Forum des Bundes der Energieverbraucher

Autor Thema: BGH, Urt. v. 11.12.13 Az. VIII ZR 41/13 Stromsperre wegen Zahlungsrückständen  (Gelesen 8826 mal)

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Offline RR-E-ft

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Der BGH hat entschieden:

Wegen nicht gezahlter Rechnungsbeträge, die auf dem bei Vertragsabschluss vereinbarten Anfangangspreis beruhen und zudem 100 EUR übersteigen, darf einem grundversorgten Stromkunden die Versorgungsunterbrechung angedroht und gem. § 19 Abs. 2 StromGVV  die Versorgungsunterbrechung veranlasst werden.

Zur BGH- Pressemitteilung Nr. 201/13 vom 11.12.13:

http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=Aktuell&Sort=12288&nr=66179&linked=pm&Blank=1

Die Revision gegen das Urteil des OLG Hamm vom 18.01.13 Az. 19 U 53/11 wurde somit als unbegründet zurückgewiesen.

Die Entscheidung der Vorinstanz OLG Hamm:

http://www.justiz.nrw.de/nrwe/olgs/hamm/j2013/19_U_53_11_Urteil_20130118.html

« Letzte Änderung: 11. Dezember 2013, 20:46:16 von RR-E-ft »

Offline RR-E-ft

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Die Argumentation des unterlegenenen Klägers erscheint nicht nachvollziehbar.

Vor dem OLG machte er noch geltend, § 19 Abs. 2 StromGVV sei nicht anwendbar, weil er Sondervertragskunde sei und die Bestimmungen der StromGVV nicht wirksam in den Vertrag einbezogen seien.

Dabei wurde wohl verkannt, dass § 19 Abs. 2 StromGVV eine verbraucherschützende Norm ist, die das sonst bestehende gesetzliche Zurückbehaltungsrecht des Stromlieferanten entscheidend einschränkt und an weitergehende Voraussetzungen (wiederholte fristgerechte Androhungen) knüpft.

Findet § 19 Abs. 2 StromGVV auf das Vertragsverhältnis keine Anwendung, so kann der Stromlieferant in Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts die Stromversorgung noch leichter einstellen.

Zudem ist bei einem Sondervertrag der Anfangspreis vereinbart und unterliegt deshalb keiner Billigkeitskontrolle.

Der vereinbarte Anfangspreis und die darauf beruhende Forderung des Energielieferanten muss demnach gezahlt werden.

Allenfalls für die Grundversorgung kann nach einer vom BGH nicht gebilligten Mindermeinung (Fricke, ZNER 2011, S. 130 ff) auch der Anfangspreis deshalb einer Billigkeitskontrolle unterliegen, weil den Grundversorger gem. §§ 36, 2, 1 EnWG eine gesetzliche Preisbestimmungspflicht trifft, deren Ausübung ihrerseits einer Billigkeitskontrolle gem. § 315 BGB unterliegt.

Offline tangocharly

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Das genannte Urteil ist nicht nur wegen einer zitierten "Mindermeinung" kritisch zu betrachten. Es wirft  vielmehr wieder einmal mehr einen Schatten auf den Eindruck einer unheiligen Allianz zwischen der Versorgerwirtschaft und dem VIII. Senat.

Zunächst aber erschließt sich nicht, woraus im vorstehenden thread hergeleitet wird, dass der Verbraucher die Thematik eines "Sondervertragsverhältnisses" problematisiert hat. Denn der BGH hat sich -lt. PM- damit befaßt, dass ...

"...Der Kläger ...  von der Beklagten seit August 2005 als Tarifkunde nach der Stromgrundversorgungsverordnung (StromGVV) mit Strom versorgt..."

wurde.  Zwar könnte man aus der weiteren Formulierung -lt. PM-:

"....Der Kläger schuldete aus der Jahresrechnung - unabhängig von den streitigen Preiserhöhungen, die bei der Berechnung des Zahlungsrückstandes außer Betracht bleiben (§ 19 Abs. 2 Satz 4 bis 6 StromGVV) - bereits aufgrund des bei Vertragsschluss vereinbarten Anfangspreises zumindest einen Betrag von 1.005,48 €...."

schon schließen, dass ein Sondervertrag zur Debatte stand. Dies könnte sich sodann nur darstellen, wenn die GVV durch Verweisung und Bezugnahme (§ 305 BGB) in den Vertrag einbezogen worden wäre.  Allerdings deuten die weiteren Ausführungen des BGH darauf hin, dass der Fall eben doch nur in der Grundversorgung angesiedelt ist:

"....Denn bei den bei Vertragsbeginn verlangten, allgemein bekannt gemachten Preisen handelt es sich um vereinbarte Preise, die keiner Billigkeitskontrolle unterliegen. ..."

Diese Frage wird sich zuverlässig erst beantworten lassen, wenn die Entscheidungsgründe vorliegen. Es kann nämlich auch nicht aus der -PM- ersehen werden, ob der Anfangspreis "bei der Entnahme von Strom aus dem Netz" schon als unbillig gerügt wurde oder erst im Zuge der etwa 2004 angelaufenen Preisprotestaktion, anläßlich der (vom BGH richtigerweise nicht in Betracht gezogenen) späteren Preisänderungen.

Dennoch wird das alte Problem, welches mit § 433 Abs. 2 BGB in Verbindung steht, d.h. die Preisvereinbarung , wieder einmal mehr wie ein Gummiband stapaziert, weil -wie die zitierte Mindermeinung richtig erwähnt- dieses Faktum (der Realakt - die Stromentnahme) einseitig ist.

Soweit ersichtlich hat sich der Bundesfinanzhof von seiner gegenteiligen Rechtsauffassung hierzu, mit Entscheidung vom 31.07.1990 (Az.: I R 171/87), und zur Anwendung des § 315 BGB bislang noch nicht distanziert.

Fazit: "Schaun mer mal", was die Gründe sagen und was der EuGH zu diesen "Zauberformeln" sagen wird.
<<Der Preis für die Freiheit ist die Verantwortung>>

Offline RR-E-ft

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@tangocharly

Die Entscheidung der Vorinstanz des OLG Hamm ist auf nrwe.de veröffentlicht und zudem wurde oben ein Link darauf gesetzt.

Aus dem angefochtenen Urteil des OLG Hamm ergibt sich, dass der Kläger, bei dem es sich laut Medienberichten  um einen Schreibwarenhändler handeln soll, geltend gemacht haben soll, er sei Sondervertragskunde und die Bedingungen der StromGVV (zumindest § 19 StromGVV) sei nicht vertragsgegenständlich.

Bei Abschluss eines Sondervertrages wird regelmäßig ein Preis vereinbart und nicht statt dessen eine einseitige Leistungsbestimmungspflicht des Versorgers, vermöge derer der Lieferant erst nach Vertragsabschluss den Preis im Sinne von § 315 Abs. 1 BGB  einseitig bestimmen soll.

Bei Sonderverträgen hat man es deshalb regelmäßig mit vereinbarten Anfangspreisen zu tun, die selbst keiner Billigkeitskontrolle unterliegen.

Bei Zugrundelegung der vom Kläger vor dem OLG vertretenen Auffassung, musste er wohl davon ausgehen, dass er den bei Abschluss eines Sondervertrages vereinbarten Strompreis jedenfalls zahlen muss, der Stromlieferant deshalb wegen insoweit offener fälliger Teilforderungen ein Zurückbehaltungsrecht ausüben und also die Strombelieferung einstellen (lassen) konnte und durfte.   

Eine Mindermeinung (Fricke, ZNER 2011, S. 130) stellt ausschließlich für die Grund- und Ersatzversorgung auf eine gesetzliche Preisbestimmungspflicht des Grundversorgers gem. § 36 Abs. 1 iVm. §§ 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 EnWG ab, welche die Vereinbarung davon abweichender Preise gesetzlich ausschließt, so dass nach der gesetzlichen Regelung die Preishauptabrede in der gesetzlichen Preisbestimmungspflicht des Grundversorgers besteht, deren Ausübung ihrerseits von Anfang an der Billigkeitskontrolle gem. § 315 Abs. 3 BGB allein deshalb unterliegt, weil es sich um eine gesetzlich angeordnete Leistungsbestimmungspflicht im Sinne des § 315 Abs. 1 BGB handelt.

Der Abschluss eines Kaufvertrages gem. § 433 BGB erfordert nicht unbedingt die Vereinbarung eines Preises.

Die Parteien können statt dessen auch vereinbaren, wie der Preis ermittelt/ berechnet werden soll.

Schließlich genügt statt dessen auch die Vereinbarung einer diesbezüglichen Leistungsbestimmungspflicht einer Partei (§ 315 Abs. 1 BGB)  oder eines Dritten (§ 317 BGB).

Ebenso genügt statt aller anderen eine gesetzlich angeordnete Preisbestimmungspflicht einer gesetzlich kontrahierungspflichtigen Partei.

Eine in Anbetracht einer gesetzlichen Preisbestimmungspflicht erfolgte Preisbestimmung der gesetzlich kontrahierungspflichtigen Partei unterliegt der Billigkeitskontrolle gem. § 315 Abs. 3 BGB.

Der Rückschluss des Senats, der vereinbarte Preis ergäbe sich bei grundversorgten Tarifkunden aus dem Vertragsabschluss selbst, erscheint deshalb in Anbetracht der gesetzlichen Preisbestimmungspflicht des kontrahierungspflichtigen (Grund-)Versorgers verkürzt.

Legt man den Vortrag des Klägers in den Vorinstanzen zu Grunde, wonach er Sondervertragskunde sei,  ist dieser davon jedoch wohl nicht betroffen.

Denn als Sondervertragskunde hätte den Kläger  wohl für eine Billigkeitskontrolle des Gesamtpreises die Darlegungs- und Beweislast dafür getroffen, dass bei Abschluss des Sondervertrages statt eines Preises eine Preisbestimmungspflicht des Stromlieferanten im Sinne des § 315 Abs. 1 BGB vertraglich vereinbart wurde.

Wäre bei Abschluss des Sondervertrages kein Preis und stattdessen auch keine Preisbestimmungspflicht des Stromlieferanten gem. § 315 Abs. 1 BGB vereinbart worden, so hätte wohl ein wirksamer Vertragsabschluss wegen eines Einigungsmangels hinsichtlich eines vertragswesentlichen Punktes (Preis) schon nicht vorgelegen.

Dann wäre der Stromlieferant schon vertraglich nicht zur Lieferung verpflichtet und allein deshalb berechtigt gewesen, die Belieferung mit Strom einzustellen bzw. einstellen zu lassen.

Dies verdeutlicht wohl, dass den Kläger wohl die Darlegungs- und Beweislast vor allem dafür traf, dass es überhaupt zum wirksamen Abschluss eines Stromlieferungsvertrages gekommen war, so dass der Lieferant durch die Einstellung der Belieferung mit Strom überhaupt eigene Vertragspflichten dem Kläger gegenüber verletzen konnte. 


« Letzte Änderung: 13. Dezember 2013, 12:42:47 von RR-E-ft »

Offline RR-E-ft

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Wohl für die Anhänger der von mir vertrenenen Mindermeinung, wonach aus einer gesetzlichen Preisbestimmungspflicht des Grundversorgers das Erfordernis nach einer Billigkeitskontrolle des Gesamtpreises erwachse, was zur Folge haben könnte, dass dieser auf Billigkeit kontrollierte Gesamtpreis sich gem. § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB insgesamt als unbillig und deshalb unverbindlich erweist, hat der Senat in Tz. 19 folgendes ausgeführt:

Zitat
Das Berufungsgericht hat mit Recht darauf hingewiesen, dass die Auffassung des Klägers, bei streitigen Preiserhöhungen werde auch eine unabhängig davon bestehende Teilforderung des Versorgers nicht fällig, darauf hinausliefe, dass der Kunde über lange Zeit Strom beziehen könnte, ohne hierauf irgendwelche Zahlungen leisten zu müssen. Das wäre mit dem Zweck der §§ 17 ff. StromGVV, dem Stromversorger als Korrelat für den ihm auferlegten Kontrahierungszwang und seine grundsätzliche Vorleistungspflicht ein zügiges Inkasso zu ermöglichen, nicht zu vereinbaren.
 

 

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