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BGH, Urt. v. 3.12.14 VIII ZR 370/13 obiter dicta(tur)

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RR-E-ft:

--- Zitat ---Verkündungstermin 3. Dezember 2014

(Verhandlungstermin: 24. September 2014)

VIII ZR 370/13

AG Königs Wusterhausen - Urteil vom 27. Dezember 2012 – 4 C 64/12

LG Potsdam - Urteil vom 28. November 2013 - 7 S 40/13

Das beklagte Energieversorgungsunternehmen beliefert den Kläger seit 1997 als Sonderkunden mit Erdgas. In dem Erdgasliefervertrag ist ein Arbeitspreis von 4,2 Pfennig/kWh (entsprechend 2,15 Cent/kWh) vereinbart. Ein Preisanpassungsrecht der Beklagten enthält der Vertrag nicht.

Die Beklagte erhöhte in der Folgezeit mehrfach die Preise. Für den Zeitraum vom 2. April 2007 bis zum 31. März 2008 rechnete sie auf der Basis eines Arbeitspreises von 4,31 Cent/kWh ab und verlangte insgesamt eine Vergütung von 3.145,74 €. Der Kläger beanstandete die jährlichen Abrechnungen der Beklagten erstmals im Jahr 2011; zuvor zahlte er die in Rechnung gestellten Preise widerspruchslos. Der Kläger ist nunmehr der Auffassung, er schulde lediglich den zu Vertragsbeginn vereinbarten Arbeitspreis und begehrt deshalb von der Beklagten für das Abrechnungsjahr 2007/2008 die Rückzahlung von insgesamt 1.523,44 €.

Das Amtsgericht hat der Zahlungsklage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landgericht die Klage ganz überwiegend abgewiesen.

Zur Begründung hat es ausgeführt, der im Jahr 2007 geschlossene Erdgaslieferungsvertrag sehe zwar kein einseitiges Preisanpassungsrecht vor und die Parteien hätten den Vertrag nicht einvernehmlich geändert. Grundsätzlich bestehe daher ein Anspruch auf Rückzahlung des ohne Rechtsgrund gezahlten (erhöhten) Arbeitspreises, der auch nicht durch eine ergänzende Vertragsauslegung beschränkt werden könne. Dem Rückzahlungsanspruch stehe jedoch entgegen, dass die Interessen der Parteien nach den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB*) zu einem Ausgleich gebracht werden müssten. Denn der Kläger habe der Beklagten bis 2011 keinen Anlass zur Kündigung des Vertrags gegeben, sondern die Jahresrechnungen anstandslos bezahlt. Er müsse sich daher billigerweise an dem Preis festhalten lassen, der drei Jahre vor seinem ersten Widerspruch gegolten habe. Der ab dem 1. April 2007 zu Grunde gelegte Arbeitspreis von 4,31 Cent/kWh sei mangels eines früheren Widerspruchs angemessen.

Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils.

* § 242 BGB

Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.
--- Ende Zitat ---

RR-E-ft:
Das Verfahren soll EWE betreffen.

Bisher begründet der VIII.ZS seine umstrittene ergänzende Vertragsauslegung wie folgt:

Urt. v. 14.03.12 Az. VIII ZR 113/11, juris Rn. 20


--- Zitat ---Beide Parteien waren sich bei Vertragsschluss einig, dass der vereinbarte (Anfangs-)Preis nur zu Beginn des Versorgungsverhältnisses gelten und bei späteren Änderungen der allgemeinen Tarife ein anderer Preis geschuldet sein sollte. Denn die Aufnahme eines Preisänderungsrechts zeigt den Willen der Parteien, dass der Kunde - und nicht das Versorgungsunternehmen - Preisänderungen tragen soll, die etwa auf Veränderungen der Brennstoffbezugskosten oder der Lohn- und Materialkosten zurückgehen. Aus der Aufnahme einer Preisänderungsklausel bei Vertragsschluss wird deutlich, dass sich die Parteien von dem lebensnahen Bewusstsein haben leiten lassen, dass Preisänderungen im Laufe des auf unbestimmte Zeit angelegten Bezugsverhältnisses zu erwarten sind und deshalb der Gefahr einer zukünftigen Äquivalenzstörung in ange-messener Weise zu begegnen ist. Da die von den Parteien vereinbarte Preisänderungsklausel der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB (Art. 229 § 5 Satz 2 EGBGB) nicht standhält, ist daher im Regelungsplan der Parteien eine Lücke eingetreten (vgl. Senatsurteile vom 1. Februar 1984 - VIII ZR 54/83, BGHZ 90, 69, 74, und VIII ZR 106/83, juris Rn. 27).
--- Ende Zitat ---

Für eine ergänzende Vertragsauslegung mit dieser Begründung ist deshalb im zu entscheidenden Fall kein Raum, wenn schon keine Preisänderungsklausel in den Vertrag einbezogen wurde.

uwes:

--- Zitat ---Dem Rückzahlungsanspruch stehe jedoch entgegen, dass die Interessen der Parteien nach den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB*) zu einem Ausgleich gebracht werden müssten. Denn der Kläger habe der Beklagten bis 2011 keinen Anlass zur Kündigung des Vertrags gegeben, sondern die Jahresrechnungen anstandslos bezahlt. Er müsse sich daher billigerweise an dem Preis festhalten lassen, der drei Jahre vor seinem ersten Widerspruch gegolten habe. Der ab dem 1. April 2007 zu Grunde gelegte Arbeitspreis von 4,31 Cent/kWh sei mangels eines früheren Widerspruchs angemessen.
--- Ende Zitat ---

Die Annahme, man müsste im Sinne eines Automatismusses schon deswegen eine Vertragsanpassung vornehmen, weil der "kunde keinen Anlass zur Kündigung gegeben" habe verstößt gegen die Entscheidungen des EuGH vom 21.3.2013 und wohl auch vom 23.10.2014. Die vom EuGH abgelehnte Begrenzung der Rückwirkung kann jetzt nicht durch die Hintertür von einem nationalen Gericht als letztlich gewollten Schutz des Versorgers eingeführt werden. Es bedarf im Einzelfall einer Prüfung, ob und inwieweit den Versorger eine unbillige Härte träfe, wenn er das Urteil umsetzen müsste.
Und selbst dann, wenn man diese Prüfung in Erwägung ziehen sollte, spielt aber immer noch eine Rolle, ob die Parteien überhaupt eine Preisänderungsklausel in den Vertrag eingefügt hatten und erst somit kundgetan haben, dass der Anfangspreis nicht unbefristet gelten sollte.  Ist das nicht der Fall, bleibt für eine Preisanpassung keinerlei Spielraum.
Es hätte auch dem Versorger auffallen müssen, wenn er nicht einmal eine Preisänderungsklausel vereinbart.

RR-E-ft:
Mitteilung der Pressestelle des Bundesgerichtshofs Nr. 177/2014

 http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=Aktuell&Sort=12288&nr=69580&linked=pm&Blank=1


--- Zitat ---Zur Rückforderung von Zahlungen, die im Rahmen eines Erdgas-Sonderkundenvertrages nach unberechtigten Preiserhöhungen erbracht wurden

Das beklagte Energieversorgungsunternehmen beliefert den Kläger seit 1997 als Sonderkunden mit Erdgas. In dem Erdgaslieferungsvertrag ist ein Arbeitspreis von 4,2 Pfennig/kWh (2,15 Cent/kWh) vereinbart. Ein Preisanpassungsrecht der Beklagten enthält der Vertrag nicht. Die Beklagte erhöhte in der Folgezeit mehrfach die Preise. Für den Zeitraum vom 2. April 2007 bis zum 31. März 2008 verlangte sie auf der Basis eines Arbeitspreises von 4,31 Cent/kWh eine Vergütung von insgesamt 3.145,74 €. Der Kläger beanstandete die jährlichen Abrechnungen der Beklagten erstmals im Jahr 2011; zuvor hatte er die in Rechnung gestellten Preise widerspruchslos gezahlt. Der Kläger ist nunmehr der Auffassung, er schulde lediglich den zu Vertragsbeginn vereinbarten Arbeitspreis und begehrt deshalb von der Beklagten für das Abrechnungsjahr 2007/2008 die Rückzahlung von insgesamt 1.523,44 €.

Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landgericht die Klage ganz überwiegend abgewiesen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils.

Das Berufungsgericht hat darauf abgestellt, dass die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur ergänzenden Vertragsauslegung (BGHZ 192, 372 ff.), die die Geltendmachung der Unwirksamkeit von Preiserhöhungen in gewissen Umfang begrenzt, keine Anwendung finde, weil im vorliegenden Fall – anders als bei den bisher vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fällen – der Vertrag kein nach § 307 Abs. 1 BGB unwirksames Preisanpassungsrecht enthalte und deshalb keine planwidrige Regelungslücke vorliege, die unabdingbare Voraussetzung einer ergänzenden Vertragsauslegung sei. Gleichwohl müsse sich der Kläger nach Treu und Glauben an dem Preis festhalten lassen, der drei Jahre vor seinem ersten Widerspruch gegolten habe, nämlich dem ab 1. April 2007 zugrunde gelegten Arbeitspreis von 4,31 Cent/kWh.

Die Revision hatte Erfolg. Der unter anderem für das Kaufrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass das Berufungsurteil schon deshalb keinen Bestand haben kann, weil die tatbestandlichen Feststellungen eine revisionsrechtliche Nachprüfung nicht ermöglichen. Das Berufungsgericht hat insbesondere keine Feststellungen dazu getroffen, warum ein Preisänderungsrecht vorliegend nicht Vertragsbestandteil geworden ist, die Beklagte aber gleichwohl Preisanpassungen vorgenommen und zu höheren Preisen als dem im Jahr 1997 geltenden Preis abgerechnet und der Kläger die darauf beruhenden Jahresabrechnungen über viele Jahre hinweg widerspruchslos beglichen hat. Damit fehlt es an einer ausreichenden Tatsachengrundlage für die Prüfung, ob der Gaslieferungsvertrag eine Regelungslücke enthält, die im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung nach den vom Senat für die Fälle eines unwirksamen Preisanpassungsrechts entwickelten Grundsätzen zu schließen wäre. Der Senat hat die Verfahren an das Berufungsgericht zurückverwiesen, damit es diese Feststellungen nachholen kann.

Für das weitere Verfahren hat der Senat darauf hingewiesen, dass ein auf unbestimmter Zeit abgeschlossener Energielieferungsvertrag regelmäßig auch dann eine planwidrige Unvollständigkeit aufweist, wenn die Parteien keine Festpreisabrede getroffen haben, die Einbeziehung eines vertragstypischen und im Grundsatz den Interessen beider Parteien Rechnung tragenden formularmäßigen Preisanpassungsrechts an einer wirksamen Einbeziehung gemäß § 305 BGB* scheitert, der Kunde den Preisanpassungen und den darauf basierenden Jahresabrechnungen über einen längeren Zeitraum nicht widersprochen hat und nunmehr auch für länger zurückliegende Zeitabschnitte die Unwirksamkeit von Preiserhöhungen geltend macht. Auch eine so entstandene Regelungslücke wäre – ebenso wie die Regelungslücke, die durch ein wegen unangemessener Benachteiligung des Gaskunden (§ 307 Abs. 1 BGB*) unwirksames Preisanpassungsrecht entstanden ist - im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung in der Weise zu schließen, dass der Kunde die Unwirksamkeit derjenigen Preiserhöhungen, die zu einem den vereinbarten Anfangspreis übersteigenden Preis führen, nicht geltend machen kann, wenn er sie nicht innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren nach Zugang der jeweiligen Jahresabrechnung, in der die Preiserhöhung erstmals berücksichtigt worden ist, beanstandet hat.

Sofern sich die Vereinbarung der Parteien nach den im weiteren Verfahren zu treffenden Feststellungen hingegen als Festpreisabrede mit abschließender Risikoverteilung erweisen sollte und deshalb kein Raum für eine ergänzende Vertragsauslegung wäre, so könnte diese Risikoverteilung ohne das Hinzutreten weiterer - bislang nicht ersichtlicher - Umstände auch nicht über § 242 BGB korrigiert werden.

* § 305 BGB

(2) Allgemeine Geschäftsbedingungen werden nur dann Bestandteil eines Vertrags, wenn der Verwender bei Vertragsschluss

1. die andere Vertragspartei ausdrücklich oder, wenn ein ausdrücklicher Hinweis wegen der Art des Vertragsschlusses nur unter unverhältnismäßigen Schwierigkeiten möglich ist, durch deutlich sichtbaren Aushang am Orte des Vertragsschlusses auf sie hinweist und

2. der anderen Vertragspartei die Möglichkeit verschafft, in zumutbarer Weise, die auch eine für den Verwender erkennbare körperliche Behinderung der anderen Vertragspartei angemessen berücksichtigt, von ihrem Inhalt Kenntnis zu nehmen,

und wenn die andere Vertragspartei mit ihrer Geltung einverstanden ist (…)

* § 307 BGB

(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.

(2) …

(3) …

Urteil vom 3. Dezember 2014 - VIII ZR 370/13

AG Königs Wusterhausen - Urteil vom 27. Dezember 2012 – 4 C 64/12

LG Potsdam - Urteil vom 28. November 2013 - 7 S 40/13

Karlsruhe, den 3. Dezember 2014
--- Ende Zitat ---

uwes:
Der VIII. Zivilrechtsverbiegungssenat!

Oder gibt es eine neue Seminarrunde der BGH-Richter wie seinerzeit der Vorsitzende des VIII Zivilsenats Wolfgang Ball im Jahre 2007

--- Zitat ---Gleich nach dem Urteil war der Seminarveranstalter Euro-forum an Ball herangetreten. Zusammen mit der
Düsseldorfer Kanzlei Clifford Chance warb er mit Balls Foto und unter dem Motto: „Gute Chancen für Gasversorger bei
Gaspreiserhöhungen!" Für einen Beitrag von 1605 Euro lernten die Teilnehmer „die gerichtsfeste Ausgestaltung von
Preisänderungsklauseln" und „den Umgang mit Widerspruchskunden".
--- Ende Zitat ---
(Quelle: Spiegel Heft 43/2007 Seite 102)

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