nur nationales Recht auslege bzw. anwende.
Dennoch ist sich der 8.ZS-BGH bewußt, dass auch hierbei eine unionsrechtliche Entscheidungserheblichkeit vorliegt, nämlich die Auslegung von Anlage 3 zu Art. 3 der Gas-/Stromrichtlinien. Hierzu hat sich der EuGH in beiden Entscheidungen unmißverständlich ausgedrückt und er hat in beiden Fällen von einer zeitlichen Befristung der Wirkungen seiner Auslegungsentscheidungen Abstand genommen.
Wenn aber eine unionsrechtliche Entscheidungserheblichkeit vorliegt, der BGH aber in seinen Entscheidungen nur nach nationalen Bestimmungen auslegt, dann kann dies gegen Art. 4 u. 288 AEUV (Treuepflicht und effektiver Rechtsschutz) verstoßen.
Wenn der BGH, so wie jetzt in seinen jüngsten Entscheidungen geschehen, die unionsrechtlichen Auslegungskriterien für nicht anwendbar oder nicht entscheidungserheblich ansieht, weil diese angeblich "nur für die von den Entscheidungen des EuGH betroffenen Einzelfälle gelten", so kann dies gegen Art. 267 Abs. 2 u. 3 AEUV verstoßen, weil diese Auslegungsfrage unionsrechtlicher Natur und eben geradewegs dem EuGH zugewiesen ist .
Diese Frage wird derzeitig im Wege der Verfassungsbeschwerde gegen eine der beiden Entscheidungen des 8.ZS-BGH vom 28.10.2015 vom BVerfG geprüft. Dabei dürfte sich das BVerfG mit seiner Entscheidung voraussichtlich nicht sonderlich schwer tun; denn ein vergleichbarer Sachverhalt wurde bereits in einem, nach voraus gegangenen Revisionsverfahren vor dem Bundesarbeitsgericht, beim BVerfG anhängig gewordenen Beschwerdeverfahren entschieden (vgl. BVerfG, 10.12.2014, Az.: 2 BvR 1549/07):
--- Zitat ---(1) Ausweislich der Begründung hat das Bundesarbeitsgericht die Frage der Vorlagepflicht hinsichtlich der Gewährung von Vertrauensschutz in die frühere, nicht richtlinienkonforme Auslegung der §§ 17 f. KSchG zwar durchaus gesehen. Dies ergibt sich aus der ausdrücklichen Feststellung, dass dem Bundesarbeitsgericht die Entscheidung über den Vertrauensschutz nicht „entzogen“ sei und es (diesbezüglich) insbesondere nicht zur Vorlage an den Gerichtshof verpflichtet sei, sowie aus dem Hinweis auf die eine Vorlagepflicht bejahende Auffassung von Schiek (AuR 2006, S. 41 <43 f.>), die sich das Bundesarbeitsgericht nicht zu Eigen gemacht hat. Es hat die Vorlagepflicht vielmehr verneint und dies in der Sache damit begründet, dass es nicht Unionsrecht, sondern nationales Recht auslege und sich insoweit allein im Bereich der nationalen Rechtsanwendung befinde. Aus seiner Sicht war somit keine unionsrechtliche Frage entscheidungserheblich, so dass eine Vorlagepflicht nicht in Betracht kam.
(2) Damit hat es die Frage der Vorlagepflicht in nicht mehr verständlicher und offensichtlich unhaltbarer Weise beantwortet, weil es sich hinsichtlich des (materiellen) Unionsrechts nicht hinreichend kundig gemacht und seine Vorlagepflicht insoweit grundlegend verkannt hat.
(a) Die Annahme des Bundesarbeitsgerichts, es könne eine richtlinienkonforme Auslegung der §§ 17 f. KSchG unter Berufung auf seine frühere Rechtsprechung unterlassen, verkennt die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts grundlegend. Es hat sich insoweit darüber hinweggesetzt, dass die Gewährung von Vertrauensschutz und die damit verbundene Unterlassung der richtlinienkonformen Auslegung einer nationalen Norm zumindest auch eine Frage des Unionsrechts ist. Hinzu kommt, dass der Gerichtshof in der Junk -Entscheidung (EuGH, Urteil vom 27. Januar 2005, Junk, C-188/03, Slg. 2005, I-885) die Geltung der von ihm vorgenommenen Auslegung der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (ABl Nr. L 225/16) nicht aus Gründen des unionsrechtlichen Rechtsgrundsatzes des Vertrauensschutzes in zeitlicher Hinsicht eingeschränkt und eine zeitliche Geltungsbeschränkung damit implizit abgelehnt hat. Durch die Unterlassung der richtlinienkonformen Auslegung der §§ 17 f. KSchG in der angegriffenen Entscheidung verschiebt das Bundesarbeitsgericht die Anwendung der Massenentlassungsrichtlinie in der vom Gerichtshof vorgenommenen Auslegung aus Gründen des Vertrauensschutzes nach nationalem Recht auf einen Zeitpunkt nach ihrem Inkrafttreten (vgl. BVerfGE 126, 286 <314>).
(b) Zwar ist ein Rückgriff auf nationales Verfassungsrecht nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch bei der Anwendung des Unionsrechts in Deutschland nicht generell ausgeschlossen. Dies setzt jedoch voraus, dass der vom Grundgesetz gebotene Mindeststandard an Grundrechtsschutz durch das Unionsrecht verfehlt würde (vgl. BVerfGE 37, 271 <280 ff.>; 73, 339 <371 f., 387>; 89, 155 <174 f.>; 102, 147 <163 f.>). Eine solche Feststellung wäre überdies dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten (vgl. BVerfGE 123, 267 <354>; 126, 286 <308>). Anhaltspunkte dafür, dass das vom Grundgesetz geforderte Mindestmaß an Grundrechtsschutz unterschritten sein könnte, liegen hier jedoch ersichtlich nicht vor und wurden vom Bundesarbeitsgericht nicht thematisiert. Indem es Bestimmungen des nationalen Verfassungsrechts ins Feld führt, um die praktische Wirksamkeit einer Richtlinie zu begrenzen, setzt es sich daher über die etablierte Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Vorrang des Unionsrechts (vgl. EuGH, Urteil vom 17. Dezember 1970, Internationale Handelsgesellschaft, 11/70, Slg. 1970, 1125, Rn. 3) hinweg und verkennt auch insoweit seine Vorlagepflicht.
(c) Dass sich das Bundesarbeitsgericht, obwohl es sich grundsätzlich bewusst war, die Junk -Entscheidung aufgrund ihrer (unionsrechtlichen) Bindungswirkung beachten zu müssen, bei der Prüfung der Entscheidungserheblichkeit einer unionsrechtlichen Frage im Zusammenhang mit der Gewährung von Vertrauensschutz zudem mit keinem Wort näher mit der (unionsrechtlichen) Bindungswirkung von Vorabentscheidungen auseinandergesetzt hat, erscheint ebenfalls nicht mehr verständlich.
Aufgrund dieser methodischen Mängel ist die Anwendung von Art. 267 Abs. 3 AEUV durch das Bundesarbeitsgericht nicht mehr verständlich und offensichtlich unhaltbar. Liegt in Fällen, in denen das Fachgericht die Entscheidungserheblichkeit einer unionsrechtlichen Frage erkennt, sodann jedoch eine Vorlage zum Gerichtshof der Europäischen Union trotz Zweifeln an der richtigen Beantwortung einer unionsrechtlichen Frage nicht in Erwägung zieht (sogenannte grundsätzliche Verkennung der Vorlagepflicht), ein Verstoß gegen die Garantie des gesetzlichen Richters aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG vor (vgl. BVerfGE 82, 159 <195 f.>; 126, 286 <316 f.>; 128, 157 <187 f.>; 129, 78 <106 f.>; BVerfG, Urteil vom 28. Januar 2014 - 2 BvR 1561/12, 2 BvR 1562/12, 2 BvR 1563/12, 2 BvR 1564/12 -, NVwZ 2014, S. 646 <657>), so kann im vorliegenden Fall, in dem ein letztinstanzliches Gericht eine Vorlagepflicht verneint, weil es trotz offenkundiger Anhaltspunkte gar nicht erkennt, dass eine unionsrechtliche Frage entscheidungserheblich ist, und die Entscheidung allein an nationalen Maßstäben orientiert trifft, nichts anderes gelten. In beiden Fällen wird Art. 267 Abs. 3 AEUV in einer methodisch eindeutig unzureichenden und auf einer offenkundigen Verkennung seines Regelungsgehalts beruhenden Weise ausgelegt. Diese willkürliche Verneinung der Vorlagepflicht ist daher als Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 267 Abs. 3 AEUV verfassungsrechtlich zu beanstanden.
--- Ende Zitat ---
Diese Grundsätze auf die Entscheidungen des BGH zur "ergänzenden Vertragsauslegung" übertragen bedeuten, dass der BGH sowohl die Bestimmungen gem. Art. 267 Abs. 2 u. 3 AEUV, als auch die Bestimmungen der Transparenzrichtlinien ohne Vorlageanrufung willkürlich anwendet bzw. auslegt.
Der BGH hat auch schon seither, zumindest in einer Entscheidung, die Wirkungen der Vorlageentscheidungen von 2014/2013 auf den Zeitpunkt ab Erlass der Transparenzrichtlinien "nach nationalem Recht" eingeschränkt. Damit hat der BGH auch den Vorrang der Entscheidungen des EuGH aus 2014/2013 ignoriert, wodurch die Fragen zur Befristung oder Nichtbefristung dort klar und deutlich beantwortet wurden. Diese Befristung auf den Zeitpunkt ab Erlass der RiLi erfolgt demnach ohne Rechtsgrund und ist damit -offensichtlich- haltlos und willkürlich.
RR-E-ft:
Unzutreffend ist die Einschätzung des 8.Zivilsenats des BGH im Urteil vom 28.10.15 Az. VIII ZR 158/11, juris Rn. 80,
dass die Vertragsparteien bei angemessener, objektiv-generalisierender Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben redlicherweise vereinbart hätten,
dass die Kl. berechtigt sein soll, Kostensteigerungen ihrer eigenen (Bezugs-)Kosten während der Vertragslaufzeit an den Bekl. weiterzugeben,
und sie verpflichtet ist, bei einer Tarifanpassung Kostensenkungen ebenso zu berücksichtigen wie Kostenerhöhungen.
Denn damit wird allein den Interessen des Energieversorgungsunternehmens Rechnung getragen, Kostensteigerungen seiner eigenen (Bezugs-)Kosten während der Vertragslaufzeit an die grundversorgten Tarifkunden weiterzugeben. Nicht zuletzt in Verkennung der Verpflichtung der Energieversorgungsunternehmen aus § 2 Abs. 1, § 1 Abs. 1 EnWG 2005 zu einer möglichst verbraucherfreundlichen leitungsgebundenen Versorgung mit Gas bleibt das Interesse des Kunden an einem hohen Maß an Verbraucherschutz dabei vollkommen unberücksichtigt.
Das geboten hohe Maß an Verbraucherschutz kann nur gewährleistet werden, wenn der betroffene Kunde das Recht hat, sich anlässlich einer einseitigen Preisänderung vom Vertrag zu lösen oder gegen die Preisänderung vorzugehen. Um diese Rechte in vollem Umfang und tatsächlich nutzen und in voller Sachkenntnis eine Entscheidung über eine mögliche Lösung vom Vertrag oder ein Vorgehen gegen die Änderung des Lieferpreises treffen zu können, ist es erforderlich, dass der Kunde rechtzeitig vor dem Inkrafttreten dieser Änderung über deren Anlass, Voraussetzungen und Umfang informiert wird (vgl. EuGH, Urt. v. 23.10.14 Rs. C-359/11 und C- 400/11, Rnrn. 43,44, 47).
Bei angemessener, objektiv-generalisierender Abwägung ihrer beiderseitigen Interessen hätten die Parteien nach Treu und Glauben redlicherweise demnach ein entsprechendes Preisänderungsrecht nur vereinbart, wenn dem Bekl. auch ein Recht zur außerordentlichen Kündigung des Liefervertrages anlässlich einer einseitigen Preisänderung sowie die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung der Preisänderung eingeräumt wird und zudem eine Verpflichtung der Kl. besteht, den Bekl. rechtzeitig vor dem Inkrafttreten dieser Änderung über deren Anlass, Voraussetzungen und Umfang zu informieren. Aus Verbrauchersicht ausgewogen wird eine solche Regelung aber auch nur dann, wenn der Versorger verpflichtet ist, rückläufige Kosten mindestens nach gleichen Maßstäben weiterzugeben, die Preise auch zugunsten der Kunden anzupassen.
tangocharly:
Schließe mich der Argumentation vollständig an ;)
uwes:
Im Leitsatz e) muss man lesen:
--- Zitat ---Die hierdurch im Tarifkundenvertrag eingetretene Regelungslücke ist im Wege einer gebotenen ergänzenden Vertragsauslegung (§§ 157, 133 BGB) dahinge-hend zu schließen, dass das Gasversorgungsunternehmen berechtigt ist, Kosten-steigerungen seiner eigenen (Bezugs-)Kosten, soweit diese nicht durch Kosten-senkungen in anderen Bereichen ausgeglichen werden, an den Tarifkunden wei-terzugeben, und das Gasversorgungsunternehmen verpflichtet ist, bei einer Tarif-anpassung Kostensenkungen ebenso zu berücksichtigen wie Kostenerhöhungen. Der nach dieser Maßgabe berechtigterweise erhöhte Preis wird zum vereinbarten Preis. Für eine zusätzliche Billigkeitskontrolle gemäß § 315 BGB ist deshalb kein Raum.
--- Ende Zitat ---
Dieser Satz lässt viel Raum zum Spekulieren.
1. Wenn es (ausschließlich?) nur unter den obigen Voraussetzungen zu einem "vereinbarten Preis" kommen kann, wofür braucht man einen Kundenwiderspruch zumal eine "zusätzliche Billigkeitskontrolle" ausscheidet?
2. Wenn eine zusätzliche Billigkeitskontrolle ausscheidet, und es nur nach den im Leitsatz e) genannten Voraussetzungen zu einem vereinbarten Preis kommen kann, dürfte der Schutz des Kunden gem § 315 Abs. 3 BGB abhanden gekommen sein, wonach ein unbillig erhöhter Preis erst durch die Neubestimmung des Gerichts fällig wird und somit dem Kunden keine Verzugszinsen oder Anwaltskosten drohten. Jetzt muss er damit rechnen, dass er auch dann, wenn die Preisanpassung nicht in vollem Umfang vom Gericht gebilligt wird, Verzugsfolgen zu tragen hat.
Ist damit festzustellen, dass sich die Lage des Verbrauchers nach der neueren Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats des BGH gegenüber der bisherigen verschlechtert hat?
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